Vom kalten Spaltenfüllen

erzählte ich nebenan bei der immerwährend kopfschüttelnden und rührenden Dame. Wie ich meinen Kontrollmechanismen entnommen habe, interessieren sich einige für das Thema. Es kann allerdings auch die Lust an noch mehr Knigge gewesen sein. Doch mit dem geht man heutzutage schließlich nie fehl.

Da ich also mal wieder im nachhinein nachgedacht habe, kroch durch meine organische Festplatte der Gedanke, vielen könnte der Begriff aus dem Holzmedienchinesischen möglicherweise doch nicht so geläufig sein wie zunächst vermutet. Deshalb trage ich als in den siebziger Jahren mal fest bestallter kalter Spaltenfüller mit Option auf Nachrufe zu Lebzeiten das, auch wegen des einnehmenden kostbaren Platzes, hier nach. (Sollte ich der irrigen Annahme unterlegen und der Sachverhalt dennoch bekannt sein, dann lassen Sie bitte Gnade walten, liebe Kopfschüttlerin. Aber auf jeden Fall dient die Erklärung dann der allgemeinen Aufklärung, der ich als Zeitgenosse Oswald Kolles mich verpflichtet sehe.)

Wird eine Zeitung gestaltet, entstehen des öfteren Löcher, die aufgefüllt sein wollen. In heutigen Zeiten hat das in der Regel einen einfacheren Verlauf, da sich mehr Bilder in den Blättern befinden, die man beliebig vergrößern oder verkleinern kann, so daß entstehende «weiße Flecken» im Layout auf diese Weise ausgeglichen werden können. Entstehen können die allerdings auch dann, wenn ungeplant eine Celebrität oder anders auf sich aufmerksam gemacht habende Person des öffentlichen Lebens vom Himmel kommt oder aber längst nach Anzeigensschluß doch noch eine mit Gewinn winkende Reklame reinkommt, die die alteingessene Verlagsleiterin oder der allzeitbereite alerte Chefredakteur bei der sonnabendlichen Benefiz-Veranstaltung Verlegernachwuchs in Not des Interessenverbandes aus dessen Taschen oder auf dem After Working Seminar Die Elite kniggt nicht ein, veranstaltet vom in den Konzern eingebundenen Partnerschaftsunternehmen, aus dem tiefen Herzen geleiert haben. Das Verhältnis zwischen redaktionellem Anteil und Anzeigenaufkommen ist qua Kodex vorgegeben bei einer auflagengeprüften Zeitung. Wenn man das heutzutage auch nicht mehr allzu genau nimmt und der Teufel in der Not auch schonmal eine PR-Fliege der chemisch-pharmazeutischen vulgo Lebensmittelindustrie zum redaktionellen Greif umformuliert. Der Presserat, nicht zuletzt wegen ständiger Verquickung von Werbung und journalistischen Inhalten, aber auch anderer Kollateralschäden zu Lebzeiten Lieblingsfeind von Hans Pfitzinger, hatte als Tiger irgendwann alle Zähne verloren.

Früher war man mangels lustigen und häufig teureren Bildchen gezwungen, diese Krater mit billigem Text aufzufüllen. So mußten (und müssen bisweilen noch) die Damen und Herren in den Redaktionen, meistens diejenigen, die laut Plan den aktuellen Dienst kurz vor Drucklegung schieben, hier und dort einige Füllwörter einfügen. Ist das Loch zu groß, friemeln sie auch schonmal eine die Seite füllende Belanglosigkeit aus dem sogenannten Stehsatz ein, also in der Schublade auf ihren Einsatz wartende Texte, oder dichtet schlicht etwas hinzu. Dann hat man kalt Spalten gefüllt. Das ist dann das, was die Nachbarin zu Recht als liderlich bezeichnet. Wenn es in unserer schönen neuen bunten Welt derart auch kaum noch wahrgenommen werden dürfte.


Photographie: Transatlantikblog (CC)
 
Sa, 08.01.2011 |  link | (3698) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca



 

Die Liebe in die Hose

oder der Gnadenflick.

