Blau blütelt's heimlich in der Menschen Herz Zum tollen Tag komme ich hiermit meiner angekündigten (Ana-)Chronistenpflicht nach. Auch er gehörte zur Garde der ewigen Nörgler. Allerdings hat er die von nicht wenigen Politikern herbeigesehnten fünfziger Jahre bereits in den Achtzigern entdeckt. Und er erging sich dabei, quasi einer Forderung von Arno Schmidt entsprechend, mit seinen in Westermanns Monatshefte und TransAtlantik erschienenen Entrüstungen wahrhaftig nicht in faden Gleichnissen. Beim Wiederlesen lockt es, diesen Essay als Neuerscheinung zu präsentieren, Namen einfach auszutauschen und hier und da ein wenig zu klittern. Lege ich die sich auch in der hiesigen Gemeinde vorhandenen und sich europaweit, ach was, weltweit wachsenden Sehnsüchte nach blaublütigen Celebritäten als Elle an, darf ich diesen Aufsatz auch als avantgardistische Politikliteratur bezeichnen. Er haderte mit den geistigen Bratenrockträgern, von denen sich einige wacker gehalten haben, wenn auch die ministeriellen (Hosen-)Anzüge, überhaupt die Erscheinungsbilder, nicht nur in der, wie es mittlerweile auch in neuem Deutsch heißt, Body Language, sich seither leicht verändert haben: «Es hat sich eine besondere Art von wohlgelaunter Großmäuligkeit eingeschlichen ein feixendes, dröhnendes Tölpeltum, eine so perfide Art, der Menge selbstgefällig zuzuwinken, die jedes Maß des Erträglichen übersteigt. Daß diese Menschen Deutschland aufwärts führen würden, das hatte die Mehrheit offenbar tatsächlich geglaubt.» Und dieser (zu internetten Zeiten längst nicht mehr so schweigsamen) Mehrheit wünschte er: «Überhaupt sollten die Gastarbeiter ins Kabinett. Die sehen besser aus und sprechen ein klareres Deutsch als das, was man zur Zeit [...] zu hören bekommt.» Dann, so schreibt dieser ewige Satirikaster, würde er mit Freuden zur Wahlurne gehen. Heute werden die möglicherweise als integrationswillig bezeichnet, auch wenn es den Willen zur Assimilation meint. Wenn sie in Berlin leben, dann meist in einem sich mittlerweile leicht veränderten und weiterhin veränderenden Kreuzberg, wobei manch einer deshalb mittlerweile eine Übersiedelung nach Neukölln anstrebt oder dem Wedding. Kommunisten sind heutzutage mehr denn je Restbestände einer Zeit der allerletzten «Zeugen Iwans. [...] Diese Krankheit steckt nicht mehr an. Auch andere Geständnisse bleiben heute ohne großes Echo. Ich bin Anarchist! zum Beispiel. Ach, rührend, heißt es dann, wie interessant, sicher sind Sie Künstler! — Und wer behauptet, er sei homosexuell, dem wird sofort Nachsicht entgegengebracht: Na, halb so schlimm, kann jedem passieren ...» Einen Türken als Postminister schlug er seinerzeit vor, einen Griechen als Familienminister und eine Jugoslawin als Minister der Verteidigung. Ein damals Vierzigjähriger, der sich selbst als Nationalist bezeichnet, hätte sich zu dieser Zeit als deutscher Bundespräsident bestimmt ganz gut gemacht, und sicherlich machte er auch heute eine andere Figur als der aktuelle. Denn Joseph von Westphalen bekennt: «Ich bin Monarchist.» Er kannte in den Achtzigern «nur eine politische Bemerkung, bei der Rote, Grüne und Schwarze blaß werden, über die man nicht diskutieren kann, weil einen jeder allein stehen läßt, als sei man aussätzig und Idiot obendrein. Es ist die Behauptung: Ich bin Monarchist. Worüber man nicht diskutieren kann, darüber muß man Monologe halten: Ich will es nicht zu kompliziert machen, mich nicht auf Hegel berufen, obwohl da einiges zu holen wäre in puncto konstitutioneller Monarchie. Lieber bezeichne ich mein aktuelles Argument aus der vielbeklagten Staatsverdrossenheit, die ja nicht allein von den berühmten jungen Leuten gepflegt wird. Auch biedere Hochschullehrer und seriöse Leitartikler sind ihre geheimen Opfer; sie faseln zwar seitenlang über die freiheitlich demokratische Grundordnung und verdienen damit Geld, am Fuße des ersten Biers aber sind sie ehrlich genug, sich der landläufigen Meinung anzuschließen, daß wir hinters Licht geführt werden. Zwar möchte ich nicht unbedingt im Lichte eines Sonnenkönigs stehen, aber die Strahlen eines milden Königshauses tröstetten mich vielleicht über die Wahlparolen der bürgerlichen Parteien hinweg. [...] Nach privaten Hochrechnungen wählen 80 Prozent der Berechtigten nur, weil es nichts kostet, der Rest will etwas verhindern — was für ein Zustand! [...].» Die Hartnäckigkeit, mit der «ein deutscher Regierungschef von der liberalen Presse und der Öffentlichkeit» samt Begleitpersonal mit beinahe nach Liebkosungen klingenden Schimpfwörtern bedacht wurden, «hat in ihrer Einfallsarmut etwas treudeutsch Peinliches. Genannt wurden — ich wähle spaßeshalber die Vergangenheitsform, weil die beiden angesprochenen Katastophengestalten ihre Ämter längst los sein werden, wenn mein Aufruf noch immer Gültigkeit haben wird.» Joseph von Westphalen: Warum ich Monarchist geworden bin. Zwei Dutzend Entrüstungen. Haffmans, 128 Seiten
