Fleisch und Buch

«Ein Mensch kann die Literatur noch so sehr lieben, aber er kann niemals zur Literatur selbst werden. Wer Traum und Wirklichkeit durcheinanderbringt, wer zu sehr in der Welt der Literatur aufgeht, begeht eine Torheit. Er wird irre oder im günstigsten Fall unglücklich.

[...] daß Ehebruch mit Hilfe der Literatur um vieles reizvoller ist als ein Ehebruch im Grünen mit einem Mann aus Fleisch und Blut.»

Anil Ramdas, Madame Bovary
 
Sa, 13.06.2009 |  link | (749) | 12 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Von oben besteuert

Ich solle mir mein rechtes Auge rausreißen, empfahl mir gestern ein Herr, der sozusagen gut reden hat zum Thema, und berief sich dabei leicht ironisch unterfütternd auf ein Standardwerk, das Liebe und Gerechtigkeit verheißt. Davon mal abgesehen, daß man immer wieder überrascht sein darf von der Gewalttätigkeit — auch Autoaggression fällt meines Erachtens darunter —, die in diesem sogenannten Buch der Bücher teilweise mitschwingt und auf das sich bevorzugt Parteien einer Religion berufen, die der zunehmenden Gewalt Herr zu werden gedenken, indem sie ihre avantgardistischen Frauen vorschicken, dieselbe in Medien und weiteren Randgebieten des Lebens zu verbieten, da sie der Meinung sind, die Gesellschaft würde damit zu Grabe getragen. Daß es ein Kreuz ist mit denen, das nicht sie tragen, sondern es anderen aufschultern, die mit dieser sonderbaren Frömmigkeit im Namen hausieren gehen, darauf mögen sie gar nicht kommen, obwohl sie, hätten sie in der Schule ein klein wenig aufgepaßt und nicht immerzu nur das Rechnen geübt, eigentlich wissen müßten, daß es Barmherzig- und Gerechtigkeit auch schon vor der Zeit gab, als ein paar Wenige Gebote daraus in den Stein meißelten. Die Bergpredigt, entnahm ich vor einigen Wochen dem Mund eines Schriftstellers, gab es lange vor dem Christentum.

Diese Christen, die uns immerfort zu anständigen Menschen machen wollen, indem sie uns Gebote gebieten und Verbote auferlegen, haben es, als es noch keine Ausweichmöglichkeiten gab, mit der irdischen Gerechtigkeit, auch das dürfte hinlänglich bekannt sein, bisweilen nicht so genaugenommen. Bei der Suche nach der einzig wahren Wahrheit griffen sie auch schonmal zu Hausmitteln, die auch heute gerne wieder angewandt werden, der Magen-Darm-Spülung etwa mit dem Eintrichtern von ziemlichen Wassermengen. Das längere Hineintauchen in diese gehört ebenfalls zu den probaten, wiederaufgenommenen Mitteln, einer Sache auf den Grund zu gehen. Bisweilen berief und beruft der eine oder andere Rechtsausleger sich dabei auf den Steuermann da oben, der das alles letztlich angeordnet habe und der über allem stehe. War einer partout nicht bereit, sich der ihm vorgegebenen Wahrheit zu bekennen, wurde er kleiner gemacht. Ginge das auch heute noch, meinen sicherlich einige, wäre das Piratenproblem bald gelöst wie weiland bei den Störtebekers. Ob die nun reine Hallodris, heute würde man sie vermutlich Aventurer nennen, oder solche waren, die auch was zu beißen haben wollten, so richtig ist das wohl noch nicht geklärt. Wahrscheinlich waren sie beides. Sicher hingegen scheint eines: es gab Gerechtigkeit unter ihnen. Was man von der heutigen Hanse nicht unbedingt behaupten kann. So schickt man eben, wie damals auch, ein paar Kriegsschiffe hin, um sie am Entern des kleinen Stückchens vom großen Globalkuchen zu hindern. Und auf daß bloß keiner hineingelange ins Paradies, verlegt man die früheren Schutzwälle an alle erdenkliche Außengrenzen der Alten und der Neuen Welt. Sie müssen eben selber klarkommen. Und alles im Namen jener Gerechtigkeit, die mittels Übertragung eben dieses Buches mal herbeigeführt werden sollte, dessen Über-Setzer vom einen in das andere Testament allerdings selbst bisweilen seltsame Interpretationen ablieferte: «... muß ich hier die weltliche Obrigkeit unterrichten [...] aufrührerische Mörder, Räuber, Gotteslästerer, welche auch heidnische Obrigkeit zu strafen Recht und Macht hat, ja dazu schuldig ist, solche Buben zu strafen. Denn darum trägt sie das Schwert und ist Gottes Dienerin über den, der übel tut; Röm. 13,4.»

