Warmer Dank in fieser Kälte Ihnen allen für die frommen und guten Wünsche. In einer halbe Stunde kommt der Abdecker, der mich in die Klinik transportiert. Deshalb schalte ich jetzt die Kommentare ab. Vorsichtshalber. Wohlweislich dem Negativen trotzend. So etwas wie Weihnachten feiere ich ja nicht. Aber denen, die's tun, wünsche ich dafür das Beste. Essen zum Beispiel. Bis hoffentlich in zwei Tagen wieder. Komplett, mit neuem Teil, das mir das Weitermachen gegen das Aufhören wieder erleichtert. Der Adler läßt Federn Ziemlich gerupft ist der Adler auch nicht mehr das, was er einmal war. Aber immerhin bin ich wieder in Freiheit. Krankenhaus, dein Name sei — ach, ich weiß es noch nicht. Auf keinen Fall etwas Angenehmes. Wegen ziemlicher Maladerie bleibt's hier wohl ruhiger in nächster Zeit. Aber das paßt ja. Staad nennt man sie im Süden der hiesigen Republik.
Vorübergehend geschlossen ist das Aktuelle. Der wunderschöne friseusige Rauschgoldengel gehört aber nicht zu bevorstehenden Friedensfestlichkeiten. Im Gegenteil, man will mir (morgen) ans Leder, man will mich aufschlitzen, um mir ein Ersatzteil reinzuschieben. Ich habe die Hoffnung, daß es nicht länger dauert als zwei Tage. Das wäre gerade noch auszuhalten in solcher Umgebung. Drücke man mir bitte die Daumen, daß ich nicht länger hospitalisieren und die weihnachtlichen Tränen anderer ertragen muß. Die selbstmitleidigen meinigen reichen mir. Ich möchte diese schrecklichen Tage lieber gerne zu Frau Braggelmann und Familie. Da wird nämlich immer recht ordentlich rumgeballert an solchen Festen. Und mein elektrisches Tagebuch braucht schließlich Führung. Der Eintritt bleibt selbstverständlich frei. Die Kommentare schalte ich jedoch Die zauberhafte Photographie stammt von Monsieur J und steht unter CC.
Bis auf den FKK-Bereich keine Änderung Keine Unhöflichkeit. Eher das Gegenteil: Ein der unsäglichen Länge wegen hierher verlagerter Kommentar auf Das Projekt der Dezivilisierung. «Soweit ich Norbert Elias verstehe, beschreibt er den Prozess der Zivilisation als unilinear, wenngleich wellenförmig. Hin und her, aber vorwiegend hin. Hin zu feineren Sitten und besserem Verhalten — besser entspricht hier mächtigerem. Die Sitte als Machterhalt, Zivilisierung als Abgrenzung zum Pöbel. Zivilisierung als Kampftraining für den Mächtigen. Sein Handeln auch mal im Zaum halten zu können, um die Rache noch fieser zu gestalten. Wir sind sicher keine militaristischen Spartaner, aber was macht uns zu einer Zivilgesellschaft?»Ich gestehe, das Buch damals zur Seite gelegt — wahrscheinlich, weil ich lieber hopsen gehen oder den Ku'damm rauf- und runterfahren wollte — und es seither auch nicht wieder in die Hand genommen zu haben. Meine dürftige Erinnerung mündet allerdings in das schmalen Wissen, daß er die Entwicklung vor allem am Beispiel des Hofs des Sonnenkönigs aufgezeigt und nicht als Gesellschaftsmodell für die Neuzeit propagiert hat. Aber ich weiß zuwenig, um Elias' Nähe oder gar seinen Einfluß auf heutige gesellschaftliche Verhaltensweisen sub- oder objektiv, auf keinen Fall seriös beurteilen zu können. Die an der Oberfläche wieder auflebende Bürgerlichkeit als Ursache für heutige Strömungen heranzuziehen, ist das nicht ein wenig überzogen? Mir ist nicht bekannt, daß seine Schriften neuerdings wieder diskutiert würden. Oder