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Ballett in freiem Stil ![]() Auf einem Felsen in mehr als dreitausend Metern Höhe auf dem Dach Europas ruhen drei natürlich gebräunte Skifahrer und deren Schwester. Da taucht auf einem anderen Felsen eine Art Stewardess auf, um ihren von den vielen Höhenflügen der nebenberuflichen Tätigkeiten an der Universität leicht ermattet wirkenden Teint etwas aufzufrischen. Doch bevor die Drei in die Skibindungen springen können, um die noch Unbekannte in den weichen Schnee tief zu betten, hat die Schwester die Bretter zusammengerafft und rauscht damit ab ins Tal. Nur ein paar Ski hat sie zurückgelassen, und auf diesen fahren die drei Brüder. Richtig: zu dritt. Die geschilderte Szene stellt einen Ausschnitt aus dem Film Familientrophäe annähernd dar. Die Akrobaten des Films: Der eine war schon einmal Weltmeister, der andere ist Europameister, und auch der dritte wird bald einen größeren Pokal ins heimelige Regal aus Zirbelholz stellen. Es sind die Gebrüder Ernst, Franz und, allen voran, Fuzzy Garhammer, und der Backfisch, hinter dem sie den Tiefschnee herfegen, ist deren Schwester Hedy. Sie sind allesamt Weltklasse im Freestyle, dem Skifahren unter erschwerten Bedingungen. Was die Geschwister Garhammer im Film aufführen, läß dem Sonntagsfahrer das Blut auf Gletschertemperatur sinken. Geschwindigkeiten bis zu sechzig Stundenkilometer auf der Buckelpiste, der Lufttanz auf den Brettern mit Vorwärts- und Rückwärtsüberkreuzungen in Fahrtrichtung (Outrigger) oder das Drehen der Fußdauben um hundertachtzig oder gar dreihundertsechzig Grad (Twisting Manœvres) beim Ballett. Flattert dem wochenendlich den Idiotenhügel bewältigenden Freizeitpiloten schon bei einem Hüpfer über eine Weite von einem Meter das kleine Angstherz, müssen es bei den Freestylern schon Vorwärts-, Rückwärts- und Zweifachsalti sein. Für diese Hochleistungen üben die Skiartisten aus Europa und den USA bereits im Sommer auf dem Trampolin oder springen in voller Montur von der Mattenschanze ins Wasser, das bekanntlich ebenfalls keine Balken hat. Wer als quasi fortgeschrittener Schneetänzer den Umsteigeschwung schon beherrscht, der kann Skiballett und Buckelpistenjagd leicht erlernen, zum Beispiel für vierhundert Mark pro Woche bei den Garhammers, die sommers ihr Lager auf dem Kitzsteinhorn aufschlagen. Flohmarkt: Savoir-vivre, 1978
Knödelnde Kauboys erobern am 25. November (1978) die Jahrhunderthalle in Frankfurt-Höchst. Bands und Barden kommen freilich nicht aus dem Holy-Filterkippen-Land, sondern eben aus deutschen Landen auf den Tisch. In Ausscheidungskonzerten von Hamburg bis München haben die Veranstalter insgesamt hundertzweiundzwanzig Bewerber gesiebt. Die Gruppe, der am meisten applaudiert wird, fliegt für zwei Wochen nach Nashville, in die Metropole der Country- und Western-Orchester. Den Flug stiftet die deutsche Zigarettentochter, die ihre gefilterten US-Glimmstengel in Deutschland mit Freie-Welt-Romantik zur Marke des männlichsten Mannes rollen konnte und damit für höchsten Wohlklang wenigstens in den Kassen sorgte. Der Reklame-Rummel hebt ins Rampenlicht, daß Bundesdeutschland innerhalb von dreißig Jahren eine Western-Kolonie geworden ist. Seit der US-amerikanische Soldatensender AFN seine singenden Kuhhirten in der Alpenregion, am Rhein und an der Spree reiten läßt, hat sich hierzulande allmählich eine Hillbillie-Folklore entwickelt: Mittlerweile bewohnen die Deutschen das sangesfreudigste Country außerhalb der Staaten. Es hat den Anschein, als träte bald ein neuer Stern neben die Streifen der Flagge. Schon 1977 schwappte die Trendwelle über den großen Teich zurück. Die beim Nashville-Festival bejubelte Truppe Truck Stop kam vom harburgischen Seevetal. Mittlerweile verbreitet die Musikalienfirma Bear Family in Bremen sogar den falschen Mythos, daß der Vorsänger Johnny Cash, seinerzeit GI in Deutschland, in den fünfziger Jahren hier im Osten erstmals Gitarre geklampft hätte. Wahr ist, daß um diese Zeit — ohne Cash — die deutsche Westlandlied-Szene in Bewegung geriet. 