Eintagsmuseum Widdersberg Ich bitte um Vergebung für die dürftige Abbildung; mir geht jedwede photographische Fähigkeit ab, nicht einmal fliehende Linien bekomme ich eingefangen und Fremdkörper oder den Blitz der Hilflosigkeit aus dem Bild gehalten. Die anfänglichen achtziger Jahre in München, über das gesamte westdeutsche Land hatte sich bereits schwerer Kohl-Geruch verbreitet, über Bayerns Isar-Athen dräute mancherlei seltsames Kunsverständnis, oftmals arge Schlichtheiten, eingeführt von wortaufgeblasenen Einführungen, von Mündern gesprochen, aus denen bisweilen diensteinfältiges Pathos speichelte. Es gab allerdings auch ein fröhliches Durcheinander, von amtsbeflissenen Kulturbeamten gerne Chaos genannt. Mittendrin befand sich der sanft-mürrische, fast wortkarge, aber explosive Künstler Kuno Lindemann. Ich war sicher, er habe sich bereits Ende des genannten Jahrzehnts, spätestens jedoch in den Neunzigern endgültig von seinem Metier verabschiedet, da der große Erfolg sich nicht einstellen wollte. Nun habe ich allerdings dank Internet herausgefunden, daß es noch im neuen Jahrtausend mit ihm noch einmal eine Ausstellung in Pforzheim gab. Mich freut das sehr, und ich würde es begrüßen, raffte er sich noch einmal auf (eine Abbildung aus den neunziger Jahren in artnet). So gesehen müßte eigentlich ein ganz anderer Text hier stehen, ausgelöst von einem Ausflug in mein Fundus-Wunderland, bei dem drei Manuskriptseiten sich aus einem Rahmen lösten, darin eines seiner ungemein energischen, energetischen, mit der Bürste gezeichneten Blätter, von dem ich fast mit Verblüffung festgestellt habe, daß es auf mich so kraftvoll wirkt wie vor etwa dreißig Jahren (das Bild füge ich nachträglch ein, sobald es mir gelungen sein sollte, es zu photographieren). So sei zunächst ein Fitzelchen aus dem Text von Gerhard Götze, dem seinerzeitigen Herausgeber des in München erschienenen und längst verblichenen Magazins NIKE zitiert. Es führt ein in die Arbeit dieses Malers, der bereits vor seinem Studium ein Meister war, ein Malermeister. Häufig nahmen wir das Leben somnambul. Tschernobyl lag gerade zwei Tage zurück und unsere Schritte eilten nicht mehr »so« sorglos die Treppenstufen hinab. Plötzlich hatte uns die Sinnlosigkeit allen Tuns überrannt. Wir erwogen Äther; suchten spontan die nächstliegenden Apotheken auf, doch unser Gesichtsausdruck verriet die Absicht.Später zerstörte Lindemann Mauern, er skulpturierte mit dem Preßlufthammer. Die Photographien von Siegfried Wameser geben einen Eindruck von der Umgebung wieder, in der er teilweise tätig war. Und auf diese, nicht nur für mich unvergleichliche Weise schuf er skulpturale Gemälde. Bedeutungsträger wird fortan die Rohheit, Sprödigkeit des Materials, wobei es nachgerade unterschiedslos bleibt, ob es Produkte des Abfallcontainers oder neue industriegefertigte Produkte sind. Sie werden amalgamiert und stehen für ein künstlerisches Synonym: »Kuno Lindenmann geht durch die Wände.« In dessen Vollzug entstehen Skizzen, aber auch eigenständige bildnerische Gleichnisse, Synergien zu den Installationen, die das Thema intonieren. Heftig aufgetragene Schraffuren in Teer oder grell bis verhaltenen Farben nehmen sich aus wie Applikationen einer Obsession. Die Widerspiegelung konstruktiver Emblematik in diesen Arbeiten verweist auf den Topos der Tradition.Diese Zustandsbeschreibung von Gerhard Götze einer bemerkenswerten Arbeit sollte hier also eher stehen anstatt dieses nachfolgenden Geplappers im Stil eines Kunstfunktionärs, der gut im Geiste von Herrn Kohl hätte schreiben können oder der der Herr Apotheker, ein Passauer Stadtrat namens Dr. Gottfried