Weltuntergang durch Müll Weil's sonst höchstwahrscheinlich untergeht in den Kommentaren, die von vielen nicht gelesen werden (obwohl's da oftmals erst richtig losgeht), meine Antwort auf Jagothellos These vom Weltuntergang als Haupteintrag. Der nahezu einzige Spam, der mich, wenn dafür auch massenhaft, erreicht, ist der bei Blogger.de (nur ein vergleichsweise harmloses Beispiel, größtenteils Schwachköpfigkeiten ohne jeden Themenbezug); anderswo wäre es möglicherweise noch schlimmer. Aber diese geistige Armut sehe ich nur selten, da ich Javascript (sowie Cookies) in der Regel ausgeschaltet habe (das mit dem Filter habe ich ohnehin längst aufgegeben). Sonst würde mir übel wie bei dem, was gestern abend auf der dunklen Seite kritisch offeriert wurde. Per eMail erreicht mich so gut wie nichts. Es mag an den Filtern meiner Anbieter liegen, vielleicht auch daran, daß sie (auch) dafür bezahlt werden, doch es muß auch damit zu tun haben, daß nahezu alle (ein Pornist ist hartnäckig, aber er schlägt lediglich nur etwa einmal monatlich zu) sich daran halten, denen ich nach ihren Vermüllungsversuchen mitgeteilt habe, daß ich keine Botschaften, welcher Art auch immer, wünsche. Bei mir heißt es grundsätzlich unter jeder eMail: ![]() In Fällen, bei denen die Vorahnung mit Absichten schwanger geht, füge ich auch schonmal einen weiteren Hinweis an: ![]() Bei ganz Hartnäckigen kommen die entsprechenden Paragraphen dazu. Das hat auch schon welche aus dem gesetzlich nicht greifenden Ausland den Hut in den Ring schmeißen lassen, zum Teil, weil sie dann doch häufig irgendeinen Sitz im jeweiligen Rechtsgebiet haben — oder weil sie keine wirklichen Kämpfer sind. Auf jeden Fall hat sich Mein Kampf — womit ich gerade hochaktuell sein dürfte — gelohnt, insofern, als ich kurz nach Herrn Adolf aus Braunau damit begonnen habe, das Übel der Welt auszumerzen. Ich Altmodischer kriege dafür ein paar Briefe mehr — mundgemalte Postkarten. Einmal monatlich Papiertüte in Altpapiercontainer. Seit vielen Jahren, seit es sie gibt. Und davor gab's Sammler, die das bedruckte alte Holz regelmäßig abfuhren. Daß die Welt längst untergegangen ist, das möchte man meinen angesichts der Wehr- und Hilflosigkeit, mit der vor allem von denen über das gejammert wird, die diese Art von Überfluß mit herbeigeführt haben.
Zeitlos Meine, (fast) unser aller Vorleserin hat einmal mehr auf einen Artikel «ihrer» Berliner Zeitung hingewiesen, dieses Mal von einer, die Unters Rad gekommen zu sein scheint. Der der Autorin bei diesem Unfall in den Kopf gestiegene, meines Erachtens entscheidende Satz hat bei mir hingegen bereits vor langer Zeit eine folgenschwere Gehirnerschütterung hervorgerufen: «Man wundert sich, dass es noch nicht zu Aufständen gereicht hat.» Denn ich frage seit Aufkommen des Niedergangs unentwegt: Wer ist hierzulande ernsthaft zum Aufstand bereit? Ich habe dunkel in Erinnerung, daß dieses Volk mal in Massen dazu bereit war. Sind da nicht ein paar zuviel der Meinung, Individualität schließe Solidarität aus? Sogar Reiter eines Einzelschlachtrosses kennen Gegenteiliges. Man kann auf diese Weise sogar Gesetze verhindern. Von der humorigen Perspektive mal abgesehen, aus der eine gewisse Realitätsferne durchschillert, denn beispielsweise welcher Freiberufler oder über die Maßen Verdienende («Immobilienfonds») erledigt seine Steuern ohne Berater? Das halte ich für so abwegig wie das eigenhändige Streichen der Büro- und auch der eigenen vier Wände. In der Zeit erledige ich die Recherche, für «Drehvorbereitungen zum Beispiel», die zur Arbeit gehört und nicht zur Freizeit. Währenddessen der Schuster brav seine Leisten bespannt. Und so weiter. Regine Sylvester, die mir schon einmal mit auf mich komisch, nicht als Synonym von seltsam wirkende, Betrachtungen aufgefallen ist, bezieht sich auf Hans Magnus Enzensberger, auf dessen «‹Musterkarte der gedruckten Zumutungen›, der Gegenstand