1956 gründete der Schweizer «Chuck» Steiner die Zeitschrift Country Singin' & Pickin' News, die unter dem Titel Hillbilly heute noch erscheint. Im Beatles-Jahr 1963 trafen sich dann die auf Western-Art fiedelnden und Banjo zupfenden Deutschen beim ersten Country & Western Festival in Neu-Südende bei Oldenburg, wie seither jedes Jahr zu Pfingsten. Dort wurde auch Country Corner initiiert, eine Zeitschrift, die unsere Provinz über die Volksmusik der Nordamerikaner zwischen Maine und Kalifornien unterrrichtet und im Süddeutschen Rundfunk mit ihren Mitarbeitern eine gleichnamige Sendereihe bestreitet. Mittlerweile sind deutsche Kuhmusik-Freunde nicht mehr auf die ärmlichen zwei Stunden angewiesen, die der Soldatenfunk American Forces Network, bekannter als AFN, täglich dudelt. Deutschsprachige Sender, wie etwa Österreichs ORF, die schweizerische SRG sowie das Rödel-Radio Luxemburg, musizieren sechsundvierzig Stunden monatlich im westlichen Stil. Der gerne auch als der «häßliche» bezeichnete Hessische Rundfunk ermittelte per Hörerumfrage vom März 1978 die beliebtesten Country-Interpreten: Neben Johnny Cash und Emmylou Harris kam Deutschlands Truck Stop auf die vorderen Plätze. Mit deutscher Heimarbeit füllten die Seevetaler Fiedler und Trommler des Gülledufts bereits zwei Langspielplatten. Konkurrenten sind die Emsland Hillbillies und deutsch-amerikanische Freundschaftsformationen wie Canned Leather, während der geübte Trendreiter James Last mit seiner Scheibe Western Party dazu die flashige Barbecue-Soße liefert. Ein noch autarker deutscher Plattenhersteller hat sich Johnny Cashs Stieftochter Rosanne weltexclusiv eingefangen, und inzwischen singt sogar schon die Griechin Nana Mouskouri Westernballaden der Deutschen auf deutsch. Nicht zuletzt schürft im hiesigen Country-Claim ein Gunter Gabriel, der gerne Texte des Tausensassas Shel Silverstein nölt, und Volker Lechtenbrink geht mit eingedeutschten Liedern von Kris Kristofferson auf den Treck. Deutsche Plattenfirmen und prachtvoll ausgestattete Töchter US-amerikanischer Record Companies haben erkannt: Hier gibt's noch manche Scheibe runterzuschneiden. Stagnierte der Marktanteil der Landluftmusik in der BRD bis vor zwei Jahren noch bei einem Prozent, melden einige der Verkäufer mittlerweile das Fünf- bis Zehnfache. Deshalb gibt es jetzt schon Spezialisten wie das Nashville Music Studio in Leverkusen, dessen Musiker auf den spezifischen Klang der Steelguitar geeicht sind. Der Kommerz entdeckt eine Klientel, die sich längst gut organisiert hat. So veranstaltet der fünfundvierzigjährige Walter Vogelstein aus Ingolstadt mit seinem Country Music Club Bavaria jetzt zum sechstenmal eine Pilgerfahrt nach Nashville. Aus Wien bedient Country Music Informations die Begierigen mit Platten-Bestellnummern, Liedtexten, Musikanten-Biographien und Lteraturangaben. Vom Münchner MUH bis zum Hamburger Klub Country Castle drängen die Westerner ins folkloristische Programm von etwa sechzig Bühnen. The best of deutscher Westliedkunst ist (für zwanzig Doller Jahresbeitrag) Mitglied der in Hollywood gegründeten Academy oft Country Music. Die Mitgliedsnummer 2608 ziert den dreiunddreißigjährigen Beamten Manfred Vogel aus 2584 Zwesten 3, der hat vorbeugend von drüben einen Stapel Blankoausweise mitgebracht. Er rechnet eben fest damit, daß nach dem Frankfurter Festival diese Musik zum nationalen Kulturgut ausgerufen und damit die Zugehörigkeit zu Good's own country endgültig besiegelt wird. Flohmarkt: Savoir-vivre, etwa zum Weihnachtskaufrausch von 1978
