Goethe als Vorleser

Ein schönes Geschenk von hap. Nicht unbedingt wegen irgendwelcher religiöser Festivitäten; damit habe ich's ja nicht so. Er schenkt grundsätzlich gerne. Und hiermit stockt er meine Sammlung zum Herrn Geheimrath auf.


Jean Paul an Christian Otto
[Weimar,] d. 18. Jun. Sonnabends [1796]

Schon an zweitem Tage warf ich hier mein dummes Vorurteil für große Autoren ab als wären's andere Leute; hier weiß jeder, daß sie wie die Erde sind, die von weitem im Himmel als ein leuchtender Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferse auf ihr hat, aus boue de Paris besteht und einigem Grün ohne Juwelennimbus. Ein Urteil, das ein Herder, Wieland Göthe etc. fällt, wird so bestritten wie jedes andere, das noch abgerechnet daß die 3 Turmspitzen unserer Literatur einander — meiden. Kurz ich bin nicht mehr dumm. Auch werd' ich mich jetzt vor keinem großen Mann mehr ängstlich bücken, bloß vor dem tugendhaftesten. Gleichwohl kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Ostheim und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen auf der Erde — Ostheim sagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich — jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse — er habe etwas steifes reichstädtisches Stolzes — bloß Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkrustieren, damit ich mich ihm etwan im vorteilhaften Lichte einer Statue zeigen könnte — Ostheim rät mir überall Kälte und Selbstbewußtsein an). Ich ging, ohne Wärme, bloß aus Neugierde. Sein Haus (Palast) frappiert, es ist das einzige in Weimar in italienischem Geschmack, mit solchen Treppen, ein Pantheon voll Bilder und Statuen, eine Kühle der Angst presset die Brust — endlich tritt der Gott her, kalt, einsilbig, ohne Akzent. Sagt Knebel z. B., die Franzosen ziehen in Rom ein. «Hm!» sagt der Gott. Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht (aber ohne angenehme Farbe). Aber endlich schürete ihn nicht bloß der Champagner sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum etc. sofort an, und — man war bei Göthe. Er spricht nicht so blühend und strömend wie Herder, aber scharf-bestimmt und ruhig. Zuletzt las er uns — d. h. spielte er uns* — ein ungedrucktes herrliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flammen trieb, so daß er dem enthusiastischen Jean Paul (mein Gesicht war es, aber meine Zunge nicht, wie ich denn nur von weitem auf einzelne Werke anspielte, mehr der Unterredung und des Beleges willen,) die Hand drückte. Beim Abschied tat er's wieder und hieß mich wiederkommen. Er hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen. Beim Himmel wir wollen uns doch lieben. Ostheim sagt, er gibt nie ein Zeichen der Liebe. 1000000 etc. Sachen hab' ich Dir von ihm zu sagen.
Auch frisset er entsetzlich. Er ist mit dem feinsten Geschmack gekleidet. [...]

*Sein Vorlesen ist nichts als ein tieferes Donnern vermischt mit dem leisen Regengelispel: es gibt nichts Ähnliches.

Jean Paul: Briefwechsel mit seinem Freunde Christian Otto, hrsg. v. E. Förster, 4 Bde., 1829–33 (hier sprachlich angepaßter Auszug)
 
Di, 23.12.2008 |  link | (1333) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Und ganz früher,

bei den alten Juden, da hat man die Ehebrecher gesteinigt. Ich kann mich noch gut erinnern ...
[...]
XARE ... wie ich mich als Bub immer gewundert hab', wo die in der Wüste die ganzen Steine hernehmen. Ich hab' nämlich gedacht, die Wüste, das wär' nur Sand und sonst nix, so eine Art Bibione, nur daß der Strand tausend Kilometer tief ins Land geht. Das mußt du dir mal vorstellen: Du steigst in Bibione aus der Adria und gehst und gehst und ständig ist Strand. Keine Alpen, kein Bayern, kein Sachsen. Nix. Nur Sand. Erst irgendwo in der Nähe von Berlin wird's allmählich wieder normal. Bibione bis nach ... Deutet mit dem Kinn vage nach Norden, wo er Norden und damit Preußen vermutet ... Preußen rauf, hab' ich mir gedacht, damals als Bub. Is' natürlich ein Schmarrn, weil später hab' ich gelesen, daß die Wüste auch ganz schön steinig sein kann. Is' ja auch logisch, weil wenn nicht, dann hätten die alten Juden die Leute ja nicht gesteinigt, sondern einfach in den Sand eingegraben. [...]


Ich wollte eigentlich, wie üblich, in den Keller runtergehen zum lachen. Das hab ich auch getan, denn ich will mir ja treubleiben und außerdem niemanden stören mitten in der Nacht mit meinem seltsamen Bio-Rhythmus, der immer – na ja, Sie wissen schon. Aber dann habe ich nicht nur das ganze Haus, sondern komplett das Dorf aufgeweckt. Der gesamte Grund meines Gebrülls:

Der Franze hat gsagt

Auf den Franze gehoben wurde ich durch den hinkenden Boten.
 
