Die Welt, die Bildung und die Sexualität Zeitungen gibt's, gegen die sträuben sich sogar seit einer Woche tote Fische, sich in sie einwickeln zu lassen, jedenfalls solche, die vom Kopf her zu stinken beginnen. Nein, damit meine ich nicht dieses vierbuchstabige, der Aus- und Auflage nach ein ganzes Volk bildendes Blatt, das aus allen Richtungen gleichseitig üblen Gestank verströmt. Sehr (un-)wohl meine ich aber eines aus demselben Haus, das von meinem jugendlich elanvollen Umfeld ebenfalls mehrfach erfolglos blockiert wurde, nicht zuletzt, da es letztlich ebenso Ratten und Schmeißfliegen benannte, nur eben in einer anderen, scheinbar umgekehrten Diktion, in einer ziemlich philosemitischen Direktion, weil sein Cäsar ein biblisches Territorium in sein großes, vermutlich spirituell postkoloniales Herz geschlossen hatte. Dort wurden diese damals noch nicht einmal ungewaschenen Langhaarigen, die später dann allerdings allesamt ein wenig diesem Religionsstifter aus Hollywood gleichen sollten, sprachlich etwas entschärft eben als Ungeziefer oder so bezeichnet. Das Blatt hat sich bis heute seine ewiggestrige Klientel erhalten. Zwar begehrte es, es geschah etwa Mitte der Neunziger, kurzzeitig gegen die eigene Engstirnigkeit auf, aber die Pläne der Horizonterweiterung verschwanden rasch wieder in der Denkschublade der Ärmelschonerei. Die metropolisch-provinzielle Beschränktheit dieser Tageszeitung wurde mir jüngst von Chat Atkins vorgeführt, der darauf hinwies, mit welcher Zahlenjongliererei aus einem Flohzirkus eine große politische Manege aus dem Redaktionshut gezaubert werden kann. Und doch muß aus dem Aufbegehren gegen diese Einfalt eine gewisse Lust am Restrisiko bis hin zum intellektuellen Höhepunkt geblieben sein. Aus dem Altbestand dieser Risikobereitschaft ist sogar das eine oder andere unterhaltende Element klebengeblieben, hat es gar, wenn auch personenbezogen, auf meine Blog'n'Roll-Liste geschafft. Und hin und wieder scheint es den Wahrzeichenberlinern zu gelingen, tatsächlich kluge Köpfe zu Wort kommen zu lassen. Die Frau der Stunden brachte mich heute früh darauf. Marko Martin hat einigen hochgebildeten medialen Verlautbarern sozusagen die Leviten gelesen, indem er ihnen ihr Klappentext-, Bachelor- oder Kulturwissenschaftswissen um den Kopf geschrieben hat. Ich stimme mit Horen überein: «brillant». Aber zugleich frage ich mich, wie ein ganzes Volksschriftstellertum dazu kommen kann, solche Vereinfachungen als Vergleiche heranzuziehen. Ich werde den Verdacht nicht los, der Fisch könnte vom Konsum einer Aufklärung her stinken, die aus dem schmidtgenannten Unterschichtenfernsehen genährt wird. Mit letzterem ist beileibe nicht nur das private gemeint, denn längst quillen diese letztendlich nichtsnutzigen, weil hintergrundfreien Wissensbotschaften aus allen Nähten des öffentlich-rechtlichen hervor, die Kultur allein agrarindustrieller Bestimmung zuzuweisen scheinen. Und da ich gerade bei Boris Becker, Giacomo Casanova, Don Giovanni, Jörg Kachelmann, Alice Schwarzer und anderen Pressevertretern der nicht irrenden Millionen Fliegen bin, die männliche Macht- und Gewaltausübung im Sinne DSK, vielleicht auch ein bißchen die Sexsucht et cetera nicht zu vergessen, dann will ich das auch noch loswerden, weil es mich seit Tagen zwickt und zwackt — die Achtundsechziger! Ja, genau, bei denen wir gerade waren, da oben, in der springerlebendigen Welt (nicht zu vergessen deren spiegelndem Widerpart), die ihnen gerne die Schuld an allem gibt, was niedergerissen, eingeebnet, ja gesprengt wurde von diesen abendländischen gottlosen Fundamentalisten. Ihnen wird ja ebenfalls gerne auch die sogenannte sexuelle Revolution zugeschrieben, also das Aufheben sämtlicher Schlagbäume des Anstands. Zwar ging das um einiges früher los, nämlich mit den Hippies, wenn auch gerade denen die Politik sowas von am nackten Hintern vorbeiging (im Gegensatz zu den allzeit reinen Nudisten). Also, das da noch: Da stimmt jemand «nicht ein in das Hohelied der ach-so-freien Sexualität». Ausgerechnet eine Frau, die die Religiosität schwinden sieht, die glaubt, daß Moral aus dem Glauben kommt («[...] dass diejenigen Kollegen, denen christliche Werte völlig fremd sind, auch jegliche moralischen Bedenken fremd sind»), an den sie glaubt, erwähnt das Hohelied. Zugestanden, das kommt jetzt ein wenig der Sprachspalterei gleich. Aber sie steht schließlich bei weitem nicht alleine da, es gibt durchaus noch ein paar weitere in diesem Spiegelsaal göttlichen Verlustes. Dem Teufel ist das vermutlich ohnehin alles zuzuschreiben oder vielleicht auch diesen ganzen Langhansens. Dennoch schwingt in mir der Verdacht, da wüßten ein paar Leutchen nicht oder wollten zumindest nicht wahrhaben, daß es lange vor der Revolution den Götzen Sexus gab, der die Menschheit bereits vor der von '68 beschäftigt hat — 1868, 1768, 1568 und so weiter, also einiges vor der Erfindung des Internets, mit dessen Hilfe sich das alles so schamlos und ein bißchen rascher verbreitet als zu Zeiten, in denen die biblia pauperum die einzige Informationsquelle war.
Theoretiker wollte ich eigentlich immer gerne sein. So richtig funktioniert hat das allerdings nie, vermutlich weil es mir am Potential mangelte, da ich schon immer zum Mäandern tendierte und deshalb nie ausreichend gradlinig studiert, sondern allzeit überall reingeschnuppert habe, und das innerhalb eines Zeitraumes, in dem andere drei Dissertationen zusammenkopieren, sich drei Ehrendoktorhüte aufsetzen und noch eine Wolkenhabilitation obenauflegen lassen. Wahrscheinlich hat es deshalb nie zu einer Karriere gereicht, die mich als Experten ausweist und mich vor laufender Kamera, vielleicht gar in einem Welthauptstadtstudio wie dem in Bonn, über die Wirtschaft und deren Wachstum referieren läßt. Aber nun ergreife ich die Gelegenheit und werde einer, zumindest einer von Verschwörungen. Es muß von euroglobalem Interesse sein, auch den Marktanteil der Agrarindustrie im Gemüseanbau zu oligopolisieren. Das kann nur gelingen, indem auf der Suche nach postpestialischen Ursachen durch Experten die Behauptung weggebogen wird, die grundwasserverknappende spanische Gemüsegroßindustrie gösse ihre Tomaten mit Gülle, um ihnen wenigstens auf diese Weise etwas Geschmack angedeihen zu lassen. In Wirklichkeit seien es nämlich die kleinen oder mittelständischen Gurkenbauern Deutschlands im nördlichen Wonne-, aber beileibe nicht Erntemonat Mai, die die dringend erforderliche Wirtschaftswachstumsbilanz einzelner Staaten verunreinigen wollten. Nun haben die den (Gurken-)Salat und gehen pleite, weil der Rettungsgeldtopf der Europäischen Weltwirtschaftsgemeinschaft zur Neige geht und man deshalb nicht auch noch zig Milliarden in den Süden des Kontinents lenken kann, um da unten, wo ohnehin alles vertrocknet ist, wenigstens noch