war die Post in seinem Briefkasten», zitiert ihn mit «‹Schon ihre bloße Zahl ermattet die Seele und lässt Hassgefühle aufkommen›, [...] und erwähnt «eine Liste der Arten des Papierschwalls. Dazu gehören unter vielen, vielen anderen: Versandhauskataloge, Anlage-tipps, Zwangsversteigerungsbekanntmachungen, Lottoscheine, Vorsteuerberichtigungs-anträge, Geheimnummern, Manuskriptgestaltungsrichtlinien, Bußgeldbescheide. Für diese Liste muss Enzensberger lange gesammelt haben: Beim Durchzählen komme ich bei ihm auf 265 verschiedene Arten von Post.» Es gibt allerdings die Möglichkeit, sich wenigstens gegen diese Kleinigkeiten zu wehren, wenn sie auch, zugestandendermaßen, anfänglich eine gewisse Zeitinvestition erfordert. Ich habe vor etwa zwanzig Jahren begonnen, jedem radikal mit der höchstmöglichen Strafe zu drohen, der mir unerwünschte Post, per Brief oder elektronisch, hat zukommen lassen. Rigide. Sehr rigide. Man muß es nur wollen. Es funktioniert. Ich erhalte nur Post, welcher Art auch immer, die ich zulasse. Wer mir unaufgeforderte zusendet, bekommt von mir Antwort, von der Rüge bis zum, wenn's sein muß, Ärger. Den wollen die meisten nicht haben. Seit es eMail gibt, ist das im Nu erledigt. Seit vielen Jahren habe ich meine Ruhe. Ich muß also annehmen, daß die meisten Angst vor dieser Ruhe haben. Vermutlich befürchten sie, daß ihnen niemand mehr schreibt. Ich habe berechtigten Anlaß zu der Vermutung, daß den meisten auch in anderen Bereichen ein geradezu fürchterlicher Horror vacui aufs immerfort arbeitswillige Hirn drückt. In einem der saarländischen Tatorte, von denen es heute abend den letzten in alter Besetzung geben wird, sagte der auch oder gerade wegen seines Lokal- oder auch Mentalitätsbezugs geschätzte Gregor Weber zu seinem frisch aus Bayern gekommenen Kollegen, Fall hin, Fall her: Erstma werd geß, erstmal wird gegessen. Das kommt in etwa der chinesischen Begrüßung gleich: Haben Sie heute schon gegessen? Global hin, gobal her, es gibt nunmal länderspezifische Eigenheiten in Angelegenheiten des Wohlgefühls. Dennoch haben deutsche Manager Schwierigkeiten damit, wenn sie zunächst einmal zu Speis und Trank gebeten werden, weil es sie von der Arbeit abhält. Das geht, sogar im nur bedingt zu Frankreich gehörenden Paris. Sogar dort hat man vor noch nicht allzu langer Zeit mittags die elektrische Kommunikation verweigert. Bei der Gelegenheit: Slow food ist nicht aus der «Langsamkeitswelle» entstanden, sondern hat sich von Anfang an als Gegenpol zu Fast food verstanden, also gut gegen schlecht. Darüber nachzudenken, und es nicht einfach so mal eben hinschreiben, die Zeit sollte sich eine professionelle Schreiberin durchaus nehmen. Es geschah in den Achtzigern, als noch kein Mensch an diesen Geschwindigkeitwahn dachte, dem der Mensch sich heutzutage freiwillig unterzieht — ich unterstreiche das nochmal mit: «Man wundert sich, dass es noch nicht zu Aufständen gereicht hat.» Und der Begriff der Prokrastination ist auch nicht eben einer aus der Jetztzeit, von der die meisten so gerne meinen, sie hätten sie nicht, denn hätten sie sie, sie wüßten möglicherweise nichts mit sich anzufangen. Jean-Claire Bretécher und auch Marie Marcks haben die Arbeitsverdrängungsmaßnahmen bereits in den Siebzigern selbstironisch karikiert. Aber das sind ohnehin nur zwei Beispiele von vielen, die von Regine Sylvester angeführt sind, das ich als Gesamtbild recht schief hängend empfinde, da sie zwar versucht, es mit einem Anflug von Humor zu nehmen, es ihr jedoch bierernst zu sein scheint. Bierernst ist mir dabei: Das ist jammern auf hohem Niveau, meinetwegen Luxusgejaule. Wer wollte, könnte es ändern. Auch ließe sich sagen, er hätte es erst gar nicht dazu kommen lassen. Ich argumentiere gerne auf diese Weise: Stell dir vor, es gibt viel Arbeit und keiner geht hin. Nenne ich's Solidarität: Denen, die das abverlangen, es schlicht einmal zeigen, wer eigentlich das Geld heranschafft, für den Anfang sich mal einen Tag verweigern, auch streiken genannt. Aber was tun die, die es genauso hinkriegen müßten? Intellektuell sich der Problematik annähernd sind sie ja schon so weit: Sie wundern sich, daß es noch nicht zu Aufständen gereicht hat.
