Langersehnte Begegnung

Endlich sollte ich ihr begegnen. Beruflich zwar, aber die Einladung zum Essen hat sie nicht nur nicht ausgeschlagen, sondern ihr freudig zugestimmt. Mich mit ihr zu unterhalten, davon träume ich seit vielen Jahren.

Unterhalten? Am Ende gar ich sie? Eigentlich haben die Zeiten sich doch irgendwie geändert. Aber man kommt wohl nicht raus aus der Haut, die einem übergestreift wurde. Heimito von Doderer stülpt einem gleich einen Eimer über den Kopf.* Als Auffänger des herumfliegenden Kots die Dame auf der Straßenseite eskortieren, ihr die Tür aufhalten und trotzdem vor ihr in das Restaurant eintreten, ihr aus dem Regenmantel und auf den Stuhl helfen und nicht zuletzt charmant und unterhaltsam sein. Sie nimmt lächelnd an. Ich gebe mein Bestes. Aber es reicht offenbar nicht aus. Der Witz scheint rasch ausgereizt. Der Clown muß sich etwas Neues einfallen lassen.

Muß er? Muß er überhaupt Clown sein? Wer zwingt mich dazu, den Clown zu geben? Ich unterliege schon wieder, wie so oft draußen in der feindlichen Welt, der zwanghaften Vorstellung, immer witzig sein zu müssen. Bei Männern eher seltener, nur bei irgendwelchen Absichten, die dem Nützlichkeitsprinzip unterworfen sind, was durchaus auch das Heischen nach Sympathie bedeuten kann. Und nie geschieht das bei diesen Allerweltsschönheiten, wie sie beispielsweise in der deutschen Hauptstadt der Liberalität und des Kitsches, die Kundera bei seiner Definition des Verbergens von Scheiße wohl vor Augen hatte, noch entschieden häufiger vorkommen als Touristen in La Rochelle oder am Mont Saint-Michel. Aber sowie jemand in Erscheinung tritt, der Gesichtszüge erkennen läßt, die nach Inhalten aussehen, meine Vorstellung von Schönheit umgesetzt scheint wie bei ihr: Balz. Der Pfau will bei Frau Pfau in den Kopf und schlägt ein ganzes Räderwerk an Eitelkeiten. Manchmal ist ein wenig mehr als Klappentextwissen dabei recht hilfreich. Es kann aber auch danebengehen.

Aber die Zeit ist verrückt. Diese Traumfrau da will nicht unterhalten werden. Sie hat selbst eine Menge zu sagen. Ohne jede Eitelkeit; jedenfalls männliche. Also unterwerfe ich mich dem Erfolgsrezept meiner jugendlichen Jahre des Aufbegehrens gegen Konventionen: ich höre zu. Doch sie redet ohne Unterlaß, all ihr Wissen bricht sich Bahn, der Damm reißt, die gewaltige Wörterwoge schlägt über mir zusammen, ersäuft die im Lauf der Jahre herangewachsenen Sehnsüchte. Nicht einmal gesagt bekomme ich, ich müsse mal aufstehen, den Kopf übers Wasser bekommen. Unhöflich erhebe ich mich.

Und erwache.


* «Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.» (Tangenten, 1940 – 1950)
 
Mi, 09.09.2009 |  link | (5427) | 17 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Traeumereien



 

Im Elysium

Mit einem Mal schießt es mir in den Kopf — ich habe vergessen, mein Medikament einzunehmen. Fünf Stunden ist es über die Zeit. Das geschieht sonst nie. Es ist eine Arznei, die Hirnaussetzer verhindern soll. Solche, das mir so eine Art kleinen, na ja, nicht diesen zu recht berühmten französischen kleinen Tod, der ist in bestimmten Bereichen ohnehin Frauen vorbehalten, wenn das auch diskutiert wird, aber doch einen sehr schönen, weil absolut schmerzfreien bescheren kann — wenn es stattfindet wie vor ein paar Jahren.