Schäffer, Ende der Siebziger auch stellvertretender Vorsitzender des «Vereins Europäische Wochen», selbst hätte sein können, der mir in den Siebzigern mal etwas von einer «europäischen Kulturübung» geistesfeucht ins Mikrophon hauchte. Dieses Textchen, das eigentlich ein Vorträgchen ist, ist tatsächlich aus dem jahrzehntelangen Versteck hervorgekrochen, um das damalige Ereignis wachzurufen. Es möge als späte Erinnerung für alle seinerzeit im oberbayerischen Dörfchen Widdersberg Anwesenden gelten, wo im großen Haus der Lindemann-Freunde einen Tag lang ausnahmlos Arbeiten von ihm gezeigt wurden und an dem es überhaupt recht fröhlich zuging. Sie dürfen sich diesen kleinen Beleg ins Familienalbum kleben, sollten sie via Internet draufstoßen. Eine Einführung in die eintägliche, saubere Arbeit von Kuno Lindenmann Meine Damen, meine Herrn, sehr verehrte Anwesende. Zunächst einmal möchte ich Sie um Verzeihung bitten bezüglich meiner Abwesenheit. Leider ist mir bei meinem kürzlich gemachten Versuch1, die Kunst auf den Kopf der Kritik zu stellen, dieselbe auf denselben gefallen, wodurch sich eine gewisse Sprachlosigkeit, Sprachleere einstellte. Da wir jedoch über den schier unerschöpflichen Schöpfergeist aus dem Gott sei dank bereits erforschten Tiefen unserer technologischen Entwicklungen, genauer: über deren Resultate verfügen können, können wir meiner Sprachlosigkeit einen ihr adäquaten Partner zur Seite stellen, quasi als Sprachrohr der Sprachlosigkeit; die Elektronik, bisweilen Walkman genannt. So will ich denn Herrn Kohl2 meinen Dank für die durch ihn gewährte zumindest sprachliche Unterstützung aussprechen und Sie, verehrte Anwesende, um Verständnis für die hier unumgängliche Maßnahme, mein kurtes Grußwort, um das ich gebeten wurde, auf diesem Wege dennoch zu übermitteln. Denn ein fehlendes Grußwort bei einer Museumseröffnung, das wissen wir alle, würde das gesellschaftliche Gefüge dieses unseres Landes gefährlich ins Wanken bringen. Und das, was wiederum, wie sicherlich nicht nur ich meine, erwiese der Kunst unserer Zeit keinen Gefallen, kann sie doch nur in einem entsprechenden Rahmen sich zur vollen Blüte entfalten und somit eine Wirkung erzielen, die über das Maß einer gesellschaftspolitischen Irrelevanz eines zunehmenden Versuches ihrer Popularisierung hinausgeht. Kunst braucht ds Gepränge wirkungsvoller Präsentation, ansonsten sie im Sumpf der Nivellierungstendenzen desjenigen steckenbliebe, das sich in immer neuen Aktivitäten anheischig macht, in ihr, der Kunst, etwas anderes entdecken zu wollen als das, das muß an dieser Stelle einmal gesagt werden, als das, was sie nur sein kann, nämlich die Reflektion darüber, wie man sich in ihr und mit ihr ausruhen kann von unserem Alltag, der wiederum einzig in dem positiven Denken manifestiert ist, das sich sich an Leistungsfähigkeit orientiert. Und ein herausragender Vertreter dieser Leistungsfähigkeit, die uns tagtäglich weltweit zu höherem Ansehen verhilft, ist der Künstler, mit dem in disem Museum an diesem heutigen einzigen Tage eröffnet wird — und auch wieder geschlossen: Kuno Lindenmann Nicht nur. daß er alltäglich unter Beweis stellt, daß sich die Definition des Begriffes Kunst aus der Conditio sine qua non Können rekrutiert, indem er als Malermeister in des Wortes wahrstem Sinne der Jugend unseres freiesten aller freien Staaten den Umgang mit der Materie lehrt, er nachgerade verifiziert, welche Unabdingbarkeit das Handwerk doch ist, will daraus große Kunst entstehen. Weil Kuno Lindenmann ein Könner unter dem Fixstern Handwerk ist, darf er Künstler sein. Doch damit nicht genug. Er leistet, wie wir am heutigen