Grün ist die Freiheit 1. Irrlichternder Grün • 2. Blaßbläulicher Frieden Bis die Aufklärung absolviert sei? Polizisten verfügten über ein seltsames Vokabular, eine zum Komischen hin tendierende Sprachregelung. Oswald Kolle fiel ihm dabei ein, der Avantgardist der aufzuhebenden Sexualstellungen im Krieg der Generationen. Der Missionar, der der Frau wie der Negerin keinen Bewegungsspielraum läßt, ihr seine sittlichen Rituale oktroyiert. Die zusehends bockig werdende Reiterin, die den alten Klepper nach ihrer Lust und Laune zu beherrschen gedenkt. Der Missionar der älteren Rechte, der Benno Ohnesorg vor einiger Zeit in die alten Gesetzmäßigkeiten der Ordnung zurückverweisen wollte und damit den Aufstand auslöste. Die Aufklärung, die vor rund zweihundert Jahren zur französischen Revolution beigetragen hatte und die er innerhalb seines Studiums «absolvierte», konnte der Uniformierte wohl kaum gemeint haben. Und richtig, im Mannschaftswagen wurde auf andere Weise aufgeklart, man fischte den oben auf der Suppe schwimmenden Dreck einfach ab. Über Funk wurden seine Angaben zu seiner Person abgefragt, geprüft, denn man hatte Zweifel an der Richtigkeit, man machte sich gar lustig über seinen Namen, den man für ein, wie der junge Polizist mit vermutlich besserer Schulbildung und Karriereaussichten in der Art der Laufbahn eines Bürgers nahe der Uniform meinte, Alias hielt, während der ältere verneinend mit dem Kopf wackelte und dahingehend korrigierte, es hätten offensichtlich doch noch ein paar von denen überlebt, die so komische Namen trügen, die entstanden waren, auf daß man sie rasch erkenne, man ihnen also nicht unbedingt ein Zeichen anheften oder gar ein Brandzeichen eintätowieren müsse. Die Aufklärungsarbeit schien recht langwierig, was jedoch angesichts der Massen, die man in der Mausefalle um des Friedens willen gefangen hielt, erklärlich war. Über fast zwei Stunden hörte er zwar ständig Durchsagen, die klangen wie von einem anderen Stern, aber lediglich von den Melde- und sonstigen Aufsichtsbehörden kam. Nur seinen seltsamen Namen hört er nie. Dabei war der doch gut zu merken. War er durch das Raster des Unaussprechlichen gefallen? Eine weitere Stunde, dann noch eine vergingen. Er döste bei dem Gedanken an seine Frau, die sich vermutlich Sorgen um ihn machte und sich vornahm, das Thema Kind als Mittel zur Eherettung so bald nicht wieder zu erwähnen. Es würde sie nicht viel nutzen, denn er war entschlossen, seine Freiheit wiederzuerlangen. Wohin die ihn führen könnte und was sie überhaupt bedeute, zu diesem früher fast philosophischen, jetzt aber eher lebensnahen, praxisbezogenen Denkansatz kam er nicht, denn er hörte unwirklich mechanisch klingend seinen Namen, dahinter den Begriff positiv. Das habe einen guten Klang, legte er sich diese Äußerung zurecht, dann käme er jetzt ja wohl hinaus aus diesem vergitterten, geradezu ungeheuerlich stickigen Fahrzeug, in dem die Ordnungshüter allesamt eine Zigarette nach der anderen rauchten, daß sogar er sich zurückhielt, um die Atmosphäre nicht noch undurchdringlicher zu machen. Er erhob sich von der harten, lediglich mit Kunststoff überzogenen Holzbank. Der junge Polizist, der ihn für ein Alias gehalten hatte, hatte sich ihm mit einem leichten Lächeln, es konnte aber auch ein Grinsen gewesen sein, zugewandt mit der Bemerkung, es gäbe ihn ja tatsächlich, was sich jedoch nicht unbedingt positiv auswirke, also möge er sich bitteschön sofort wieder hinsetzen, einsitzen müsse er ohnehin, denn es läge ein Haftbefehl gegen ihn vor. Haftbefehl? Der Beamte konnte oder wollte ihm nicht sagen, um welches