Die Schöne und der Trampelpfad Eben fliegt es vorbei, Cavaillon, mein anderer Ausgucksort zum Heiligen Dichter- oder Radfahrerberg Mont Ventoux. Es wäre ja auch ein sehr schönes Stückchen Erde, die Haute-Provence. Doch es liegt so weit östlich. Sofern man Italien als Osten bezeichnen kann. Und so hoch. Schön ist es zweifelsohne, beispielsweise dieses wirklich nette Reillanne unweit von Manosque, dem hübschen Heimatstädtchen von Jean Giono. Da könnte ich auch leben. Unsinn. Das Meer würde mir dann doch fehlen. Und die Stadt. Die richtige. Ach — ich denke doch südlicher. Als nächste Denkstation wird Salon-de-Provence auftauchen. Gerade mal zwanzig Kilometerchen. Unaufhörlich nähern wir uns dem Glück auf Erden. Kurz danach werde ich den Étang de Berre riechen. Das sind dann schon Meeresdüfte. Ein winziger Schlenker nach links noch, und dann ignorieren wir Aix-en-Provence. Die Schöne, die im Sommer lediglich aus einer Einkaufsmeile und einem Trampelpfad pour faire du shopping de brocante zu bestehen scheint — Cours Mirabeau und die rue Espariat. Zweimal habe ich stundenlang an der vermutlich wieder mal einzigen Bar weit und breit gesessen, die auch Einheimische anlaufen. Klar — Bar-Tabac. Die Besucher der Stadt bringen sich ihre Zigaretten in Dosen von zuhause mit — es ist ja alles so teuer geworden im einstigen Land des billigen Lullingers —, außerdem trauen sie sich auch nicht rein in diese eigenartigen Einheimigkeiten, also kein Fremd-Trafic. So sind es immer die besten Plätze. Ich suche sie grundsätzlich auf. Das ist bei weitem spannender als Kino. Dort, vor der Bar Espariat, eingekreist von ein paar sehr fröhlichen Spaniern, kann man sie dann sehen, wie sie sich hinaufschieben und gelangweilt wieder hinunterrollen, die Mittel- bis Nordeuropäer, denen der Provence-Prospekt die Stadt verordnet hat. Oben gehen sie ein bißchen alte Architektur gucken und kaufen ein paar miserable Cézanne-Reproduktionen für unvorstellbares Geld im angeschlossenen, nach dem Maler benannten sogenannten Museum. Zwischendrin gibt's dann hier noch ein wenig Tand und dort ein bißchen Touristenmüll. Die Auslage der Buchhandlung KiLi besteht ausnahmslos aus Bilderbüchern. Dann können sie zuhause nachschauen, wo sie überall waren und was sie alles nicht gesehen haben. Oder was sie hätten sehen können, es sie jedoch nie wirklich interessiert hat und sie's schon deshalb nicht gesehen hätten, auch wenn sie mittendrin gelegen wären. Denn Rest kriegen sie dann auch noch gekullert — bis zur Place de la Libération oder auch Place de Gaulle. Dort gibt's dann endlich Eiscafé. Mit Crème de plastique. Oder zwei oder drei. Denn wenn man allzu lange an einem sitzt, kann einen schon der messerscharfe Blick des Kellners treffen. Wenn es ein sommerliches trou perdu unter den historischen Innenstädten gibt, dann ist es Aix-en-Provence. Im Winter ist es angenehmer, weil die Alteingesessenen sich mal aus dem Haus getrauen, in diesem Vorort von Marseille. Das ist despektierlich, ich weiß. Aber mir wird einfach nicht klar, weshalb alle Welt dieses Kaff so zauberhaft findet. Sicher ist es hübsch. Aber alte Architektur gibt es in diesem Land mehr als Touristen. Glücklicherweise. Sogar im Schwabinger Universitätsviertel ist im allerhöchsten Hochsommer mehr los. Und trotz der mittäglichen Hitze sieht man in Marseille ein Leben vor dem Tode. Aber Aix ist voller Leichen. Unglaublich tote Touristengesichter. Selbstverständlich werde ich es tunlichst unterlassen, derart Lästerliches von mir zu geben, wenn ich dann doch immer wieder hinfahre. Und schon habe ich den leichten Linksruck im Rücken. Kerzengerade geht's jetzt hinunter. Ein Stückchen noch, und hinter Rognac werde ich rechts ins Becken