Das Huhn zum Sonntag



EIN EITLES Huhn traf im Garten eine Kröte. Die Kröte begann sich auf- und aufzublasen, um so groß zu werden wie das Huhn. «Paß auf», sagte dieses, «daß es dir nicht wie dem Frosch ergeht, der so groß werden wollte wie der Ochse.» «Ich weiß», sagte die Kröte, «aber hier handelt es sich nicht um einen Frosch und einen Ochsen, sondern um eine Kröte und ein Huhn.» Und die Kröte blies sich weiter auf, und blies und blies und wurde größer als das Huhn.
Bei Luigi Malerba schleicht sich der Verdacht ein, er habe zwischen seinem Zeilengefieder die These versteckt, das Huhn als solches sei mindestens so zivilisiert wie diejenigen, die es in Batterien halten. So kann man aus diesem tierischen Kompendium der tieferen Psychologie einiges über die Spezies Mensch erfahren, zum Beispiel dies:
Ein römisches Huhn ging unter dem Konstantinsbogen hindurch, aber es empfand keinerlei besondere Gemütsbewegung dabei. Es ging ein zweites Mal hindurch, und wieder war es enttäuscht. Es fragte sich, warum Konstantin diesen Bogen wohl hatte bauen lassen, um dann drunter durch zu gehen.
Es gibt eben nicht nur Sonntags-Hühner ...

Luigi Malerba
Die nachdenklichen Hühner
131 kurze Geschichten
Aus dem Italienischen von Elke Wehr
Mit Zeichnungen von Matthias Koeppel
Wagenbach, Berlin 1984

Flohmarkt: savoir-vivre 1984

 
So, 03.04.2011 |  link | (3682) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino



 

Chinesisch-amerikanischer Kulturaustausch

Wieder(ge)sehen

Cosmo Vitelli, Besitzer eines Sunset-Nachtclubs, hat die letzte Rate für sein Unternehmen an den Kredithai gezahlt. Um das Ereignis gebührend zu feiern, besucht er eine Spielhölle. Es geht schief, er unterschreibt einen Schuldschein über 113.000 Dollar, die er jedoch nicht zahlen kann. Bargeld steckt er immer gleich in seinen Club, in dem neben den Tänzerinnen noch ein grotesker Mister Sophistication Provinzler und manchmal einen verirrten Geschäftsmann platt unterhalten. Vitelli soll seine Schulden ‹abarbeiten›, einen chinesischen Buchmacher umbringen: «Nur einen Chinesen!» Nach anfänglichem Zögern wird er schließlich handgreiflich von dieser für ihn einzigen Lösungsmöglichkeit überzeugt. Kriegserfahren schleicht er sich in die unmittelbare Nähe des stark bewachten Chinesen. Der sagt noch «Ich war ein schlechter Mensch», und Cosmo ist seine Schulden zunächst mal los. Da er jedoch auch noch einige der Leibwächter des Chinesen erschießt, ist er der kriminellen Spielhöllenclique ein zu großer Risikofaktor geworden. Es sterben noch einige, Cosmo jedoch nicht. Zwar verliert er seine Freundin, eine der Tänzerinnen seines Clubs, da deren Mutter Angst vor der Polizei hat, aber er hat ja noch seinen Nachtclub, und den liebt er. Und sonst gar nichts. Dorthin geht er und sagt, wie üblich, die letzte Nummer selbst an.

Das klingt zunächst alles nach Massen-Krimi-Produktion à la USA. Hollywood ist es auch, aber eher aus der Gegenrichtung, also ebenfalls spannend, aber ruhiger, erzählerischer. Doch es geht Cassavetes ohnehin nicht um diese eher schlichte Geschichte. Es geht ihm um das Milieu und um die Person des Cosmo Vitelli, den er mit psychologischer Sorgfalt und Feinfühligkeit ebenso zeichnet wie diesen somnambulen Glitterkosmos, in dem der ein kleines Reich beherrscht. Eine gedimmte Welt ist das, deren Nachtbeleuchtung kein genaues Erkennen der Hintergründe mehr zulassen will; eine, in der Höflichkeit verkommen ist zum Bruderkuß vor dem Dolchstoß in den Rücken; eine, in der die Masse Mensch längst zur Masse Ware reduziert ist. Die Optik von Cassavetes ist identisch mit dem Schummerlicht dieser Nachtwelt: knapp vor der absoluten Dunkelheit; Farben, wie man sie nur sieht, wenn man sich eine Zeitlang in solcher Umgebung aufgehalten hat, an die man sich eben erst langsam gewöhnen muß. Diese Spannung hat John Cassavetes mit genauester Ungenauigkeit gemalt. Die Kamera von Fred Elmes und Mike Ferris hat genau den Blickwinkel dieser unterhalb eines wohlanständigen Lebens treibenden Menschen, das jedoch nicht minder seine Ordnung hat.

