Überkreuzfahrten der popolairen Weltmusik Hätte Mozart nur ein bißchen vom Geschäftssinn eines Eberhard Schoener besessen, er wäre nicht völlig verarmt verscharrt worden. Doch im Einstreichen dürfte der deutsche, mittlerweile offenbar alles Niedergeigende ohnehin eher einem anderen, quicklebendigen, hier oberen Österreicher namens Karajan mental verwandt sein. Das ist keine schlechte Voraussetzung, in die Musikgeschichte einzugehen. Zumal die Medien ihm dabei tatkräftig unter den taktführenden Arm greifen. So entstand im Vorjahr seine Klassik-Rock-Nacht in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk — mit sechs Stunden eines der am längsten andauernden Popkonzerte, das jemals vom deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde und das in halb Europa zu sehen und zu hören war. Am 9. Dezember (1981) sind für Schoener sämtliche dritten Programme reserviert, im Radio gibt's den Stereoton dazu, und immerhin sieben Eurovisions-Stationen übernehmen live die 2. Klassik-Rock-Nacht aus dem Münchner Circus Krone. Als Ouverture wird Bachs Violinen-Solo Chaconne ertönen, gestrichen von dem zweiundsiebzigjährigen Jazzgeiger Stéphane Grappelli. Das eigentliche Gefecht zwischen Bach und Beat findet jedoch unter der Stabführung des hageren Lockenkopfs zwischen Rockgrößen wie Peter Gabriel und John Anderson (Yes) statt. Vangelis läßt elektronische Regenbogen über Joachim Kühns Jazzpreludien steigen, und Esther Ofarim singt über ihre neuen Frühlingsgefühle. Einen Monat später geht der Schoener Eberhard auf eine Tournee durch neun Städte. Unter dem Programmtitel Video Magic in Concert bietet er hundertzwanzig Monitore, sechzehn Musiker, einen Pantomimen, Laser aus der Atom-Steckdose sowie diverse Videoträume und Opernreminiszenzen. Das Glückgefühl, das aus diesem üppig gefüllten Horn über die Zuschauer klanggegossen wird, hat die New York Times mal so formuliert: «Wie auf der Milchstraße zwischen explodierenden Sternschnuppen.» Ein wenig liest sich das wie ein Satz, der sich nach Douglas Adams sehnt. Manche halten den Schoenen für den Köhnlecher des Klanges. Doch der Erfolg spendet ihm unerschütterliches Selbstbewußtsein: «Meine Platten gibt es inzwischen in siebzehn Ländern. Die LP Bali-Agung wird in New Yorks makrobiotischen und vegetarischen Läden als Meditationsmusik verkauft.» Abgerechnet wird direkt mit Manhattan und, das ist das Wesentliche, nicht etwa über das vertrackte Vertriebssystem des US-amerikanischen Phonohandels, sondern direkt mit den Reformkosthändlern. Das darf die Entdeckung einer Marktlücke genannt werden. Das Ei des Kolumbus will der Komponist im Februar nächsten Jahres ausbrüten. Dann dampft Eberhard Schoener mit Filmteam, Orchester und Solisten nach Mexiko ab. Auf dem sanften Berg einer aztekischen Opferstätte soll ein Konzert ohne Zuhörer stattfinden. Wo streng religiöser Kult jegliche Veranstaltung mit Publikum verbietet, werden bei sanftem Sonnenuntergang geheimnisvolle Klänge für Götter und elektronische Konservendosen gen Himmel steigen. Der Trip ins Land der Inka dient außerdem der Jagd auf Peyote. Dieser pilzförmige Kaktus, aus dem die Droge Meskalin gewonnen werden kann, wird nach einem heidnischen Ritual mit Pfeil und Bogen erlegt. Schoener kultiviert die Beute zu einer neuen Platte. Denn Mariachi, das etwas anders als afrikanisch klingende mexikanische Volksmusikgebläse, hat der Bali- und Bangkok-Experte noch nicht in seinem Repertoire des Verkaufbaren. Das Problem dieses Mannes mit tausend und einer Idee: «Was bin ich? Die Leute wissen nur, daß ich alles mache. Aber sie wissen nicht genau, was das alles ist.» Um aus diesem Dilemma herauszukommen, wurde eine Werbeagentur gesucht, um dem Multi-Media-Virtuosen ein ihm angemessenes Image zu verpassen. Ein