Bevor der Handwerker kommt ...

Alle Lust gewichen? Ob's nicht die Luft ... Nein, die Pumpe pumpt, wundersamerweise gegen allen Überdruß, hartnäckig, fächelt mir Sauerstoff sogar noch ins Hirn hinein, gegen alle schulmedizinische Logik, als wolle sie mich so alt werden lassen wie meinen neunzigjährig inmitten von selbst erzeugtem Rauch und der Hausbar eines mittlerweile auch abgerissenen Hotels mitten in der großen Inselstadt sanft entschlafenen Vater, der nur mal vorbeischauen und sich nach meinem Befinden erkundigen wollte. Daß es Madame Maman vermutlich ihrer Verbissenheit wegen geschafft hat, noch älter zu werden, thematisiere ich nicht weiter. Soviel vielleicht: Trotz allen gesunden Lebens zu Lasten anderer hat sie doch die letzten zwanzig Jahre ihres Gramlebens im Bett verbracht. Auf diese Weise mag ich kein Bett nutzen. Dann schon lieber Schlaf. Doch auch der kann Lust bedeuten. Wenngleich häufiger anstrengende, fröstelnd machende, gerade im Nachhinein, beim Sortieren. Und bisweilen bin ich dann auch schonmal um meinen guten Ruf besorgt, wenn's feuchte und schäumende Träume sind. Dann aber immerhin lustige.

Doch sich an die Musen ranschleichen müssen, sie umschwirren und beschwärmen, auf daß sie einen küssen, wie das so ist, wenn man älter geworden ist, ich weiß nicht ... Flugblattumschwirrt stünde vielleicht Verführung vorndrauf, aber da ich in labyrinthische Gemächer gezwungen werde, irgendeiner Ariadne nachlaufen muß, nenne ich's Schreiblustprostitution, so würde ich's jedenfalls nennen, lebte ich in der Realität der Jugend und nicht in einem Lebensabschnitt der Selbstbezogenheit. «Egoismus» nannte gestern eine der vielen, hier aber ärgsten, weil ständig danebenstehenden Fernsehfehlbesetzungen, was eigentlich schlicht Eigennutz hätte genannt werden müssen. Ich nutze nicht, ich bin. Mein Ego ist ich. Und der andere. Doch auch der ist ich. Wie all die anderen. Mal hier-, mal dorthin eben. Meine immer wieder mal pluralistischen Iche werden zwar schonmal von der schlechten Seite beherrscht, aber landen meist immer irgendwie in der Schlußerkenntnis des Romantischen. Und dazu gehört so etwas wie Reinheit — einer Blauen Blume vielleicht? Auf jeden Fall nicht so eine Art synthetisches Freudenhaus.