Das hat so seine ganz eigenen Arten. Es muß was Sonderbares sein, sie so zu lieben. Im August vergangenen Jahres war ich prächtig amüsiert von Herrn Nniers zauberhaft erzählter Geschichte, die ich fälschlicherweise als Porno bezeichnete, war sie doch reine und feine Erotik, da sie mehr verbarg als nackte Tatsachen zeigte. Und außerdem sollte schließlich das der Maßstab sein: Welcher Schauspieler und Sänger könnte eine Liebe und Hingezogensein zu jemandem heute noch spielen, ohne das ganze auf Sex zu beziehen?

Doch ich hab's dann eben doch getan. Reumütig zitiere ich mich selbst: «Selten bin ich so langsam, so vorsichtig, so behutsam vorgegangen (beim lesen), um zum Höhepunkt zu kommen. Kaum ein Porno ist schöner gewesen als dieser.» Aber ich hatte eben spontan an diesen anderen, vermutlich weniger bekannten Aufklärer Mirabeau gedacht, von dem ich meinte, nur der «könnte da noch mithalten»: «Es schmerzte mich ein wenig, als [...] in mich einführte, ich litt. Doch ich ertrug diesen Schmerz in der Hoffnung auf eine höchst erfreuliche Sensation.» François Bondy empfand das anders oder nicht so sensationell.

Ich will in aller Unverschämtheit die Gelegenheit nutzen und erneut an dieses grandiose Kopfkino erinnern, an diese zwei wunderschönen (aber leider auseinanderfallenden) Dünndruck-Merlin-Bändchen Ausgewählte Schriften* (1970), aus deren im ersten Büchlein enthaltenen Erzählung Lauras Erziehung ich die beiden Sätzlein (Seite 486) zitiert hatte, zu denen ich sofort hingesprungen war, nachdem es (leider) mit Herrn Nniers Sätzen ein Ende gehabt hatte. Alleine die sexual-pschologischen Kommentare der Frau Dr. Johannna Fürstauer, die mir ähnlich mal anderswo begegnet zu sein scheinen, ich meine bei Alphonse Daudet — sogar der Autor der Briefe aus meiner Mühle hat einen über dreihundert Seiten starken Roman titels Sappho verfaßt, in dem der junge Jean Gaussin der älteren Fanny Legrand «zärtlich, lüstern und eigensüchtig» verfällt —, die mir als Verfechterin der Prüderie aufgefallen ist, schlagen Bondy um Längen. Letzerer hat es wohl nicht ertragen, daß einer wie der Abgeordnete Gabriel de Riqueti, Comte de Mirabeau, mal an was anderes gedacht haben könnte als an die einzige Art der Aufklärung. Es ist aber auch typisch für die Zeit, in der man durchaus mit dem Ausschluß aus der Gesellschaft des Fortschritts rechnen mußte, las man anderes als Karl Marx. Aber François Bondy war 1971 bereits ein altersfortgeschrittener Herr. Was nicht heißen soll, daß er nicht auch Lesevergnügen bereiten konnte. Nur eben ein bißchen anders orientiert. Wie auch immer — der großartige und von mir durchaus ein wenig verehrte Verleger Andreas J. Meyer kannte sich (nicht nur) in der abseitigen französischen Literatur bestens aus. Bereits 1960 hatte er ein Verfahren am Hals wegen «Verbreitung unzüchtiger Schriften». Die Staatsanwälte und Richter, die auch anderenorts aktiv wurden, hatten wohl durchweg die Bibel, in deren Namen sie ja häufig klammheimlich mit (be)urteilten, recht selektiv gelesen.

Lauras Erziehung, verfaßt zwischen 1777 und 1781, vorangestellt hatte der Comte de Mirabeau*:
Zieht euch zurück, ihr eifernden Zensoren,
Schließt, Frömmler, Moralisten, Narren, eure Ohren!
Nicht sollt ihr eifernden Megären mit uns rechten,
Hinweg mit euch, ihr Stolzen, Selbstgerechten,
denn dieser Blätter süße Heimlichkeit
ist nie und nimmer euch geweiht.
Neuerlich auf all das gekommen bin ich allerdings über diesen am vergangenen Montag erschienenen, nicht minder köstlichen Blick auf die in die Hose gehende Liebe, durch der geschätzten Nachbarin Gnadenflick. Er stellt eine an die Sterblichkeit erinnernde Variante dieser Gnadenlosen Liebe dar: «Grau ist sie geworden, und dunkel war sie einst, wie dunkel, das lässt der ungebleichte, freie Fleck am Hinterteil erahnen, und lange wird die Hand brauchen, sich zu gewöhnen an eine Tasche weniger, das Alter fordert Tribut und Abschied.» So langsam erschallt (in mir) der Ruf nach einer eigenen literarischen Gattung, die in die Philosophie dieses Alltags greift wie eine Hand beim Hineingleiten in ein Loch ungeahnten Ausmaßes.


