Ablaßhandel


Der US-amerikanische Automobilhersteller Generelle Motorenwerke baute in den neunziger Jahren mehr oder minder erfolgreich Kraftfahrzeuge, die für die der Wirtschaft unter- und zugeordneten Regierung beinahe weitere Kriege auf fernen Kontinenten überflüssig gemacht hätten, da ihnen sozusagen der wesentliche Antrieb abhanden gekommen war: Erdöl. Die Automobile wurden von Maschinen vorangetrieben, deren Energie aus der Steckdose kam. Vermutlich aufgrund der Tatsache, daß ausreichend atomar betriebene Energiewerke übers Land verteilt sind und man durchaus auch der Natur des Vaterlandes patriotisch wohlwolle, war die Nachfrage nach diesen Beförderungsvehikeln vor allem unter differenziert über städtische Moden nachdenkenden Bürgern der Vereinigten Staaten sehr ausgeprägt. Doch der Hersteller, möglicherweise auf Bitten der Regierung, mißtraute dem Frieden. Trotz des schier übermächtig werdenden Verlangens der intelligent konsumierenden Bevölkerung nach neuester Technik ging das elektrisch getriebene Fahrzeug nicht in Serie, sondern die Geschäftsleitung in sich. Denn das wäre wohl eine viel zu früh umgesetzte utopische Idee gewesen, und schließlich wollte man den Verkauf von Geländewagen für den urbanen Einkaufsbummel und somit zugleich einen Ausflugsgrund nach Nahost nicht gefährden. Also verkauften die Generellen Motorenwerke diese seltsame Art von Automobilen nicht, sondern vermieteten sie, um immer die Besitzerhand darüber halten zu können. Als die Nachfrage dennoch ungeahnte Ausmaße annahm, zog man die offensichtlich allzu antizipativ ausgereifte Technik komplett zurück, stellte den gesamten Wagenpark bei einem Schrotthändler unter und hoffte, der Zahn der Zeit würde ausreichend an ihm nagen.

Nun begab es sich, daß der Befehl zu technischen Neuerungen mal nicht aus dem wilden Westen kam. Europa setzte aus Gründen des effizienteren Handels mit klimatisch bedingter Überproduktion von Nebenprodukten, aber durchaus auch zur Rettung der einheimischen notleidenden Automobilindustrie auf Elektromotoren. Zwar blieb vor allem das deutsche Reich des Altbewährten bei der Praxis der steuerlichen Förderung jener Automobile, die sich durch mehr Umfang auch im Gewinn sowie durch einen höheren Verbrauch von Treibstoff aus versiegenden Quellen auszeichneten. Das hatte unter anderem den Vorteil, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens EUropäischer Gesetzgebung beim Ablaßhandel mit schlechter Luft nicht ganz ins Hintertreffen zu geraten. Bessere Luft ließ man weiterhin die anderen produzieren. Schließlich hatte man an der Freiheit des Bürgers für freie Fahrt festzuhalten und obendrein bereits dem Atom das Licht ausgeknipst.

Ein genialer Schachzug der vor den Türen der Automobilindustrie sitzenden politischen Lobby scheint allerdings die an die US-amerikanischen Kollegen herangetragene Bitte um Hilfe bei der Lösung eines speziellen Problems migrantischer Hintergründe. Um die einst gerufenen und daraufhin übers Land hergefallenen, aber trotz heiliger Versprechen nicht in ihre Heimat zurückgekehrten Geister doch noch zu einer Rückkehr zu bewegen, beschlossen die Generellen Motorenwerke die Verlagerung ihres deutschen Ablegers in die Türkei. Dem entgegen kam die frühere Beliebtheit dieses Fabrikats unter den Urwirtschaftsflüchtlingen. Hinzu war gekommen, daß dort diese neue Hochtechnik preisgünstiger produziert werden konnte und sich darüber hinaus als Made in Germany bestens verkaufen würde. Endlich würde auch die Konstanz in Opel wieder hergestellt sein.