Mit einem anderen Steuermann, aufbauend auf den, dessentwegen ich mir gestern eben das rechte Auge rausgerissen habe, ging ich mit dem gemeinhin als verdummend bekannten und vom intellektuell geschulten Menschen deshalb abzulehnenden Fernsehen via nicht minder bildungsfeindlichem Aufzeichnungsgerät kurz danach auf hohe See, nur noch mit dem linken Auge sehend: erst den Teil des von mir immer gemiedenen Mittelmeers, in dem sie in Massen herumdümpeln, die selten genutzten und auch ansonsten keinem weiteren Nutzen unterworfenen Schiffe, denen man irgendwelche Krisen nicht so recht anzusehen bereit ist. Von dort aus reise ich mit im Cabriolet zum Preis von drei Jahresgehältern eines recht gut verdienenden, allerdings fest angestellten Mittelständlers. Wir legen an auf einer Bootsmesse. Der aus dem Arbeitermilieu stammende Freiberufler hat seine Nice-Wohnung an der blauen Küste gerade verkauft, und nun juckt es ihn samt geisteswissenschaftlerischen US-Gattin, das Geld wieder anzulegen, quasi umzutauschen in eine schwimmende Behausung.

Bereitwillig erklärt er dabei, wie und wo er das Fahrzeug steuerlich gelten machen kann, überhaupt, wieviel Steuern er jährlich bezahlt für seine Häuser, die er meist günstig kauft, um sie dann, gesetzestreu die Spekulationsfristen abwartend, um ein Vielfaches wieder zu veräußern. Seiner Argumentation ist leicht folgen, nach der es richtig gewesen sei, 1996 die Vermögenssteuer abgeschafft zu haben. Denn er könne, bei nurmehr einstündiger Arbeit täglich, nunmal besser rechnen und sei somit kreativer als andere, etwa die ihm im absolut sachlichen Film Gegenübergestellten, der Zeitungsredakteur mit als Krankenschwester tätigen Ehefrau samt drei Kindern, siebenmal mehr mehr bezahlen. Auch die Begründung dafür ist einfach: Letztgenannten, die, wollen sie alles erledigt bekommen, was ein Berufs- und Familienleben mit sich bringt, auf rund fünfzehn, sechzehn Stunden täglich kommen, werden die monatlichen, gut vierzigprozentigen Abgaben vom Bruttoverdienst von achttausendsechshundert Euro direkt abgezogen. Steuerprüfungen von Millionären, so das scheinbar marginale Fazit dieser tränenfreien Reportage, seien nicht nur selten, sondern häufig genug per Anweisung durch übergeordnete Stellen direkt unterbunden. Das gerne geäußerte Argument seitens Betroffener, da hingen schließlich Arbeitsplätze dran, ist angesichts des gespiegelten Einpersonen-Unternehmens in besonderem Maße einleuchtend.

Jetzt habe ich mir mein linkes Auge wohl auch noch rausgerissen, lieber Herr Erdwein.
 
Fr, 12.06.2009 |  link | (2302) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 

Höflichkeit

Luft ablassen. Wegen Detonationsgefahr.

Lieber Herr Steuerberater (übertragbar auf andere Dienstleister),
«Ihre mail», schreiben Sie, «beantworte ich erst jetzt, da ich ob des Tonfalles nicht in die Luft gehen wollte, sondern mit dem Respekt und der Höflichkeit, welche Sie als Mandant verdienen antworten wollte.» — Ich hingegen antworte Ihnen verspätet nicht aus (zu unterdrückender) Unhöflichkeit, sondern weil ich — oftmaliger Bestandteil flehentlicher Hinweise meinerseits — häufig auch länger unterwegs bin.