* Aus dem Inhaltsverzeichnis des Merlin-Verlags:

Honoré Gabriel Graf von MIRABEAU — AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN — Herausgeberin und Übersetzerin Dr. Johanna Fürstauer, 2 Bände, 596 u. 702 S. Lw. EUR 24,50
ISBN 3-87536-016-8

Seine wohlhabende Frau zwang der heißblütige junge Graf gegen ihren Willen zur Ehe, indem er sie kompromittierte. Als er wenig später wegen seiner Verschwendungssucht und seiner Ausschweifungen inhaftiert wurde, verliebte er sich in die Gattin des Gefängniskommandanten und entführte sie ins Ausland. Dort ernährte er sich von der Abfassung pornographischer Schriften und der Veröffentlichung unerschrockener politischer Pamphlete. Die 2-bändige Dünndruckausgabe bietet eine repräsentative Auswahl dieser Texte.

 
Do, 06.01.2011 |  link | (4183) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino



 

Überkreuzfahrten der popolairen Weltmusik

Hätte Mozart nur ein bißchen vom Geschäftssinn eines Eberhard Schoener besessen, er wäre nicht völlig verarmt verscharrt worden. Doch im Einstreichen dürfte der deutsche, mittlerweile offenbar alles Niedergeigende ohnehin eher einem anderen, quicklebendigen, hier oberen Österreicher namens Karajan mental verwandt sein. Das ist keine schlechte Voraussetzung, in die Musikgeschichte einzugehen. Zumal die Medien ihm dabei tatkräftig unter den taktführenden Arm greifen.

So entstand im Vorjahr seine Klassik-Rock-Nacht in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk — mit sechs Stunden eines der am längsten andauernden Popkonzerte, das jemals vom deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde und das in halb Europa zu sehen und zu hören war. Am 9. Dezember (1981) sind für Schoener sämtliche dritten Programme reserviert, im Radio gibt's den Stereoton dazu, und immerhin sieben Eurovisions-Stationen übernehmen live die 2. Klassik-Rock-Nacht aus dem Münchner Circus Krone. Als Ouverture wird Bachs Violinen-Solo Chaconne ertönen, gestrichen von dem zweiundsiebzigjährigen Jazzgeiger Stéphane Grappelli. Das eigentliche Gefecht zwischen Bach und Beat findet jedoch unter der Stabführung des hageren Lockenkopfs zwischen Rockgrößen wie Peter Gabriel und John Anderson (Yes) statt. Vangelis läßt elektronische Regenbogen über Joachim Kühns Jazzpreludien steigen, und Esther Ofarim singt über ihre neuen Frühlingsgefühle.

Einen Monat später geht der Schoener Eberhard auf eine Tournee durch neun Städte. Unter dem Programmtitel Video Magic in Concert bietet er hundertzwanzig Monitore, sechzehn Musiker, einen Pantomimen, Laser aus der Atom-Steckdose sowie diverse Videoträume und Opernreminiszenzen. Das Glückgefühl, das aus diesem üppig gefüllten Horn über die Zuschauer klanggegossen wird, hat die New York Times mal so formuliert: «Wie auf der Milchstraße zwischen explodierenden Sternschnuppen.» Ein wenig liest sich das wie ein Satz, der sich nach Douglas Adams sehnt.

Manche halten den Schoenen für den Köhnlecher des Klanges. Doch der Erfolg spendet ihm unerschütterliches Selbstbewußtsein: «Meine Platten gibt es inzwischen in siebzehn Ländern. Die LP Bali-Agung wird in New Yorks makrobiotischen und vegetarischen Läden als Meditationsmusik verkauft.» Abgerechnet wird direkt mit Manhattan und, das ist das Wesentliche, nicht etwa über das vertrackte Vertriebssystem des US-amerikanischen Phonohandels, sondern direkt mit den Reformkosthändlern. Das darf die Entdeckung einer Marktlücke genannt werden.

