Von oben besteuert

Ich solle mir mein rechtes Auge rausreißen, empfahl mir gestern ein Herr, der sozusagen gut reden hat zum Thema, und berief sich dabei leicht ironisch unterfütternd auf ein Standardwerk, das Liebe und Gerechtigkeit verheißt. Davon mal abgesehen, daß man immer wieder überrascht sein darf von der Gewalttätigkeit — auch Autoaggression fällt meines Erachtens darunter —, die in diesem sogenannten Buch der Bücher teilweise mitschwingt und auf das sich bevorzugt Parteien einer Religion berufen, die der zunehmenden Gewalt Herr zu werden gedenken, indem sie ihre avantgardistischen Frauen vorschicken, dieselbe in Medien und weiteren Randgebieten des Lebens zu verbieten, da sie der Meinung sind, die Gesellschaft würde damit zu Grabe getragen. Daß es ein Kreuz ist mit denen, das nicht sie tragen, sondern es anderen aufschultern, die mit dieser sonderbaren Frömmigkeit im Namen hausieren gehen, darauf mögen sie gar nicht kommen, obwohl sie, hätten sie in der Schule ein klein wenig aufgepaßt und nicht immerzu nur das Rechnen geübt, eigentlich wissen müßten, daß es Barmherzig- und Gerechtigkeit auch schon vor der Zeit gab, als ein paar Wenige Gebote daraus in den Stein meißelten. Die Bergpredigt, entnahm ich vor einigen Wochen dem Mund eines Schriftstellers, gab es lange vor dem Christentum.

Diese Christen, die uns immerfort zu anständigen Menschen machen wollen, indem sie uns Gebote gebieten und Verbote auferlegen, haben es, als es noch keine Ausweichmöglichkeiten gab, mit der irdischen Gerechtigkeit, auch das dürfte hinlänglich bekannt sein, bisweilen nicht so genaugenommen. Bei der Suche nach der einzig wahren Wahrheit griffen sie auch schonmal zu Hausmitteln, die auch heute gerne wieder angewandt werden, der Magen-Darm-Spülung etwa mit dem Eintrichtern von ziemlichen Wassermengen. Das längere Hineintauchen in diese gehört ebenfalls zu den probaten, wiederaufgenommenen Mitteln, einer Sache auf den Grund zu gehen. Bisweilen berief und beruft der eine oder andere Rechtsausleger sich dabei auf den Steuermann da oben, der das alles letztlich angeordnet habe und der über allem stehe. War einer partout nicht bereit, sich der ihm vorgegebenen Wahrheit zu bekennen, wurde er kleiner gemacht. Ginge das auch heute noch, meinen sicherlich einige, wäre das Piratenproblem bald gelöst wie weiland bei den Störtebekers. Ob die nun reine Hallodris, heute würde man sie vermutlich Aventurer nennen, oder solche waren, die auch was zu beißen haben wollten, so richtig ist das wohl noch nicht geklärt. Wahrscheinlich waren sie beides. Sicher hingegen scheint eines: es gab Gerechtigkeit unter ihnen. Was man von der heutigen Hanse nicht unbedingt behaupten kann. So schickt man eben, wie damals auch, ein paar Kriegsschiffe hin, um sie am Entern des kleinen Stückchens vom großen Globalkuchen zu hindern. Und auf daß bloß keiner hineingelange ins Paradies, verlegt man die früheren Schutzwälle an alle erdenkliche Außengrenzen der Alten und der Neuen Welt. Sie müssen eben selber klarkommen. Und alles im Namen jener Gerechtigkeit, die mittels Übertragung eben dieses Buches mal herbeigeführt werden sollte, dessen Über-Setzer vom einen in das andere Testament allerdings selbst bisweilen seltsame Interpretationen ablieferte: «... muß ich hier die weltliche Obrigkeit unterrichten [...] aufrührerische Mörder, Räuber, Gotteslästerer, welche auch heidnische Obrigkeit zu strafen Recht und Macht hat, ja dazu schuldig ist, solche Buben zu strafen. Denn darum trägt sie das Schwert und ist Gottes Dienerin über den, der übel tut; Röm. 13,4.»

Mit einem anderen Steuermann, aufbauend auf den, dessentwegen ich mir gestern eben das rechte Auge rausgerissen habe, ging ich mit dem gemeinhin als verdummend bekannten und vom intellektuell geschulten Menschen deshalb abzulehnenden Fernsehen via nicht minder bildungsfeindlichem Aufzeichnungsgerät kurz danach auf hohe See, nur noch mit dem linken Auge sehend: erst den Teil des von mir immer gemiedenen Mittelmeers, in dem sie in Massen herumdümpeln, die selten genutzten und auch ansonsten keinem weiteren Nutzen unterworfenen Schiffe, denen man irgendwelche Krisen nicht so recht anzusehen bereit ist. Von dort aus reise ich mit im Cabriolet zum Preis von drei Jahresgehältern eines recht gut verdienenden, allerdings fest angestellten Mittelständlers. Wir legen an auf einer Bootsmesse. Der aus dem Arbeitermilieu stammende Freiberufler hat seine Nice-Wohnung an der blauen Küste gerade verkauft, und nun juckt es ihn samt geisteswissenschaftlerischen US-Gattin, das Geld wieder anzulegen, quasi umzutauschen in eine schwimmende Behausung.

