Sucher in der Wüste

«Die Kunst des Ignorierens» sucht jemand bei mir, in meinem insgesamt mehr als dürftig quellenden Quell in dieser Einöde der Angebote. Gut, Kunst und Ignoranz verstehe ich ja noch. Aber Duschvorschläge? Nun ja, ich habe zunächst Duschvorhänge gelesen. Doch ich lese ohnehin ständig (pragmatisch gesteuert oder falsch programmiert?) ziemlich daneben. Allerdings hatte mich das bereits ziemlich gewundert, ist doch bei mir nahezu jeder Konsumhinweis kategorisch ausgeblendet, soweit wie möglich abgeblockt. Ich gehe schon nicht mit einem für irgendetwas werbenden Beutel über die Straße. Das kann sich als schwierig erweisen, möchte man ein Kleidungsstück erwerben. Zumindest teuer wird es in der Regel, um einiges teurer jedenfalls, möchte man nicht wie eine Pappfigur auf dem Ku'damm der zwanziger Jahre wandeln oder wie eine Litfaßsäule herumstehen. Aber nicht einmal mehr die gibt's noch, es sei denn im Eventmuseum für die Wirtschaftsgeschichte des ausgehenden zweiten Jahrtausends. Dafür keucht heutzutage nahezu jeder zweite hypertoniegedopte Rentner mit (s)einer Fünftausend-Mark-Fahrhilfe (zur Erinnerung: das sind wesentlich billiger klingende 2.500 Euro) mit seinem ihn begleitenden Werbeblock aus alten, vom Konsumismus wiederbelebten Kameraden die sanftmütigen holsteinischen Hügel hinauf, die Kunst des Ignorierens eigens für ihn angelegter Radwege nutzend und in Dreierrehen die Straßen absperrend, weniger gleich einer Demonstration gegen die unterirdische, sondern mehr einer für die Belebung der oberirdischen Binnenwirtschaft ähnelnd. Und sollten sie sich tatsächlich zu einem der Heiligen Berge der Tour de France und nicht doch lieber an den Königs- oder Bodensee begeben, nehmen sie als Sperrgut ihr Wohnmobil und packen auf dem Weg zum landschaftlich reizvollen Mont Ventoux das kostbare Huckepack hintenauf, nach hinten alles abriegelnd. Ich mache das ganz anders: Ich fahre, niemanden weiter und vor allem mich nicht behindernd, im Büro spazieren oder stelle es lieber gleich auf dem Dachboden ab.



Auf daß dem guten Stück nichts geschehe — wie neulich meinem guten alten bleu-blanc-rouge-gefärbten Bauerdamensportradl, das die junge Zellforscherin auch durch den Winter befördern sollte, dann aber unter dem vermutlich weniger entzückenden Hintern eines oder einer Unberechtigten verschwand.

Aber Vorschläge zum Duschen? Das blendet nun wirklich jede Werbevorstellung aus. Oder doch nicht? Ist der Mensch in seiner vollständigen Sinnesüberreizung bereits nicht mehr in der Lage, einfach und ohne weiteren Würdeaufwand ins Wasser zu gehen? Erfordert seine Restphantasie bereits Anregungen für den schlichten Vorgang einer Reinigung von oben? Braucht er mittlerweile einen besonderen Blick? Hat's ihm im Gehirn bereits alles auf schwarz-weiß zusammengestrichen, haben seine Synapsen den Silberblick bekommen, der ihm sogar den Duschvorgang tunnelt? Und sucht ausgerechnet in meiner Wüstenei, sucht Halt in meinem (fast) werbefreien und deshalb so tristen Mikrokosmos? Nun gut, gesucht werden darf. Aber fündig werden dürfte so jemand kaum. Jedenfalls nicht bei mir. Ich für meinenen Teil bin allenfalls für die Kunst des Ignorierens zuständig.
 