Das Ei des Kolumbus will der Komponist im Februar nächsten Jahres ausbrüten. Dann dampft Eberhard Schoener mit Filmteam, Orchester und Solisten nach Mexiko ab. Auf dem sanften Berg einer aztekischen Opferstätte soll ein Konzert ohne Zuhörer stattfinden. Wo streng religiöser Kult jegliche Veranstaltung mit Publikum verbietet, werden bei sanftem Sonnenuntergang geheimnisvolle Klänge für Götter und elektronische Konservendosen gen Himmel steigen. Der Trip ins Land der Inka dient außerdem der Jagd auf Peyote. Dieser pilzförmige Kaktus, aus dem die Droge Meskalin gewonnen werden kann, wird nach einem heidnischen Ritual mit Pfeil und Bogen erlegt. Schoener kultiviert die Beute zu einer neuen Platte. Denn Mariachi, das etwas anders als afrikanisch klingende mexikanische Volksmusikgebläse, hat der Bali- und Bangkok-Experte noch nicht in seinem Repertoire des Verkaufbaren.

Das Problem dieses Mannes mit tausend und einer Idee: «Was bin ich? Die Leute wissen nur, daß ich alles mache. Aber sie wissen nicht genau, was das alles ist.» Um aus diesem Dilemma herauszukommen, wurde eine Werbeagentur gesucht, um dem Multi-Media-Virtuosen ein ihm angemessenes Image zu verpassen. Ein dreijähriger Aufbauplan sieht vor, den Namen Schoener als Begriff zu etablieren wie etwa Beuys oder Warhol und auf diese Weise «Nachfrage beim Endverbraucher zu schaffen».

Der tapfere und kregelige Schwabe Schoener streicht derweil siebenfach: als Dirigent, Komponist, Künstler, Produzent, Regiseur, Texter und Verleger. In seiner Freizeit züchtet er Schafe am Tegernsee und keltert eigenen Rosé auf Elba. Den Rausch holt sich der feinnervige Asket allerdings lieber aus Hollundersüppchen nach altbayerischen Rezepten. Solchermaßen aufgeputscht produziert er in seinem Studio mit Blick auf den Wendelstein «geistiges Haschisch».

Das sind recht verblüffende Entwicklungen für einen jungen Violinisten, der 1964 aus dem Orchestergraben der Bayerischen Staatsoper kletterte. Zunächst gründete er ein eigenes Jugend-Symphonieorchester und inszenierte Freiluftopern im Brunnenhof der Münchner Residenz. Doch als er sich mit Elektronik zu beschäftigen begann, da ging's dann in höhere Sphären.

Die englische Gruppe Procul Harum von A Whiter Shade of Pale exerzierte vor, was Schoener mit dem Deep Purple-Keyborder Jon Lord auf der gemeinsamen Platte Window nachmachte: Rock meets Classic, eine Kombination, für die der Deutsche später auch noch Musiker wie Sting und Andy Summers, die gerade dabei waren, sich zu einer Police-Einheit zu formieren, Andy Mackay (Roxy Music), Darayl Way (Curved Air) und den Orchester-Zauberer Mike Batt gewinnen konnte. Nebenbei richtete er mit Wilfried Minks das BMW-Museum in München ein, das bereits die beachtliche Einschaltquote von einer halben Million Besucher eingebracht hat.

Nun soll ihm die weiß-blaue Autoschmiede auch beim Aufbau einer eigenen Kabelstation behilflich sein, auf daß diese Zukunftsmusik für Schoener schon 1985 wahr wird. Bis dahin wird auch jene Ware fertig sein, mit der er die Unterhaltungsbranche bereichern will: tönende Videobilder, die die herkömmlichen Schallplatten ablösen. Ein Spiel ohne Grenzen, und die deutsche Electrola fröhlicht mit. Plattenchef Wilfried Jung zu diesem Phänomen: «Es gibt gegenwärtig nur zwei Musikleute in Deutschland, auf die man setzen kann.» Meine Frage an den mir gegenübersitzenden Einen: «Wer ist der zweite?» Seine wie (fast) immer charmant gelächelte Entgegnung: «Sagen wir mal so, der letzte war James Last


Flohmarkt: Savoir-vivre, 1981
 
Mi, 05.01.2011 |  link | (3573) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ohrensausen



 







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