... kommt von irgendwo Erleuchtung her Im März schmiß mich ein Katarrh aufs Lager, unter dessen Folgewirkungen, das bilde ich mir jedenfalls ein, sich mein Leben seither zu gestalten scheint. Mein Kreislauf läuft, wohin er lustig ist, was ich weniger komisch finde. Ich halte keine längere Strecken mehr durch, auch das Denken ist nur noch von kurzem Atem (ob es je einen langen hatte?). Meinem großen, sehr viel jüngeren Apfel war das zu fade geworden und hat sich vorbotengleich verabfallt (morgen soll wenigstens er eine Wiederbelebungsspritze erhalten). Nun operiere ich eben ungewohnt kleinteilig und -herzig, kurze Denkstöße am sehr kleinen Bildschirm der Schreibtischlampe, längere Tastaturbearbeitungen sind kaum noch möglich, da jedes Glas Wasser sich sofort in doppelter Menge in den Beinen versammelt. Schlafen kann ich nie mehr länger als zwei, höchstens drei Stunden, oftmals nur eine. Das Ergebnis sind häufig heftige Träume, die die gesamte Dauer dieser Schlafstöße in Beschlag zu nehmen scheinen — die aber offensichtlich Licht ins Dunkel bringen sollen. Von der Aufklärung habe ich geträumt. Nein, nicht von dem, das mit Oswald Kolle seinen öffentlichen Anfang nahm und im allgemeinen heute vermutlich auch dafür gehalten wird; Günter Amendt würde, könnte er noch, das ohnehin nicht vom nachfolgenden trennen: Jean-Jacques Rousseau ist mir erschienen. Er hatte sich vor mich hingestellt und behauptet, er alleine sei für dieses Ressort zuständig. Da wurde mir, der ich in jungen Jahren intensiver als heute mit Aufklärung und Romantik beschäftigt war, mit einem Mal klar, wie wenig aufklärerisch ich doch agiert hatte. Denn vor ein paar Wochen lieferte mir meine ganz persönliche Vorleserin, die unermüdlich das Netz nach kleinodischem Beifang durchsucht, eine Vorlage, die mich zwar ein wenig bewegt, aber nicht wirklich in Unruhe gebracht hat. Deshalb wohl erschien mir jetzt dieser Altkatholik der einstigen dogmatischen Linken und meinte, sich aufblasen zu müssen. Tatsächlich beriefen sich gerade in den sechziger und siebziger Jahren ausnehmend viele Alters- und Gesinnungsgenossen auf Rousseau, ging es darum, beispielsweise eine Ausgangsbasis für die antiautoritäre Abrichtung zu finden, die man den lieben Kinderlein angedeihen lassen wollte. Im nachhinein ging mir nun quasi im Traum ein Siècle de lumière* auf, putzte mir etwas die Gläser meiner altersschwachen Brille, wurde mir klar, weshalb da soviel schieflaufen mußte. Denn der als Aufklärer bis heute so gerühmte Rousseau war im Grunde alles andere als das, sondern ein vom Glauben besessener Lustfeind, der meinte, mit der von ihm so gepriesenen Religion sei ein guter Staat zu machen. Vermutlich machen sich seither und in letzter Zeit wieder verstärkt einige Politiker auf, eine Moral als staatstragendes Zukunftsmodell festgemauert in der Erden, also bereits im tiefen Wiesengrunde zum klingen zu bringen, die in Arbeit, Zucht und Ordnung aufgeht, aber nur für die Masse gilt und nicht für Einzelne. Dabei setze ich seit langem diesen in Frankreich wirkenden Schweizer allenfalls einem Avantgardisten jener Romantik gleich, die bis heute nicht aus den Köpfen herauszubekommen ist und als Kirchentag selbstlose Gemeinschaftsurständ' feiert. Wirklich kritische Geister, wie sie die Romantik nicht minder aufwies, kommen da kaum Wort, wenn sie's je durften, gelesen werden die Verursacher von Friede, Freude, Eierkuchen, die Feld-, Wald- und Wiesentheoretiker jener Lilahalstuchträger, die gesellschaftspolitisch bei Diner at candlelight einen Höhepunkt haben, die dann, wenn der Hundert-Euro-Bordeaux dann doch zu warm war, weil das zurückliegende Jahrhundert als Temperaturbemessungsgrundlage keine Zentralheizung kannte, und dann schließlich noch, weil's irgendwie nicht so recht konvenierte, als Galionsfigur des Romantischen vor ihre alte Bildungsfregatte einen Rilke aufpflanzen: Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben ... Also nochmal: Denis Diderot und Jean le Rond d'Alembert waren es, die mit ihrer Encyclopedie ou dictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers für Aufklärung sorgten. Und das scheint der von meiner Vorleserin erwähnte Philipp Blom, der berechtigterweise auch noch d'Holbach einbringt, offensichtlich gerade mal (wieder?) geradezurücken. Man darf gespannt sein, ob er ausreichend