Tage alle sehen können, er leistet mehr, und zwar unserer Gemeinschaft wahrlich einträgliche Dienste. Kuno Lindemann ist, wenn ich e einmal so vereinfachend ausdrücken darf, ein sauberer Künster. Gäbe es ihn nicht, und das haben zahlreiche Ausstellungen bewieen, stünde der Begriff Privatinitiative im Verständnnis der Allgemeinheit nicht in einem solchen hohen Kurse. Oder, anders formuliert, die Müllabfuhren unserer Stadt und der umliegenden Kommunen hätten einen vielfach höheren Einsatz zu leisten bei der wesentlicher werdenden architektonischen Vergagenheitsbewölltigung. Gilt es doch aufzuräumen damit, was uns an architekturideologischem Ballast bald über den Kopf gewachsen wäre. Überall dort, wo die Monumente doktrinärer Baumaßnahmen der Vergangenheit, eine Glätte, die uns Klarheit suggerrieren soll, eliminiert werden, trägt Kuno Lindemann kraft seiner fundierten Materialkenntnisse dazu bei, Platz zu schaffen für Bauwerke, die vom guten Geist des Gestern durchweht sind. Und in aller Konsequenz hält er es dabei mit Hippokrates beziehungsweise Johann Wolfgang von Goethe: ars longo vita brevis — die Kunst ist lang, das Leben kurz, das will heißen, er scheut auch nicht davor zurück, extremen Kontakt mit den Matrerialien aufzunehmen, die ihn bewegen und die uns, in bildhaerische Form gebracht, hierher zu kommen bewegt haben. Ein Handwerker fürwahr, nimmt er für seine Arbeit nicht nur den Kopf zuhilfe, sondern auch seine Gliedmaßen. Zuweilen, das hat er unlängst bewiesen, stellt er gar sene Gesundheit unter das Primat der künstlerischen Aussage, die einzig darauf abzielt, unser architektonisches Dasein zu schmücken. Ein Künstler wie Kuno Lindemann, der solche kreative Leistung auf den allgemeinverständlichen Nenner Alltäglichkeit zu bringen vermag, der Kunst und Körper in die Einheit zwingt und nicht, wie so häufig, aufoktroyierten Zwängen schieren Intellektualismusses unterliegt, der hat es wahrlich verdient, in der gewiß nicht alltäglichen Idee eines Eintagsmuseums personifiziert zu werden. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Anmerkungen 1 Bezug auf Rudi Dutschke, dessen Buch Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen 1974 bei Wagenbach erschienen war. 2 Als Dank für dessen immer wärmende Worte, über die wir damals ständig gackerten.
Tief im Hochbett der Stadtpomeranzen Nachdem ich am Sonnabend in einem anderen Land war und der Weltverbesserer in mir mich am darauffolgenden Sonntag zwang, quasi prompt darüber zu berichten, war ich doch fast einen ganzen Tag lang nicht an meinem Automat zur kulturkritischen Veränderung des Globus', strahlt mich ein idyllisches Bild der nebelstrahligen Morgenröte an. Frau Braggelmann scheint sich in die Tiefen der Vergangenheit ihres hochbeetigen Blogs zu begeben, um ihn mit ihr wiederzubeleben. Ursache mag wohl die einhellige Meinung sein, eine Suchanfrage sei nun wahrlich kein Grund, ein gesamtes erzählerisches Werk in den Orkus zu stoßen. Von der Zustimmung für die Meinungen in der Blogger.de-Hilfe-Spalte meinerseits abgesehen und auch von der Tatsache, daß ich die kleinen, teilweise köstlich schnoddrigen Vertällschen meiner kulturellen Unterweiserin in angelschen, überhaupt holsteinischen Angelegenheiten sehr vermissen würde. Zum Beispiel die schöne Geschichte von der «gestandenen Frau im rechten Alter», der sie dabei behilflich ist, via Internet zu einem passablen Ersatz für ihren Hinnerk zu kommen. «bis, ja, bis eines abends der entscheidende brief kam. gross, dunkelhaarig, drei-tage-bart (wie mein Harrald!) stattlich, gutgebaut, treu, romantisch, wohlhabend, mercedes s-klasse! am nächsten abend