Also gut. Dieses Blog ist schließlich mehr der Wahrheit und weniger der Wirklichkeit verpflichtet. Es verhielt sich so: Die Bergfrau Braggelmann tauchte bei mir vor Ort auf und begehrte Einlaß, um am Ort zum wiederholten Mal einfahren zu dürfen in die offensichtlich nach wie vor unergründlichen Tiefen meiner Kunstkatakomben. Neben mehreren Kunststücken hatte sie dann das obere ausgegraben und ans Tageslicht befördert. Woher es stammt, kann ich leider nicht mehr nachvollziehen, wie ich auch die Signatur nicht entziffern kann. Auf jeden Fall hat mir die- oder derjenige auch noch im nachhinein eine große Freude bereitet, an der ich gerne andere teilhaben lassen wollte. Aber das geht bei mir bekanntermaßen nunmal nur mit vielen Begleitwörtern.
 
Fr, 02.09.2011 |  link | (2031) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges



 

Revoluzzionäre Kulturauflösung

«Ein Überohr ist kein Überbein. Vielmehr könnte man denken, daß ein Überohr eine Art musiktheoretischer Übervater ist. Etwa der alte Musiklehrer aus der Oberstufe, der als Mann im Ohr in einem fortwirkt. Ein Überohr scheint ein Organ zu sein, mit dem sich über den Musikgeschmack wachen läßt — den eigenen wie den des Zeitgeists.

Ein solches Organ gab es tatsächlich. Es stammte natürlich von keinem Musiklehrer. Schon gar nicht in den frühen 1970ern, wo obrigkeitsstaatlich noch streng zwischen Hoch- und Trivialkultur geschieden wurde, zwischen U und E. Es kam vielmehr aus Hamburg und nannte sich Sounds. Mit Sounds verlor die Trivialkultur ihre Trivialität und wurde zur Popkultur geadelt.»
Wer sich hinter diesem Pseudonym verbarg, erfuhr ich erst Mitte der siebziger Jahre. Das hatte sicherlich damit zu tun, daß ich zuvor zwar auch, aber nicht so intensiv U hörte, da mir die als elterlich-pädagogischer Ernst des Lebens injizierte Droge E kindheitsgeprägt so beharrlich durch die Synapsen floß wie anderen die Rosenkränze aller erdenklichen Religionen. Sounds gehörte demnach nicht unbedingt zu meiner nächtlichen Hotelschubladenlektüre. Das war war eher das Revier solcher Rebellen wie Hans Pfitzinger, der für das Rock'n'Roll-Blatt von San Francisco aus hin und wieder musikalische Depeschen ins östliche Übersee kabelte, wie überhaupt etwa die Beat-Dichter oder Love and Peace sein Thema waren. Aber als der mir eines Tages erklärte, daß dieses überdimensionale Ohr nicht nur Unterhaltung kannte und konnte, sondern für mein Verständnis auch Ernsthaftes äußerte, da war ich dann doch ein wenig überrascht, war mir Helmut Salzinger bereits seit längerem bekannt. Er gehörte mit zu den ersten, die sich mit dem 1967 erschienenen und später legendär werdenden, ziemlich dicken und von mir heute völlig zerlesenen Taschenbuch der Wiener Gruppe beschäftigten. Dort fühlte ich mich eher beheimatet.

Andererseits waren die Entfernungen dann doch wieder nicht allzu groß, oder aber: Die Grenzen zwischen Unterhaltung und Ernst hatten begonnen, zu zerfließen, hatten auch bei mir bereits Auflösungserscheinungen gezeigt. Die Wiener um den gleichnamigen Vater einer heute so erfolgreich das Fernsehen bekochenden Tochter mit alttestamentarischem Namen hatten spätestens seit Mitte der Sechziger die Trampelpfade der eindimensionalen Menschheit verlassen, waren mit Vorbereiter dessen, was ab '68 endgültig als Muff aus tausend Jahren aus den Talaren gedampft werden sollte. Gemein war alldem der jeweils schlechte Einfluß auf junge Menschen, die schließlich arbeiten oder studieren sollten und nicht revoluzzern oder gar revolutionieren. Was letztlich daraus werden sollte, ist bis heute sichtbar am Beispiel der sich innerhalb der Grenzen Europas hartnäckig haltenden Kriminalitätsvorbeugung titels Schleyerfahndung.