Geles' findet. Allzuviel Hoffnung habe ich nicht. Aber die hatten auch die Romantiker nicht, diejenigen, die ich meine, denk ich an an einen weiteren, an den von Denk ich an Deutschland in der Nacht .... «In der Romantik kommt es zur Panne des Auftrags, eigentlich ein schöner Moment, unglaublich scharf und ohne jede Entschuldigung. Scharfgestellt wird auf die Kunst, und was da steht, nackt und alleine, das ist eben die Kunst. Die Kunst ohne Dauer, Publikum, Auftrag. [...] Das ist auch politisch. Das entspricht einem fast französischen Begriff des Politisierten: Wo bin ich, was kann ich anfassen — bevor ich, beispielsweise in Vietnam bin mit meinem Kopf. Das allerwichtigste: daß sie eine relativ würdige, unexpressive Haltung eingehalten haben des totalen Fehlens von Anlaß zu Hoffnung. Die Romantiker waren total getrennt von ihrer Liebe, ihrer Sehnsucht, ihrem Verlangen nach Ursprung oder Zukunft, von ihrem eigenen Bewußtsein, von ihrem Programm, und ohne zu klagen und zu lamentieren und ohne sich zu verbohémisieren haben sie das ausgehalten.»Jochen Gerz *«Als Abschluß einer langen Tradition des abendländischen Denkens ist dies die Geburtsstunde unserer modernen Welt(sicht). Die Aufklärung vollzieht, im Humanismus bzw. der Renaissance begonnen, die Emanzipation des Ego, des Individuums. Für uns Brüder Freimaurer sei daran erinnert: Denken wir daran, wenn wir unsere Lichter entzünden, dass dieses Zeitalter nur im Deutschen ‹Aufklärung› heißt, im Englischen und Französischen aber ‹enlightenment› oder ‹siècle de lumiere› genannt wird, also ‹Zeit des Lichts›, der Erleuchtung!» www.freimaurer-loge.de/files/HJP-Lessing.pdf
An der Nordseeküste am plattdeutschen Strand — allein die Vorstellung von diesen Pappnasen, wie mein Husumer Fischhändlerfreund selig weiland seine bereits in den Achtzigern nur in Billigheimien glücklichen deutschen Reisenden nannte, gereicht mir zu nicht eben allzu fröhlichen Erinnerungen. Deshalb liegt es auch eine Weile zurück, daß ich mich das letzte Mal auf das Abenteuer einer Schiffreise gen Helgoland aufmachte. Denn ich gehe eher nicht davon aus, daß sich an der Mentalität dieses Menschenschlags etwas geändert haben dürfte. Deshalb habe ich zuletzt auch lieber einen der schnuckeligen kleinen Flieger genommen, von dem aus man die Schwarmintelligenz der Fischlein so wunderschön beobachten kann. Gegen die ausschwärmende Schlichtheit der Tagesbesucher ist man dadurch allerdings nicht gefeit. Erst wenn die alle ihre plastiktütigen, vermeintlich preisgünstigen Errungenschaften an Bord gehievt und wieder an der Bierbar ihres einstmaligen Butterschiffes auf hoher Nordsee verschwunden sind, kehrt Frieden ein in dieses Konsumeiland. Allerdings muß man die Geisteshaltung der vom Tinnef lebenden Insulaner schon mögen, um öfter als einmal bei ihnen zu nächtigen. Aus dieser Perspektive betrachtet verwundern mich die Kommentare zu dem taz-Artikel nicht sonderlich. Aber der hat selbst einige Schwächen, weil die Autorin jammert, anstatt den ohnehin schweren Geist ein wenig lächelnd zu überfliegen – Petra Schellen, die sich ohnehin allzu gerne in Diskursen aufhält («Eine Reise in den Diskurs»; «soziokultureller Diskurs»), statt mal einen Ausflug zu machen. Aber es ist schließlich auch ein ernstes Thema, der Alkohol, wie das aus der empörten Anklage herauszulesen ist. Dabei dürfte es sich keineswegs um ein spezifisches Problem Helgolands handeln. Da oben wird bis tief ins Festland hinein aus Tassen getrunken: Köm mit einem Schuß Tee. Und zwar seit Beginn der Evolution in Skandinavien. Denn dorthin gehört das Land irgendwie mit seinen kurzen Sommern und ewig langen grauen Wintertagen, und zwar vom westlichen Friesland, das deutsch als Osten bezeichnet wird, weshalb man vermutlich, wie mir dort von Laienforschern versichert wurde, sich sprachlich am besten mit denen von der Ostsee verständigen könne, und in der Mitte eben das nördliche, wo weit draußen im blanken Hans die Schnapsinsel liegt. Zu solchen Landschaften muß man schon Zugang haben, um sich ein Bild davon machen zu können. Da bildet sich aus Einzelteilen eine Geschichtslandschaft heran in meiner Synapsfabrik. Vielleicht kriege ich sie ja heute noch zusammenkreativiert (mir wird dieser Begriff immer unschreibbarer, seit alle Welt, allem voran Berlin, von diesem Virus und Bakterium gleichermaßen verseucht ist).