bin ich zu schlecht informiert? Und ich frage mich, aus der Sicht Ihrer Argumentation, darüber hinaus, ob Elias auch nur ahnen konnte, wohin die Gesellschaft(en) sich entwickeln würde? Ich bezweifle, daß er diesen nun herrschenden weltumfassenden Frühkapitalismus dieser mit allem handelnden, alles zu Geld machenden Rabauken in neuhöfischen Gewändern im Blickfeld haben konnte. (Es wäre wohl besser, erstmal einen Ausflug auf den mit Kartons bücherner Vergangenheit — bei mir wird nichts weggeworfen, oder besser: keiner will's haben — beladenen Dachboden zu machen und nach dem Buch zu fahnden [es kann allerdings sein, daß die Mäuse das Gestern zerfressen haben]). Ihrer Perspektive stimme ich in Ihrer Argumentation (und der von Noëlle Burgi sowie allen so Denkenden) absolut zu. Was Griechenland betrifft, war mir klar, daß es so kommen würde, daß diejenigen das würden ausbaden müssen, die am wenigstens dafür können; ich habe es auch immer wieder mal angedeutet, bin aber deutscherseits größtenteils auf Mißfallen gestoßen. Aber das mit Elias zusammenzuführen, das käme mir nicht in den Sinn — siehe oben. So muß mein Kommentar mir zur Randbemerkung geraten: «Wieder mehr Verantwortung für den Einzelnen ...». Ja. Das heißt aber auch im Umgang miteinander. Wer nur aufeinander eindrischt, wer fortwährend pöbelt, weil ihm fortwährend über die Medien eingeredet wird, er habe Rechte, in der Arztpraxis, in der Bahn, beim Kramer, im Supermarkt, und es in Umlauf gerät wie eine Latrinenparole, bei der der eigentliche Inhalt des meinetwegen «gesitteten» oder auch moderaten Umgangs miteinander verloren geht, der darf nicht damit rechnen, daß es ihm freundlich aus dem Wald zurückschallt. Halten Sie den freundlichen, meinetwegen höflichen Umgang miteinander für einen Auswurf des Machtstrebens? Ich meine mit Höflichkeit nicht das angelernte US-amerikanische Verkaufsgeflöte und auch nicht die neu zu lernenden Rituale derer, die letztendlich doch so gerne den Anschein des Höfling trügen oder zumindest des späteren Bourgeois lange nach der Révolution — dieser Tage kam mir auf dem Bildschirm doch tatsächlich ein lebender, wenn auch nicht sonderlich lebendiger Freiherr von Knigge unter, also nicht der alte Echte, der für gutes Benehmen als Zeichen höheren Selbstwertgefühls wirbt —, sondern die von innen kommende, die zwar als Begriff seine eigentümologische Wurzel am Hof haben mag, aber meines Erachtens etwas wie Freundlichkeit und Respekt zeigt. Ich bringe das mir mittlerweile überall begegnende rüde oder rüpelhafte Benehmen nicht unbedingt mit freiheitlicher Gesinnung zusammen. Wahrscheinlich fehlt mir dazu die Kreativität, die der Jugend grundsätzlich innewohnt. Zweifelsohne läßt sich die sogenannte Zivilisation kritisch betrachten. Gründe dafür haben Sie angeführt, in diesen Fällen stimme ich Ihnen, wie gesagt, zu. Aber wenn ich kritisch betrachte, dann muß ich vorher das Hirn einschalten. Das jedoch scheint mir bei allzu vielen im westlich konsumentaristischen Kulturkreis, die laut nach Freiheit rufen, nicht der Fall oder nicht möglich zu sein. Das mag mit dem Machtgefüge zusammenhängen, mit dem wieder herbeigewünschten Wir-da-oben-Ihr da-unten. Dann sollte man aber als ersten Versuch mal eine Änderung herbeiführen wollen, die nicht darauf hinausläuft, Karl-Theodor zum Traummann