Ernsthafter Kinderkram also. Und selbst der ist ursächlich zurückzuführen auf die Wiener Gruppe, die es nach Friedrich Achleitner als solche nie gegeben hat, war sie es doch, wie mir mal ein Jazzmusiker aus deren Umfeld nächtens bei anderen Drogen ins Unterohr balladierte, die die alte Revolution nach- und die dann kommende quasi vorspielte. Auch den hier kürzlich erwähnten Niedergang einer Illustrierten hatten die Wiener bereits vorgezeichnet. Ein Reporter des Bildblattes wurde seinerzeit tief unten in den Kellern der Kaiserlichen und Königlichen Metropole wegen seiner Verbreitung von wirklichen Unwahrheiten von einem Volksgerichtshof zum Tod durch das Fallbeil verurteilt. Man ließ ihn zwar wieder frei, aber die Revolution war immerhin eingeläutet. Jedenfalls als Terminus technicus der Werbeindustrie. Nicht nur der Popokultur.
 
Di, 30.08.2011 |  link | (2849) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ohrensausen



 

Bild und Nachbild

Original und Urheber

Ein Kunsthändler erzählte mir gestern von seiner fünfundzwanzigjährigen Mitarbeiterin, die nach ihrem Abschluß des Studiums der Kunstgeschichte seit etwa einem halben Jahr seinen früher fast ausnahmslos den Auflagen, der Idee Kunst-für-alle gewidmeten, aber seit einiger Zeit auch mit (immer noch erschwinglichen) Originalen etwa von Beuys, Polke et cetera handelnden lustigen Laden hütet. Der Galerist der Sandwich-Generation, der nach den 7000 Eichen, bei denen er dem Schöpfer des anderen Kunstbegriffs zur Hand gegangen und anschließend von Kassel in die Hamburger Admiralitätsstraße umgezogen war, beschrieb die junge Historikerin der bildenden Artistik als jemanden, deren Interessen in der Zukunnft lägen, also an dem, was an Ereignissen käme. Künstler, deren wirkungsvolles Schaffen etwa bis zu dreißig Jahren zurückläge, die also nicht mehr unbedingt von Schlaglichtern des aktuellen Marktrummels mehr erhellt würden, seien ihr so gut wie nicht bekannt. Der gerne tiefer in die Furchen kultureller Landbestellung Blickende äußerte sich nicht negativ oder gar abfällig über seine einzig im und für das Hier und Jetzt lebende wissenschaftliche Hilfskraft, sondern in seiner gewohnten Art eher gelassen bis schulterzuckend: Das sei es, was heutzutage an den Universitäten gelehrt werde. Mit leicht traurigem Blick erinnerte er dennoch an die fortschrittliche Unruhe, die beispielsweise der Gesamthochschule des nordhessischen Oberzentrums auch außerhalb der heute überwiegenden Klientel der Kunstkucker einen international gehörten Ruf einbrachte, weil dort in Zusammenhängen beziehungsweise nach der Erkenntnis gedacht wurde, nach der es keine Zukunft ohne Vergangenheit geben kann.

Mir nötigte das einen Rückblick auf an Geschehnisse im Münchner Kunstverein, dessen Ende der achtziger Jahre wegen seines Rufs als Erneuerer aus Brüssel geholter künstlerischer Leiter eine Ausstellung über Informel und die Situationistische Internationale vorbereitete, aber den Namen eines der Mitbegründer der deutschen Sektion dieser Gruppierung nicht einmal kannte. Es mag daran gelegen haben, daß der Maler, um den es sich handelte, ohnehin als Essayist bekannter war und als dieser mit messerscharfem Federkiel Tendenzen des Luxus und der Moden zerlegte, sich einer gegen den Zeitgeist gerichteten Figuration zugewandt hatte, die während dieser Phase der Kunstgeschichtsschreibung auch von einschlägigen Medien ignoriert worden war, die sich zu dieser Zeit ohnehin auf die Synonymisierung von Kunst und Markt einzupendeln begonnen hatte. Mitte der Achtziger war an einigen deutschen Kunsthochschulen für Zweitsemester die Einführung in den artgerechten Umgang mit dem Handel eingeführt worden.

