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Ikonokryptisches Immer wieder mal kommt es zu Irritationen wegen meiner Abneigung gegenüber diesen Internethieroglyphen, die in unserer ach so wenigen, schnellebigen Zeit uns dieselbe zumindest teilweise zurückgeben möchten, indem wir uns dieser beschleunigenden Strichpunkte oder -männchen bedienen, aus denen dann hervorgehen soll, ob wir etwas dann doch nicht so ernst gemeint haben. Ich wurde in einer Umgebung in Richtung des Erwachsenwerdens geschoben, ob ich nun wollte oder nicht, in der Ironie eine wesentliche Rolle spielte. Ständig wurde in irgendeiner Weise gewitzelt. Daraus entwickelte sich ein (Selbst-)Verständnis, das sich auch während meiner Adoleszenz und noch verstärkt später als allgemein gesellschaftliches sprachliches Stilmittel auszeichnete, das mir bis heute anhaftet und das ich auch nicht abzulegen gedenke, weil es mir viel zu sympathisch ist, aber in zunehmendem Maße nicht mehr verstanden wird, ja sozusagen ausgerottet zu werden scheint zugunsten dieser Hilflosigkeiten, die meine hochgeheiligte Ironie dürftig ersetzen sollen. So sah ich mich einmal mehr genötigt, vorgestern der nicht nur deshalb geschätzten Seemuse mitzuteilen: «ich werde nie mögen, was man auch mit Wörtern und Worten ausdrücken kann; und sei es es, daß man's eben nochmals lesen muß». Worauf sie auf die historische Bedeutsamkeit des in den sechziger Jahren (Ironie oder nicht — ich habe verstanden oder tue jedenfalls so) entwickelten, hinters Digitalglas gemalten Hauptikone hinwies. Nun gut, die kenne ich. Aber ans Revers heften tät' ich mir die auch nicht, wenn ich auch eingestehe, daß an einen meiner Waffenröcke ein solches Ikönchen geheftet ist, das ich in den Neunzigern vielfach gekauft und verschenkt habe, weil ich Idee und Einsatz von Imi Knoebel und dessen Gattin überzeugend fand. Gleichwohl ich mich sehr darüber ärgere, daß ich diesen Kinderstern nicht aus den Seiten herauskopieren und hier darstellen darf, sondern zu meinen unzulänglichen photographischen Mitteln* — nicht jeder ist ein Kunsthandwerker — greifen muß, um zu zeigen, was ich seit Mitte der Neunziger unbeirrt und bei voller Bewußtheit mahnmalend an mir herumtrage. ![]() Unlängst fragte mich nach einer angenehmen Plauderei in einem zentral, aber dennoch abseits der touristischen Marzipanitäten gelegenen Lübecker Café mit ungarischem Namen, allerfeinsten Törtchen und Crèmeschnittchen und echter Trinkschokolade mit Sahne direkt aus der Kuh und sehr gutem Espresso sowie einer zauberhaften Bedienerin gut Ü 40 eine Dame nach der Bedeutung meiner Sakko-Zierde, die sie bereits eine ganze Weile forschend fixiert hatte. Sie ging ihre Frage vorsichtig an, vielleicht weil sie nach meinem kurz zuvor abgegebenen knappen Hinweis befürchtete, einen über alle Maßen theoretischen Altachtundsechziger-Vortrag über antiautoritäre Erziehung ins Gehör gemeißelt zu bekommen (dabei werde ich von sogenannten Gegenallesseier «Leutnant» genannt). Ich erhob keineswegs meinen gefürchteten Zeigefinger und hub an, sondern berichtete naturgemäß sanft, wie ich zu diesem Kind kam. Der Name Imi Knoebel war ihr noch nicht untergekommen, aber sie meinte, immerhin erführe sie auf diese Weise, daß Künstler nicht immer nur an das einzig Eine denken würden, an sich. Sprach's, verlor noch einen Satz übers Internet, nicht über Hieroglyphen und Kryptik, sondern darüber, daß sie darin nach diesem Kinderstern schauen wolle, nicht zuletzt, da Weihnachten nahe. — Und fröhlich winkt der Weihnachtsmann mit einem kompletten Adventsmarktgartenzaun. * Ich bestehe allerdings, und hier im besonderen gegenüber Rechtehabern, nicht zuletzt wegen der außergewöhnlichen künstlerischen Note, auf meinen Rechten — ausgenommen sind diejenigen, die mein Wackelkindersternchen ohne böse, also kommerzielle Absichten funkeln lassen mögen.