Ich bin sehr gerne ein höflicher Mensch, nichts ist mir fremder als das, es gehört gar zu meinen Lebensprinzipien. Dazu gehört jedoch auch: Wenn man sich mir gegenüber alles andere als höflich benimmt, dann mag ich es auch nicht sein. Und Ihre elektronische Post zu meiner Steuererklärung, die war mehr als unhöflich. Denn Höflichkeit ist nicht mehr, wie zu Zeiten bei Hofe, nur floskelhafte liebesdienerische Form. Längst gehört unter Bürgern auch Inhalt dazu. Civilisation heißt das im Land (nach) der französischen Revolution, vor der Köpfe rollten, wenn man dem König nicht die höfische Ehre zukommen ließ, auf die er ein Recht zu haben meinte. Ich verweigere mich dem sich in Europa zunehmend ausbreitenden, logischerweise geschichtslosen US-amerikanischen Verständnis vom Umgang mit Kunden. Ein Hinweis auf Design wäre in diesem Zusammenhang vielleicht noch hilfreich: nicht nur mehr oder minder schöne oder beschönigende Hülle eines Nichts bedeutet das, sondern die Form hat einer Funktion zu folgen, in diesem Fall Information und Begründung. (Weitere geschichts- und ästhetikphilosöphelnde Ausführungen dazu erspare ich Ihnen jetzt; obwohl mir aus gegebenem Anlaß durchaus danach wäre.) Aber in Ihrer Post war trotz zweimaliger Bitte darum weder das eine noch das andere vorhanden. Nichts als Ärger bei mir, etwa über eine (mal wieder) verspätete Abgabe durch Sie, mit Konsequenzen — für mich. Das war und ist eine unnötige, unakzeptable und damit äußerst unhöfliche Leistung (die ich hier nicht detaillierter schildere, da ich anderen Menschen das langatmige Fazit einer unerquicklichen, offensichtlich viel zu lange anhaltenden — und hiermit für beendet erklärten — Beziehung ersparen möchte; aber raus mußte es: pffft).

Arbeit müsse sich wieder lohnen, meint die Steuerberaterpartei. Da sind wir einer Meinung. Aber eben auch für den Empfänger der Dienstleistung, hätte ich dann noch anzufügen.
 
Do, 11.06.2009 |  link | (3266) | 11 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten



 







Werbeeinblendung

Jean Stubenzweig motzt hier seit 6292 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



... Aktuelle Seite
... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis)
... Themen
... Impressum
... täglich
... Das Wetter

... Blogger.de
... Spenden



Zum Kommentieren bitte anmelden

Suche:

 


Letzte Kommentare:

/
Echt jetzt, geht noch?
(einemaria)
/
Migräne
(julians)
/
Oder etwa nicht?
(jagothello)
/
Und last but not least ......
(einemaria)
/
und eigentlich,
(einemaria)
/
Der gute Hades
(einemaria)
/
Aus der Alten Welt
(jean stubenzweig)
/
Bordeaux
(jean stubenzweig)
/
Nicht mal die Hölle ist...
(einemaria)
/
Ach,
(if bergher)
/
Ahoi!
(jean stubenzweig)
/
Yihaa, Ahoi, Sehr Erfreut.
(einemaria)
/
Sechs mal sechs
(jean stubenzweig)
/
Küstennebel
(if bergher)
/
Stümperhafter Kolonialismus
(if bergher)
/
Mir fehlen die Worte
(jean stubenzweig)
/
Wer wird schon wissen,
(jean stubenzweig)
/
Die Reste von Griechenland
(if bergher)
/
Richtig, keine Vorhänge,
(jean stubenzweig)
/
Die kleine Schwester
(prieditis)
/
Inselsommer
(jean stubenzweig)
/
An einem derart vom Nichts
(jean stubenzweig)
/
Schosseh und Portmoneh
(if bergher)
/
Mit Joseph Roth
(jean stubenzweig)
/
Vielleicht
(jagothello)






«Ist Kultur gescheitert?» ? «Bitte gehen Sie weiter.»



Suche:

 




Anderenorts

Andere Worte

Anderswo

Beobachtung

Cinèmatographisches + und TV

Fundsachen und Liebhaberstücke

Kunst kommt von Kunst

La Musica

Regales Leben

Das Ende

© (wenn nichts anders gekennzeichnet): Jean Stubenzweig





pixel pixel
Zum Kommentieren bitte anmelden

Layout dieses Weblogs basierend auf Großbloggbaumeister 2.2

pixel pixel