hineinschauen. Es hellt sich auf. Ich werde es sehen, das Wasser des Étang de Berre, das einmal richtiges Meer war. Nun, es schwimmen dort ja immer noch ordentlich Anteile davon herum in diesem Muschelteich. Klar, die Mischung aus Süß- und Salzwasser muß stimmen. Unten, im Ebro-Delta, klemmen sie diesen Tierchen das Süßwasser ab. Gegenüber früheren Zeiten kommen nur noch etwa fünfzig Prozent davon an. Und damit die Sedimente, die in den Stauseen der Pyräneen hängenbleiben. Sie sind die Nahrung der wohlschmeckenden Tierchen, die in den Töpfen und den Paella-Pfannen der einheimischen Küchenmagiere landen. Das Salz des Meeres allein ist macht die Mytilus edulis, die feine mejillón nicht satt. Sie braucht, wie ich, Süßes. Und weil das wenige süße Wasser nicht weit genug absinkt, wächst sie im unteren Bereich der Pfähle nicht mehr. Also nicht, weil die sich vor den Touristen ekelt, die sie so mögen. Sondern weil die es sind, die entlang des salzigen Mittelmeeres das Süßwasser doch eher schätzen. Hunderte von Kilometern in den Süden wird es gepumpt. So bauen die kastilischen Spanier einen Stausee nach dem anderen oder vergrößern die bereits vorhandenen. Trotzdem kommt kaum noch Wasser der katalanischen Spanier in ihrem Ebro-Delta an. Wir schmerbäuchigen Pappnasen kriegen es, auf daß wir unten in Almeria das Salzwasser von unseren Körpern und unsere Fäkalien wegzuspülen vermögen. Und oben trocknet alles aus. Auch die Dörfer. Weil die jungen Menschen wegziehen. Acht Milliarden Euro soll die Europäische Union dafür aus der Börse ziehen. Man muß sich das mal vorstellen! Acht Milliarden für die Zerstörung der unvergleichlichen Pyräneen-Landschaft, in die — mit Hilfe europäischer Euro — ein behutsamer, landschaftserhaltender Tourismus aufgebaut wurde. Der dann absäuft in den neugeschaffenen und erweiterten Wasserspeichern für die politische Ödnis Madrids. Wie die alten Dörfer. Acht Milliarden, um den Katalanen der Pyräneen das Wasser abzugraben und es dem skandinavischen, beneluxischen oder castop-rauxelianischen Suchtpotential einer melanomfördenden, versandhausartigen, zudem nach Ungewaschenheit aussehenden Hautfarbe zuzuführen, jenen Pigmentierungen, die die Afrikanerinnen sich mit ätzenden Chemikalien wegzuschmirgeln versuchen. Und das, obwohl Frankreich sich längst bereiterklärt hat, den Spaniern eine — umwelttechnisch problemlose, sagt man, sagen die Energie-Konzerne — Wasserspende aus der Rhône zu geben. Vierhundertfünfzigtausend Katalanen haben am 10. März 2002 in Barcelona den madrilenischen Wasserspekulanten diesen Wahnsinn demonstrativ deutlich zu machen versucht. Hier sollte Brüssel doch nun wirklich mal den Geldhahn geschlossen halten. Ausnahmsweise mal kein Geld rausrücken und das Wasser im Dorf lassen. Hier wachsen sie noch. Ich sehe sie. Na ja — ich sehe das Wasser, wenn ich vor dem leicht traumzuckenden Näschen meiner ruhenden Calypso vorbeischaue. Der Tag hat rechtzeitig das Licht angemacht. Und jetzt rieche ich sie. Die Ente läßt den Geruch durch ihre Lüftungsschlitze zu uns hinein. Das Fenster darf ich ja nicht öffnen. Denn bei diesen Klappluken kommt sofort derartig viel Frühmaimorgenluft herein, daß mein warmes Weiches zu meiner Rechten auf den Schlag der Unterkühlungstod trifft. Das hätte ich nicht so gerne. Doch dieser Anflug von aphrodisierenden Düften aus dem Muschelteich hat sie wohl bereits Morpheus entrissen.
