Eurogrenzwertig

Nicht nur der jede freie Billigflugminute an Ballermanns Sangria-Saugtöpfen verbringende Urlaubsbürger, der nie auf die Idee käme, auch nur einen grenzüberschreitenden Schritt in dieses gräßlich langweilige Dänemark zu tun, regt sich darüber auf. Diese Blättchen vierbuchstabiger grenzwertiger Geisteshaltung, darunter die den zurückgebliebenen Rest der SPD vollsabbernde MoPo, tröten einschaltquotentechnisch mit, um wirklich alle erdenklichen Europa-Aggressionen zu schüren, und seien sie noch so argumentationsfrei. Ebenso nicht wenige volksnahe Politiker stoßen aus ebendiesen plausiblen Gründen ins selbe Horn: Die Reisefreiheit muß gewahrt bleiben! So ist das mit der Freiheit. Man muß es den Gehirnen der Leutchen nur reinstopfen wie einer Gans aus dem schönen Périgord via Trichter direkt in die Leber, dann werden sie's schon glauben. Sie glauben ja auch, daß im Gegensatz zur Foie Gras-Produktion und deren «grausamer Zwangsernährung» das tägliche Kilo Rind- oder Schweinefleisch für ein bis drei Euro neunundneunzig nichts mit Menschen- oder Tierquälerei zu tun hat. Ich erinnere daran: Nichtwissen wird auch Glauben genannt.

Das zwangsernährungsfreundliche Frankreich war wahrscheinlich das erste Land, das die Schlagbäume zu Deutschland angehoben hat. Verständlich, es hat schließlich bereits die Montanunion massiv betrieben. Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis ich das erste Mal von freundlichen Douaniers angehalten und kontrolliert worden bin — im Landesinneren. Dänemark gab die begrenzte Freiheit um einiges später auf. Dennoch sollte es nicht lange dauern, bis ein ebenfalls immer freundlcher, aber bestimmter Zollbeamter weit drinnen im Binnenland bis hin zum Inhalt der Zahnpastatube in einem einstündigen Procedere aber auch wirklich alles einer allergenauesten Untersuchung unterzog und zwar, im Gegensatz zu seinen französischen Kollegen, die offensichtlich lediglich potentiellen psychogenen Räuschlein auf der Spur waren, einschließlich der Papiere. «Es wird keine Pass- oder Personenkontrollen geben», meinte der dänische Minister für Integration. «Wir haben viele Probleme mit grenzüberschreitender Kriminalität und wir denken, dass wir durch strengere Zollkontrollen innerhalb von Schengen in der Lage sein werden, einige dieser Probleme zu lösen.» Der Nordschleswiger, die deutschsprachige Tageszeitung in Dänemark, bestätigt indessen meine Erfahrung: «Der Grenzraum wird bereits heute durch eine Schleierfahndung von Polizei- und Zollbehörden engmaschig und weiträumig überwacht. Deshalb ist es absolut überflüssig, dass die dänische Regierung künftig wieder feste Zollkontrollen an den Grenzübergängen einrichten will. Der einzige Grund für diese Überwachung ist, dass die Regierung die Stimmen der DF [Dansk Folkeparti] braucht, um ihr Haushaltskonsolidierungspaket zu beschließen.»