dreijähriger Aufbauplan sieht vor, den Namen Schoener als Begriff zu etablieren wie etwa Beuys oder Warhol und auf diese Weise «Nachfrage beim Endverbraucher zu schaffen». Der tapfere und kregelige Schwabe Schoener streicht derweil siebenfach: als Dirigent, Komponist, Künstler, Produzent, Regiseur, Texter und Verleger. In seiner Freizeit züchtet er Schafe am Tegernsee und keltert eigenen Rosé auf Elba. Den Rausch holt sich der feinnervige Asket allerdings lieber aus Hollundersüppchen nach altbayerischen Rezepten. Solchermaßen aufgeputscht produziert er in seinem Studio mit Blick auf den Wendelstein «geistiges Haschisch». Das sind recht verblüffende Entwicklungen für einen jungen Violinisten, der 1964 aus dem Orchestergraben der Bayerischen Staatsoper kletterte. Zunächst gründete er ein eigenes Jugend-Symphonieorchester und inszenierte Freiluftopern im Brunnenhof der Münchner Residenz. Doch als er sich mit Elektronik zu beschäftigen begann, da ging's dann in höhere Sphären. Die englische Gruppe Procul Harum von A Whiter Shade of Pale exerzierte vor, was Schoener mit dem Deep Purple-Keyborder Jon Lord auf der gemeinsamen Platte Window nachmachte: Rock meets Classic, eine Kombination, für die der Deutsche später auch noch Musiker wie Sting und Andy Summers, die gerade dabei waren, sich zu einer Police-Einheit zu formieren, Andy Mackay (Roxy Music), Darayl Way (Curved Air) und den Orchester-Zauberer Mike Batt gewinnen konnte. Nebenbei richtete er mit Wilfried Minks das BMW-Museum in München ein, das bereits die beachtliche Einschaltquote von einer halben Million Besucher eingebracht hat. Nun soll ihm die weiß-blaue Autoschmiede auch beim Aufbau einer eigenen Kabelstation behilflich sein, auf daß diese Zukunftsmusik für Schoener schon 1985 wahr wird. Bis dahin wird auch jene Ware fertig sein, mit der er die Unterhaltungsbranche bereichern will: tönende Videobilder, die die herkömmlichen Schallplatten ablösen. Ein Spiel ohne Grenzen, und die deutsche Electrola fröhlicht mit. Plattenchef Wilfried Jung zu diesem Phänomen: «Es gibt gegenwärtig nur zwei Musikleute in Deutschland, auf die man setzen kann.» Meine Frage an den mir gegenübersitzenden Einen: «Wer ist der zweite?» Seine wie (fast) immer charmant gelächelte Entgegnung: «Sagen wir mal so, der letzte war James Last.» Flohmarkt: Savoir-vivre, 1981
Même son de cloche. Same procedure as every year Die Wünsche für ein Gutes Neues Jahr werden einmal mehr und wie alle Jahre wieder auf meine Bitte hin vom feinen Herrn Wendriner erwidert — und richten sich an alle die geschätzten Leser, Schreiber und Denker und, nicht nur der Höflichkeit wegen, auch an die werten BinnenInnen meiner elektrifizierten, möglicherweise aus Ausgeschriebenheit oder auch Einfallslosigkeit oder auch wegen stetig den Höhepunkt anstrebender Unlust inzwischen ziemlich gebremsten Kladde. «Prost Neujahr. Prosit Neujahr, Frollein Richter, Prost Neujahr! Freutel, machen Sie die Tür zu, zum Himmeldonnerwetter! Ach so, die ‹B.Z.›. Prost Neujahr, Schulz. Prost Neujahr!!! Freutel, ich geh mal raus — man ist doch auch nur 'n Mensch ... Das ist ein neues Jahr ... Hier könnt mal gestrichen werden, wie oft hab ich das schon gesagt ... So! Jetzt ist mir der Hosenknopp abgesprungen ... ! Besetzt! Besetzt! Gehn Sie von der Tür weg. Sie könn doch hören, daß besetzt ist! Hach — Locarno-Geist in allen Parlamenten. Paris, den 2. Januar. Wie Havas meldet ... Man ist ein geplagter Mensch. Die einzige ruhige Stunde, die man am Tage hat, is hier draußen —!» Kaspar Hauser Die Weltbühne (via textlog), 05.01.1926, Nr. 1, S. 30 Bonne année ! • Buon Anno! • Feliz Año Nuevo • Glædig nytår • skål • alegría, boa sorte, felicidade, saúde, éxito • Onnellista uutta vuotta • Happy New Year • santé !