Wenn also die sich seit einiger Zeit auch gerne Wissenschaft nennende retrospektive Bildbetrachtung den Blick nur noch nach vorn richtet, weil mit der Vergangenheit offenbar kein ruhmverheißendes güldenes Kalb ins Regal der eigenen Biographie zu stellen ist, wer kann denn dann noch Zusammenhänge erkennen? So erscheint es zwingend logisch, daß selbst der nicht als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingekaufte jungdynamische Mann der Urheberschaft keinerlei Bedeutung mehr zukommen lassen kann. Das Original verschwiemelt in der virtuellen Darstellung und löst sich auf in einer breiigen Masse namens Kopie. Längst ist Authentizität zum Synonym für gestaltliche Echtheit verkommen. Wer Denglish oder Germslang zur Lingua Franca einer internationalen Gemeinschaft erklärt, ohne über eine eigene sprachliche Ressource zu verfügen, der kann nicht verstehen, daß mit dem Schlagwort Globalisierung nichts als augenwischende Schön- oder besser Falschrederei betrieben wird, in der es alleine um die ganz hoch gehaltene Fahne des Wirtschaftswachstums geht und nicht etwa um den Austausch von Wissen oder auch die gemütlich-freundliche Plauderei zwischen Menschen aller möglichen Länder beziehungsweise Regionen. Ein Original wird nur erkennen, wer der eigenen Identität sicher ist und dem nur deshalb der Unterschied zur anderen klar und deutlich werden kann. Der internationale Konsumklimaindex taugt dabei eher weniger als Leitfaden. Wer als junge Kunstgeschichtlerin die historische Rückblickskala mit dem Marktührer Gerhard Richter abschließt, die darf sich nicht wundern, wenn der Mädchentraum Direktorin eines Museums nicht einmal im Kunstverein Tripstrill an der Heide Wirklichkeit werden will. Denn gerade so etwas ist kein Ponyhof, dort werden teilweise ganz alte Gäule mit Bezug zur Geschichte etwa der Region gestriegelt.

Überhaupt habe ich Zweifel daran, ob jemand, der als historischer Kunstmensch von akademischen Graden die Entwicklung des Bildes nicht penibel erforscht, befähigt sein kann, einen Cayenne von einem Reisbrenner zu unterscheiden. Auch ein Damien Hirst ist nicht fälschungssicher. Da haben selbst altgediente Fachheroen mit weit nach hinten reichendem Horizont schlechte Erfahrungen machen müssen. Sicher, niemand ist dagegen gefeit, Fälschungen aufzusitzen. Aber das Risiko reduziert sich mit dem Maß umfangreicher Studien. Wer aber nur noch Nachbildungen anschaut, der wird irgendwann die Kopie für das Original oder dasselbe gar nicht mehr für schützenswert halten. Reine Oberflächenbetrachtung läßt keinen Blick ins Innere zu. Wer vor lauter Shoppen nicht mehr zum Einkaufen kommt, dem fällt geschmacklich der Unterschied zwischen Produktionen der weltweit agierenden Aromaindustrie und der nach Kriterien des Börsengewinns einkaufenden Konzerne, zwischen dem analog genannten (Nicht-)Käse und einem auch nach Napoleon noch köstlichen, vermutlich wegen seines hohen Fett- und Bakteriengehaltes sowie der krankmachenden Rohmilch von den EUropäischen Gesundheitsnormierern am liebsten verbannten Fleur du maquis oder überhaupt eines AOC-Produkts nicht mehr auf. Ist doch sowieso Alles Käse. Wie eine Rose nunmal eine Rose, also ein Bild ein Bild ist.

Ein solches Bewußtsein läßt sich im übrigen leicht auch ohne Internet herstellen. Ein von mir sehr geschätzter und recht bekannter Maler des Informel ohne sonderlichen Verkaufstrieb wurde deshalb von seiner Ehefrau insofern beklaut, als sie viele seiner Gemälde kopieren ließ und damit reichlich Reibach machte. Als diese Geschäftspraxis aufflog, ließ das logischerweise die früher beachtlichen Marktwerte im Keller verschwinden wie gleichermaßen einst das für rund achtzig Millionen Dollar ersteigerte Portrait im katakombischen eines japanischen Papierherstellers oder die durch eine Kunstankaufskommission gesetzespflichterworbene Politplastik im Totbewahrdepot eines Landeshauptstadtmuseums. Aber ihm war das irgendwie egal, bei ihm war das sozusagen wertfrei, immer schon, da hatte die wertlose Liebe sich verspekuliert. Er wollte nämlich immer nur eines: Kunst machen.
 
Fr, 26.08.2011 |  link | (2784) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Artiges



 







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