Sie sind für mich und andere ohne jeden Zweifel schreckenerregend, diese ganzen national- und glaubensgesinnten, überwiegend wissensfreien Politiker der sogenannten Splitterparteien. Doch wo war die große Aufregung, als Signore Presidente Berlusconi einfach diesen ganzen Untermenschen aus Afrika einen Freifahrtschein ausstellte, um sie an den Kollegen Monsieur le Président Sarkozy loszuwerden, worauf der prompt die Schlagbäume wieder runterlassen wollte? Sind die Forza Italia beziehungsweise die Popolo della Libertà, die Union pour un movement populaire Splitterparteien? Und es gibt noch ein paar andere politische Formationen innerhalb der Europäischen Union, die es, wie etwa die regierende Ungarns, mit der (geistigen) Freiheit nicht so eng sehen. Nicht zuletzt erwähnenswert erscheint mir anläßlich der nordischen Geschehnisse auch die Argumenation von Martin Marheinke:
«Trotz einiger Besonderheiten — zu denen auch die wichtige Rolle, die Fragen der nationalen kulturellen Identität in Dänemark im Vergleich zu Deutschland einnehmen, gehört — sind ‹dänische Verhältnisse› auch in anderen Staaten Europas gar nicht so unwahrscheinlich. Man stelle sich nur einmal vor, im deutschen Bundestag säße eine rechtspopulistische Partei, vielleicht vom Schlage der glücklicherweise verblichenen ‹Schill-Partei›, und die Regierung Merkel wäre darauf angewiesen, sich von den ‹Rechten› tolerieren zu lassen.
Ich gehe jede Wette ein, dass wir kurz über lang Ausländergesetze vom ‹dänischen Zuschnitt›, wenn nicht noch schärfer, hätten — und diese Gesetze bei einer soliden Mehrheit der Deutschen populär sein könnten.
Dass das bei österreichischen Regierungen mit FPÖ-Beteiligung nicht in diesem Ausmaß geschah, liegt daran, dass eine Partei, die eine Minderheitsregierung toleriert, ein größeres Erpressungspotenzial hat als eine Koalitionspartei. Sie wird zwar zwar quantitativ weniger von ihren politischen Zielen durchbringen als eine koalierende Partei, aber die wenigen Gesetze, die eine erpresserisch eingestellte Mehrheitsbeschafferpartei durchbringt, können dicke Kröten sein, die die Regierungspartei nur äußerst ungern schluckt.»
Meines Erachtens lenkt dieser Schaum vorm Politikermaul ohnehin mehr oder minder wissentlich vom eigentlichen Problem ab. Schließlich ist die Europäische Union nicht gegründet worden, auf daß die Teilergebnisse nordrheinwestfälischer oder südschleswiger Dosensuppenproduktion in der Familienkutsche samt Kinderchen grenzfreiüberschreitend auf jütländische Campingplätze verlagert werden kann, weil die immer so teuer sind, diese dänischen Konserven (weshalb es durchaus von Vorteil ist, in Lübecks Einkaufszentren an Sonnabenden etwas Dänisch sprechen zu können). Anschaulicher wird die Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft schon eher anhand dieses Bildes: Eine euroglobal tätige, für sich als Hoflieferant anno Neunzehnhundert des Königshauses werbende dänische Fleischfabrik karrt ihr pharmaziegemästetes Viehzeugs in Gänze nach Branden-, oder Mecklenburg oder Holstein, läßt es im dortigen Billiglohnland von slawisch degenerierten Leiharbeitern nach deren jeweiligen heimatlichen Sozialgesetzgebungsabgaben zerlegen und von preiswert chauffierenden Scheswigern in Lastern wieder zurückbringen, verpackt es sozusagen regional, klebt zumindest das Gütesiegel Frembragt i Danmark drauf und verteilt es anschließend in gesamteuropäische Supermärkte, um es unter königlichen Preisen zu verkaufen.

Nun aber stehen diese ganzen Kriminellen, die der assimilierte einstige Ungar Sarkozy nicht via Lampedusa in sein ganz persönliches Frankreich (Messieurs, l'État, c'est Moi *) reingelassen hat, weil er davon genug hat noch aus seinen früheren afrikanischen Kolonien, an der dänischen Grenze. Ach, die europäische Uridee Reisefreiheit ist in Gefahr. Wenn da möglicherweise nicht doch andere Hintergründe durchschleyern.

Aber über solche eventuellen Verschwörungstheorien lasse ich mich vielleicht doch besser morgen oder übermorgen aus. Der Altersblutdruck benötigt ein Päuschen. Denn momentan sehe ich mich emotional leicht überfordert, weil mir der Kamm anschwillt, wenn ich nur daran denke. Es geht nämlich mal wieder um Fragen des Glaubens — an den des Geldes.


* Der berühmte Ausspruch wird hartnäckig Louis XIV zugeschrieben. Der Sonnenkönig hat das zwar ebensowenig gesagt wie die Österreicherin Marie Antoinette Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie eben Kuchen essen (mit letzterem dürfte ohnehin Brioche gemeint gewesen sein), aber er macht sich durchaus naheliegend, denkt man an den aktuellen Hausherrn des Élysée und auch Versailles, wo er sich hineingeboren scheint.
 
So, 15.05.2011 |  link | (4792) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten



 

Grün ist die Hoffnung

So spricht das Volk, jedenfalls ein Teil davon; der gleichwohl ständig anwächst, seit die Bürgerlichkeit so wahr ihr Gott helfe brav mitregiert. Wer nicht auf diese Weise mithofft, ist demnach ein nicht ganz ungefährlicher Andersdenkender, das meint jedenfalls das allwissende Medium Jakob Augstein, er ist nämlich «mit dem rechten Virus infiziert».

Ich habe demnach keine Hoffnung zu erwarten. Doch ich war ohnehin dem Willen meiner Mutter unterworfen und bereits früh auf Blau fixiert. Zwar hatte ich mich von ihr und dem gesamten Blut scheiden lassen, aber der Hang zu dieser Farbe brach wieder durch. Deshalb wohl suchte ich bei einer Blauen Reiterin im Voralpenland Zuflucht und Liebe.

Graphik: Ernst und Lorli Jünger

Doch die verschmähte mich und zog sich mit einem Russen in ein weiß-blaues Häuslein zurück. Dem war die Heimeligkeit dann vermutlich zu fad geworden, wie man in dieser lieblichen Vorgebirgsgegend spricht, und ist zu einer gewissen Geistigkeit zurückgekehrt. Ich tat's ihm gleich, da hatte sich die Vererbungslehre im Sinn von ex oriente lux wohl letztlich durchgesetzt. Dieser Herr antizipierte seinerzeit die heutige politische Farbenlehre:
«[...] Grün ist die ruhigste Farbe, die es gibt: sie bewegt sich nach nirgend hin und hat keinen Beiklang der Freude, Trauer, Leidenschaft, sie verlangt nichts, ruft nirgends hin. [...] so wirkt das Grüne nur langweilend [...], wobei diese Eigenschaft von einer Art Fettheit, Selbstzufriedenheit parfümiert wird. Deswegen ist das [...] Grün im Farbenreich das, was im Menschenreich die sogenannte Bourgeoisie ist; es ist ein unbewegliches, mit sich zufriedenes, nach allen Richtungen beschränktes Element. Dies Grün ist wie eine dicke, sehr gesunde, unbeweglich liegende Kuh, die nur zum Widerkäuen fähig mit blöden, stumpfen Augen die Welt betrachtet.»