Flieg, Abstraktum Brief aus den Kolonien Mon bien-aimé, manchmal glaube ich, je weiter wir im Raum voneinander getrennt sind, um so mehr sind wir es auch in unserem Geist. Beharrlich kehrst Du zurück in Deine Reine Vernunft, die ich entfernt sah aus Dir. Auch wirst Du wieder dieser Sarkast, diese Krankheit, die ein solcher Beruf mit sich brachte? Aber der bist Du nicht mehr. Das wolltest Du aber auch lange zuvor schon nicht mehr sein! Das macht mich wirr. «Und einmal für das Jahr die schönste Zeit ...», das habe ich geschrieben: es meint vieler Menschen beliebteste Tätigkeit: Urlaub. Aufklärung? Dann gibt er Ruhe nämlich. Und die Politiker haben ihre. Das sind Deine Worte, ich habe Dich lediglich zitiert. Doch ich verstehe es auch. Wer immer gehen mußte in eine Fabrik wie ein Tourismusbüro, wie ich früher, an ein solches Fließband der Tristesse, der darf einmal in einem Jahr sich freuen auf eine andere Zeit. Dann lernt man es: sich in Einheit verbrennen lassen Geist und Körper. Man will auch keinen Inhalt, nur Bronzage. Man will nicht wissen, daß ein Ornament wie ein Tatoo ist das Bild einer Information. Man will es als Dekoration. Für die Krönung des dicken Hinterteils. Darum herum und tief hinein maschinelle Bräunung durch Natur. Wer kennt es besser als ich? Wieder schreibst Du wie voll Wut gegen alles. Ich weiß es doch, mir mußt Du das nicht schreiben: Auch das sinnentleerte Ornament: die schlimmen Protestanten mit ihren nicht vorhandenen Vorhängen! Diese sind auch nur Färbung. Sie haben sich von ihrem calvistinischen Gott ihren Kopf austrocknen lassen — weil sie diese Merde in sich nicht sehen wollen, vielleicht wirklich nicht können. Sie glauben, jeder darf hineinsehen in ihre Häuser, in ihr Inneres. Sie irren nicht, wenn sie sagen, es ist keine Sünde in ihnen. Es ist nämlich gar nichts in ihnen. Doch: Merde aus Lüge. Oder auch ein Buch. Eines! Nicht mehr als eines: das Testament von irgendwoher stammenden Geboten. Es ist ihre Reinheit. Es ist eine deutsche, nein, deutschsprachige Scheiße, von der ihnen der Franzose Calvin gesagt hat, daß es das nicht geben darf in ihnen, das Böse. Und sie glauben es, das Gute. Wie diese Musulmans, die nur dieses eine Wort gelten lassen. Ihr Wort. Dieses Wort ist Behältnis für Unfreiheit. Und deshalb ist es eben auch Kitsch. Weil sie nicht lesen können. Weil die Lüge damit verdeckt ist. Kundera. Ah! Was sage ich?! Ich weiß es doch. Schon seit langem sind es nicht mehr nur Deine Worte, es sind auch meine, wir haben sie ineinandergefügt, haben sie vereint, und schöne Bastarde aus Orient und Okzident waren daraus geworden. Vor allem eines. Doch nun? Ja, Hegel. Auch das weiß ich. Wenn er auch gemeint hat, das Sinnliche sei zu unterwerfen. Gut. Er hat die Romantik nicht gemocht. Auch seine Bestrafung der Metaphysik. Er hat damit gemeint: Flucht vor der Welt, eine Idealisation ohne Realität, nur Schweben. Dieses ist auch Industrie, die verkauft: Metaphysik als Dekoration. Nicht Metaphysik als Sprache, als eine Möglichkeit, Inhalte zu bewegen. Das ist auch nicht das, was ich mit der Romantik genießen will. Eine kraftlose Schönheit hat er sie genannt. Das sehe ich nicht so. Es gibt in ihr diese Verbindung von Kraft und Schönheit. Auch wenn sie vielleicht nur scheint, wie das heute der Fall ist. Mir aber ist sie vorhanden, präsent, da ich nicht nur ihre Hülle kenne. Abwesende Dinge als gegenwärtig. «Schein als Wirklichkeit, beide täuschen», schreibt Lessing in Laokoon, «und beider Täuschung gefällt.» Gut, bei ihm ist eine andere Zeit. Jedoch, ich lebe in dieser Zeit. Sie ist zeitlos, diese Zeit. Ich habe eine Seele, und diese hat ihre Wurzeln im zeitlosen Ocean dieses Gefühls, das keine Zeit kennt. Du hast mir sehr viel erzählt von Tucholsky, und ich habe verstanden, daß dieses alles, was er geschrieben hat, auch heute exact so sehen ist, immer wieder lese ich ihn, und ich habe Dich verstanden, daß dieses alles, was er geschrieben hat, auch heute exact so zu sehen ist: nahezu zeitlos. Ich lese es so. Lessing, war er ein früher