Aufs An- oder Hin(ein)schleichen dorthin habe ich nämlich sozusagen doppelt keine Lust, auch dann nicht, wenn dort ein paar Musen ihr leichtes Lager aufgeschlagen haben, das hat mir die zurückliegende Zeit ausreichend abverlangt: «seriöse» Texte verfassen, bar jeder assoziationsgeladenen Möglichkeit zwischen den Zeilen, die sofort verstanden werden in dem Sinn, wie es an Journalistenschulen oder anderen Schreibwerkstätten der Hoffung auf Zukunft gelehrt wird, wie man Kindern die zuvor praktizierte Freiheit der Malerei abdressiert, sind sie einmal im Kindergarten bei den pädagogisch gebildeten Tanten abgeliefert worden, wie die Verleger es sich wünschen: sich bei den «Ausführungen in den Grenzen einer vernünftigen Volkstümlichkeit zu halten», die sich allerdings als unnütz erweist, da die sich das ebenfalls wünschenden Adressaten tatsächlich anderes interessiert als eigens für sie klar gefilterte Information, da sie nämlich lieber gar nichts interessiert, weil sie so weitermachen wollen wie bisher. Eine solch verlogene, weil durchlöcherte Nachrichtenwelt produzieren, das ginge (relativ) leicht, schließlich schüttelt das die jahrzehntelange Routine aus dem weiten Kopf eines zum Devoten erzogenen Botschafters verlangter Verständlichkeit. Nun aber bin ich angekommen im Traum, und in dem gibt es solches nicht mehr, der bietet keine Klarheiten, schon gar nicht die erwähnten, der ist wirr, der ist es, der herumtoben will. Und diesen Furor wenigstens mir selbst zu bändigen, ihn soweit geordnet zu Papier zu bringen, auf daß er mich oder noch zwei weitere zum erneuten Sinnieren bringt, deshalb werde ich jetzt auch noch genötigt, zu den professionellen Musen zu gehen, um mir ein paar dieser scheinbaren Liebesküsse abzuholen. Es ist verdammt, zu harte Arbeit, den Galan geben zu müssen. Vor allem, wenn man nie einer sein wollte, ein solcher Höfling, der zumindest zunächst zu nichts anwesend sein darf, als den Damen feinfühlig irgendwelche Gebildetheiten in die zarten Öhrchen zu flüstern, auf daß sie ihre Gunst erweisen ...

Dann schon lieber diesen Schlaf.
 
Mo, 22.06.2009 |  link | (4345) | 16 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Inneres



 

Bis der Handwerker kommt ...

Da erreichte mich heute ein wunderschönes Präsent — die Präsentin schaffte es, mir in meine Eremitage ein Bändchen der Streichholzbriefe des von mir überaus geschätzten Deuters aller Zeichen, Umberto Eco, zukommen zu lassen, das sich doch tatsächlich noch nicht innerhalb meines in der Karton- und Dachboden-Verbannung befindlichen Eco-Regal-Meters befand. Selbstverständlich habe ich gierig zwischen die Seiten gegriffen, als ob's um eines jener truffe en chocolat ginge, die des kleinen Chocolatier am Münchner Fäkalienmarkt. (Ja! besser als der beste der — jedenfalls mir bekannten — in Paris! Allerdings stammt dieser Genußhersteller auch aus dem Land, in dem solches komponiert wird ...). Ich bin genußfündig geworden insofern, als ich Ecos Worte (in leicht abgewandelter Form – möge er mir verzeihen, der große Meister aus Bologna! er hat gerade genickt) zwischen aller Zungen und Gaumen lege — auch wenn das schwer urhebergerechtet ist, was auch in Ordnung ist so. Also ab, wie Herr Klimmt, in die Buchhandlung — ja nicht zu diesen alles anderen als weiblichen Kriegern! — mit Ihnen allen, zumindest die Gesammelten kaufen und sich vergnügt im Sessel zurücklehnen. Weg vom Bildschirm! Hinter dem lauern ohnehin (hoffentlich) bald die Verfassungsrichter und stellen den Gesetzesschändern ein Stop-Schild vor.

Also, ein kleines Stückchen nur, das tue ich jetzt einfach, auch wenn's entstellt ist durch meine entsetzlichen, launischen und nur bedingt launigen, wieder einmal an nur ein paar Wenige adressierten Wörter, die aber hoffentlich wenigstens denen dennoch als Worte hineinfahren. Schließlich ist das hier (auch) eine heftige Empfehlung. Und mir ist eben so danach. Sei's drum, dann krieg ich eben Prügel, die andere verdient haben.

Seit ich geschrieben habe, daß ich keine Manuskripte (mehr) lese, will meine (nordost-, früher mitteldeutsche) Briefträgerin den Beruf wechseln und in die IT-Versand-Branche umsteigen. Ein büchener EDV- und Fisch-Autor hat mir einen Süßwasserlachs aus Mecklenburg-Vorpommern geschickt. Andere schicken mir, einen Gedanken aufgreifend, den ich ich beiläufig habe fallen lassen, Abhandlungen über kunsthistorische Metametaphysik, fragen mich nach meiner Meinung über die hauptsächlichsten Weltsysteme innerhalb des Kunstmarktes oder Kunstkritikervereinigungsvereine oder erbitten Spezialbibliographien zu 1990 geborenen Künstlern. Versuchen Sie mich zu verstehen. Ich habe Familie.

