Tod und Wissen

Ich habe keinen «sicher bis 400 hochgehenden Totenkopf». Also nicht diesen, von dem die Auktionatorin meint: «Ah na. Des Süscheed is ned jedamans Sache.» Einen anderen eben (von dem hier nur ein unfachmännischer Schuß zu sehen ist). Aber auch dieser bestätigt die Fachfrau und den Fachmann gleichermaßen.

Der erste, der dieses Monstrum sah, war eigentlich vom Fach. Der Mediziner hatte dem befreundeten Galeristen geholfen, das stahlrahmenbewehrte doppelköpfige Monstrum fünf Stockwerke hinaufzutragen, da es nicht in den Fahrstuhl (hineinpassen) wollte. Als es von der Schutz- und Sichtfolie befreit war und endlich sicher an der Wand hing, meinte der Pathologe: Na, ich weiß nicht. Ich hab zwar ständig mit diesen Dingern zu tun. Aber ob ich den Tod ständig über meinem Kopf hängen haben mag ...? Als ich ihm dann ein bißchen was über Malewitsch erzählte und auch noch ein paar Schritte in die Romantik ging, da nickte er dann und meinte: Na, wenn man das so betrachtet ...

Einer der freundlichen und sorgfältigen Berliner Möbelpacker, die den Doppeltotenkopf vor ein paar Jahren dann vom größten Dorf der Welt in das Büro im kleineren umziehen durfte, war sofort einverstanden: Ich weiß zwar nicht, was es bedeuten soll, aber es hat was. Es erinnerte mich ein wenig an den Maurer, der meine jugendlich-eheliche Wohnung in der weitab vom kulturellen Schuß gelegenen Spandauer Schönwalder Allee auftragsgemäß vom Ballast des Jugendstils zu befreien hatte, da die Vermieter meinten, der würde solch eine jugendliche Ehe sicherlich über Gebühr strapazieren. Mit außergewöhnlichem Grimm sprach der Handwerker damals über diesen ruchlosen Auftrag, über das Banausentum dieser allein durch Erbschaft neureich Gewordenen. Oftmals ließ er Hammer und Kelle liegen, um gemeinam mit mir in euphorische Gesänge über Kunst und Kultur zu verfallen, um anschließend nicht noch ein Stückchen Stuck abzuschlagen, sondern (nach Absprache mit mir; ich würde es schon regeln) lediglich für eine knappe (Sicht-)Verblendung vorzubereiten. Der kurzen Ehe war's nicht eben zuträglich. Aber die Erinnerung an kulturerhaltende Maßnahmen und wunderbare (Kunst-)Handwerker hat's konserviert.

Auch die beiden ansonsten für Arbeitsplatten und Regale zuständigen Tischlermeisterfreunde, die berufsfremd den Hunstein festgemauert in die Erden, hier in die Wand betoniert hatten, bestätigten Monsieur Alphonse: «Gerade das Morbide zieht [...] an.» Aber ob das hier auch der Fall war? Der Rede über die Verbindung von Vanitas*-Stilleben zur Blauen Blume und dem ganzen anderen romantischen Begleitgewächs hätte es gar nicht bedurft, Vater und Sohn hätte es auch so gefallen. Aber mitgenommen haben sie die Information gerne. Wie der kürzlich hier als Gast sitzende Kieler Kleinbauunternehmer, der zwangsläufig auch ihm seltsam erscheinende Sanierungswünsche erfüllt, zum Beispiel das Verlangen einer Hausbesitzerin nach Ornamentbändern, dem er nicht so recht folgen konnte. Doch nachdem er infolge eines kleinen Exkurses vom Stilleben in eine noch weiter zurückliegende Vergangenheit weiß, daß das heute zur reinen Dekoration verkommene (und im Baumarkt angebotene) Ornament in früheren Zeiten und an anderen Orten unter anderem Informationsträger war**, quasi Datensatz zur Erklärung der Welt, hat er sich ein kluges Buch gekauft und entwickelt, wenn's schon sein muß, der (im positiven Sinn) leicht esoterisch, also von altem, ursprünglich geheimem Wissen angehauchten Dame Stuckbänder mit ins Zeichenhafte reduzierten Totenköpfen. Und die wundert sich nun über diesen klugen und weisen und wissenden Technicus (téchne: Kunstfertigkeit), also (Kunst-)Handwerker.

So bereitet es durchaus Freude, daß man mal was über Theorie zu brotlosen Künsten gelernt hat. Und so der eine oder andere nicht immerzu bei Wikipedia nachschlagen muß ...

*Vanitas bedeutet Eitelkeit. Aber nicht eitel, wie es heute verstanden wird, sondern es war gleichzusetzen mit wertlos, vor allem vergänglich. Ein Vanitas-Stilleben verweist auf die Güter dieser Welt vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit alles Irdischen.

** «[...] Das kind ist amoralisch. Der papua ist es für uns auch. Der papua schlachtet seine feinde ab und verzehrt sie. Er ist kein verbrecher. Wenn aber der moderne mensch jemanden abschlachtet und verzehrt, so ist er ein verbrecher oder ein degenerierter. Der papua tätowiert seine haut, sein boot, seine ruder, kurz alles, was ihm erreichbar ist. Er ist kein verbrecher. Der moderne mensch, der sich tätowiert, ist ein verbrecher oder ein degenerierter. Es gibt gefängnisse, in denen achtzig prozent der häftlinge tätowierungen aufweisen. Die tätowierten, die nicht in haft sind, sind latente verbrecher oder degenerierte aristokraten. Wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben. [...]» Adolf Loos: Ornament und Verbrechen

 
Do, 11.09.2008 |  link | (1620) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges


nnier   (11.09.08, 10:24)   (link)  
Das gefällt mir: "Wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben."

Reichen Sie doch bitte, wenn möglich, mal die ins Zeichenhafte reduzierten Totenköpfe nach!


jean stubenzweig   (11.09.08, 11:31)   (link)  
Den Kieler Kleinbaumeister
sollte ich ihn zu fassen kriegen, werde ich ihn danach fragen bzw. ihn darum bitten. Doch zur Zeit, so meine letzte Information, ist er irgendwo in der antiken Mythologie verschwunden und soll sich von dort aus einen Tunnel nach Lascaux graben. Während ich, so alles, nicht nur die Voiture, läuft, in dieser Richtung überirdisch unterwegs sein werde, um mal wieder ein paar ebendieser Flußkrebse zwischen die Kiemen zu kriegen, geographisch ungefähr in dieser Ecke.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5817 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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