ein bißchen was im Fluß zu halten. Meine persönliche Frau Doktor Blaulicht meinte, mit Durchfällen sei sie das ganze Jahr über beschäftigt, und es komme bei ohnehin Geschädigten durchaus auch mal vor, daß dabei jemandem das Leben durch den Darm abgehe. Aber diese flüssige Häufigkeit käme selbst nach einem dreijährigen statistischen Gutachten einer Begegnung gleich zwischen einem Regenschirm und einer Nähmaschine auf dem Operationstisch eines Weltwirtschaftsgipfels. Auf jeden Fall bei weitem nicht so oft, wie sich zwanzig Weise nebst zwei Schwarzen im Abendländischen träfen, um miteinander monetäre Fiesheiten auszuhecken. Es sei durchaus auffällig, faßten wir schließlich telephonisch zusammen, daß immer dann, wenn die wieder ihre Heimlichkeiten vor einer größeren Öffentlichkeit verbergen wollten, sie die Medien mit einer neuen Pestundcholera versorgten. Also muß diese Seuche sozusagen auf Teufel komm' raus aufrechterhalten werden. Sollten sämtliche dieser christlich-jüdischen Weissagungen nichts nutzen und die kleinen Gemüsebauern noch immer von ihrem Ersparten zehren können, dann schlage ich die Meldung vor: Madame la Première femme von diesem allenfalls politisch potenten Monsieur le Président wurde in Wirklichkeit künstlich befruchtet, und zwar mit dem Restsperma von DSK. Dann ging's nämlich richtig rund mit und in der Pressetrommel, und sie könnten noch ein bißchen sitzenbleiben im normannischen Strandkorb von Deauville, sich zurücklehnen, ein paar Döschen Calva nehmen und in Ruhe die nächste Markttechnik aushecken wie etwa die Machtübernahme des Internets beispielsweise durch die Atom- und überhaupt Energiewirtschaft. Irgendwie müssen schließlich ausgleichende Gerechtigkeiten geschaffen werden.
Im Kaminrauch der Romantik Einer zehnjährigen Wehmut zum Jahrestag Es geschah 2001 an einem hellichten Tag, deutlicher: in der kunstlichterleuchteten, neu errichteten Halle 3 des Messegeländes in Frankfurt am Main, also einer späten Nachkommenschaft der Agora, auf der vor einiger Zeit ein großer Kyniker Menschen suchte. Ein Hauch nur genügte, und das Astralblatt, die gesamte antike Geistesseele flatterte auf, verließ seine Heimstatt des Immateriellen und fuhr hinein in ein profanes Gehör. Dieser Liebeshauch, zärtlich in mein entsagungsgeplagtes Ohr geflüstert von einer zauberhaften Hundert-Kilo-Kugel aus dem Nabel der Weltfernheit namens Paderborn, hatte diesen entzückenden kognitiven Konjunktiv: «Könntest du dir vorstellen, mein Lieber, daß wir gemeinsam eine Zeitung machen?» Der Flüsterer, seines Zeichens Verkünder eines hochgeistigen Verlages von lesbar gemachten Habilitationen kultureller Themata, mindestens aber Dissertationen nicht unter allerhöchstem Lob, hatte wie sein Angehauchter auch, ach, beide hatten die Zeichen des sterbenden Papierfeuilletons nicht erkannt oder den längst eingetretenen Tod schlicht nicht wahrhaben wollen. Es mag aber auch ein wenig daran gelegen haben, daß der eine eine Altlast geerbt hatte, die gleichwohl um einiges historischer belastet war als ihre Vorbesitzerin DDR, und einfach die Gelegenheit nutzen wollte, vor der gnadenlos herannahenden Verrentung darin noch einmal ein bißchen zu spielen wie im Sandkasten des Pennälers. Ein bedeutsamer Hof war ihm zugeflogen, über den der ehrwürdige Herr Dehio protokollierte: «Wehrhafter Adelssitz des 14. Jh. Nach mehrfachem Besitzerwechsel ab 1626 in bürgerlichem Besitz.» Etwa vier Seiten hat der Grandseigneur der Kunstgeschichte dem thüringischen Städtchen gewidmet, darunter eine malerische Zeichnung, das es im Jahre 1291 zeigt, sowie eine halbe Spalte allein dem Gehöft und seinem Ort — laut Brockhaus «im Vorland des südwestlichen Thüringer Waldes, an der Werra, 4.000 Einwohner [...]