sollte das treffen stattfinden. im dorfkrug. sie putzte sich den ganzen tag heraus und war aufgeregt, wie eine 3(3)-jährige. nun, von natur aus misstrauisch, nötigte ich ihr meine begleitung auf. incognito und mit lesestoff am nebentisch selbstverständlich !Von dieser Art sind wohl einige unterwegs: gross, dunkelhaarig, Drei-Tage-Bart, stattlich, gut gebaut, treu, romantisch, wohlhabend, Mercedes S-Klasse! S wie Schwanz, der sich in den letzten Jahren aufgetane Vergleich liegt nahe. P wie Porsche, wie der Klatschreporter der ersten Klasse, den der ehemalige Kommunist und von seinem Fernseh- und Film-Publikum nicht nur zu dieser Zeit kaum wahrgenommene Dramatiker Franz Xaver Kroetz in Kir Royal so grandios verkörperte, als sei er nie ein anderer gewesen als dieser unsägliche Michael Graeter, der tatsächlich auf den nicht minder unsäglichen Festvitäten — den neodeodeutschen Komplett-Anglizismus Event sollte es noch lange nicht geben — derer um die schlich, die meinten, sie seien die Reichen und die Schönen, um die dann wiederum die schlichen oder sich an sie dranhängten, die auch dabei sein wollten, die Adebeis, wie die gegenüber den Berlinern nicht minder wortschöpferischen Münchner sie gerne nennen. Womit ich bei den zweit- bis fünftklassigen Reporterlein angelangt wäre, diese Volvo-Fahrer mit der Manta-Mentalität, die auf die Veranstaltungen dieser ganzen mehr als besser verdienenden Hubsis tanzen in der, je nach Betrachtungsweise, naiven oder schlicht von beschränktem Wissen genährten Hoffnung, er könne für sein buntes, gelbes Hochglanztratschblatt ein Interview mit dem ihn ansonsten keineswegs interessierenden Künstler herausholen. dessen Inhalt sich in der Frage erschöpft, welche seine Lieblingsfarbe sei. Ich habe diesen Typus männliche Stadtpomeranze, der mir nicht nur während meiner journalistischen Tätigkeit zwangsläufig immer wieder begegnete, da er meint, auf einschlägigen Veranstaltungen gäbe es immer was zu holen, und sei die Beute nur ein Gläschen Chamapgner und ein paar amuse-gueule, dem Gruß aus der Küche, für den späteren abendlichen Pilsprahltisch unter Kumpels oder, möge der oben beschriebene Fall nicht vergessen werden, um im Zwischennetz etwas zum besten zu geben, das hilfreich sein könnte beim Fischen im übermäßigen Angebot derer, die Anschluß im Sinn von Freundschaft, vielleicht oder wahrscheinlich gar Liebe suchen. Ich habe mich hier zu Frau Braggelmanns kulturellem Pflegephall einige Male geäußert, bin in Beschreibungen dieses Typus in allerlei Äußerungen auch in anderen Beiträgen zur Verbesserung der Welt herumgekurvt. Meine Befürchtung, er könnte einer von den oben beschriebenen Gernegroßen sein, hat sich offensichtlich bestätigt. Sie will immer nur helfen, auch bei ihm war das der Fall. Aus welchen Gründen auch immer, er hat auf jeden Fall Sausen in seinen vom Theaterfundus ausgeliehenen Frack bekommen. Und Auslöser war lediglich ein Scherzchen, das sich in einer fast mädchenhaft kicherigen Suchanfrage äußerte. Mehr war nicht. Dafür droht er nun mit einer Anzeige wegen Rufmordes. Ob der Herr sich mit seiner Anzeigerei, die sich anscheinend nicht auf diese beschränkt, sich eigentlich im klaren darüber ist, wer hier wessen Ruf mordet? Angesichts solcher Vorkommnisse wird einem die eigene Vorsicht im Umgang mit dem Internet mehr als deutlich. Mittlerweile dauert sie mich alle, die meinen, dort Freunde, am Ende gar ihr Glück zu finden, das nicht unbedingt in Status gewandet daherkommen muß. Freunde? Vielleicht gar im kulturell gewandelten Sinn von Farcebuch? Wo alle sich hingeben, um letztendlich abkassiert zu werden.
