Ein (klein) wenig Abbitte Gestern habe ich getan, was ich ansonsten vermeide: Ich habe mir eine Talgshow, wie der aus Franken stammende Hans Pfitzinger selig diese Quasselrunden genannt hat, angesehen und angehört. Gegebener Anlaß war meine kürzlich erfolgte Abwertung von Ina Müller. Es mußte doch einen Grund dafür gegeben haben, daß ich mich vor weit mehr als zehn Jahren auf Sylt so vernarrt hatte in die damalige Bienenkönigin, daß ich der beiden Mädels CD sogar kaufte und anhörte; nicht nur Hafencafé lausche ich heute noch hin und wieder veträumt, und wenn sie insulanerisch singt, möchte ich geradewegs übers Watt den Hindenburgdamm entlang auf ein Krabbensüppchen ins List der Neunziger rauschen. So sehr kann sich, meinte ich, ein Mensch schließlich dann doch nicht zu seinem Nachteil verändern. Einen Beleg dafür erhoffte ich mir über diese Sendung. Dem war so. Sie hat mich tatsächlich ein wenig entschädigt für meinen erzwungenen Abfall vom Glauben an sie, für all das Geschreische, das sie über mich geschickt hat in letzter Zeit. Das werde ich mir auch weiterhin nicht antun. Aber ich bin mit ihr als Person immerhin wieder so lieb wie einst im Frühling meiner fröhlichen Triebe. Allerdings frage ich mich nach wie vor, weshalb von ihrem gestern vermittelten Charme, ihrer Ruhe, Klar- und Klugheit in diesen volkstümlichen, arg lauten Nächten mit ihr als Hauptakteuse, die mich bereits mit ihren Ankündigungen vertrieben haben und auf die nun auch noch eine Wünsch Dir Deinen NDR-Nacht mit Ina draufgesetzt wird, so wenig zu hören ist. Die Antwort könnte in der Skizze eines ihrer «Fans» zu finden sein, dessen Bewertungskriterien sie darstellte. Seit sie diesen Kurzhaarschnitt trage, habe er ihr geschrieben, seien ihre Sendungen ganz schlimm geworden. Diese Niveaulierung deckt sich dann wiederum mit meinen Beobachtungen der letzten Zeit. Dabei scheint deutlich zu werden: Der Schädling an der Gesellschaft bin letzten Endes ich, der ich offensichtlich nicht mehr in der Lage oder wegen meines unheilbaren Altersstarrsinns nicht bereit bin, Veränderungen im allgemeinen Qualitätsbewußtsein wahrzunehmen und zu akzeptieren. Na gut, dann bleibe ich eben zurück im Altenheim meiner stillen Erinnerung.
Das Huhn zum Sonntag EIN EITLES Huhn traf im Garten eine Kröte. Die Kröte begann sich auf- und aufzublasen, um so groß zu werden wie das Huhn. «Paß auf», sagte dieses, «daß es dir nicht wie dem Frosch ergeht, der so groß werden wollte wie der Ochse.» «Ich weiß», sagte die Kröte, «aber hier handelt es sich nicht um einen Frosch und einen Ochsen, sondern um eine Kröte und ein Huhn.» Und die Kröte blies sich weiter auf, und blies und blies und wurde größer als das Huhn.Bei Luigi Malerba schleicht sich der Verdacht ein, er habe zwischen seinem Zeilengefieder die These versteckt, das Huhn als solches sei mindestens so zivilisiert wie diejenigen, die es in Batterien halten. So kann man aus diesem tierischen Kompendium der tieferen Psychologie einiges über die Spezies Mensch erfahren, zum Beispiel dies: Ein römisches Huhn ging unter dem Konstantinsbogen hindurch, aber es empfand keinerlei besondere Gemütsbewegung dabei. Es ging ein zweites Mal hindurch, und wieder war es enttäuscht. Es fragte sich, warum Konstantin diesen Bogen wohl hatte bauen lassen, um dann drunter durch zu gehen.Es gibt eben nicht nur Sonntags-Hühner ... Luigi Malerba Die nachdenklichen Hühner 131 kurze Geschichten Aus dem Italienischen von Elke Wehr Mit Zeichnungen von Matthias Koeppel Wagenbach, Berlin 1984 Flohmarkt: savoir-vivre 1984