Ben Gazzara spielt den Hüter seiner selbstgeschaffenen Realität fast literarisch konzis. Sein Gesicht zeigt immer die Anspannung solchen Lebens, seine schauspielerische Leistung läßt Cassavetes' Absicht, diese scheinbar traumhaft dahintreibende ‹andere› Wirklichkeit einer völlig materialisierten Welt zu zeigen, geradezu plastisch werden.

Ein Ausschnitt US-amerikanischen Nachtlebens, wie es über die Massenproduktionen zwar hektisch und laut, aber letztlich einförmig und -tönig vermittelt wird, ein Land eben, das auch nur über begrenzten Möglichkeiten zu verfügen scheint. Cassavetes eigenartiger Film mit außergewöhnlichen Schauspielern zeigt jedoch auf eine still-aufregende Weise, daß es es filmisch noch ein anderes Amerika gibt, sogar im Norden des Kontinents.

Mord an einem chinesischen Buchmacher
(The Killling of a Chinese Bookie)
Drehbuch und Regie: John Cassavetes
Kamera: Fred Elmes, Mike Ferris; Musik: Anthony Harris; Länge: 3.100 m (115 Min.); USA 1976
Darsteller: Ben Gazzara, Robert Philips, Meade Roberts, Azizi Johari

Abbildung: © Koch Media Deutschland GmbH

Flohmarkt: savoir-vivre 1977

 
Fr, 01.04.2011 |  link | (2268) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kamerafahrten



 

Apo-Opa aus der parlamentarischen Opposition

Ich meine, es wäre Kurt Kister in der gestrigen Süddeutschen Zeitung gewesen, der in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen hat, daß die in den letzten Jahren besonders gerne von alerten Anfangsvierzigern geschmähten Achtundsechziger etwas in Bewegung gebracht haben. Ich finde den Text nicht, dafür ist mir ein anderer von ihm untergekommen, mit einer Überschrift, von der ich ohne weiteres geschworen hätte, sie wäre von mir: Die grüne Milieu-FDP. Sei's drum, ich hatte meinen Lieblings-Tucholsky schließlich seit längerem nicht mehr: Es gibt keinen Neuschnee. Bei mir wäre ohnehin lediglich mal wieder Friedrich Karl Waechter zu zitieren gewesen. Und hier wurde es auch noch vom Chefredakteur der nach der vierbuchstabigen Schmierenpostille zweitauflagenstärksten deutschen Tageszeitung notiert. Außerdem schätze ich den Autor Kister seit seinen in ihrer Subtilität teilweise brillanten Kolumnen Anfang der Achtziger.

Doch ein paar Jahre Lebenserfahrung scheinen ihm in seiner Verteidigung des Umfelds des Apo-Opas Kretschmann dann doch zu fehlen, oder er ist mittlerweile auch auf den Pfad der Altersweisheit geraten, weshalb er ein paar Ursachen dafür unter den Tisch fallen läßt, die in den achtziger Jahren zur Zeit der Gründung der Grünen nicht nur bei mir nicht unerhebliche Abwehrreaktionen hervorgerufen haben und die jetzt fröhliche Urständ zu feiern scheinen. Nicht eben wenige hielten den sich seinerzeit formierenden Wurmfortsatz der Außerparlamentarischen Opposition für unwählbar, nicht unbedingt wegen seiner Häkeleien während der Vereinsversammlungen, sondern vor allem, weil sich von den Rändern her allerhand an Mysteriösem mit eingebracht hat in das, was mittlerweile als neue Mitte bezeichnet werden darf. Besonders verdächtig hatten sich dabei die Eigner der Kähne gemacht, die am Rand dieses Moorteichs aus verschiedenen Ursuppen offenbar abwartend dümpelten, bis sie hineingeholt würden ins Zentrum. Nicht nur Sektierer waren das, sondern durchaus auch solche, die politisch aus einer geographischen Richtung kamen, aus der für einige vielleicht Erleuchtung, unserer Erachtens aber keineswegs Erhellung kam. Und unter Aufklärung verstanden wir zu dieser Zeit eben nicht allein Oswald Kolle, uns stand nach der schrecklichen Totalverdunklung eher nach mehr Licht im Sinne des siècle de la lumière, deren Vertreter übrigens, im Gegensatz zur heutigen landläufigen Meinung, keineswegs alleine a-, sondern teilweise durchaus theistisch gelagert waren, aber in jedem Fall skeptisch das Licht der Erkenntnis leuchten ließen.