Sa, 20.12.2008 |  link | (494) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Die Nation

«Ich frage mich da gelegentlich, ob es noch eine andere Nation auf der Welt gibt, deren nationaler Gründungsmythos mit dem Gewinn eines wie auch immer gearteten Sportwettkampfs zu tun hat. Die Schweizer haben ihren Rütlischwur, die Franzosen haben die Jungfrau von Orleans (wobei hier die achte Jungfräulichkeit mal nicht diskutiert werden soll), Spanien hat El Cid und die Engländer gleich einen ganzen Blumenstrauß an Nationalheiligen, die alle irgendwas mit der Gründung des modernen Staates zu tun haben. Und die Deutschen?»

Waldgedanken
 
Mi, 17.12.2008 |  link | (1373) | 30 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Zusammenhänge

Daran habe ich denken müssen, als ich, innerhalb meines Sammelsuriums auf der Suche nach anderem und kurz zuvor auf kleistische Pfade geschickt, bei Feuriger Schutz gelandet bin:


Französisches Exerzitium

«das man nachmachen sollte:

Ein französischer Artilleriekapitän, der, beim Beginn einer Schlacht, eine Batterie, bestimmt, das feindliche Geschütz in Respekt zu halten oder zugrund zu richten, placieren will, stellt sich zuvörderst in der Mitte des ausgewählten Platzes, es sei nun ein Kirchhof, ein sanfter Hügel oder die Spitze eines Gehölzes, auf: er drückt sich, während er den Degen zieht, den Hut in die Augen, und inzwischen die Karren, im Regen der feindlichen Kanonenkugeln, von allen Seiten rasselnd, um ihr Werk zu beginnen, abprotzen, faßt er mit der geballten Linken, die Führer der verschiedenen Geschütze (die Feuerwerker) bei der Brust, und mit der Spitze des Degens auf einen Punkt des Erdbodens hinzeigend, spricht er: «hier stirbst du!» wobei er ihn ansieht — und zu einem anderen: «hier du!» — und zu einem dritten und vierten und alle folgenden: «hier du! hier du! hier du!» — und zu dem letzten: «hier du!» — Diese Instruktion an die Artilleristen, bestimmt und unverklausuliert, an dem Ort, wo die Batterie aufgefahren wird zu sterben, soll, wie man sagt, in der Schlacht, wenn sie gut ausgeführt wird, die außerordentlichste Wirkung tun.»


Heinrich von Kleist: Werke in einem Band, hrsg. v. Helmut Sembdner, Carl Hanser Verlag, München 1966, Anekdoten, Seiten 782f.
 
Do, 20.11.2008 |  link | (528) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Kunst — Natur

«Menschenähnlichkeit ist auch das Wesen der Kunst. Kunst macht den Menschen transparent, macht ihn verstehbar, oder aber, wie Paul Klee es formuliert hat: Kunst sei menschliche Realität, in der sich die Verwirklichung seines Wesens — das sei seine Freiheit — manifestiere.

Das Kunstwerk ist eine durch intelligentes Vermögen erzeugte Realität — wie auch immer die Intelligenz gelagert sei. Die Wirklichkeit des Kunstwerkes läßt sich deshalb auch nicht ohne intellektuelle Anstrengung erkennen. Nicht anders verhält es sich mit der Natur. Unsere Forschung hat der Natur so manches Geheimnis entlockt, das wir uns zunutze machen. Aber je intensiver wir die Handhabung der Naturgesetze betreiben, um so mehr intelligentes Verstehen der Naturwirklichkeit, also die Art und Weise, wie sie als komplexer Zusammenhang wirkt, ist erforderlich. Wollen wir diesen Wirk-Zusammenhang, von dem letztlich auch unser Leben abhängt, nicht nachhaltig stören oder gar zerstören, bedarf es nachdrücklicher geistiger Anstrengung.

Sowohl die Kunst als auch die Natur sind Tat-Sachen. Sie sind Gegebenheiten, die den Charakter des Geschaffenen haben. Diese produzierten Ergebnisse sind in ihrer Existenzweise aber vom erkennenden Menschen abhängig. Wo diese Aussagen der Kunst nicht erkannt werden, bedeutet sie, die Kunst, nichts, ist sie wirkungslos. Und die Natur ist solange Gegner des Menschen, bis er ihre Aussagen verstanden hat. Sei es in der lebenserhaltenen Kraft der Elemente oder in der allgemeinen Gültigkeit der Naturgesetze.»



Der begradigte (J. S.) Bach. München 1983
 
Mo, 03.11.2008 |  link | (2693) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Sichtbar, das Ganze

«Sagt nicht Feuerbach, zum Verstehen eines Bildes gehöre ein Stuhl. Wozu der Stuhl?

Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.

Das Böse soll nicht triumphierender oder beschämender Feind sein, sondern am Ganzen mitschaffende Kraft. Mitfaktor der Zeugung und der Entwicklung.