Fr, 08.10.2010 |  link | (3676) | 19 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs



 

Tanz in den Magen

Photographie: Rhys Alton CC


Die in der DDR akademisierte Dame, die sich in den Westen aufmachte, bevor das global-europäische Schmieröl das Land überschwemmte, die sich fortan um die westliche und die eigene Gesundung sorgen würde, war sich sicher: das im Wonneostseebad Warnemünde, das ist «ein Mexikaner». Er hatte schließlich Tacos im Angebot. Sie ist weitgereist, die Dame, sie kennt sich aus mit Wochenendausflügen nach Übersee und Kurzkreuzfahrten, zum genaueren Hinschauen bleibt nicht mehr Zeit, die wird von der heimischen Gesundheit aufgefressen. Die Anwesenden tanzten eine Habanera, eine süße Merengue oder was auch immer, eine über prächtige dämliche und weniger herrliche Hinterteile versinn(bild)lichte rhythmische Salsa eben, diese köstliche Kolonialisten-Sauce, wenn auch mit einer anderen Leidenschaft, als sie an den Leipziger und anderen nordeuropäischen Kunst-Tanz-Schulen friseusenmeisterlich wie Eiweiß steifgeschlagen wird. Glücklicherweise blieben die mit den eingegipsten Hüften sitzen und mampften ihre Tacos, ohne Salsa. Kein Bésame mucho schluchzte, keine Mariachi tröteten wie beim public viewing in einer Fußgängerzone, kein Guitarrón zupfte, Castro fidelte jungbärtig weit über das DIN-A 0-Format hinaus von den Wänden herunter in die verordnete Freundschaft, die diese beiden Länder verband, bevor das eine kapitalistisch liquidiert wurde. Es dürften Überreste dieser letztendlich vereint menschlich gewordenen Verbindungen sein, die im kühleren Osten geblieben sind und Honecker lediglich leidlich erwärmten, auch wenn Unsere Zeit gar eine «zärtliche Beziehung» im «Atem der Weltgeschichte» festgestellt hat. Da besagte Dame seit je dem Kommunismus kritisch gegenüberstand, ohne weiter aufzubegehren, umkurvte sie auch die Klippen des Wissens, daß dieser Karabik-Staat manch einen Botschafter einer etwas anderen Färbung in den eiweißähnlichen kurz vor sibrischer Kälte entsandte — und ein paar von ihnen eben geblieben sein dürften. Sogar kubanischer weißer Rum stand im Regal, richtiger, kein im Exil gebrannter oder gar in Buxtehude abgefüllter. Aber die Gaststätte mußte «ein Mexikaner» sein. Klar, schließlich gab es Tacos. Wie auf dem Dampfer der Kreuzfahrt kurz vor Venezuela, es kann aber auch Martinique gewesen sein, irgendwie wie an der Außengrenze Europas kam man sich schon vor. Ach, du guter alter Kontinent, du ewiger Bildungsborn.
 
Mi, 06.10.2010 |  link | (2199) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs



 

Blau blütelt's heimlich in der Menschen Herz

Zum tollen Tag komme ich hiermit meiner angekündigten (Ana-)Chronistenpflicht nach.

Auch er gehörte zur Garde der ewigen Nörgler. Allerdings hat er die von nicht wenigen Politikern herbeigesehnten fünfziger Jahre bereits in den Achtzigern entdeckt. Und er erging sich dabei, quasi einer Forderung von Arno Schmidt entsprechend, mit seinen in Westermanns Monatshefte und TransAtlantik erschienenen Entrüstungen wahrhaftig nicht in faden Gleichnissen. Beim Wiederlesen lockt es, diesen Essay als Neuerscheinung zu präsentieren, Namen einfach auszutauschen und hier und da ein wenig zu klittern. Lege ich die sich auch in der hiesigen Gemeinde vorhandenen und sich europaweit, ach was, weltweit wachsenden Sehnsüchte nach blaublütigen Celebritäten als Elle an, darf ich diesen Aufsatz auch als avantgardistische Politikliteratur bezeichnen.

Er haderte mit den geistigen Bratenrockträgern, von denen sich einige wacker gehalten haben, wenn auch die ministeriellen (Hosen-)Anzüge, überhaupt die Erscheinungsbilder, nicht nur in der, wie es mittlerweile auch in neuem Deutsch heißt, Body Language, sich seither leicht verändert haben: «Es hat sich eine besondere Art von wohlgelaunter Großmäuligkeit eingeschlichen ein feixendes, dröhnendes Tölpeltum, eine so perfide Art, der Menge selbstgefällig zuzuwinken, die jedes Maß des Erträglichen übersteigt. Daß diese Menschen Deutschland aufwärts führen würden, das hatte die Mehrheit offenbar tatsächlich geglaubt.»