Der schöne Strich «Jebn Se mal her die Kladde, ick schreibe quer», sagte der melancholische Pseudonomiker und zückte sein Schreibgerät. Wer das bei ihm liest, weiß selbstverständlich, daß es sich dabei nur um eine edle Feder gehandelt haben kann, vermutlich eine von Montblanc. ![]() Der Unterschied zwischen einer schlichten Mitteilung und einem von Hand geschriebenen Liebesbrief verhält sich heutzutage wie ein Beförderungsmittel aus digital-elektronisch gesteuertem öffentlichen Personennahverkehr zu einem beschaulicheren Gefährt. Der durch Reklameappli-kationen in der Regel besonders verhäßlichte Kugelschreiber hat die Menschheit nivelliert, und zwar ziemlich nach unten. Wo weder Auf- noch Abstrich sichtbar werden, verliert die Handschrift ihren Charakter, wird aus einem ursprünglich angestrebten Mahl zum Fest ein bei der Nahrungsmittelgroßindustrie erworbenes und immergleichen Hitzewellen ausgesetztes Gemisch aus Widrigkeiten. Der Börsenjobber, der Generaldirektor, der Illuminator der güldenen zwanziger Jahre, zu denen gleich heute die einen tanzten und die Mehrheit hart ackerte, die fixierenden oder memorierenden Zeitgenossen wie etwa Roth oder Tucholsky, die wären mit einem dieser 1927 aus den Hirnwindungen eines Chemikers namens Bruno von Zychlinsky in die Fabrikation übergegangenen kugelig schmierenden Schreibers undenkbar gewesen. Der Mann von Welt ließ (s)eine Edelfeder Striche ziehen. Und die Dame tat es nicht anders. Solch ein feines Gerät wurde gar vererbt. Über meine Frau Maman erreichten mich auf diese Weise ein von ihr in den späten Zwanzigern in London erstandener Parker sowie ein Burnham. Heute wüßte ich gar nicht einmal mehr, in welchem der vielen Kartons auf den Dachböden ich suchen sollte, wo sie samt den anderen, die ich mir im Lauf der Zeit auf der Suche nach der verlorenen zugelegt hatte und mit denen ich meine dreißig und mehr Seiten langen leidenschaftlichen Briefe der Liebe geschrieben habe, vor sich hin antiquieren. Doch ich könnte ohnehin nicht mehr mit ihnen kalligraphieren. Irgendwann hatte ich nämlich begonnen, noch jeden Notizzettel maschinell zu beschriften. Und als mich nach dem Eintritt ins Computerzeitalter mit einem Mal wieder die Lust wenigstens am schönen Schreiben überkam, war die Handschrift dahin. Es war offensichtlich: Das Laufen, das Schwimmen oder das Radfahren verlernt man nicht, der schöne Tintenstrich hingegegen wird zum auslaufenden Modell. Mit viel Mühe wurde im Lauf weiterer Zeit und quasi im Zug einer Reha-Maßnahme aus einer einstmals flotten und stolz aufgerichteten hohen Schrift *, die ich vermutlich ebenfalls von Frau Mutter geerbt hatte, ein nach rechts geneigtes, geradezu bieder wirkendes Gekrakle mit kaum noch sichtbaren Höhen und Tiefen, bei dem die Erbmasse des naturwissenschaftlich orientierten Vaters zu obsiegen schien. Und das alles — das ist die eigentliche Tragik — nur noch mit (weichem!) Bleistift. Es hatte sich ausgekleckst. «Die rechte Hand wird wie ein Tanker in den Hafen gezogen von Lotsen. Die schwere starre Hand. Die bedrückend kalkige Hand. Die Gipshand, die Frustrierhand, die Hand an der Amtskette, weiß von Frustration, die Hand die schreiben kann, die aber von Anfang an nicht zum Schreiben begabt war. Nicht zum Schreiben, nicht zum Stricken, die fleißige Hand, die Schönschreibhand, die 5. Kolonnenhand, aber natürlich auch die Sublimierhand. [...] Auf der einen Seite die Frustrier- & Kulturhand, auf der anderen das Händchen.» ![]()
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