Rheine Kunst Dieser Tage geriet ich mal wieder mit den unappetitlichen Ingredienzien des Kunstmarktes in Berührung, und das, obwohl ich seit meiner Privatisierung in die Niederkultur den Kontakt zu diesem letztlich doch mehr als ungewöhnlich freien Handel vermeide, gegen den Börsengeschäfte mit ausgeliehenen, also leeren Wertpapieren sich als geradezu seriös ausnehmen. Andererseits haben mir diese früheren beruflichen Begegnungen mit der Kunstmarktkunst, als sie noch nicht vollends zum Spekulationsobjekt abgesenkt worden war und das Theater um sie noch nicht Event hieß, auch manch ein Erlebnis beschert, das eindeutig auf der Habenseite zu verbuchen ist. So lernte ich nicht nur Künstler kennen, die sich vom diesem Geldhandel nicht verbiegen ließen, sondern weiterhin ihre Vorstellungen von Artistik verfolgten und trotzdem bis zu internationalem Ruf gelangten. Eine weitere angenehme Begleiterscheinung waren Sammler, die nicht auf den Märkten herumlurten, weil sie auf der Suche waren nach einer neuen Werttapete für die gerade frisch zuende restaurierte roman(t)ische Hütte im Südwesten Frankreichs oder der neugebauten an der US-Westküste. Es waren solche, die Kunst als Lebensmittel empfanden und auch entsprechend lebten: immer nur das Gute, vor allem der begleitende Wein und das dazugehörende Essen. Aber sogar angenehme Seiten des Handels kamen mir dabei unter. So durfte ich anwesend sein, als eine junge Frau zum ersten Mal in ihrem Leben ein Bild kaufte und ihr der Galerist, da sie sehr wenig Geld hatte, eine ungewöhnliche Ratenzahlung anbot. Ratenzahlung im Kunstgeschäft sind an sich ohnehin die Regel, ich habe nahezu alles auf Raten gekauft. In diesem Fall bot der Verkäufer ein zu diesem Zeitpunkt noch nicht angefertiges Photogramm — als ob's eine Subscription für einen noch wachsenden Premier Cru aus dem Hoch-Preis-Bordelais gewesen wäre — der Studentin eine monatliche Teilzahlung in Höhe von fünf Mark an; zweihundert Monate oder gut sechzehn Jahre lang würde sie Zeit haben, die Arbeit abzuzahlen. Als sie einige Zeit später in den für die Arbeit bestimmten Semesterferien genügend zusammengejobbt hatte, überwies sie die Restsumme; auch das garantierte ihr der Kaufvertrag, der festgehalten worden war auf einem gerade in der Nähe liegenden Bierdeckel; das war lange Zeit, bevor ein Politiker meinte, man müsse auf einem solchen eine gesamte fiskalische Konfusion zusammenfassen können. Auch ich ließ zu dieser Zeit ein solches Photogramm anfertigen — in diesem Fall von mir selbst. Es geschah im Rahmen einer unvergeßlichen Veranstaltung in einem zu einer kleinen Galerie umgebauten Schweinestall, der zu einem der schönsten Häuser gehörte, die ich innerhalb Deutschlands je betreten durfte, gelegen direkt am Ufer des Rheins, mit zugehörigem kleinen Weinberg, einem kleinen Park, in dem Pfauen ihr Rad schlugen vor der Dame des Hauses, die bei kleinem Besuch, also etwa fünfzehn Personen, mal eben zwischendurch in die Küche eilte und dort ein mehrgängiges Menu hinjonglierte. Das kannte ich bis dahin nur aus Sammlerrefugien in Italien. Doch nicht nur die vierstöckige Gründerzeit-Kate an sich war des Anschauens wert, viel mehr noch ihr Inhalt. Vom Keller bis unters Dach war alles petersburgisch zugehängt. Séances wurde vom agierenden Künstler das Ereignis genannt, zu dem zwanzig Freunde dieser rheinischen «Miami-Konferenz», der Freunde der italienischen Oper, es mögen auch dreißig gewesen sein, teilweise von arg weit her angereist waren. Das Haus selbst kannte solchen Trubel von früheren Zeiten her zwar, aber für einige, solche Veranstaltungen nicht gewohnte Anwesende ging es doch recht fremdartig zu, auch sprachlich war es für manche