Innerhalb dieses Glashauses, in dem ich saß, befanden sich zugestandenermaßen auch nicht allzuviele von denen, die Quirinus sicherlich nicht ganz zu unrecht, aber eben genauso falsch, weil unvorgehoben als rationale Denker bezeichnet. Sicher gab es die auch, aber wir hatten zu denen weniger Kontakt, wir waren eher die den brotlosen Künsten Zugewandten, die in Laberfächern ihre Intelligenz verschwendeten; unter ihnen auch solche, die innerhalb der Gesellschaften der Ethik mehr Raum gewähren wollten, weil sie der Meinung waren, Religion via deren Moral könnte das Blickfeld einengen. Diese Art von Rationalisten, die sich die Begriffe zurechtbogen wie sie sie gerade brauchten, suchten damals schon Schutz unter den Fittichen einer schwarzen, manchmal gelblich ondulierten Glucke. Am Beispiel Architektur und Städtebau habe ich diesen Mißbrauch mal beschrieben. Mit Vernunft hat das nichts zu tun. Aber in der Sprache des monetären Wachstums wird dieses Wörtchen ebenfalls ständig vergewaltigt. Auch der Begriff Toleranz hat einige aus dem Hinterhof kommende Bedeutungen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Mittlerweile ertappe ich mich immer öfter bei dem Gedanken, es könnte vielleicht besser sein, auch an den Grünen hätte sich nichts geändert. Wenigstens nicht soviel, weil mir die früheren insofern genehmer waren, als mit ihnen leichter über das geistige Individuum zu reden war. Aber dem ist nicht mehr so. Zwar sind sie mir immer noch lieber als dieser ganze Politadel samt Hofstaat, vor allem für mein linksrheinisches Revier wünsche ich mir mehr davon. Doch die deutschen Verts streben den Status einer Volkspartei an, auch wenn vielen von ihnen in erster Linie das eigene Wohl näher ist, das sich gerne in Gemeindefeierlichkeiten zelebriert. Das ist mir nicht geheuer. Und obendrein: das mit Partei und Volk, das sind Begriffe, die mir ohnehin seit je Unbehagen verursachen, weil ich dabei das Völkische assoziiere.

Nun ja, ich gehöre zu denen, die's mit den Massen nicht so haben. Zwar marschiere ich mit, quasi aus Tradition, aber im großen und ganzen benötige ich keine Fahnen und Banner und schon gar keine Messen nicht nur digitaler Bohème, um in eine solidarische Breite denken zu können. Mir sind die kleinen analogen Kreise lieber, innerhalb derer sich gemütlich sitzen, hölzerne Bauklötzchen staunen und plaudern oder auch debattieren läßt. Es gibt Menschen, die mich gerne aussortieren oder in die Gummizelle sperren möchten, weil es mir an Gemeinschaftsdenken mangelt, etwa da mich Hürden wie etwa die der deutschen fünf Prozent stören und mir Weimarer Verhältnisse demokratischer erscheinen als Zusammenballungen wie beispielsweise Paraden der Freikörperkultur, bei denen es auch schonmal vorkommt, daß ein ganzes Volk oder ganze Völker unter Ketten und Räder geraten.

Jetzt wird also im Verbund der Badener und der Schwaben einer regieren, der, ich hatte es bereits erwähnt, neusprachlich daherkommend als wertkonservativ bezeichnet wird. Altachtundsechziger, Kommunist, Maoist — bitte, geschätzter Kurt Kister, das war der heutige Meßschreiber des aktuellen Oberschafhirten auch. Wen hat man denn in Baden-Württemberg tatsächlich gewählt? Zunächst einmal hat man sich, was völlig in Ordnung ist, gegen Atomkraft und einen tieferzulegenden Bahnhof gewandt. Aber dann: als einen Dirigenten eines einst ziemlich kakophonischen, aber immer einstimmiger werdenden Orchesters einen von denen, die mir seinerzeit bereits wenig behagten, weil ihnen die Freiheit des einzeln Denkenden nicht unbedingt als höchstes Gut galt. Der Mann ist nicht wert-, sondern erzkonservativ, nicht nur, weil er stockkatholisch ist. Hätte die CDU auch nur ein bißchen auf des Volkes Stimmen gehört und denen der Natur gelauscht, hätte sie einen der ihren unter ihr Kirchendach bekommen und den dann innerparteilich wählen können. Ein Grüner wäre das mit Sicherheit nicht geworden, und auch kein Roter. Der Neubeuerner Chorleiter fällt mir dabei ein, dem ebenfalls das Gute im Menschen frommt. Der hatte zu Gründungszeiten der Grünen beispielsweise einen weiteren «Verursacher beträchtlicher ‹Flurschäden› im Visier» hatte. Er setzte das damals gleich mit dem Bau beispielsweise des Rhein-Main-Donau-«Altars». Von Kernkraftwerken sagte er nichts, obwohl es Anfang der Achtziger auch in Bayern bereits einige gab. Während unsereiner bereits in den Siebzigern einen gewaltigen Schrecken bekommen hatte, als in den USA sich so ein Gerät energisch entlud.

Aber Baden-Württemberg kriegt ja nun einen Chorleiter mit kommuni-, gar maoistischer Erfahrung, die dem Franken nun wirklich völlig abging. Da wird das aus einstigem Hilfe- zum Jubel- oder Heilsruf gewandelte Hosiannah vielleicht nicht so hochkulturell, aber auf jeden Fall mehr nach Gemeinschaft unter schlichtem Dach klingen.

Eine der beliebtesten Parolen spontan und fröhlich gesinnter Menschen lautete etwa bis zur Gründungszeit der Grünen:

Es gibt viel zu tun. Warten wir's ab.



 
Di, 29.03.2011 |  link | (3594) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 







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