Verbrechen es sich handelte, das er begangen haben sollte. Ob seine Frau, grübelte er, ihn wegen böswilligen Verlassens angezeigt hatte und auf diese Weise seine sofortige Rückkehr in die Ehe erzwingen wollte, um die Notwendigkeit einer Vaterschaft zu umgehen? Doch so rasch war das ja wohl kaum möglich. Er wurde zu einem anderen Mannschaftswagen geführt zwecks der Überführung in die Untersuchungshaftanstalt. Dort würde man ihm den Vorgang erläutern, gab der junge, jetzt mit Sicherheit grinsende Polizist ihm mit auf den Weg in die Gefangenschaft. Man sperrte ihn mit etwa sieben weiteren Männern allen möglichen Alters in eine Zelle, die deshalb so stank, wie ihm ein offenichtlich erfahrenerer Mitinsasse erläuterte, weil es eine des Durchgangs war, von der aus umverteilt wurde in die Verwahranstalten gegen das Unrecht. Er war der einzige in dem völlig verdreckten Raum, der sich des Vergehens schuldig gemacht hatte, ohne Ausweispapiere im Auto unterwegs zu sein. Den tatsächlichen Anlaß seiner Verhaftung erfuhr er erst nach zwei Stunden, er steckte fest in dieser Müllhalde, deren Tür immer wieder auf- und zuging, um den einen herauszuholen und einen anderen hineinzustecken. Als er dran war, eröffnete ein Richter ihm zwei Möglichkeiten: Er könne seine von ihm nicht bezahlte Geldstrafe bezahlen und sofort gehen oder er müsse sie absitzen. An eine Geldstrafe beziehungsweise an ein Delikt, das dazu geführt haben könnte, dessen konnte er sich beim besten Willen nicht entsinnen. Die praktizierende Judikative zeigte ihm das Papier, dessen Anhang zu entnehmen war, er habe vor gut einem Jahr in Frankfurt am Main einen Diebstahl begangen, sei zu einer Geldbuße, nicht etwa einer Geldstrafe verurteilt worden, die nicht eingetrieben werden konnte, weshalb ersatzweise Haft angeordnet sei. Anfangs dunkel, dann immer erhellender erinnerte er sich. Es war unter einigen Kommilitonen, allen voran denen der Geisteswissenschaften und aus gutem Hause, zum Sport geworden, sich des Kapitalismusses zu erwehren, indem man Bücher nicht mehr kaufte, sondern stahl. Eine sich bereits in ihrer Magisterarbeit befindliche Romanistin hatte ihm stolz von ihren Beutezügen erzählt. Sie verfügte über eine nahzu komplette Bibliothek an Nachlagewerken, darunter recht teure, äußerst umfangreiche Wörterbücher für professionelle Übersetzer; sie trug mit Übertragungen aus dem Französischen zu ihrem ihrer Meinung nach dürftigen Unterhalt aus dem professoralen Elternhaus bei. Sie hatte ihre gesammelten Werke nahezu ausnahmslos und ohne viel Aufhebens aus einer Buchhandlung hinausgetragen, die sich anschickte, zu einer mit dem Charakter eines Kaufhauses zu werden und deren reger Publikumsverkehr den Bücherklau unversehens zuließ, ja nachgerade förderte. Er hatte der sportiven jungen Frau nacheifern wollen und beschlossen, Einzelbände der von ihm überaus geschätzten vierundzwanzigbändigen Brockhaus-Enzyklopädie ebenfalls auf diese Weise zu erwerben. Der Transport des Bandes A bis Apt ging reibungslos vor sich. Doch kurz danach erwischte man die Kommilitonin und legte ihr den Diebstahl weiterer Bücher zur Last. Sie verwies die Kriminaler auf ihn, der er gerade am Anfang seiner antikapitalistischen Karriere stand. Da ihm jedoch nur dieser eine Klau nachgewiesen werden konnte, beließ die Gerichtsbarkeit es bei einer milden, seinen weiteren Werdegang nicht beeinträchtigenden Geldbuße in Höhe von zweihundert Mark. Das Urteil hatte er zwar empfangen, es aber wohl nicht sonderlich ernstgenommen und auch vergessen im Rahmen seiner «psychischen Angina» sowie anschließender Heirat, die ihn nach seinem Gaststudium in der hessischen Metropole des Geistes wieder zurückführen sollte in sein Berlin bleibt doch Berlin. Nun war er doch in arge Nöte geraten. Wie sollte er aus ihnen herauskommen? Soviel Geld hatte er nicht, jedenfalls nicht dabei. Schließlich hatte er lediglich vor, Zigaretten zu