nicht ganz unanstrengend. Séances en chambre noire (siehe Zeit-Werke) hießen diese Performances. Nach dem Beginn eines sich später als gewaltig erweisenden Umtrunks in schummrigem Kerzenlicht hatten sich die jeweiligen Mitakteure nacheinander auf die Therapeutenliege zu begeben, um danach vom Meister photogrammiert zu werden. Zuvor aber bekam der eine oder die andere zum ersten Mal diesen seltsamen Fragebogen zu Gesicht, den Marcel Proust sich einst ausgedacht hatte. Nicht nur, daß in der vorliegenden, leicht modifizierten Form Antworten auf Intimitäten erwünscht waren, es kam auch noch die Frage nach dem Lieblingskünstler auf. Meiner war zu dieser Zeit und ist es bis heute: Robert Filliou. So existiert seither von mir nicht nur ein Photogramm als der göttliche Robert, wenn auch in leicht gekrümmter Haltung, vielleicht weil die Liege so kurz war oder die Zeit so lang, bis ich drankam beim Herrn Doktor Kutscher, und deshalb bereits einige Gläser dieses rheinischen Frohgesangs Ja, ja, der Wein ist gut in mich hineingeflossen waren. Es folgte auch ein Abbild von ihm persönlich, das mir abendlich das Gute ausleuchtet, wenn mich diese freihändlerischen Kunstturnereien ohne geistiges Netz und abfederndem Untergrund mal wieder in depressionsartige Zustände getrieben haben. ![]() In seinen Portrait-Arbeiten unternimmt Vollrad Kutscher «eine Suche nach dem Typischen des Menschen». Es sind dies [...] Arbeiten, die von Freunden und Bekannten handeln, von Menschen, die für Vollrad Kutscher nicht zuletzt deswegen interessant sind, weil sie Eigenschaften erkennen lassen, die er für sich auch reklamiert. Gemäß der Devise von der Rollenvielfalt des Menschen erarbeitet Vollrad Kutscher seine Porträt-Installationen [...] intermedial. Mittels Foto und gestischer Abstraktion, Film und Sound, Licht und Dunkelheit, Kalkuliertem und Zufälligem, bewegtem und statischem Bild entwickelt er seine Bilder vom Menschen — «auf keinen Fall», wie er notiert, «zur ästhetischen Essenz versaftet und gereinigt, nicht asketisch oder akademisch, sondern verführerisch, spielerisch, humorvoll, widersprüchlich, unrein und offen». (Volker Rattemeyer: Von der Unmöglichkeit, ein Porträt zu machen, München 1997)
«Berlin ist [single] die Stadt der Einsamen, die ständig steigende Zahl der Single- und Einpersonenhaushalte macht einen selbst dann einsam, wenn man es gar nicht ist». Aléa Torik schreibt das in Der Salon Sucre, der Überschrift eines Romankapitels, dem eine Aufzählung folgt, die Nähe zum Thema und darin wiederum Abstand zu einer mehr oder minder freiwilligen neueren Lebensform assoziiert: «Eheanbahnungsinstitute und Partnervermittlungen, Standesämter, Hochzeitskleider und Brautmoden, Kutschen, Babyausstatter, Eheberatung, Scheidungsanwälte, Wahrsager und Teufelsaustreiber, Inkassobüros und Gerichtsvollzieher [...]». Irgendwann kam die Wende, womit nicht diese sogenannte gemeint ist, die die Wolke janz Balin gen Westen treiben ließ. Die hier gemeinte setzte früher ein, bereits in den frühen Siebzigern, also zu einer Zeit, als kaum jemand auch nur annähernd ahnte, daß diese Insel im Osten, auf die sich sich soviele aus dem Westen absetzen sollten, nicht zuletzt, weil man das Eiland am Leben erhalten wollte und deshalb nach der rosinenenbombastischen Vielfliegerei, der ein von Berliner Schnauze getiteltes Denkmal namens Hungerkralle gesetzt wurde, ungeheure Summen an Subventionen hineinpumpte. Das waren nicht nur vor dem Wehrdienst Flüchtende oder — ohnehin eine Gelegenheit des Reisens nutzende? — Schwaben. Von überall her kamen sie, das Angebot der Steuervergünstigung nutzend und den bezahlten Umzug aus Hessisch Sibirien oder Ostwestfalen sowie äußerst