Kunst kommt dann von dann von Können, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und dann darin ruht. Avant-garde bedeutet (militärisch) vorausgehen und -sehen. Die Planung im voraus ist nicht jedem gegeben. So kommt es des öfteren zum Nach-Denken. ![]()
Das Schmuddelkinder-Problem Weil's zu wesentlich ist, um in den (häufig nicht beachteten) Kommentaren vor sich hinzudümpeln. Das gab's allerdings bereits (oder noch?) Anfang der achtziger Jahre. Eine Dame von irgendwas mit Medien, verheiratet mit einem, ebenfalls vom Film, der heute wegen seiner Herkunft aus Nahost und seinem Äußeren unter ständiger Beobachtung von einigen Millionen Deutschen stünde, die beiden hatten ein Kind, und deshalb wollten sie sich bei mir behördlich anmelden, weil die Tochter in eine bessere Lehrversorgung — na, Sie wissen schon. Sie durften nicht, auch nicht um des Peppermint Friedens willen, den diese Produktion durchaus erbracht hatte, nicht nur, weil ich ein solches Verfahren zu dieser Zeit bereits abgelehnt habe. Sie wohnten selber in Schwabing, nur eben im falschen Sprengel. Die Ablehnung beendete eine ohnehin schon getrübte Freundschaft endgültig. Nun ja, mittlerweile werden solche Leute von anderen «angeschwärzt». «Lichtenberg lässt mit Hilfe der Polizei Klingelschilder überprüfen und Nachbarn befragen.» Bislang kannte man das eher von Schwarzfernsehfahndern. Wenn sich das so weiterentwickelt, sind wir bald wieder in den dreißiger oder vierziger Jahren, von denen dieser Film teilweise erzählte, an dessen überaus friedliche und freudvolle Dreharbeiten ich mich sehr gerne erinnere, nicht zuletzt, weil er eine (religionsfreie) Botschaft transportierte, die bis heute die meine ist und in der damals Neunjährige auch noch keine Vorstellungsgespräche zu absolvieren hatten — auch wenn sich das, siehe oben, bereits abzeichnete. Konservativ? Bereits zu Beginn der Siebziger kam ein Begriff auf, der denjenigen ins Mundwerk geriet, die sich nicht zu sagen trauten, daß sie mit alldem nicht einverstanden sind, der da lautete wertkonservativ. Dabei hätte es dieses letztendlich pleonastischen Ablenkungsmanövers gar nicht bedurft. Recht ins Grübeln brachte mich, was mir der Vater des deutschen Verteidigungsministers, dem mit der medienfortschrittlichen oder auch fernseh(un)tauglichen Gattin, mal ins elektrische Notizbuch sprach: Es sei im Grunde absurd, daß gerade die Konservativen immer von Fortschritt reden und dabei aber «nicht konservativ sind, sondern zerstörerisch». Es war die Zeit, als die Grünen sich formierten, wenn sie in ihrem Streben auch noch eine Weile von ihren heutigen Zielen entfernt waren und sich noch nicht bei Freunden anmeldeten, um ihre Kinder in eine bessere Schule zu entsenden. Gerne will ich denn auch zugestehen, daß wahrhaftig nicht sie es waren, sondern die in Hamburg sich als liberal-konservativ bezeichnenden Hafencity- und Wirtschaftswachstumsbefürworter et cetera, die eine Verlängerung der Grundausbildung verhindert haben. Mir sind hinreichend Fälle bekannt, in denen Menschen es schulisch weitergebracht hätten, möglicherweise gar bis zum Studium mit Abschluß, wären sie mit der vierten Klasse nicht ein- für allemal in die Hauptschule eingesperrt worden. Wir hatten es ja bereits einige Male, aber es gibt Sachverhalte, die gar nicht oft genug wiederholt werden können: Ständig ist von Integration die Rede, wenn Assimilation gemeint ist. Multikulti haben wir allüberall seit, mal als Hausnummer, die cimbri teutonique gen Süden aufbrachen und, lange bevor da ein Jude die Grundlage heutiger gemeinsamer christlicher Werte auslösen sollte, von den damaligen wirtschaftsglobal- und zivilisationsgesinnten Römern überlistet und übel verprügelt wurden. Geholfen hat es ihnen nicht, eine Schlacht zu gewinnen, bis nach Nordafrika schwärmten sie aus, die, die später unter Germanen firmieren sollten und heute wieder zurückwollen auf den nördlicheren Kontinent. Es gibt zwar Afrikaner, aber keine Deutschen oder Franzosen und so weiter. Wir sollten sein ein einig