Und dieser (zu internetten Zeiten längst nicht mehr so schweigsamen) Mehrheit wünschte er: «Überhaupt sollten die Gastarbeiter ins Kabinett. Die sehen besser aus und sprechen ein klareres Deutsch als das, was man zur Zeit [...] zu hören bekommt.» Dann, so schreibt dieser ewige Satirikaster, würde er mit Freuden zur Wahlurne gehen. Heute werden die möglicherweise als integrationswillig bezeichnet, auch wenn es den Willen zur Assimilation meint. Wenn sie in Berlin leben, dann meist in einem sich mittlerweile leicht veränderten und weiterhin veränderenden Kreuzberg, wobei manch einer deshalb mittlerweile eine Übersiedelung nach Neukölln anstrebt oder dem Wedding. Kommunisten sind heutzutage mehr denn je Restbestände einer Zeit der allerletzten «Zeugen Iwans. [...] Diese Krankheit steckt nicht mehr an. Auch andere Geständnisse bleiben heute ohne großes Echo. Ich bin Anarchist! zum Beispiel. Ach, rührend, heißt es dann, wie interessant, sicher sind Sie Künstler! — Und wer behauptet, er sei homosexuell, dem wird sofort Nachsicht entgegengebracht: Na, halb so schlimm, kann jedem passieren ...»

Einen Türken als Postminister schlug er seinerzeit vor, einen Griechen als Familienminister und eine Jugoslawin als Minister der Verteidigung. Ein damals Vierzigjähriger, der sich selbst als Nationalist bezeichnet, hätte sich zu dieser Zeit als deutscher Bundespräsident bestimmt ganz gut gemacht, und sicherlich machte er auch heute eine andere Figur als der aktuelle. Denn Joseph von Westphalen bekennt: «Ich bin Monarchist.»

Er kannte in den Achtzigern «nur eine politische Bemerkung, bei der Rote, Grüne und Schwarze blaß werden, über die man nicht diskutieren kann, weil einen jeder allein stehen läßt, als sei man aussätzig und Idiot obendrein. Es ist die Behauptung: Ich bin Monarchist.

Worüber man nicht diskutieren kann, darüber muß man Monologe halten: Ich will es nicht zu kompliziert machen, mich nicht auf Hegel berufen, obwohl da einiges zu holen wäre in puncto konstitutioneller Monarchie. Lieber bezeichne ich mein aktuelles Argument aus der vielbeklagten Staatsverdrossenheit, die ja nicht allein von den berühmten jungen Leuten gepflegt wird. Auch biedere Hochschullehrer und seriöse Leitartikler sind ihre geheimen Opfer; sie faseln zwar seitenlang über die freiheitlich demokratische Grundordnung und verdienen damit Geld, am Fuße des ersten Biers aber sind sie ehrlich genug, sich der landläufigen Meinung anzuschließen, daß wir hinters Licht geführt werden. Zwar möchte ich nicht unbedingt im Lichte eines Sonnenkönigs stehen, aber die Strahlen eines milden Königshauses tröstetten mich vielleicht über die Wahlparolen der bürgerlichen Parteien hinweg. [...]

Nach privaten Hochrechnungen wählen 80 Prozent der Berechtigten nur, weil es nichts kostet, der Rest will etwas verhindern — was für ein Zustand! [...].»

Die Hartnäckigkeit, mit der «ein deutscher Regierungschef von der liberalen Presse und der Öffentlichkeit» samt Begleitpersonal mit beinahe nach Liebkosungen klingenden Schimpfwörtern bedacht wurden, «hat in ihrer Einfallsarmut etwas treudeutsch Peinliches. Genannt wurden — ich wähle spaßeshalber die Vergangenheitsform, weil die beiden angesprochenen Katastophengestalten ihre Ämter längst los sein werden, wenn mein Aufruf noch immer Gültigkeit haben wird.»

Joseph von Westphalen:
Warum ich Monarchist geworden bin. Zwei Dutzend Entrüstungen.
Haffmans, 128 Seiten

 
So, 03.10.2010 |  link | (4363) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino



 







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