Jemand hat mich getadelt, weil ich aeroporto in areoporto umgewandelt habe in den Korrekturfahnen. Ich weiß allerdings nicht, ob ich es war oder der Setzer, unsere Wörterbücher behandeln den Fall unterschiedlich, der Zanichelli verurteilt die erste Form als falsch, der Devoto-Oli akzeptiert areoplano als umgangssprachlich. Die Lexika kennen ein areometro (Aräometer, Senkwaage), aber das kommt etymologisch von griechisch araiós, «dünn», und ein Aeroport ist heute zu dicht bevölkert, um Areaport genannt zu werden.
(Vor allem der Münchner, der einzig kontinuierlich Direktflüge nach Marseille anbietet, nachdem der Billigbomber ab Lübeck nicht mehr startet, weil ich zuwenig abgehoben war, und jetzt muß ich über Hamburg und Nizza, wo ich gar nicht hinwill, aber wirklich nicht.)
[...]
Mit diesen Angaben hoffe ich, die berechtigten Klagen meiner Autoren und deren uns verbindenden Galeristen befriedigt zu haben. Ich werde mich nicht mit weiteren Präzisierungen aufhalten, da mir die Geschäftsführung meines Verlages geraten hat, mich bei diesen Ausführungen in den Grenzen einer vernüftigen Volkstümlichkeit zu halten.

Der großartige — nichtentstellte — Originaltext ist nachzulesen in: Das Alte Buch und das Meer (aus dem Italienischen vom kongenialen Burkhart Kroeber, mit Illustrationen des fein widerborstigen Luis Murschetz, Hanser Verlag München 1995).

Ich geh jetzt weiterschnarchen. Bis der Handwerker kommt.


Bis nächste Woche irgendwann. Alle Lust ist aus mir gewichen. Und mir ist so wirr.
 
Fr, 19.06.2009 |  link | (3962) | 11 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino



 

Stille Wasser

Immer wieder erstaunt es aufs neue, wie streitbar oder geradezu -süchtig Menschen miteinander umzugehen vermögen, will man ihnen an das einzige, von dem sie gar nicht wissen, ob es ihnen tatsächlich gehört: ihr Ich. Dabei ist es nicht von Belang, ob dieses Ich ein anderer oder es gar nur ausgeliehen ist oder mehrere sind. Irgendwann weiß man es selber nicht mehr und beharrt auf sich und seinem Recht, einzig zu sein und deshalb recht zu haben.

Es ging darum, ob es der oder der andere war, der behauptet habe, der Kopf sei rund, auf daß das Denken die Richtung ändern könne. Da mag also einer denken, wie er mag, wohin auch immer er will, dann passiert es, daß die Gedanken ob dieser Wirrnis um ein geflügeltes Wort in Selbstzweifel zerfallen und sich dann verweigern und deshalb stehen- oder liegenbleiben. Dann ist erstmal zu sitzen angeraten, wie es am besten geht an diesem Ort, ein paar Meter nur vom Diskussionslärm und großstadttrötenden Hafentrubel weg und deshalb von ihm noch immer beschallt, aber dennoch bereits ein stilles Abseits im Zentrum des Krachs. Doch es gibt ohnehin unzählige Varianten der Stille oder: Warum es beim Stillsein laut sein kann, aber beim Lautsein nicht still.