. Stadtkirche (1584-96); zahlreiche Fachwerkbauten des 16. und 17. Jahrhunderts, ehemalige Adelshöfe und Bürgerhäuser (16.-19. Jahrhundert). 874 erstmals genannt; Stadtrecht 1308; kam 1660 an Sachsen-Meiningen» —, dieser «Karnevalshochburg der neuen Bundesländer» also ganz nahe dran am seinerzeit gepriesenen Meininger Vier-Sparten-Theater mit Wagner-Ambitionen, «[...] das im Osten rechtwinklig angrenzende Wirtschaftsgebäude von 1532 mit tonnengewölbtem Keller und großem Saal ...» Eben darin ließ das ancien regime des deutschen Vulgärkommunismus von mehr oder minder zarten Frauenhänden FDJ-Hemden nähen. Deshalb wohl ließ der Erbe und damit neue Altlastinhaber in allen seinen Räumen eine heiße Kulturnaht nähen. Als guter Deutscher hatte er als erstes einen Verein gegründet und gab deshalb für sein neues Heim der Sparkasse viel Geld, auf daß auch die nicht darbe — weil unsere Denkmalschutzbehörden mindestens so gnadenlos sind wie ihre steuereintreibenden Kollegen. Im Grunde wollte dieser Historiker mit historischem Gewerk eine Art gegenläufiges Parteiorgan, eine «Monstranz des Nicht-Wissens», wie Wolfram Hogrebe sie nannte, die Blaue Blume. Nachdem man so manches Wochenende Stunde um Stunde immer nähergerückt war an den romantisch arschkalten Kamin und sich an möglichen Inhalten zu erwärmen versuchte, hatte die praktisch veranlagte Verlegerin ein edles Blattgewand geschneidert. Ein paar Altersgebeugte hatten ihren Humus der Weisheit gegeben, auf daß das Pflänzlein nicht allzu bald wieder eingehe, aber auch viele Junggärtner hatten emsig mit den Gießmaschinen geklappert. Wie einst sollte die jungfräuliche Blüte beim Entblättern ein paar Esoterika zeigen: die Chiffrierungen der Eingeweihten, der Beschwörer des Rätselhaften und Verborgenen unserer schnöden Welt. Aufflattern sollte sie also, die rätselhafte und dennoch oder vielleicht deshalb so luftige Blume, ähnlich dem, das der Philosoph Hogrebe so beschrieben hat: «Wenn sich die Poesie mit ihren Mitteln der sprachlich-ästhetischen Konstruktion, mit ihrer technisch reflektierten Phantastik von den Denk- und Erfahrungsfesseln des Gewöhnlichen und Normierten zu lösen versteht, wenn sie Ergebnisse wissenschaftlichen Scharfsinns zu leuchtender Sinn-Bildlichkeit umzuschmelzen lernt, wenn ihr gleichsam die imaginierende Verrätselung ihrer Enträtselungserfolge gelingt, dann kann Sehnsucht zum intelligenten Ferment eines wirklichen Wissens werden. Das Fragmentarische und Verworrene, das Undarstellbare und Unbestimmte [...], erscheint dann als Sinnverheißung an den Zauberworten und Wunderdingen der Poesie.» Aber ach, es wurde eine Fehlgeburt. Den Abgang ausgelöst hatte eine schier unglaubliche Woge der digitalen Masse, die unter dem modernen Begriff Tsunami alles wegfegt, was an den ollen Gensfleisch alias Gutenberg gemahnt. Nicht einmal das Fundament der sublimierten Gartenlaube war mehr zu sehen am Ende. Alles weggespült vom Fortschritt, der sich mittlerweile Revolution nennt. In Trauer verneige ich mich vor dem anonymen Massengrab.
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