Tucholsky vielleicht? Dazwischen noch andere? Es ist bekannt, wie hast Du es genannt: ätzend, in unserer Sprache caustique —, es war caustique, wie er Winckelmann hat seziert, diesen Priester des Idealismus, des Etuis, der zwar konvertiert ist nach dem Katholizimus, jedoch immer ein protestantischer Pastor geblieben war. Und es ist eine große Wonne, diese Subtilität, dieser Esprit. Aber dennoch: Tucholsky — war er ein Romantiker? Ich werde es herausfinden. Jedoch ich bin im voraus sicher, daß er es war. Er hat nicht gehofft, er hat sich gesehnt. Deine Worte. Wir kennen diesen Lessing, der Nathan der Weise, der Nathan le Sage ist, der versöhnen will, alle miteinander. Wie Tucholsky uns beide, uns alle, die voneinander getrennt waren und sind. Wir können auch heute eine Verbindung schaffen zwischen einem Leben von Tatsachen und unserem Traum. Diese Grenzen aufheben. Reine Vernunft! Es ist wie reine Rasse. Lebensborn. Du hattest mir von diesem Schrecken erzählt. Born? Brunnen? Vielleicht um darin ertränkt zu werden — debile werden durch reine Rasse. Merde! Hegel hat geschrieben: Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig. Meine Wirklichkeit ist nicht so vernünftig. Sie hat die Universität vor langem verlassen, hat zu lernen begonnen im Leben. Die Diskussion über eine Interpretation bis heute oder nicht, sie ist mir egal! Ich lese es so, wie es für mich geschrieben steht. Doch mehr Präzision? Es ist möglich: «Was zwischen Vernunft als selbstbewußtem Geist und der Vernunft als vorhandener Wirklichkeit liegt, was jene Vernunft von dieser unterscheidet und in ihr nicht die Befriedigung finden läßt, ist die Fessel irgend eines Abstraktums, das nicht zum Begriffe befreit ist.» Gut, dann lasse ich es eben fliegen, dieses Abstraktum. Doch diese ist auch eine schöne Sentence — von vielen! — aus seiner Vorrede zur Philosophie des Rechtes: «Die Vernunft als die Rose im Kreuze der Gegenwart zu erkennen und damit sich dieser zu erfreuen.» Et cetera. Ohne Ende. Es ist auch gut. Hegel ist nicht mein Gott. Oder irgendein anderer. Diese Götter mag ich nicht. Ich mag gar nicht Götter. — Doch, Cupidon. — Nur die mißverstandene Religion kann uns von dem Schönen entfernen. Lessing, vielleicht so. Mein Gott ist in mir. Ich benötige keine Religion. Dieser Gott einer Schönheit, wie wir sie verstehen. Er ist mein Relais, er kann es sein, meine Station zwischen meinen Füßen auf der Erde, auch zwischen Traum und Wirklichkeit. Wir beide waren uns in dieser Beziehung immer einig! Kant und dieser Dualismus! Bergson hat hierzu von dieser sehr scharfen Unterscheidung zwischen der Materie der Erkenntnis und ihrer Form, zwischen dem Homogenen und dem Heterogenen geschrieben. Er ist mit schuld an viel Verzweiflung. Es macht mir Probleme, wie ein Mensch, der auf Dauer bleibt an einem Ort, der nicht reist, unter Menschen geht, unter andere, die nicht zu seinem Haus gehören — es muß nicht sein die ganze Welt, jedoch ein wenig soll es sein. Nehme dieses — deutsche — Beispiel Jean Paul. Er ist immer gereist ... Ich reise nun zur Arbeit. Zu meinen Freunden, den Büchern. Zwei Tage • Eine sentimentale Reise • Erzählungen
Ort und Nicht-Ort Sympathisch ist mir das Gesicht immer gewesen. Und seit er mit einem alten VW-Bus, den ich ihm von Anfang an als attitudenfreies Teil seiner selbst zugestand, durch Schleswig-Holstein tuckert, als wär's ein alter Trecker oder auch Fischerkahn, bin ich, wenn es sich gerade ergibt, mit dabei. Manchmal warf bei mir notorischem Zweifler die Unbefangenheit dieses vor zweihundert Jahren aus Schweden eingewanderten gelösten, wohl weil dilettierenden Reporters die Frage auf: Ist diese ungezwungene, lässige Fröhlichkeit Schauspielerei oder das, was