Lokale Politiker und (ihre) Geschichte Gestern habe ich erzählt bekommen, was die Abkürzung NMW bedeutet: Niemand Will Mich. Ich möchte auch so ein nettes Kraftfahrzeugkennzeichen. Bereits angemeldet habe ich die Okkupation des für mich idealen Gartenhäuschens, das mich an einen wunderschönen Hinterhof in Speyer erinnerte, wo nicht nur mir alles so toskanisch erschien. Immer noch zarte, familiare Bande haben mich nämlich, wie ich bereits Jagothello verkündet habe, ob er wollte oder nicht, in meiner elektrischen Kladde bin ich gnadenlos, mit einem Ort verknüpft, der ein paar Minuten zu Fuß nur von der Trave entfernt ist, fast an der Ostsee, also in einer Gegend, wo man in den Städtchen und Dörfern die DDR immer noch ein wenig erkennen kann, sie spürt, nicht zuletzt durch die Grußfreundlichkeit gegenüber Fremden, und wohin eine andere junge Frau, das sich in den Endspurt ihrer Dissertation begebende, für mich seltsame Axolotl-Forschung beziehungsweise die von Auswirkungen von Genmanipilationen auf Tiere betreibende Töchterlein, vermutlich in Bälde hinziehen wird, zu ihrem Wirtschaftsingenieur, der nach einem Kohlenpott-Zwischen(aufenthalt)halt in die Heimat zurückgekehrt ist und dort bleiben möchte und sich deshalb im Osten ein nahezu perfektes, Ziegel auf Ziegel handgemauertes, durchaus großzügiges und auch noch unterkellertes Haus für wahrlich günstiges Geld gekauft hat, quasi hautnah der Ostsee und dennoch in der Nähe des lübeckschen Arbeitsplatzes. Ich verstehe es gut, denn es ist wirklich sehr schön dort auf diesem Land mit den wunderschönen Alleen mit alten Bäumen, die man nicht umgenietet hat zugunsten eines «schnelleren Verkehrsflusses». Und aufrichtig freundlich sind sie auch noch, die Ossis aus dem dem ehemaligen, strengstens bewachten Sperrgebiet. Es ist von jeher ein Mechanismus in mir gewesen, der immer dann, wenn sich ein Bezug zu einem neu kennengelernten Ort hergestellt hat, bei mir die Neu-, nein — womit ich wieder bei den Sprachverdünnungen oder -verunfallungen bin, denn früher unterschied man mal zwischen Neu- und — Wißbegier auslöst. Also habe ich ein wenig geschnüffelt, es ist heutzutage schließlich via Internet ein leichtes beim Gehen den Boden zu berühren. Man muß nicht mehr stunden-, ach was, tagelang in Stuben der Archivierung hocken und suchen. Ein Klick und die Offenbarung der Wahrheit tut sich auf. Nehme ich's mal ein wenig zurück und setze für Wahrheit Realität ein. Die kann erschütternd sein. Das zu erkennen, dazu benötige ich nicht einmal die Schnipselwirtschaft des ehemaligen obersten Verwalters und heutigen, von diesem ganzen Volk unbedingt gewollten Präsidenten der deutschen Demokratie-Monarchie. Sie bietet auch so Tristesse genug. Aber das muß kein typisch ostdeutsches Problem sein. Da dürften Ost und West eindeutige Gemeinsamkeiten aufbieten, sie dürften seit Urzeiten quasi (wieder-)vereinigt sein. Historie im eigentümologisch zutreffendsten Kleinstbürgerformat. Man mag das sehen oder interpretieren, wie man mag. Ich gebe mit Wikipedia eine Denkkrücke. Wobei ich dabei vor allem Charles Dickens assoziiere, er schildert den gutmütigen Spießer — gemeint sind Menschen, die einer oberflächlichen Geselligkeit frönen und sich zudem gerne in Vereinen aufhalten. Harmlose Scherze und eine Art familiäres Treiben herrschen vor. Die bösartigen Varianten von Spießern tauchen bei Honoré de Balzac in seinem Roman Die Kleinbürger auf, den Gehässigkeit, Klatschsucht, Verleumdung und Verrat, Dünkel, Besserwisserei und Aufgeblasenheit auszeichnen. Der Untertan in Heinrich Manns gleichnamigen Roman von 1918 ist ein autoritätshöriger Opportunist, Mitläufer und Konformist. Vieles