Mir ist seltsam zumute. Nicht, daß mein Körper das Fehlen des Medikamentes spürt. Doch ich denke darüber nach, wie es wäre, jetzt ein Ende zu machen. Das wäre doch die im Wortsinn heilvolle Beendigung eines Kapitels, unter das längst ein Schlußstrich gezogen gehört. Seit langer Zeit gelten meine Überlegungen immer wieder den eventuellen Versuchen, allem ein Ende zu machen, dieses jammervolle Dasein der Einsamkeit zu beenden. Hier und jetzt. Das wäre es doch. Vielleicht geschieht es noch einmal wie damals. — Ganz leicht entgleitet alles. Ich sehe mich liegen. Ich höre die Stimmen der anderen Menschen um mich herum. Eine Frau ruft nach dem Notarzt. Ein Galerist, der zuschaut, wie ich langsam in mich zusammensinke, schaut unsäglich dämlich, vielleicht aber auch nur hilflos drein. Später werden sich die Ärzte aus beruflichen Gründen um mich sorgen. Im Krankenhaus habe ich mehrere dieser Anfälle. Das jeweilige Erwachen danach ist nicht so schön wie beim ersten Mal, als ich mich über allem fühle. Aber die Hoffnung, es könnte wieder einer dieser Anflüge des Elysischen sein, wünscht weitere herbei. — Doch es wird nie wieder so sein.

Aber jetzt. Das wäre eine Gelegenheit. Einmal noch. In Anwesenheit, besser: unter diesem Engel auf Erden, der offenbar nicht nur alle Menschen liebt, sondern auch mich. Dafür alleine liebe ich ihn. Weil er mich liebt. Vielleicht wenigstens so, wie Slavoj Žižek Hegel paraphrasiert hat: «Wir lieben uns nicht direkt — was wir wirklich lieben, das ist, von anderen geliebt zu werden, was nichts anderes heißt als: Wir lieben andere dafür, daß sie uns lieben.»* Das wäre doch ein Gnadenakt — in den Armen dieses zauberhaften Geschöpfes zu sterben. Und dabei vielleicht auch noch daneben zu stehen und zuschauen zu dürfen. Ein Dankeschön für alle diese Unbilden, die man mir ins Leben geworfen hat. Nach dem mich niemand gefragt hat. So, wie mich niemand gefragt hatte, ob sie mich denn zurückholen sollen aus diesem Zustand. Ich war sehr böse gewesen deshalb.

Ob mir nicht gut sei, fragt sie mich und fügt an, vielleicht solle man doch besser keinen Wein mehr trinken. Doch doch, entgegne ich, gerne noch mehr Wein. Lediglich am Nachdenken sei ich, und dabei sähe ich immer krank aus. Krank, nein, das sähe sie nicht so. Aber seltsam durchaus, absentiert irgendwie, weit weg von der Welt.

Sie nimmt mich in den Arm. Die Welt zerfließt in Myriaden von Bächlein, die über üppiges, unglaublich facettenreiches Grün harmonisch polyphon die Hänge hinunterhüpfen. Ich schwimme ins Elysium. Im Elysium. Zu Lebzeiten. Alles in mir wird zu dem, was es ist: Wasser. Salzwasser. Ich bin das Meer. — Ich schwimme im Toten Meer des Selbstmitleids. Ich schwimme in Kitsch. Ich beschließe, das Medikament wegzulassen. Lieber eine platzende Illusion als einen Eimer voll ätzender Lebenslauge. Mir ist übel. Kommt es daher, daß ich widerlich bin? Ich löse mich von ihr. Wir werden etwas essen, befiehlt sie.

Erneut nimmt sie mich an der Hand und zieht mich. Ich trotte hinterher in die Küche. Sie öffnet erneut den Kühlschrank, sie wühlt in ihm herum, nimmt dies in die Hand, begutachtet es, verwirft es. Sie schaut in das Gefrierfach des Kühlschrankes. Lachend und kopfschüttelnd registriert sie drei Einliterpackungen Mövenpick-Eis derselben Sorte. Wenn mir etwas schmeckt, dann esse ich es, bis ich schon die Verpackung nicht mehr sehen kann. Schon wieder will ich mich für diese Peinlichkeit entschuldigen und hebe an. Sie dreht den Kopf, das Gesicht ist beißende Ironie. Na ja — ein wenig gemildert von einer Paarung aus Sanft- und Langmut und Amusement. Sie zuckt mit den Schultern. Sie scheint ein wenig ratlos. Dann entdeckt sie das Gemüsefach und zieht heraus: vier große Packungen italienischer grüner Nudeln — die in meiner Junggesellenmaschine von Moulinex innerhalb von drei Minuten zum Mundverbrennen heiß sind. Selbstverständlich esse ich sie nicht ohne Beilage. Das wäre selbst mir zu trocken. Sie entdeckt fünf kleinere Kunststofftüten Sauce Florentina. Ich werde mir der Groteske bewußt. Schriebe dies jemand in ein Drehbuch, ich hielte es für einen platten Gag. Aber ich befinde mich nicht in einem Filmchen. Ich stehe neben der Wirklichkeit, als sei ich der Besuch. Und der schüttelt ungläubig lächelnd den Kopf. Solches hätte ich früher verabscheut, merkt sie beiläufig an. Aber es würde gehen. Sie reißt die Tür zum Gefrierfach wieder auf und entnimmt eine Packung gefrorener Kräuter. Ich protestiere. Diese italienische Sauce bestünde nahezu ausnahmslos aus Kräutern. Und sie schmecke sehr gut ... «Ah ! Taratata.»