als Authentizität in den Sprachalltag eingedrungen ist? Seit einigen Tagen bin ich sicher: Der ist echt. Vor allem im Beweis des Gegenteils dessen, das dem Norddeutschen landläufig unterstellt, er sei unnahbar und wortkarg. Nicht ganz zu unrecht gilt er dem NDR ja als Vorzeige-Kieler. Das führt Milberg allerdings auf die Tatsache zurück, daß er seiner Heimatstadt im zarten Alter von achtzehn Jahren den Rücken gekehrt habe und sie vermutlich deshalb so gerne immer wieder aufsuche, offensichtlich nicht nur beruflich. «München war gut zu mir», war seine schlichte, aber einleuchtende Begründung. Solche Erfahrungen hatte ich durchaus auch, aber letztendlich erging es mir anders, aber das ist eine andere Geschichte; sie dauerte so lange, wie Milberg in der Stadt lebt, die ich dann endlich verlassen durfte. Selten geschah es, daß ich einem Schauspieler so gerne zugehört habe wie in dieser in die Nacht versteckten Hörfunk-Sendung Leute des SWR, in der bei eingeschalteter Kamera Gespräche mit allen möglichen Menschen stattfinden. Alleine sein gepflegtes, gleichwohl unprätentiöses Deutsch, bar jeder breitenwirksamen Schnoddrigkeit, wäre es wert gewesen, ihm zuzuhören. Aber zu sagen hatte er auch was. In den dreißig Minuten sprach er, knapp, aber dennoch kenntnisreich befragt von Stefan Siller, über sich als Schauspieler, über das sich daraus ergebende Leben et vice versa. Zwar warf er bei einer tiefergehenden Frage nach dem Privaten ein Stop-Schild beinahe leyendischen Ausmaßes in sein Gesicht, gab dann aber doch einiges preis, beispielsweise weshalb Patchwork und Liebe einander nicht ausschließen, stringent und ohne paraphilosphische Weisheiten. Zum Ende des Gesprächs wurde ich dann noch wacher, als ich es ohnehin war der unterhaltenden Inhalte wegen, kam doch ein Thema auf, das mich seit langem beschäftigt und das ich, zumindest wenn's ums Essen geht, auch immer wieder aufgreife: Nachhaltigkeit. So unangenehm der Begriff auf mich auch wirkt, weil ich ihn für eine irreführende oder auch von der eigentlichen Problematik ablenkenden Politikerphrase halte wie den der Entsorgung, so werde ich dennoch mit ihm leben müssen, da mich sonst bald niemand mehr versteht, wenn ich ihn vermeide. Von Gesprächspartner Siller darauf angesprochen, begründete Milberg schlüssig sein Engagement bei einer Stiftung, die es sich zur Aufgabe gemacht habe, «frei von Ideologie» nachhaltig zu leben. Öko schwinge da gar nicht mehr mit oder es ginge auch ohne oder so ähnlich drückte Milberg sich aus und sprach von «strategischem Konsum». Das machte mich dann doch stutzig. Und nachdem ich auf der Seite des Vereins war, der sich den Namen eines Begriffes gegeben hat, den ich eigentlich der Literatur, vielleicht gar der Philosphie zuordne und der als Nicht-Ort, als nicht umsetzbarer Wunschtraum von einer Gesellschaft bezeichnet wird, wurde ich darin bestätigt. Letztendlich geht es doch wieder um nichts anderes als um das, was ich in Faire Ritter mal leicht gröblich skizziert habe. Sicher, es ist modifiziert, das Nachhaltige. Aber es bleibt unterm Strich doch nichts weiter als die Aufforderung zum Konsum. Und daß er «strategisch» genannt wird, bedeutet nichts anderes als Krieg, entstammt der Begriff doch der militärischen Terminologie; mein dickbuchiger kluger Kluge sagt mir: der Stratege ist ein Heerführer. Demnach: Öko, das alte, auf weniger ist mehr basierende Haushalten, ist der -logie beraubt, besteht nur noch aus Kopf, hat keinen Leib und keine Seele mehr und ist damit tot, so tot wie die Grünen als einstige Bewahrer, die jetzt als falschkonservativ ihre Villen in der Toskana einfordern. Auf in den Kampf, el capitalismo.
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