Komme mir niemand von wegen fehlender Nachweis. Geschrieben hat das Wassily Kandinsky, in: Über das Geistige in der Kunst, VI. Formen- und Farbensprache, 10. Auflage, Bern 1973, S. 94f.
 
Fr, 13.05.2011 |  link | (4217) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges



 

Zwischen PR-Anstrengung und Qualitätsauslese

Für den Rundfunk, entnehme ich einer mit einem Ausrufezeichen versehenen Notiz in meiner nach längerer Zeit gerade mal wieder angeworfenen elektrischen Klappkladde, sei eine besondere Befähigung nicht erforderlich, denn da würde schließlich immer nur geredet. Ein sogenannt renommierter Zeitungsjournalist hatte sich in spritueller Anmutung in die Tiefen der Wahrheitsfindung begeben.

Mutmaßungen über Jakob müßten jetzt hier angestellt werden. Ach nein, das ginge dann doch zu sehr in die unbekannten Tiefen des literaturhistorischen Ozeans, dieser Herr scheint mir eher das Schnorcheln zu bevorzugen. Gemutmaßt sollte also werden, lebendig aus der Sprache der US-Fernsehserienforensiker, also in der Art und Weise, wie heutzutage der Autobahndorfpolizist, expertisiert durch Sprechübungen im heimischen Wohnzimmer des Reihenhäuschens, oder der Pressesprechautomat eines Automobilklubs meinen, in ein Mikrophon hineinreden zu müssen, die noch nicht wissen, weshalb dieser Jakob via Leitplanke mal wieder in fremdem Territorium, oder, wie man heute auch sagt, Terroir gelandet ist. Denn was ist das für ein journalistischer Alltag, in dem davon ausgegangen wird, daß der Hörfunk-Mensch sich einfach ins Studio setzt und draufloslosplappert?

Dieser Qualitätsjournalist, entnehme ich des weiteren meinen Aufzeichnungen, die weniger reportagecharakteristisch als mehr von Stimmungen bestimmt sind, höre ausschließlich bei Sendern rein, die nichts anderes ausstrahlen als Musike, Musike und nichts als Musike, lediglich unterbrochen von ein paar spekulativen Wetterberichten zu auf- und untergehenden Sonnen am Aktienhimmel. Aber selbst die müssen, fällt mir ein, wie die jeweiligen Weisheiten zu Musiktiteln et täterä, zunächst einmal er- und dann verfaßt werden. Aber vielleicht bin ich doch nicht mehr so auf dem laufenden und weiß deshalb nicht, daß so etwas längst aus dem neudeutschen Bauch-Gewühl und Hertie (Gefühl und Härte — Neue Kunst aus Berlin, 1982, Kunstverein München und Kulturhuset Stockholm) heraus geschieht.

Was ich als ehemaliges — gar lang ist's her — Radioschreiberlein weiß: Das Schreiben von Beiträgen für den Hörfunk ist vielleicht dann doch mindestens ein bißchen so anstrengend wie das Befüllen von elektronischen Poesiealben aus dem Journalistenalltag. Florian Felix Weyh hat sich im Südwestrundfunk unter dem Titel Reich das mal ein! zwar vor einiger Zeit, aber deshalb nicht minder aktuell zu Journalistenpreisen zwischen PR-Anstrengung und Qualitätsauslese geäußert. Nein, hier soll jetzt kein Bezug zu akuten Skurrilitäten aus dem Bereich der Wahrheitsfindung hergestellt werden. Hier geht es schließlich ums Radio. Hat der Hörfunkautor das alles im Kopf und spricht es dann mal eben ins Mikro? Oder muß der sich nicht doch eine Weile hinsetzen, das eine oder andere lesen, für Interviews in das eine oder andere Dorf fahren, sich vorher und nachher Gedanken machen und alles zusammenfassend beschreibend und kommentierend, überhaupt alles auf die Reihe bringend, in seine elektronische Schreibmaschine tippen, dann in den Schneideraum gehen, um die O-Töne zu bearbeiten, ins Studio gehen, um den Text zu sprechen oder vielleicht vorher noch mit dem Regisseur die Musikakzente, überhaupt die Durchläufe besprechen und und und? Es steht die Befürchtung an: Das begrenzt des täglich mit Facts Beschäftigten journalistische Vorstellungskraft.
 
Do, 12.05.2011 |  link | (1891) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Seltsamkeiten



 







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