Henri II. de Hambourg

Feier- oder Jubeltag ist heute, auch für mich. Also gehe ich jetzt ebenfalls ein bißchen feiern.

Nicht deswegen, nein! Da ist sonstwas vor, das ist nicht mein Quartier. Mir wurde schlicht schon wieder einer geboren, gestern, um acht Uhr zehn, 3.953 Gramm und 53 Zentimeter: Henri. Mit i! Wie Bergson oder Cartier-Bresson oder La Fontaine oder Lefebvre oder (Bernard-) Lévy oder Matisse oder Michaux oder Mitterand oder Poincaré oder der Quatre oder Rousseau oder Stendhal oder Toulouse-Lautrec oder so, in dieser Richtung, und, sei's drum, meinetwegen, als gebürtiger und wohl für alle Zeiten geborener Hamburger, Nannen.

Nein, eine Beteiligung meinerseits hat da nicht stattgefunden. Es liegt an der außerordentlichen Fruchtbarkeit der großräumigen Familie.

Ich freue mich sehr. Große Gratulation: C. und M.! Und H., selbstverständlich. Aber mußte das sein? Bei dem Sauwetter, meine ich. Ich wär' dringeblieben.
 
Mi, 24.12.2008 |  link | (3720) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Inneres



 

Platt und Volkstheater

Bei letztgenanntem Begriff, lieber Hanno Erdwein, habe ich zunächst mal meine Bedenken. «Für den Münchner Ober-Grantler Gerhard Polt ist der Begriff Volkstheater ein Widerspruch in sich: Was sei denn, meinte er anläßlich der Diskussion um die Notwendigkeit einer solchen Institution, das Publikum im Parkett eines Theaters anderes sei als das Volk?» Lesen Sie mal in den den Text des Kollegen unter diesem Link hier rein, der ist zwar schon etwas älter, aber das Rad des Thespiskarrens rollt ja auch schon eine ganze Weile. Oder so: Was in der Regel als solches ausgewiesen wird, zähle ich nur bedingt dazu.

Wenn Sie jedoch das ursprünglich Mundartliche – das auf diesen sogenannten Volksbühnen in der Regel nichts ist als eine synthetisch gequirlte, für den Tourismus aufbereitete, na ja, Masse ist – meinen, dann rücken wir zusammen. Früher konnte ich gar nichts damit anfangen, vermutlich, weil mir jeder geographische Bezugspunkt fehlte und ich idiomfrei deutsch gelernt hatte. Aber mit der vor etwa zwanzig Jahren einsetzenden Altersweisheit zog bei mir wohl die Erkenntnis ein, daß uns da eine ungemeine kulturelle Vielfalt verlorengeht, wenn die Dialekte zusehends verschwinden. Das dürfte zur Folge haben, daß bald nur noch ein undefinierbarer Kauderwelsch zur Verfügung stehen wird, der keiner Region mehr zuzuordnen ist. Wie beim Essen, das für viele junge Menschen ja heute schon aus der Fabrik kommt und die nicht mehr in der Lage sind, den Geschmacksunterschied zwischen Erbsen und Linsen zu erkennen, da alles unter einer industriell vorgefertigten Gewürzpampe verschwunden ist. Die sich häufenden Kochsendungen dürften damit einhergehen: Das kochende Volk spürt, wie sehr sein Organ verkümmert, da es kaum noch gebraucht wird. Daselbe dürfte auch auf das allgemein angestiegene Interesse an regionalspezifischen Sprachen zutreffen. Das trifft nicht nur auf die deutschen Lande zu. Gut in Erinnerung habe ich noch, welchen außerordentlichen Zulauf beispielsweise im Südwesten Frankreichs etwa seit Anfang der neunziger Jahre das Okzitanische hatte, das vom zentralistischen Paris quasi verboten und wieder zugelassen worden war, als man merkte, wie sehr die EUropäisierung die eigene altsprachliche und literarische (Ur-)Kultur verdrängte. Nicht anders dürfte die Zuwendung zu werten sein, die die deutsche Sprache an sich und die einzelnen Dialekte im besonderen des deutschen Sprachraums erfahren. Koch- und Sprachauftritte diverser Prominenter sind dabei vermutlich bei weitem mehr als Kuriosa; denn ohne die scheint es offensichtlich nicht zu gehen, muß auf ein Problem oder auch Phänomen aufmerksam gemacht werden, und sei es, sie funktionierten als schlichte Aufhänger. Meines Erachtens lugt dabei aus allen Ecken eine Renaissance der Romantik.