Volk von Brüdern und Schwestern — denen es nicht schwerfallen würde, trotz unterschiedlicher Ansichten des einen oder anderen, sich zu integrieren, ließe man ihnen denn durch frühzeitige schulische Maßnahmen die Möglichkeit, in diese gesellschaftliche Mischbatterie zu hüpfen. Die einen schaffen oder wollen das nicht unbedingt, möglicherweise weil sie bereits im Elternhaus daran gehindert werden, wie sich das links- oder rechtsrheinisch und so weiter ebenfalls nicht anders verhält, weil das Mädchen ohnehin irgendwann heiratet und der Junge einfach rasch Geld verdienen soll, wie es bei den Alten auch nicht anders war. Einige schaffen es trotzdem. Einer aus der hiesigen Bloggergemeinde weist immer wieder mal darauf hin, und ich halte seinen leichten, durch Ironie abgemilderten Schaum vorm Mund für mehr als berechtigt. Auf der rechten Seite des Rheins sind es die kriegerischen Osmanen, bis hin zu diesen ganzen billigen Spargelstechern und Erdbeepflückern, auf der linksseitigen, bis hinauf an die Nordsee, wo der Afsluitdijk das flache Land abschirmt, die Mauren oder Mohren oder wie diese ganzen Anderspigmentierten auch heißen mögen, die in die Schranken oder hinter sie ge- beziehungsweise zurückgewiesen werden müssen. Lenin kam nur bis Lüdenscheid gerät mir in den Gedächtelfuß. Und im Film tritt der Schmuddelkinder-Poet ja auch ständig auf. Obwohl Richard David Precht immer wieder um Distanz bemüht ist, habe ich den Eindruck, daß seine auf diese Weise verbrachte Kindheit ihm nicht allzu sehr geschadet hat, scheint mir das Bild dieser Zeit jedenfalls nicht ganz so arg neben die Spur geraten zu sein, wie andere das sehen, vor allem dann, wenn man als achtundsechziger sogenannter Erwachsener Einzelheiten etwas dezidierter in Erinnerung hat und meint, das sich heute ebenfalls im Rückzug befindliche Stilmittel dieser Zeit, die Ironie, nicht nur als Überbleibsel «antiautoritärer» Erziehung herauszuhören, vor allem für diejenigen, die sich so gar nicht vorstellen können, was seinerzeit tatsächlich los war. – Ich will es nicht unterlassen haben, darauf hinzuweisen, daß es auch andere Blicke auf dieses Thema gab. Unterm Strich gelange ich nach diesem Buch oder auch dem Film nicht unbedingt zu der Ansicht, «die Menschen scheinen nichts voneinander ‹haben› zu wollen». Die alten Prechts dürften allein mit der Tatsache, anderspigmentierte Kinder adoptiert zu haben (heute eine der hinlänglich bekannten weltweiten Moden, neben der des in Dörfern und Städten gleichermaßen an- oder nachhaltigen DauerbeSUFFs) auch in ihrem selbsterzeugten Nachwuchs ein differenzierteres Verständnis vom Miteinander versenkt haben. Der Autor Precht weist unter anderem darauf hin, ein bundesdeutscher Minister der Sechziger habe davor gewarnt oder abgeraten, Kinder aus fremden Kulturkreisen zu adoptieren. Mit Vehemenz entgegnet der damalige Adoptivvater: Was für ein dummer Satz! Ein Kind, das noch nicht einmal eine Sprache spräche, gehöre keinem Kulturkreis an. Und genau so verhält es sich: Wer seinen Nachwuchs von klein an mit dem impft, was man ihm selbst bereits ins Gehirn implantiert hat, der schafft eben jene Kulturismen, die zu diesen immer wieder aktualisierten Auseinandersetzungen führen. Würde Bildung als das verstanden, was ich (und andere) darunter verstehe, von wieder anderen jedoch schamlos als raschere Integration in den Wirtschaftsverwertungskreislauf auf den Kopf gestellt wird, bildete sich ein Unterscheidungsvermögen heran, das auch in Intellektualisierung genannt werden kann oder darf, würde mit dem Schmuddelkinder-Problem aufgeräumt. Es würde hinfällig von diesem Augenblick an, in dem der eine Mensch dem anderen die Achtung zukommen ließe, die ihm gebührt. Dann wäre ein Schulsprengel wie das andere. Dazu muß man, ob jünger oder älter, nicht unbedingt Kommunist sein — gleichwohl der Begriff an sich ja abgeleitet ist von Gemeinsamkeit, egal ob Kibbuz, Kindergarten, meinetwegen auch Kirche oder eben großstädtische Kommune.
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