Als ob Nordseewellen trekken1 annen ostdeutschen Strand, so sang das huggelige2 Quiddje-Quintett kurz vorm Auslaufen aller erdenklichen, von Zöllen nicht weiter bedachten Schnapsvorräte Ik heff mol'n Hamborger Veermaster seen.3 Das taten die vier rauchstimmigen Sängerknaben von der Wasserkante für das aus reiferen Schwaben und Thüringern bestehende Publikum, das auch brav bereits beim Entern des fröhlichen Aquavitdampfers seegängig mitschunkelte und -klatschte. Mein Gott, sind die blöd, greinte der kürzlich im Mittelmeer wegen eines sogenannten Schusses oder auch Dachschadens von der deutschen OAE-Marine über Bord geschickte junge Kieler (er hatte, für ihn doch recht weit zurückliegende Geschichte und aktuellere Marktgefechte ein wenig durcheinanderbringend, sämtliche Waffen seiner Heimatfregatte entkanonisiert und alle Geschosse durch langstielige Rosen aus Kenia und Tansania ersetzt und gehofft, dafür so etwas wie den Fair-Trade-Preis zu erhalten). Meine Güte, entgegnete ihm sein Betreuer, lass' sie doch, sie lieben eben ihre aus Rundfunk und Fernsehen bekannten volksmusikalischen Psälmchen. Außerdem sei das norddeutsche Platt als solches unlängst von den Wählern des hitparadentechnisch immer gefragter werdenden Häßlichen Rundfunks zur beliebtesten deutschen Sprache erkoren worden, auch wenn sie damit das synchronisierte aus dem hamburgischen Ohnsorg-Theater meinen, vergleichbar mit dem zweitplazierten Oberbayrisch aus dem Münchner Komödienstadl. Das meine er doch nicht, entgegnete der nun frühverrentete Seemann auf Ausgang bei psychiatrischer Begleitung. Die dümpeln in einer Badewanne voller Suff und glauben, sie befänden sich auf einer längst von der Einer-Wird-Gewinnen-Eventliste gestrichenen deutschen Butterfahrt auf der Elbe, aber sie merken gar nicht, daß sie als Alibi herhalten müssen für die neue dänische Schlagbaumpolitik, die nur deshalb diesen ganzen Unblonden aus Nordschwarzafrika den Eintritt verwehren will, weil die nicht genug oder überhaupt nicht saufen. Den Hafen von Puttgarden laufen zwar einige seesehnsuchtssüchtige Deutsche vorwiegend aus dem mittel- bis hochgebirgigen Süden ihres Landes in ihren vierrädrigen, hochpreisigen oder -klassigen Verkehrsbehinderungen an, er wird jedoch überwiegend von EU-Skandinavieren im allgemeinen, im besonderen aber von Dänen frequentiert, die alltäglich von der Angst getrieben werden, ihnen könnten zuhause die Alkoholvorräte ausgehen. Und da sie schon losmüssen, um ordentlich einzukaufen, nehmen sie die Gelegenheit wahr, sowohl auf der Hin- als auch der Rückfahrt an Bord und mit ihren ebenfalls absolut reinrassigen Verwandten aus dem Süden lautstark auf die Verwandtschaft anzustoßen. Bis 1990 gab es noch eine Autofähre zwischen Travemünde und Gedser. In letzterem hatte ich bis zu den Anfangssiebzigern des öfteren ziemliches Amusement, war es doch zu lustig, dabei zuzuschauen, wie die dänische Polizei manch einen der vom Dampfer Runterkugelnden in Empfang nahm, um ihn erstmal zur Ausnüchterung in eine Zelle zu verfrachten. Das war für die Uniformierten nicht immer die leichteste Tätigkeit, denn die eher zarteren, aber irgendwie ebenfalls von Wikingerblut durchströmten Dänen können ganz schön schwergewichtig und kämpferisch werden, vor allem, wenn sie voller Spirit sind. Hinter dem Ramkvillaexpressbuss aus Sverige, den rüstige Rentnerschweden aus Småland nicht nur für die bald anstehenden Fröhlichkeiten der Sommersonnenwende zollgünstig beladen, befindet sich nicht etwa eine dickbauchige Königin Maria, die eigentlich zum xten Mal den Hamburger Hafen anlaufen wollte, dessen Captain sich aber, aus welchen Gründen auch immer, vernavigiert hat. Es handelt sich um das festgemauerte oder besser -betonierte Portcenter, das bis unters Dach mit für skandinavische Verhältnisse preisgünstigen Alkoholika (ab-)gefüllt ist. Es gibt sie also doch noch, die Butterfahrten, für die der Mensch einige hundert Kilometer unterwegs ist, um ein paar Örchen zu sparen. 1–3 Plattdeutsches Wörterbuch
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