Das ist nicht einmal bedingt unfreiwillig komisch. Renaissance bedeutet Wiedergeburt, Wiedererwachen; als Epoche die Wiederbelebung der griechischen und römischen Antike in Europa. Nun gut, die alten Römer kannten immerhin Bad, Toilette und Zement. Aber während der Romantik sehnte man sich nach dem Mittelalter — zurück zur quasi naturbelassenen Natur, ungeachtet des Kots und des Unrats, der mitten durch die Dörfer floß. Es war die Angst vor dem Verlust des Lebens durch eine zunehmende Industrialisierung, die viele Menschen in die heimeligen Erdlöcher trieb, aber auch großartige, scharfsinnige Poeten wie E. T. A. Hoffmann, Novalis und zum Ende hin Heinrich Heine hervorbrachte. Ähnliches ist heute wieder zu beobachten. Die einen gehen in den Wald, singen liebliche Lieder, würden in ihrer Not auch auf sanitäre Anlagen verzichten, glauben sinnsuchend wieder vermehrt an den da oben und kämpfen nach dem Freiluftgottesdienst mittelalterliche Schlachten nach. Und am Rand schreiben einmal mehr (nicht ganz so?) große Geistesgrößen wie ich kokett Geschichtchen vom verlorenen besseren Leben auf, die nichts anderes bedeuten als jene klaglose Hoffnungslosigkeit, die den dichterischen Geniussen der Romantik immanent war.

Wenn es einen Sprachraum gibt, der mir schon immer wohl in den Ohren klang, dann ist es der norddeutsche. Begründen kann ich das nicht, habe ich doch keinerlei Wurzeln dort. Sprachlich und musikalisch unbegabt, wie ich leider bin*, werde ich auch das nicht lernen, das so köstlich liederlich bei mir ankommt, wenn mir der gerade noch verbliebene Bauer op'n Dörp weise sagt: «Sei moal weck'n Tähn di stött, wenn d' upp d' Kriessoag sittst! — So geiht dat dat Mäk'n ok, de wett ok nich, von wäm se dat Jöör hett!»** Aber ich bin mir dessen gewiß: Wenn wir dieses Theater, das ja das Volk und dessen Kultur spiegelt, nicht festhalten, dann können die in zweitausend Jahren noch so tief graben, aber finden werden sie nichts; nicht einmal die Grabräuber der unbezähmbaren Gold- oder Geldsucherei. Wenn ich also auf solche Seiten verweise wie auf die von Wolfgang Biegemann in Husby, dann nicht nur des Klamauks wegen, der dabei anklingen könnte. «Die richtige Internetseite für alle, die bereits im niederdeutschen Fahrwasser schwimmen», setzt er zwar als Motto ein, «aber», fügt er an, «besonders auch für diejenigen, die noch zögernd am Ufer stehen.» Ich bin ein solcher Zögerling, der sich allerdings bewußt ist, daß er fortgerissen wird, wenn er nicht mitschwimmt, solange es es noch ein Wässerlein ist. Und die gar nicht genug zu lobende Arbeit eines Liebhabers — wie der Dilettant*** früher mal hieß — wie Biegemann (und anderer!) steht für mich zweifelsohne als Synonym auch für andere Sprachregionen. Längst haben sich die Linguisten an den Universitäten der Protokollierung angenommen. Doch ohne Unterstützung aus dem Volk dürfte nichts gehen an diesem Theater.