Ich lasse mich zur Seite schieben, zum Rollkoffer hin, der zur Nebensache geworden ist. Nebensache zur Nebensache. Aber ich habe Beschäftigung. Ich bugsiere ihn in den von mir kokett Lagerzimmer genannten Raum: Die Kunst und ich und andere Nebensächlichkeiten werden darin gelagert.

«Naziza!» rufe ich vernehmlich, als ob es eine Situation wäre, die sich seit zwanzig Jahren wiederholt, und eile in die Küche zurück. Ich hätte doch noch etwas Eßbares. Ich beuge mich nach unten zu dem Bereich des Gefrierschranks, den sie offensichtlich nicht wahrgenommen hat. Dort lagere ich Vorräte, die ich teilweise selbst zubereitet habe, um nicht an der Eintönigkeit zu ersticken und aus dem Haus zu müssen, wenn mir nicht danach ist. Und mir ist fast nie danach. Was soll ich dort, wo längst alles gesagt ist, was es an Bedeutungslosigkeiten gibt? Oft genug muß ich ja zu denen, die sogar dem noch Wirkung zumessen — Hauptsache, sie haben es persönlich abgelesen. Erbsen- und Linsensuppe befindet sich in der Vorratshaltung. Ebenso schmackhafte, pikante Fleischsauce, von der ich allerdings weniger esse. Ohne trivialpolitischen Zwang oder Ekel vor toten Tieren — oder vielleicht doch ein bißchen beides? — hat sich mein Geschmack mehr zum Gemüse hingewurzelt. Möglicherweise aber hat, wie beim Verzicht auf größere Mengen Alkohols, jemand in meinem Kopf auch hierbei den Schalter umgelegt. Alles ist portionsweise eingefroren und liegt neben Kaninchenfleisch und Knoblauchbutter und Knochen zum Zubereiten von Grundsaucen. Und auch die vorgekochten kleinen Kartoffeln sind nicht nur praktisch zu verarbeiten, sondern auch aus Frankreich.

Ich bin fast sicher, daß sie nicht weiß, was Erbsensuppe ist. Jedenfalls nicht auf deutsch. Ich grübele. Im Süden, zumindest in der Provence, werden Eintöpfe ja gegessen. Ich sollte es wissen. «Purée de — pois?» Leicht irritiert schaut sie mich an. Dann lacht sie. «Ah. Oui. Nicht Nebel. Sondern Erbsensuppe. Wie Berlin. Aschinger. Nicht Purée de pois, sondern Soup aux pois. — Nein. Das mag ich jetzt nicht. Lieber diese Nudel hier.»

Es kommt Wind auf, wie fast immer aus dem Westen. Es schlägt etwas Dunkles, für sie nicht einordenbar, gegen das Küchenfenster. Ein wenig erschrickt sie. — «Keine Angst. Es ist kein Gespenst. Oder vielleicht doch. Denn es kommt wie Du aus Frankreich. Und es gerät immer dann in Erregung, wenn es Besuch bekommt aus der Heimat.»

Photographie: leromanais (der Inhalte wegen unbedingt anklicken!)

Zwei Tage • Eine sentimentale Reise • Erzählung • Geschmackssache




Flaggeleien

«Was hast Du getan?» fragte die ungläubig schmunzelnde Freundin, die aus Kurz-vor-Afrika zu Besuch gekommen war und der ich die Geschichte erzählt hatte. «Hast Du geschossen? Mit French frites und der Marseillaise? Und wenn ja, gegen wen?»