kaufen, und fast den gesamten Rest hatte er bei Aschinger in Erbsensuppe investiert. Er war so gut wie pleite. Man hatte ihm daraufhin angeboten, sich quasi auslösen zu lassen, dann sei die «ersatzweise Haft» aufgehoben. Der ihn in die Zelle zurückführende Beamte, dessen Gesicht sich aufgehellt hatte, als er mitbekam, daß er nicht den Schwerkriminellen von der Straße des 17. Juni zuzuordnen sei, teilte ihm mit, es gebe die Möglichkeit, von jemandem die Geldbuße einzahlen zu lassen. Er habe doch bestimmt Eltern. Gerade wollte er zu einem Klagelied anheben, das den verlassenen Sohn besingen sollte, da besann er sich und sprach, wenn auch widerwillig, von einer Ehefrau. Das schien den Strafvollziehenden geradezu glücklich zu machen, und er bot ihm an, auf eigene Kosten zwar, aber immerhin, die Gattin anzurufen, auf daß diese die staatliche Rechnung am nächsten Tag, man habe schließlich bereits Sonntag, zu begleichen. Bis dahin sei er Gast des Hauses. Schweren Herzens rief er zuhause an. Wo er denn bliebe, ob er die Fabel vom Ehemann unter Beweis stellen wolle, der vom Zigarettenholen nicht mehr zurückgekehrt sei. Was ihm einfiele, sie so lange allein und im Ungewissen zu lassen. Ihm fiel dazu lediglich ein, auf eine befristete Zeit des Telephonierens hingewiesen worden zu sein. Ungehalten wollte er ihren Wortfluß unterbrechen, verfiel aber angesichts der Situation in Sanftmut und teilte ihr seine Zwangslage mit, die sich aus einer Ungeschicklichkeit seinerseits ergeben habe. Sie gab keine Ruhe, bis er ihr erklärt hatte, was er beschönigend geschildert hatte. Ihr Schweigen war schwierig auszulegen. Die Ungehaltenheit brach sich Bahn. Wütendes Schimpfen war ihre Reaktion. Im Knast. Sie sollte ihn dort verschimmeln lassen. Dann erklärte sie sich doch bereit, ihn zu befreien. Dauern würde es allerdings. Er könne sich derweil überlegen, was er zu seiner kriminellen Vergangenheit zu sagen habe. Als er um Rückführung bat, nutzte er die Gelegenheit, um etwas Lesestoff zu bitten, am liebsten Bücher, zur Not würde er auch die Bibel nicht ablehnen, Hauptsache lesen können. Das könne dauern, entgegnete der Verwalter der Gefangenschaft. Auf solche Fälle sei man nicht eingestellt. Allenfalls ein paar zensierte Illustrierte habe man zur Verfügung. Doch bereits nach etwa einer Stunde kam der Justizbedienstete, der ihn in sein Herz geschlossen zu haben schien, mit drei Büchern zu ihm in die Zelle und legte sie ihm auf das Oberstockbett. Er könne zu ihnen nichts weiter sagen, er lese nur den Kicker. Auch mit der Bibel, nach der er verlangt habe, könne er nicht dienen, anscheinend seien noch ein paar Fromme eingeliefert worden. Er habe nur kurz reingeschaut und «Da! ... Da ... Da ... rollt ... ein Kopf!» gelesen und daß es um irgendwas mit Arbeiteralltag in der Schwerindustrie gehe in dem einen Buch, um Betriebsräte und Gewerkschaften, denen der Autor Kumpanei mit den Unternehmen vorwerfe. Da habe er gedacht, das könne ihn interessieren, da er ihn ein bißchen so wie diesen Dutschke einschätze, der ja auch so ein bißchen ein Frommer gewesen sei und nicht immer das Falsche von sich gegeben habe, weshalb man ihn vermutlich auch erschossen habe, was man hier in diesen ehrenwerten Haus auch eher begrüße. Bei dem Buch. aus dem der Justizbeamte so sachkundig wiedergab, handelte es sich um Irrlicht und Feuer von Max von der Grün, von dem er bis dahin noch nie etwas gelesen hatte. Es fesselte ihn derart, daß er nach mehr von diesem Autor verlangte, tatsächlich ein weiteres titels Stellenweise Glatteis erhielt, und er gar nicht mehr in eine Freiheit entlassen werden wollte, von der er, nach dieser Lektüre, ohnehin eine drangvolle Enge in seinem Gehirn befürchtete. Denn mit ihr war ihm ein Licht aufgegangen, das sämtliche Dispute in Dahlem oder am Steinplatz in den Schatten stellte. Inselleben • Erzählung
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