* Auch fast dreißig Jahre Bayern haben mich die unterschiedlichen Landessprachen nicht zu lehren vermocht.

** «Sag mal welchen (Säge-) Zahn du dir stößt, wenn du auf der Kreissäge sitzt! — So geht es dem Mädchen auch, sie weiß auch nicht, von wem sie das Kind hat.»

*** So er in diesem Fall überhaupt einer ist und nicht ohnehin Sprachforscher?

 
Mi, 24.12.2008 |  link | (1978) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca



 

Entdeckung

He sleppt dat em de Buk weh deit, eh dat de Esel twee mol geit.

Kannst di dreihn as du wist, dien Mors blifft immer achtern.

Wo rok is, is ok Fuer se den Monarch und höld sien Zugarr an een 'dampen Perködel.


Einer meiner schönsten Nachschlagwerksfunde der letzten Zeit. Eben nicht nur für Forscher.
 
Di, 23.12.2008 |  link | (1020) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Goethe als Vorleser

Ein schönes Geschenk von hap. Nicht unbedingt wegen irgendwelcher religiöser Festivitäten; damit habe ich's ja nicht so. Er schenkt grundsätzlich gerne. Und hiermit stockt er meine Sammlung zum Herrn Geheimrath auf.


Jean Paul an Christian Otto
[Weimar,] d. 18. Jun. Sonnabends [1796]

Schon an zweitem Tage warf ich hier mein dummes Vorurteil für große Autoren ab als wären's andere Leute; hier weiß jeder, daß sie wie die Erde sind, die von weitem im Himmel als ein leuchtender Mond dahinzieht und die, wenn man die Ferse auf ihr hat, aus boue de Paris besteht und einigem Grün ohne Juwelennimbus. Ein Urteil, das ein Herder, Wieland Göthe etc. fällt, wird so bestritten wie jedes andere, das noch abgerechnet daß die 3 Turmspitzen unserer Literatur einander — meiden. Kurz ich bin nicht mehr dumm. Auch werd' ich mich jetzt vor keinem großen Mann mehr ängstlich bücken, bloß vor dem tugendhaftesten. Gleichwohl kam ich mit Scheu zu Göthe. Die Ostheim und jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen auf der Erde — Ostheim sagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich — jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse — er habe etwas steifes reichstädtisches Stolzes — bloß Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an (daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrifizieren und zu inkrustieren, damit ich mich ihm etwan im vorteilhaften Lichte einer Statue zeigen könnte — Ostheim rät mir überall Kälte und Selbstbewußtsein an). Ich ging, ohne Wärme, bloß aus Neugierde. Sein Haus (Palast) frappiert, es ist das einzige in Weimar in italienischem Geschmack, mit solchen Treppen, ein Pantheon voll Bilder und Statuen, eine Kühle der Angst presset die Brust — endlich tritt der Gott her, kalt, einsilbig, ohne Akzent. Sagt Knebel z. B., die Franzosen ziehen in Rom ein. «Hm!» sagt der Gott. Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht (aber ohne angenehme Farbe). Aber endlich schürete ihn nicht bloß der Champagner sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum etc. sofort an, und — man war bei Göthe. Er spricht nicht so blühend und strömend wie Herder, aber scharf-bestimmt und ruhig. Zuletzt las er uns — d. h. spielte er uns* — ein ungedrucktes herrliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flammen trieb, so daß er dem enthusiastischen Jean Paul (mein Gesicht war es, aber meine Zunge nicht, wie ich denn nur von weitem auf einzelne Werke anspielte, mehr der Unterredung und des Beleges willen,) die Hand drückte. Beim Abschied tat er's wieder und hieß mich wiederkommen. Er hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen. Beim Himmel wir wollen uns doch lieben. Ostheim sagt, er gibt nie ein Zeichen der Liebe. 1000000 etc. Sachen hab' ich Dir von ihm zu sagen.
Auch frisset er entsetzlich. Er ist mit dem feinsten Geschmack gekleidet. [...]