Chinesisch-amerikanischer Kulturaustausch Wieder(ge)sehen Cosmo Vitelli, Besitzer eines Sunset-Nachtclubs, hat die letzte Rate für sein Unternehmen an den Kredithai gezahlt. Um das Ereignis gebührend zu feiern, besucht er eine Spielhölle. Es geht schief, er unterschreibt einen Schuldschein über 113.000 Dollar, die er jedoch nicht zahlen kann. Bargeld steckt er immer gleich in seinen Club, in dem neben den Tänzerinnen noch ein grotesker Mister Sophistication Provinzler und manchmal einen verirrten Geschäftsmann platt unterhalten. Vitelli soll seine Schulden ‹abarbeiten›, einen chinesischen Buchmacher umbringen: «Nur einen Chinesen!» Nach anfänglichem Zögern wird er schließlich handgreiflich von dieser für ihn einzigen Lösungsmöglichkeit überzeugt. Kriegserfahren schleicht er sich in die unmittelbare Nähe des stark bewachten Chinesen. Der sagt noch «Ich war ein schlechter Mensch», und Cosmo ist seine Schulden zunächst mal los. Da er jedoch auch noch einige der Leibwächter des Chinesen erschießt, ist er der kriminellen Spielhöllenclique ein zu großer Risikofaktor geworden. Es sterben noch einige, Cosmo jedoch nicht. Zwar verliert er seine Freundin, eine der Tänzerinnen seines Clubs, da deren Mutter Angst vor der Polizei hat, aber er hat ja noch seinen Nachtclub, und den liebt er. Und sonst gar nichts. Dorthin geht er und sagt, wie üblich, die letzte Nummer selbst an. Das klingt zunächst alles nach Massen-Krimi-Produktion à la USA. Hollywood ist es auch, aber eher aus der Gegenrichtung, also ebenfalls spannend, aber ruhiger, erzählerischer. Doch es geht Cassavetes ohnehin nicht um diese eher schlichte Geschichte. Es geht ihm um das Milieu und um die Person des Cosmo Vitelli, den er mit psychologischer Sorgfalt und Feinfühligkeit ebenso zeichnet wie diesen somnambulen Glitterkosmos, in dem der ein kleines Reich beherrscht. Eine gedimmte Welt ist das, deren Nachtbeleuchtung kein genaues Erkennen der Hintergründe mehr zulassen will; eine, in der Höflichkeit verkommen ist zum Bruderkuß vor dem Dolchstoß in den Rücken; eine, in der die Masse Mensch längst zur Masse Ware reduziert ist. Die Optik von Cassavetes ist identisch mit dem Schummerlicht dieser Nachtwelt: knapp vor der absoluten Dunkelheit; Farben, wie man sie nur sieht, wenn man sich eine Zeitlang in solcher Umgebung aufgehalten hat, an die man sich eben erst langsam gewöhnen muß. Diese Spannung hat John Cassavetes mit genauester Ungenauigkeit gemalt. Die Kamera von Fred Elmes und Mike Ferris hat genau den Blickwinkel dieser unterhalb eines wohlanständigen Lebens treibenden Menschen, das jedoch nicht minder seine Ordnung hat. Ben Gazzara spielt den Hüter seiner selbstgeschaffenen Realität fast literarisch konzis. Sein Gesicht zeigt immer die Anspannung solchen Lebens, seine schauspielerische Leistung läßt Cassavetes' Absicht, diese scheinbar traumhaft dahintreibende ‹andere› Wirklichkeit einer völlig materialisierten Welt zu zeigen, geradezu plastisch werden. Ein Ausschnitt US-amerikanischen Nachtlebens, wie es über die Massenproduktionen zwar hektisch und laut, aber letztlich einförmig und -tönig vermittelt wird, ein Land eben, das auch nur über begrenzten Möglichkeiten zu verfügen scheint. Cassavetes eigenartiger Film mit außergewöhnlichen Schauspielern zeigt jedoch auf eine still-aufregende Weise, daß es es filmisch noch ein anderes Amerika gibt, sogar im Norden des Kontinents. Mord an einem chinesischen Buchmacher (The Killling of a Chinese Bookie) Drehbuch und Regie: John Cassavetes Kamera: Fred Elmes, Mike Ferris; Musik: Anthony Harris; Länge: 3.100 m (115 Min.); USA 1976 Darsteller: Ben Gazzara, Robert Philips, Meade Roberts, Azizi Johari Abbildung: © Koch Media Deutschland GmbH Flohmarkt: savoir-vivre 1977
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