zinsgünstige Kredite mitnehmend. Zwar kamen im ersten Schub der Sechziger noch Ehepaare, aber im zweiten dann überwiegend Einzelpersonen. Zwar strebten auch die zunächst noch die Partnerschaft in gemeinsamer Wohnung an, die zu finden in Berlin trotz der noch existierenden Kuppelei- oder anderer Moralparagraphen offensichtlich leichter möglich war als in anderen Städten, in denen das Eherne Recht strikter oder auch rigider überwacht wurde. Aber die Sehnsüchte nach Erfüllung des Glücks in gesellschaftlich gesegneter, vor allem staatlich abgestempelter Zweisamkeit begannen, rückläufig zu werden. Das Lotterleben hatte schließlich Tradition in der einstmaligen europäischen Metropole der zwanziger Jahre, als, wie heute, die Kleinen nichts zu beißen hatten und die freiheitlich Denkenden fast pariserisch die Fröhlichkeit auslebten; auch wenn man in den Sechzigern am Tropf des Bonner Chefanästhesisten mit dessen Rhöndorfer Rosengeist hing. Man ging erst um Mitternacht aus dem Haus, um im Keller des Gebäudes, in das später die Schaubühne vom Halleschen Ufer her umziehen sollte, eine Partie Bowling zu spielen, auch wenn einen das weniger interessierte, aber die US-amerikanische Kultur hatte, alleine des höheren soldatischen Soldes wegen, gewaltiger als irgendeine andere der vier mächtigen, den Stadtstaat bereits überrollt. Otto Schily war noch Rechtsanwalt mit Wilmersdorfer Kanzlei, die zu diesem Zeitpunkt wie er selbst noch nicht weiter von Bedeutung war, erwähnenswert allerdings insofern, als sich direkt nebenan ein Club befand, in dem man, allerdings erst etwa ab 1970 nach Einführung einer Sperrstunde, die angeblich benötigt wurde, um auch mal putzen zu können, gebeten wurde, früh um sechs seinen Rock'n'Roll zu unterbrechen, es gehe ja bald weiter. Überall hatte man seine Plätzchen, wo Whiskey auf Trinkvorrat angelegt wurde, die Regionalpatrioten bevorzugten Wodka Gorbatschow, auch wenn der mittlerweile ebenfalls aus Westdeutschland kam oder gerade deswegen und nicht etwa, weil der sowjetische Freiheitsgeber vorweggenommen werden wollte. Auf jeden Fall bekam jeder und jede was ab zu dieser Uhrzeit in einem der unzähligen, oftmals musikinstrumental bespielten Tanzlokale. Eine Wohnung benötigte man eigentlich nicht, hatte doch der oder die meistens eine. Es herrschte Überfluß. Freiheit wurde seinerzeit gedanklich eher im kommunalen Sinn skizziert. Dabei spielte nicht unbedingt die Vorstellung amtierender Politiker von Gemeinschaft eine Rolle, sondern eine eher zukunftsweisende: Wer einmal mit derselben pennt, gehört zum Establisment. Die Welt war zweifelsohne patriarchalisch geprägt. Die Langhansens hatten die Theorie von der Kommune auf ihre Weise in die Praxis umgesetzt. Dabei stand allerdings weniger oder nicht einmal ansatzweise der kibbuzale Effekt im Sinn von Sammlung oder Versammlung im Vordergrund, wie er sich — auch das sind die USA! — von Berkeley aus abzuzeichnen begonnen hatte, sondern eine andere Form von Familie. — Bei rechtem Licht betrachtet scheint sich des Altkommunarden These vierzig Jahre danach durchzusetzen, zwar nicht in der, heute würde man sagen «angedachten», Stringenz des lustvollen Durcheinanders, sondern eher im Sinn der Tugend, die der Not unterworfen wurde. Aber bereits Mitte der Neunziger durfte ich am münchnerischen Nebentisch mehrfach den Klagen der Sexualrevolutionäre lauschen über deren Söhne und Töchter, die sich wieder nach Verlobung et cetera sehnten. Und heute haben die Haremsdamen längst wieder eigene Wohnungen. Während die anderen Rentner das Feld von der neubürgerlichen Seite her aufrollen, indem sie Wohngemeinschaften im Reihen- oder Stadthausstil bauen, manchmal gar subventioniert von den