So ähnlich, berichtete ich. Da erdreistete sich gegenüber, dort oben in der letzten Etage, jemand, Stars and Stripes ins Küchenfenster zu hängen. Nicht so extrem, sie wollten ja noch durchschauen können, vielleicht so groß wie ein DIN-A-4-Blatt. Aber es hat mich geärgert. Ziemlich. Und da bin ich am nächsten Tag losgezogen und habe einen schön großen drapeau national gekauft. Bei dem ebenfalls heimatlosen André, der den Deutschen recht erfolglos Kultur in Form von Baguette beizubringen versuchte und sich deshalb mit dem Verkauf von weiteren französischen Devotionalien über Wasser hielt. Das Mehl fürs Baguette bezog er aus dem Ursprungsland für gutes Weißbrot, aber die Tricolore lieferte eine Fahnenfabrik in Thüringen. Und da es frühsommerlich warm war, habe ich einen der beiden dreißig Jahre alten, aber immer noch fein tösenden Lautsprecher zur Tür der Loggia hingeschoben und dann die Marseillaise donnern lassen. Ich hätte ja La fanfare en pÈtard abspielen können, diese köstlich-wilde Schrägheit. Aber das wäre möglicherweise am Ende für einige gar dauerhaft genußverheißend geraten. Der persönliche Mitschnitt war da doch geeigneter: eine phantastisch eiernde Aufnahme des Blasorchesters der Feuerwehr von Grandrieu, die es zwar hervorragend verstand, Durst zu löschen, es aber mit dem Blasen ansonsten nicht so hatte. Wenn ich mich recht erinnere, ungefähr eine halbe Stunde lang oder auch länger. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich gleich für alles mögliche an Lärm gerächt, was als Musik aus allen Richtungen auf mich losgelassen wurde.

Am nächsten Tag war die Amiflagge weg.»


>* Slavoj Žižek: Wie Hegel einmal Nietzsche in Afghanistan traf. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 43, 28. Oktober 2001, Feuilleton, S. 24

 
Di, 08.09.2009 |  link | (2533) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Zwei Tage



 

Fertig mit Essen

Mir ist gar nicht nach essen. Ich habe in angespannten Situationen nie Hunger, und wenn er vorhanden ist, wird er bei intensiverem Nachdenken zurückgedrängt, verdrängt. Essen kann und mag ich eigentlich nur in völlig entspannter Stimmung. Hunger habe ich des öfteren, richtiger Appetit kommt bei mir jedoch erst dann, wenn sich alle Anspannung gesenkt hat. Wenn ich spüre, daß ich unbedingt etwas essen muß, reiße ich eine Packung mit Fertigsalat oder ähnliches auf, stopfe ich irgendwas in mich hinein. Überhaupt habe ich das Kochen aufgegeben. Früher, ja, als ich des öfteren, häufig langanhaltenden Besuch hatte, da stand ich stundenlang in der Küche und habe mit den bescheidenen Kenntnissen, aber eben durchaus genießbar arrangiert, was an Phantasie und Wissen zur Verfügung stand. Es war nicht ganz wenig, was mich dieses Schlitzohr von Koch gelehrt hatte in den drei Monaten, die ich bei ihm — eigentlich als Küchenhelfer — durch sein, hier würde man sagen «gutbürgerliches» Restaurant gehetzt (worden) war. Nie wäre mir danach in den Sinn gekommen, irgendein Fertigprodukt zu kaufen. Alles bereitete ich selbst zu. Immer hatte ich drei verschiedene Fonds hergestellt und portionsweise eingefroren, immer nahm ich nur frische Gemüse und Kräuter. Und ich hatte immer jemanden, der es gerne aß. Doch nun eben nicht mehr.