Von scharfem Blick Als der Student der Volkswirtschaft Rudolf Kicken gemeinsam mit Wilhelm Schürmann 1974 in Aachen seine Photogalerie Lichttropfen eröffnete, produzierte er ein regionales Sensatiönchen — da war einer, der sich traute, einfach nur Photographien auszustellen. Während sein Freundeskreis ihn unisono noch für verrrückt erklärte, bewegte sich der Vor(aus)reiter strategisch zielstrebig nach vorne. Noch längst nicht einmal zehn Jahre später bestimmt er den europäischen Markt der photographischen Kunst maßgeblich mit — die Betonung liegt gleichwohl auf Handel, weniger auf Kunst. Denn jemand, der sich zum Beispiel für osteuropäische Photographie oder der aus dem Bauhaus interessiert, landet zwangsläufig in der Kölner Albertusstraße 47 — dort residiert der Photogalerist inzwischen.* An den Wänden hängen aber nicht nur die klaren Lichtspielereien des Bauhaus-Künstlers Werner Mantz oder die zeitweise surrealistischen Photographien des Ungarn André Kertesz. Hier gibt es auch die von dem US-Amerikaner Edward Weston im Dünensand recht kulinarisch angerichtete junge Dame zu sehen, für die Kicken in jedem Fall 50.000 Mark haben will — und «wenn das Bild zehn Jahre» bei ihm hängen sollte. Das naheliegend im Galerietrakt befindliche Schlafzimmer ziert sogar eine Photographie im Marktwert von 150.000 Mark. Ansel Adams Moonrise ist sein «röhrender Hirsch», der ihn «in gewissen Stunden vergessen läßt, in Deutschlands häßlichster Stadt wohnen zu müssen». Im lauschigeren Aachener Wald hatte alles angefangen — wie bei Edward Weston mit einer abzulichtenden jungen Frau. Mit einer geliehenen Instamatic wollte er eine Freundin ins Bild setzen. Daraus entwickelte sich eine harmonische Ehe mit der Photographie, wie seine derzeitige Gespielin feststellt. Sie attestiert ihm tatsächlich Besessenheit — zu diesem visuellen Medium, zu ihm allein habe er offenbar «ein erotisches Verhältnis». Diese Beziehung treibt den Kunstmakler, der «aus der kommerziellen Perspektive gesehen auch ganz gut ohne Galerie auskommen könnte», in die verborgensten Winkel der Alten und der Neuen Welt. Auf einer kleinen hawaiischen Insel zum Beispiel kam er vor Jahren einem ehemaligen Assistenten von Edward Steichen auf die Spur. Als das etwas länger andauernde Gespräch vorüber war, hatte Kicken einen Großteil der Arbeiten des 1973 gestorbenen US-amerikanischen Meisters der Lichtbildnerei in der Mappe. Im Austausch gegen gutes Geld selbstverständlich, zu dem der mittlerweile ausgelernte und mit einem Diplom ausgestattete Volkswirt ein mindestens ebenso erotisches Verhältnis hat wie zur Photographie. Allein dafür braucht er zunehmend Geduld — rund die Hälfte des Jahres ist er unterwegs —, um Raritäten in den Sucher zu bekommen, seitdem immer mehr Sammler ihre Optik auf Lichtbildnerei richten. Die Symbiose Kunst und Kommerz geht in dem Kaufmannssproß ideal auf. Die Lehrzeit des Marktbeherrschens begann nämlich bereits in der Kindheit, in der Vater Kicken Sohn Rudolf klarmachte, was eine Mark wert sein kann. Allerdings wich der Junior dem familiaren Baustoffgroßhandel aus, weil er lieber ein großer Künstler werden wollte. Das brachte das Familienoberhaupt zunächst einmal um die Contenenance. Es sah den Sprößling «enden wie einer, der am Strand Touristen photographiert», und drohte deshalb zunächst einmal mit unmittelbarem Zwang, nämlich dem Entzug der Studentenapanage. Scheinbar geläutert siedelte Sohn Rudolf nach Wien um. Doch die längst durchkalkulierte nouvelle vague kam flotter als berechnet über ihn. Als er in einem Café sitzend still über Abwasserröhren sinnierte, verkündete nämlich geradezu schicksalhaft eine Tageszeitung die Eröffnung der Photogalerie Die Brücke. Kicken handelte rasch und, vermutlich in der Erbmasse gut abgelagert, kaufmännisch. Er verhökerte sein Tonbandgerät, kaufte einige Bilder und arbeitete schießlich mit einem Galeristen zusammen. Daß Kicken damals nicht auch noch sein Automibil verhandelte, war intuitiv klug und vorausschauend weise. Denn derart ausgestattet war der Photographie-Eleve geradezu prädestiniert, die illustren Galeriegäste vom Flughafen anzuholen. Eine der Lichtgestalten, die damals Wien ihre Aufwartung machte, die hieß Allan Porter, seinerzeit Chefredakteur von Camera, Anfang der siebziger Jahre die biblia pauperum aller sich nach Gnade sehnenden Photo-Amateure. Und so pilgerte Kicken mit Papas zwar zögerlichem Ja-Wort, aber eben auch mit dessen (Geld-)Segen versehen zum New Yorker Eastman-House, in dem seinerzeit Nathan Leonce residierte, der sich durch die Ausbildung vieler junger Photographen einem Namen gemacht hatte. In dessen Photoklasse kam Kicken jedoch nach zwei Semestern zu der Erkenntnis, daß es «zum berühmten Künstler wohl nie reichen» würde. Also konzentrierte er sich lieber auf die marktwirtschaftliche Komponente seines Daseins, tauschte sein VW-Cabriolet gegen einen schlichteren, dafür rundum schützenden Käfer, der dann zwar das Wasser durchs Bodenblech einströmen ließ, seinen Besitzer aber nicht daran hinderte, anschließend den Blick scharfzustellen während einer halbjährigen Reise durch amerikanische Galerien, Museen und Ateliers. Mehr als hundertausendmal hat er genau hingeschaut. Nie aus dem Blick verloren hat er dabei die günstige Verquickung von Kunst und Markt. Je nach Perspektive: Der Erfolg gibt ihm recht. Der Vater inzwischen auch. Flohmarkt: Savoir-vivre, 1981 * Kicken in Berlin gibt es seit 2000
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