Bereitwillig erklärt er dabei, wie und wo er das Fahrzeug steuerlich gelten machen kann, überhaupt, wieviel Steuern er jährlich bezahlt für seine Häuser, die er meist günstig kauft, um sie dann, gesetzestreu die Spekulationsfristen abwartend, um ein Vielfaches wieder zu veräußern. Seiner Argumentation ist leicht folgen, nach der es richtig gewesen sei, 1996 die Vermögenssteuer abgeschafft zu haben. Denn er könne, bei nurmehr einstündiger Arbeit täglich, nunmal besser rechnen und sei somit kreativer als andere, etwa die ihm im absolut sachlichen Film Gegenübergestellten, der Zeitungsredakteur mit als Krankenschwester tätigen Ehefrau samt drei Kindern, siebenmal mehr mehr bezahlen. Auch die Begründung dafür ist einfach: Letztgenannten, die, wollen sie alles erledigt bekommen, was ein Berufs- und Familienleben mit sich bringt, auf rund fünfzehn, sechzehn Stunden täglich kommen, werden die monatlichen, gut vierzigprozentigen Abgaben vom Bruttoverdienst von achttausendsechshundert Euro direkt abgezogen. Steuerprüfungen von Millionären, so das scheinbar marginale Fazit dieser tränenfreien Reportage, seien nicht nur selten, sondern häufig genug per Anweisung durch übergeordnete Stellen direkt unterbunden. Das gerne geäußerte Argument seitens Betroffener, da hingen schließlich Arbeitsplätze dran, ist angesichts des gespiegelten Einpersonen-Unternehmens in besonderem Maße einleuchtend.

Jetzt habe ich mir mein linkes Auge wohl auch noch rausgerissen, lieber Herr Erdwein.
 
Fr, 12.06.2009 |  link | (2090) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau


aubertin   (12.06.09, 12:17)   (link)  
Medien und Verbot
« Internet ist ein Grundrecht, und eine Behörde kann nicht die individuellen Freiheiten einschränken »

Das Verfassungsgericht hat das französische Gesetz gestopt, das eine Internet-Sperre eines Nutzers bei Mißachtung des Urheberrechtes vorsah.

Anne


hanno erdwein   (12.06.09, 23:32)   (link)  
Ich hoffe doch sehr ...
bei meiner sarkastischen Floskel vom Ausreißen des ärgerlichen auges nicht mißverstanden worden zu sein. Es täte mir leid. Ihren Querschlag durch die monotheistischen Religionen kann ich nur vollauf unterstreichen. Ansonsten dürfte es sicher hier barrierefrei weitergehen - oder?


jean stubenzweig   (13.06.09, 00:41)   (link)  
Barrierefrei?
Wie könnte das gemeint sein?

Neinnein, keinerlei Mißverständnis. Sie kamen mir gerade recht mit Ihrem Augenausreißer. Irgendwie dachte ich sofort an alle möglichen Merkwürdigkeiten in diesem dicken Buch, dessen Lehre die erwähnte Partei im Banner führt, oder an die in anderen dicken Büchern (wie in den Medien: einer schreibt vom anderen ab), die gerne nach Lust und Laune ausgelegt und angewandt werden. Zum Thema hatte ich mich ohnehin hier mal geäußert, wenn Sie sich erinnern – ich linke Ihnen Auge um Auge mal hier rein. Und dann kam auch noch diese filmische Reportage, reingeschoben in den Recorder, was mich gleich noch mit dem Zaunpfahl in die Richtung winken ließ, in der die olle Kamelle aus den Siebzigern immer noch oder wieder gelutscht wird, Fernsehen mache dumm (gerne von denen, die zu der Zeit noch nichtmal Mama von innen betrachteten; und damals gab's noch nichtmal private Programme). Eigentlich hätte ich den Fußball noch erwähnen müssen, der war seinerzeit nämlich auch verpönt unter gebildeten Menschen, unter Intellektuellen, die auch dem Grünen Hügel eine Absage erteilten – und dann unter dem wehenden Schal versteckt hinrannten. Alles fügte sich nahtlos aneinander. Da ich gerade so in Fahrt war, wurden aus zwei oder noch mehr Themen ein Aufwasch – alles hängt eben irgendwie mit allem zusammen. Ein bißchen wirr und viel vielleicht, aber hier geht das nunmal. Und wenn nicht, dann kann ich's auch nicht ändern. Ich mag Kurzmitteilungen nämlich nur in Notfällen.


hanno erdwein   (13.06.09, 10:17)   (link)  
Dann bin ich ja beruhigt.
Danke!















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