Ich ging essen, wenn ich auf Reisen war, manchmal in ein gutes Restaurant, dann achtete ich nie auf das Geld. Darum ging es ohnehin nicht. Ich hatte genug davon, auch weil ich kaum welches ausgab, allenfalls unterwegs eben, denn gute Hotels müssen bei mir immer sein. Die Qualitätsbezeichnung gut beinhaltet bei mir keine Sterne, gleichwohl sie bei Herbergen wohl unabdingbar scheinen, nicht grundsätzlich, aber eben in der Regel, in Deutschland allemale; doch auch damit kann man schwer in die Bredouille geraten. So mußte ein Restaurant wirklich gut sein. In Frankreich ist das gefahrloser, wenn man sich nicht an die Gastronomieführer für Touristen hält, da ist die gesellschaftliche Einstellung vor, die Essen und Trinken nicht als notwendiges Übel oder das Übel des Kultischen für mit der Zeit und in deren Geist lebende Menschen zum Inhalt hat. Rechtsrheinisch bin ich zurückhaltender, am liebsten gehe ich dorthin, wo ich weiß, was mich erwartet. Etwa die kleine, ruhige, schlichte Restauration dieses Parisers, der es seit bald dreißig Jahren am Charlottenburger Savignyplatz betrieb; keiner dieser Modeläden, die immer abgefüllt waren mit besserverdienenden Globaldenkern — Hauptsache, sie waren aus der scheinbar italienischen, völlig überteuerten Hochfrequenz, die von München aus vor allem nach Berlin geflossen war. Wenn es hieß, wir gehen zu dem oder dem Italiener, dann war ich in der Regel müde — ich hatte ja immer eine gute Entschuldigung mit meiner «Krankheit», die ein vermeintliches frühes Ruhen erforderte. Und dann ging ich meistens unweit des Hotels zu dem Asiaten an irgendeiner Kantstraße, mit Blick auf diese Paris-Bars, rechts das Abgehangene, besser das Abgehängte mit den arg Zuspätgekommenen, denn die Künstler gingen schon seit Ewigkeiten nicht mehr dorthin, nur noch die Camarilla der dritten Generation und deren Groupies, links der Versuch, die jungdynamischen Kunstverweser, richtiger wohl eine Art Dealer, samt Gefolge zu versammeln, ihnen mittels Mittelprächtigem den Eindruck ihrer Höherwertigkeit zu bestätigen. — Ach, Kundera, ich paraphrasiere dich mal ein bißchen: Kitsch wird in erster Linie von Spießern produziert, die sich nicht dafür halten. — In der Regel bekam ich bei meinen chinesisch-thailändischen Roten Khmer der Küche etwas nach meinem Geschmack serviert. Und unter gebratene Nudeln mit Gemüse konnte man nur schwerlich Hunde- oder Katzenfutter rühren (obwohl das sogar für Vegetarier geeignet sein dürfte, da das handelsübliche meist nicht mehr als zwei Prozent Fleisch enthält).

Seitdem das Gehirn sich mit seinem Ausfall auf das Wesentliche reduziert und mich in die innere Emigration, in die Höhle der Einsicht geführt hatte, kam es zuhause allenfalls mal zum halbstündigen, allerdings konzentrierten und sorgsamen Prozeß des Zubereitens von Fleischsoße, anderswo gerne Bolognese genannt, auf daß der Speiseplan nicht allzu eintönig würde. Nichts durfte mehr Zeit wegnehmen von der wenigen, die mir bleiben sollte. Ansonsten nahm ich nur noch schmackhafte Salate und bereits Vorgekochtes mit nach Hause. Allerdings war das Angebot auch enorm verbessert worden in den letzten Jahren. Da muß ich der wegen ihrer Gleichmacherei ungeliebten Europäisierung dann doch mal einen Stein in den Garten schmeißen. Dadurch, daß die Grenzbalken hochgingen, gelangten seit Ende der neunziger Jahre auch andere Geschmäcker ins deutsche Land. Und da es sich in den romanischen Ländern selbst Nahrungsmittelfabriken nicht leisten konnten (oder wollten), Geschmacklosigkeiten wie die deutschen in den Marktumlauf zu bringen, kam Abwechslung in die Fertiggerichteküche. Das war dann doch mal ein positives Ergebnis des grenzenlosen Waren-Hin- und Hergeschiebes auf den LKW quer durch Europa. Doch in erster Linie lag es wohl daran, daß es außer mir noch ein paar gab, die sich Single nannten, obwohl den meisten diese Bezeichnung wahrlich nicht gebührte, denn ihr Alleinstehen hatte überwiegend unfreiwillige Ursachen — während der Single in ursprünglicher Bedeutung ja bewußt partnerlos lebte. Aber auch das ist untergegangen in der mittlerweile arg kurzlebigen modernen Zeit des viel- und gernzitierten Sprachwandels. Eine Zeit gab's, da hielt das entschiedene Einzelwesen seinen Status hoch wie einen Schild gegen die Vereinnahmung. Heute ist es ein beklagter oder beklagenswerter Zustand einer Gesellschaft, die nicht mehr mit sich klarkommt.

Ich sollte mal wieder wenigstens einen trinken gehen. Ach nein, ich lasse es lieber. Denn dann werde ich rausgeschickt auf die Straße, wenn ich eine rauchen möchte.

Zwei Tage • Eine sentimentale Reise • Erzählung • Geschmackssache
 
Sa, 05.09.2009 |  link | (3464) | 14 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Zwei Tage



 







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