Hier erfährt das Ich eine andere Wertung. Man erhält seinen Pastis nach einem Gleichheitsgrundsatz, der anderswo laute Rufe nach der Gerechtigkeit der zu bewahrenden Form oder Norm hervorriefe: Den Anis nicht mit begleitender Karaffe serviert, sondern immer bereits mit Wasser gemischt, immer konstant die gleiche Menge einschließlich Oberflächenspannung, immer das unvermeidliche leichte Überschwappen aus dem Glas, die Pfütze gehört ebenso dazu wie die immergleiche stoisch-heitere Miene der Bedienung, die heute jedoch besorgt sofort Platz nimmt am scheinbar geschützteren Tisch um die Ecke, wohin die ansonsten zwei Sträßchen weiter Richtung Oper hin flott segelnde Bordsteinschwalbe sich gerade noch gerettet hat. Flugunfähig. Nicht ein Flügel oder gar beide gebrochen. Das Herz. Tief im Inneren, in der Lebensmitte schwerstverletzt, da ein um sie werbender Herr ihr nicht ausreichend warme Auftriebslust versprach und sie ihn deshalb höflich bat, sich von einer Kollegin umflattern zu lassen und er ihr deshalb nachrief, sie wisse ja nicht einmal, wer der Vater ihrer Kinder sei, sie aber doch nicht ein einziges habe, sich jedoch so sehr nach einem sehne und sie dann aber auch mit Sicherheit wisse, wer ihr diese Liebe gemacht habe. Schweres Schluchzen. Zugleich sanftes Entgegenkommen der Schulter der anderen, ebenso jungen Frau, die hier jetzt nichts überschwappen läßt, sondern nichts ist als ein flacher Strand, an dem das Wasser in Ruhe auf- oder auslaufen darf, der hier Form und Norm besonders, also maßlos gleichgültig ist, die keine Zeit hat im Augenblick für die Entgegennahme von Bestellungen, weshalb die anderen Gäste sie auch erst gar nicht weiter behelligen und nach drinnen gehen, um sich den bekannten immergleichen Geschmack persönlich bei dem Mann abzuholen, der ihn an diesem Ort seit drei Jahrzehnten bei kargem Lohn und dennoch oder deshalb still und in Würde zusammenmischt. Und auch bei der Rückkehr der sorgenvolle Blick, aber nicht auf die bedienungsunfähige Bedienung, sondern auf die niedergestürzte Schwalbe, die hier zur mikrokosmischen Volière der seltenen Vögel gehört wie sie selbst. Sie wissen, wenn dieselbe oder eine andere maladie nicht nur d'amour Wunden bei ihnen schlüge, in diesem Hospiz würden ihre erlösenden Tränen aufgefangen und bis zum Versiegen wieder in den Kreislauf geschickt. Sei es an der Schulter der einen oder der eines anderen.

Da hat es keinerlei Bedeutung mehr, ob es nun Picabia gewesen ist, der sich eben immer alles zusammenklauen würde und es deshalb Lichtenberg vor ihm in seine Sudelbücher hineinnotiert hat, was nun wirklich nicht zutrifft, man weiß es schließlich besser, auch wenn der Zweifel an einem zu nagen beginnt, wer denn nun tatsächlich oder als erster dem Denken eine immerwährend flotte Orientierungslosigkeit unterstellt hat, die ganze ein paar Minuten zuvor noch heftig geführte Diskussion bis hin zum Streit, da jeder es nunmal besser wußte als der andere, alles dahin. Alles ist hinfällig, belanglos, wenn Menschen von Traurigkeit ausgestopft und ihnen die Haare dabei strohig geworden sind, wie es Léo Ferré wußte, der die Menschen der Stadt kannte, weil er sie liebte. Beide.
«O Marseille on dirait que la mer a pleuré
Tes mots qui dans la rue se prenaient par la taille
Et qui n’ont plus la même ardeur à se percher
Aux lèvres de tes gens que la tristesse empaille.»
Léo Ferré, Marseille (1972 ebendort; La violence et l’ennui)
 
Di, 16.06.2009 |  link | (5632) | 23 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches



 







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