Als ein gesellschaftliches Problem erscheint mir zunächst, geschildert hier oder dort, ach, allerorten, daß alles in trockenen Tüchern schien. Alles ging seinen recht- und damit ordnungsgemäßen Gang. Es wäre nicht das erste Mal, daß Pläne, Planungen, Bauvorhaben et cetera in irgendwelchen Kellern (fern) der Öffentlichkeit präsentiert worden wären. Und auch hier unterlag offensichtlich alles (mehr oder minder) dem parlamentarischen und damit juristisch einwandfreien Procedere. Dafür oder auch dagegen an- oder vorzugehen ist die ausführende Gewalt Polizei nun aufgefordert, und die tut nun das, wie ihr von oben, ihrem Arbeitgeber, letztendlich der Bundesrepublik Deutschland, befohlen. Inwieweit solche Maßnahmen erforderlich, gegebenenfalls notwendig oder irgendwelchen Hier-oder-da-Demonstrationen zuträglich sind, das steht auf einem anderen, durchaus auch von den Medien mit zu verantwortenden politischen Blatt Aber festzustellen ist: Da haben ein paar Menschen etwas arg vertrödelt. Möglicherweise unter anderem diejenigen, die nun laut und stark tuend dagegen sind und sich (sowie andere) dabei sogar in die (populäre) Forderung nach einem Volksentscheid stürzen. Zur aktiv gelebten Demokratie, also neuerer Zeit, nenne ich deren Beginn mal die späten sechziger und deren Inkraftreten die achtziger Jahre, gehört auch, über aktuelle Verfahren informiert zu sein. Zumindest für Menschen, die ohnehin teilnehmen an den politischen Geschehnissen. Und das dürften nicht wenige sein unter denjenigen, die nun so tun, als ob das alles gottgesandt sei, also aus (un-)heiterem Himmel käme. Ich mißbillige die Ereignisse in Stuttgart. Schrecklich finde ich sie. In jeder Hin- oder Ansicht. Aber ich kann diese unsäglichen (Ver-)Pennereien ebensowenig ausstehen, die solche gesellschaftlchen Zustände erst herbeiführen. Meine Vorstellung von aktiver Demokratie ist diejenige, eine solche Politik erst gar nicht in ihr Amt zu wählen, zumindest dann auf die Straße zu gehen, bevor Gesetze — möglicherweise gar an darüberstehenden Gremien vorbei — in Kraft getreten werden. Also, das war's von meiner Seite aus mal wieder spät am Abend und überhaupt politisch. Ich ziehe mich zurück auf den 14. Juli.
Jean-Baptiste Grenouille Geboren ist er «ohne Geruch am stinkendsten Ort der Welt, stammend aus Abfall, Kot und Verwesung», er ist «klein gebuckelt, hinkend, häßiich, gemieden, ein Scheusal innen wie außen». Entschlüpft ist er dem Leib einer jungen Frau, «gerade Mitte zwanzig, die noch ganz hübsch ausssah und noch fast alle Zähne im Munde hatte und auf dem Kopf noch etwas Haar und außer der Gicht und der Syphilis und einer leichten Schwindsucht keine ernsthafte Krankheit». Dieser Jean-Baptiste Grenouille hatte «eine Macht, die stärker war als die Macht des Geldes oder die Macht des Terrors oder die Macht des Todes: die unüberwindliche Macht, den Menschen Liebe einzuflößen». Dennoch hätte er sie «am liebsten alle vom Erdboden vertilgt, die stupiden, stinkenden, erotisierten Menschen». Doch das war beileibe nicht der Grund für sein planvolles ja systematisches Morden, dem mehr als zwei Dutzend Jungfrauen zum Opfer fielen, alle gerade kurz vor der vollen Blüte und von der duften Vollkommenheit der Laure Richis, «gerade sechzehn Jahre alt, mit dunkelroten Haaren und grünen Augen», mit einem «so entzückenden Gesicht, daß Besucher jeden Alters und Geschlechts augenblicks erstarrten und den Blick nicht mehr von ihr nehmen konnten». Sein Meucheln hatte jedoch nicht etwa Lüsternheit als Ursache, sondern jene Macht, die er einmal nur testete, allerdings mit einem phänomenalen, geradezu orgiastischen Erfolg — um dann einen Tod zu sterben, den wir alle uns so wünschen, nämlich aus Liebe aufgefressen zu werden. Dieser seinerzeit grandiose Wurf eines Romanerstlings hat den Redakteur einer Leseseite damals sogar dazu bewegt, ein etwa zu gleicher Zeit erschienenes Buch von Joseph von Westphalen (ich komme darauf zurück) in den Stehsatz zu befördern. Diese Riechorgie, hieß es dann, «dürfte für lange Zeit Spuren von Lesewonnen in den Gesichtern selbst abgebrühtester Literaturkenner hinterlassen. Denn Jean-Baptiste Grenouille alias Patrick Süskind hat aus den auserlesensten Ingredienzien der Erzählkunst einen Flakon voll des feinsten Lesedufts komponiert — ein Parfum, das die Macht einer Droge hat.» Nun ja, der Geruch hat nicht mehr die Intensität der Buchmessenvorzeit von 1985, aber nur nach dem Dachboden der in feucht gewordene Kartons der ausgelagerten Literatur riecht der Roman auch nach so langer Zeit nicht unbedingt. Zwar veränderte die Nase nicht mehr so ganz hektisch ständig die Wahrnehmungsrichtung, aber das Jacobsen-Organ hat immer noch ordentlich was zu schnuppern gehabt. Patrick Süskind: Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders. Herbert Huber hat den Roman erläutert und eine Materialsammlung hinzugefügt. Und hier wird geschlemmt.
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