*Sein Vorlesen ist nichts als ein tieferes Donnern vermischt mit dem leisen Regengelispel: es gibt nichts Ähnliches.

Jean Paul: Briefwechsel mit seinem Freunde Christian Otto, hrsg. v. E. Förster, 4 Bde., 1829–33 (hier sprachlich angepaßter Auszug)
 
Di, 23.12.2008 |  link | (1570) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Diogenes

durchwandert die alternden Bits und Bytes meines Zentralrechners da oben, kommt mit einem Mal aus den Verstecken der Langzeitspeicher. Vermutlich seit ich gestern diese nur leicht misanthropische oder lediglich andersperspektivische Bebilderung des Daseins gesehen habe, muß ich ständig an ihn denken. Viel wird ihm ja nachgesagt, ganze Anekdotenansammlungen und -illustrationen haben sich ergeben während der immerzu fortschreitenden Zeitläufte. Die Laterne ist im Lauf der Jahrhunderte zum Symbol geworden für diesen Kulturverweigerer; heute würde man ihn vermutlich Hartzvierler nennen oder, etwas euphemistischer, Aussteiger. Mit ihr soll er alle Ecken der Athener Agora ausgeleuchtet haben und auf die Frage, was er denn suche, geantwortet haben: Menschen. Ich suche Menschen. Vielleicht hatte er einfach Hunger.

Frau Merkel und Herr Steinbrück hätten vermutlich nicht unbedingt zu der Gattung gehört, derentwegen er die Marktplätze zu erhellen trachtete. Mit Armenspeisung läßt sich keine Wirtschaft beleben. Der Betreiber muß schließlich Geld verdienen. Ohne ordentliche Zecher und Schlemmer geht da nichts. Und schließlich hat alles mal ein Ende, auch die Antike. Die zu ihrer Zeit vornehmste aller Tugenden, die Gastfreundschaft, mit der jedem Fremden Tor, Tür und Topf offenstand, solchen präromantischen Kram kann man sich schon lange nicht mehr leisten, schon gar nicht nach den Einstürzen der staatsfinanzierenden Altbauten. Es gibt ja auch keine Götter mehr, die gezürnt hätten. Na gut, den Götzen Mammon vielleicht noch, der könnte zürnen ob der Furcht, man könnte ihm auch noch die paar verbliebenen Villen in der Toskana wegnehmen wollen, nur weil die anderen da nichts Anständiges gelernt haben.

Überhaupt scheint, ausgenommen die städtischen Festivitätsmarktplätze, überall die Bescheidenheit Einzug gehalten zu haben. Mir fiel im Osten Hamburgs auf, wie wenig, im Vergleich zum vergangenen Jahr, Buntes an den Häusern und in den Fenstern hängt. Geradewegs könnte man annehmen, dieser Diogenes schleiche überall herum und suche mit seiner Funzel nach Menschen. Nachgerade finster ist's geworden in den Dörfern des Herzogtums Lauenburg und denen des Nachbarkreises Stormarn. Alles ist zu einer Schlichtheit zurückgekehrt, die mich an seltsame Wunder glauben läßt. An einer Besinnung aufs Urprotestantische kann's kaum liegen, ist die Gegend doch ohnehin anders nicht zu charakterisieren. Hat das Christkind obsiegt? Sind am Ende gar die letzten versprengten Kreuzritter aus Nahost zurückgekehrt und haben mit den restlichen Kräften alles rekatholisiert? Nirgendwo ist mehr einer dieser knallroten Limonadenweihnachtsmänner zu sehen.

Aber vielleicht liegt's ja einfach am höheren Stromverbrauch durch bunte Lichtlein? Hoffentlich verarmen jetzt nicht auch noch unsere Energieversorger. Dunkel genug ist's ja bereits jetzt schon.

Ach, ich weiß so wenig.

Vielleicht sollte ich einfach mal was essen.
 
Mo, 22.12.2008 |  link | (3098) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 







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