Die Form steht im Vordergrund des Interesses. Um sie müht man sich. Sie gehört zum Metier in erster Linie. Er wäre aber falsch, daraus zu schließen, daß die miteinbezogenen Inhalte nebensächlich seien.»


Paul Klee

Zitiert nach: Kunst-Lehre. Schöpferische Konfession; Aufsätze, Vorträge, Reszensionen und Statements. Reclam-Verlag, Leipzig 1991, S. 60, 62, 64, 37

Das Banner zeigt im Ausschnitt eine Figurengruppe von Thomas Schütte auf dem Säulenportal des ehemaligen Roten Palais am Kassler Friedrichsplatz. Seit der documenta IX im Jahr 1992 sind Die Fremden dort plaziert.

 
Mo, 03.11.2008 |  link | (539) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Anonymer Systemfehler

Es melden sich bei solchen Gelegenheiten nämlich alle zu Wort und sagen dasselbe mit verschiedenen Formulierungen. Das alte Bonmot von Karl Valentin wird dann rituell bestätigt: «Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.» Und so geben sie zitierfähige Häppchen von sich und äußern wohlfeile Schelte: Dieser Vergleich sei «empörend, absurd und absolut deplatziert, eine Beleidigung der Opfer», sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, der Neuen Ruhr Zeitung. «Mir wäre neu, dass Manager geschlagen, ermordet oder ins Konzentrationslager gesperrt würden.» (Hoffentlich bringt der Mann niemanden auf dumme Ideen!) Und dann äußern sich noch der Regierungssprecher, der Innenausschussvorsitzende, die Landesbischöfin, die Linkenpolitikerin, der Historiker, der «Antisemitismusexperte» und Micha Brumlik. Und in der taz lässt man den Experten für Juden und Religion über die Aufregung berichten. Alles wie üblich und wie vorhersehbar. (In meinem Heimatort hatte die Lokalzeitung vor 45 Jahren einen Redakteur, den späteren Filmkritiker Florian Hopf, der zuständig war für Sport, Religion und Landwirtschaft.)

Hans Pfitzinger in seinem tazblog
 
Di, 28.10.2008 |  link | (520) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Erlösung

Hier war ein Zitat aus einem Text von Elfriede Jelinek zu lesen. Ich habe es entfernt, nachdem ich von Gorillaschnitzel (Dank) darauf hingewiesen worden bin, daß sie solches ausdrücklich nicht wünscht. Sie wird ihre Gründe haben.

Das hatte ich im Eifer übersehen. Da ich niemanden mit Rechtsproblemen konfrontieren möchte, habe ich es entfernt.

Möge man sich einfach selber die Seite begeben und lesen:

Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Kapitel: Zu Österreich.

Mit erlöstem Dank für den Hinweis an: Lebensweise

 
Fr, 24.10.2008 |  link | (1411) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Ichsucht

Die Formel dieser Zeit des Kapitalismus, auf die es im Zusammenhang mit den Tatsachen ankommt, lautet: das Geld ist das Maß aller Dinge. Ihr negativer Ausdruck heißt: das menschliche Tun trägt kein Maß mehr in sich. Worte über ihre weitreichende Berechtigung sind überflüssig; sie ist oft genug erörtert worden. Ich möchte nur hervorheben, wie sehr heute der «Erfolg» sogar für das «Verständnis» entscheidet, unter besten Menschen.

Wichtiger erscheint es, das Positive, man zögere nicht zu sagen: das Gute, hervorzuheben, das in diesem Zustand liegt. Es ist die kräftigste und die elastischeste Organisationsform, welche die Menschen bisher erreicht haben. Es ist in diesem Zusammenhang aber nichts als eine Ichsucht; die ungeheuerlichste Organisation der Ichsucht, nach der Rangordnung der Kräfte, Geld zu schaffen. Bei dem Mangel jeder gültigen anderen Rangordnung ist es geradezu unentbehrlich: Wo das Geld nicht ordnet — wie etwa in der Beamtenhierarchie oder in der akademischen — dort springen sofort Nepotismus und Protektionswesen ein. Würde heute das Geld abgeschafft, so würde dadurch nicht berührt «die Übermacht dessen, der Vorteile zu vergeben hat».


Aus dem Essay Der deutsche Mensch als Symptom von Robert Musil, 1923. Im tazblog vom 2. Oktober 2008 steht ein längerer Auszug.
 
Di, 21.10.2008 |  link | (475) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Passagen

«Der Kapitalismus also eine (hohle und zerstörerische) Religion, ein Kult, ein ewiger anbetender Tanz um das Goldene Kalb, und die Passagen, neuerdings Malls genannt, seine Tempel. Und siehe da, in unserer noch immer gesuchten Stadt finden sich in der Galerie de la Reine (salve regina!) im Ostchor die Säulenheiligen dieses Kults aufgestellt.»

Fazit der lesenswerten Reflexionen zu Walter Benjamin im überhaupt sehr interessanten Fahrtenbuch
 
Mo, 20.10.2008 |  link | (439) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 







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