der Nation zu erklären. Das sind, wie Untersuchungen ergeben haben, in weiten Teilen SPD-Wähler (die auch Herrn Sarrazin liebhaben und gleichzeitig noch mehr in eine Mitte namens Clement oder Metzger oder Seeheimer oder sonstwie gerückt werden wollen), solche, die immer Angst um ihre Arbeitsplätze hatten und haben, weil man sie ihnen ständig einredet und sie deshalb daran glauben wie an den Teufel und das Gegenmittel Weihwasser und deshalb auch die Griechen und überhaupt alle Ausländer für faul halten und so weiter und so fort. Sie und noch ein paar andere haben sich nicht dagegen gewehrt, als es ihnen ans gemütliche Leben ging, sie haben immer dieselben wiedergewählt, haben sie schalten und walten lassen. Und sie werden sie wieder wählen. Das ist es, was ich an dieser Haltung hasse, diesen Untertanengeist, den ich lieber Kadavergehorsam nenne und der sich aus der schlimmsten aller Faulheiten rekrutiert, der des Denkens, deren Mangel über alles das wohlige Tuch der Bequemlichkeit, der Gemütlichkeit breitet. Ob sich das nun in «Deutschland den Deutschen» oder «Deutschland sucht den Superstar» oder sonstwie ausdrückt, das ist dabei unerheblich. Wer von denen geht denn auf die Straße, wenn es etwas zu protestieren gibt? Vor welcher deutschen Börse sind sie denn in Massen aufmarschiert, als es gegen die Hauptverursacher dieser Katastrophe ging (die ihren Anfang bereits in den Siebzigern nahm, als die Proteste bereits wieder abnahmen, als durch den besten aller US-Amerikaner, diesen Nixon, diese ehrenwerte Gestalt, das monetäre Gegengewicht zum Papier, das Gold, quasi in die Leere heutigen Finanzgebahrens aufgehoben wurde)? Sie gehen lieber zum noch lebenden oder renaissancierten Freiherrn Knigge Benimm lernen oder machen mit ein paar Tragerl Bier, das sie aus dem Volksfernseh kennen, zuhause Hitzparadenabend im stillgelegten Luftschutzbunker. Wer hat denn letztlich in Stuttgart demokratisch für die Tieferlegung eines Bahnhofs, zuvor in Hamburg für ein elchiges Einkaufsparadies gestimmt? Wer wird in München, wer in Frankfurt am Main für eine weitere Startbahn, stimmen? Das sind dieselben, die uns damals in Berlin und anderswo angebrüllt haben, wir sollten gefälligst rübermachen. Das sind dieselben, die gerade wieder wegen dieses friedlichsten aller Feste in den Kaufhäusern Schlachten schlagen, als ob es um Verdun ginge. Das sind dieselben, die sie wieder wählen werden. Ob sie nun Merkel oder Schäuble oder sonstwie heißen mögen. Das ist der Pöbel — den Sie vermutlich nicht meinen. Obwohl ich mir da nicht sicher bin, ob das nicht aufs gleiche hinausläuft. Die einen brauchen ihren globalisierten Volksglauben namens iApfel, die anderen ihren Flachbildschirm, der ihnen täglich aufs neue vermittelt, daß sie Rechte haben und sich dementsprechend aufführen in der Arztpraxis, im Supermarkt, beim Krämer, in der Bahn, die so selten fährt, weil sich wegen Nichtstuns nichts ändern wird außer beim FKK. Dabei ist es ihnen doch völlig wurscht, wo die Geräte und unter welchen Bedingungen und von wem sie montiert werden. Hauptsache sie sind billig. Wie das essen, das sie Essen nennen und deshalb kein Glücksempfinden kennen. Weil sie eine Auffassung von Kultur haben, der meinem Verständnis von Zvilisation ganz gut täte.
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