daran erinnert an Adornos «Autoritäre Persönlichkeit».Aber vielleicht treibe ich's dabei wieder etwas zu weit. Wie auch immer: «Selmsdorf — Geschichte und Geschichten», lese ich also «— ein Heimatbuch. Fertig ist das Werk bis heute nicht — zum Verdruss von Gemeindevertretern, die nun vehement forderten, den Teil, der fertig ist, zu veröffentlichen und ihn später mit ‹Beiheften› zu ergänzen.» Ja, so sind sie, die Politikusse. Eine Historikerin arbeitet an einer Dorfchronik. Den Gemeindeherren geht das nicht schnell genug. Rom sei, möchte man anmerken, auch nicht an einem Tag archiviert worden. Auch oder gerade wer in einem ehemaligen Dorf des mißverstandenen Sozialismus nach hinten blicken soll, der benötigt eben seine Zeit, das geht nicht so rasch wie eben mal bei Wikipedia kurz reinschnuppern, wo immer alles parat nachzulesen steht, ob's nun seine Richtigkeit hat oder nicht. So argumentierte die Geschichtsforscherin Christiane Woest denn auch vehement dagegen, wie es in der Seite des Selmsdorfer virtuellen Rathauses heißt. «Ein Archäologe hört auch nicht mitten in der Arbeit auf.» Detlef Lüth von der Wählergemeinschaft Bürger für Selmsdorf hielt dagegen: «Es wird immer so sein, dass es neues Material und neue Erkenntnisse gibt.» Lüths Vorschlag: ein Teil der Chronik vorweg herausgeben und später ergänzen. Wer behütet mich, für andere kann ich nicht sprechen, kleinen Bürger (eins siebzig, ich nähere mich zusehends napoleonischer Größe), mich virtuellen Einwohner von Selmsdorf eigentlich vor solchen politikdenkerischen Anregungen? Hat das sich immer schneller drehende, westlich-kapitalistische Rad der unaufhaltsamen Geschwindigkeit den Osten endgültig erreicht? Die DDR-Literaur ist schließlich auch nicht an einem Tag geschrieben worden, ja nicht einmal innerhalb eines solchen auf der Müllhalde gelandet und auch nicht in Lagerhäuser des Westens gerettet worden. Soll damit demonstriert werden, daß es ein Ende haben muß mit dem Denken, das nunmal seine Zeit braucht? Seriöse Geschichtsschreibung ist nunmal kein Häppchen nach dem Prinzip Bürger ißt Burger, zu dem ich gestern auf dem Weg in den endgültigen Osten mehr oder minder gezwungen ward. (Nein, ich mag diesen Schnellfreßfraß einfach nicht. Ich habe ihn mal wieder geko..., na, probiert eben. Und Pommes frites könne sie auch nicht. Auch die mache ich viel besser, und zwar aus richtigen Kartoffeln und palmölfreiem Fett.) Wer bei einer Dorfchronik in diese Richtung denkt, der hat Geschichtsschreibung immer noch nicht verstanden. oder will das ger nicht «Am Sinn des Buches», heißt es im virtuellen Rathaus von Selmsdorf, «zweifeln die Gemeindevertreter nicht. ‹Ich glaube, dass die Nachfrage für eine Chronik hier in Selmsdorf da ist›, sagt Marcus Kreft. Das Buch eignete sich beispielsweise als Geburtstagsgeschenk.» Für einen Lokalpolitiker vielleicht. Mir schwebt dabei vor, was solch eine Chronik möglicherweise noch zu leisten vermöchte, wenn man ihr nur Zeit genug läßt: den etwas intensiveren Blick nach innen vielleicht. Aber ich fürchte, daran könnte ein größeres Interesse nicht bestehen, weil man Geschichte lieber wie Kreischgymnastik für wenigstens alterstechnisch ziemlich weit Fortgestrittene, wie ein Schlagertralala der Art eines Kessel Buntes vom Verwahrsender des auf ewig Gültigen, dem Mitteldeutschen Rundfunk, oder etwa nach dem Verständnis von Guido Knopp aufgeführt wissen möchte. Bei meinem Verständnis von Geschichtsschreibung könnte beispielsweise die Suche nach Demokratischer Identität ausschlaggebend oder wenigstens hilfreich sein. Ach, Häppchenkultur.
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