Kommunen, also den anderen. Als ich vor rund zwanzig Jahren, ebenfalls ohne sexuelle Hintergedanken, die Idee vom Generationenheim vorbrachte, scheiterte ich noch jämmerlich. Heute sitzen sie, sofern deren Pension oder Rente es hergibt, in der WG mit jederzeit erreichbarem Pflegedienst und surfen suchend im Netz nach dem Lebens(abschnitts)gefährten, und sei es der letzte. Sie unterscheiden sich also kaum von den Jungen, lediglich im Zeitangebot sowie in der reduzierteren Wohnform. Aber Platz für eine Single-Börse ist in der kleinsten Hütte. Eigentlich wollte ich lediglich eine kurze Notiz zum Einzelwesen hinterlassen. Aber wie das eben so ist: Ich kann nicht kurz. Mich überkommt jedesmal so ein Assoziationsschwall, im konkreten Fall war das eben «die ständig steigende Zahl» der Singles, die einen selbst dann einsam macht, «wenn man es gar nicht ist». Hier also der Ausgangspunkt: Single, das bedeutete einmal, bevor es den Yuppie gab oder gleichzeitig, so genau weiß ich das gar nicht mehr, irgendwann in den Achtzigern, bewußt alleine leben zu wollen. Heute heißt es fast immer Einsamkeit und wird von Alleinsein nicht mehr unterschieden, vermutlich auch, weil es einen (reduktionsbedingten?) Sprachverfall gibt, von dem viele Fachleute behaupten, es gebe ihn nicht. Aber was sagt bloß heute der Mensch, der lieber für sich bleibt, nicht in einer temporären Zweierbeziehung oder Ehe oder auch nicht in dieser extrem abgeleiteten Form der Kommune 1 leben möchte, aus welchem Grund auch immer? Gibt er an, er sei Single, deutet er mittlerweile unter Umständen unwillentlich etwas an, das eine gewünschte Statusveränderung signalisiert. Ich habe hier lediglich anekdotisch plaudernd ein paar Andeutungen gesetzt. Aber seit langem beschäftigt sich beispielsweise die Single-Generation damit, hier mal angetippt mit dem Buch von Jutta Stich. Eine Wohnung kriegt der Solipsist auch nicht (mehr), weil die alle von den Einsamen belegt sind, die er selbstverständlich nicht kennt, da es sie nicht gibt, und auf deren «Nachhaltigkeit» die Hausbesitzer in ihren Vorstellungen von Wirklichkeit gleich Wachstum dennoch setzen. Nicht nur in Berlin.
|
![]() Jean Stubenzweig motzt hier seit 6265 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00 ... Aktuelle Seite ... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis) ... Themen ... Impressum ... täglich ... Das Wetter ... Blogger.de ... Spenden
Zum Kommentieren bitte anmelden.
AnderenortsSuche: Letzte Kommentare: / Echt jetzt, geht noch? (einemaria) / Migräne (julians) / Oder etwa nicht? (jagothello) / Und last but not least ...... (einemaria) / und eigentlich, (einemaria) / Der gute Hades (einemaria) / Aus der Alten Welt (jean stubenzweig) / Bordeaux (jean stubenzweig) / Nicht mal die Hölle ist... (einemaria) / Ach, (if bergher) / Ahoi! (jean stubenzweig) / Yihaa, Ahoi, Sehr Erfreut. (einemaria) / Sechs mal sechs (jean stubenzweig) / Küstennebel (if bergher) / Stümperhafter Kolonialismus (if bergher) / Mir fehlen die Worte (jean stubenzweig) / Wer wird schon wissen, (jean stubenzweig) / Die Reste von Griechenland (if bergher) / Richtig, keine Vorhänge, (jean stubenzweig) / Die kleine Schwester (prieditis) / Inselsommer (jean stubenzweig) / An einem derart vom Nichts (jean stubenzweig) / Schosseh und Portmoneh (if bergher) / Mit Joseph Roth (jean stubenzweig) / Vielleicht (jagothello) «Ist Kultur gescheitert?» ? «Bitte gehen Sie weiter.» Suche: Andere Worte Anderswo Beobachtung Cinèmatographisches + und TV Fundsachen und Liebhaberstücke Kunst kommt von Kunst La Musica Regales Leben Das Ende © (wenn nichts anders gekennzeichnet): Jean Stubenzweig |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |