Cabaret, Cabaret Oft genug ärgere ich mich über Wiederholungen im Fernsehen. Vor allem, wenn es zu wiederholten Neuaustrahlungen kommt, deren Inhalte längst von neueren Erkenntnissen eingeholt worden sind und man sich nie auch nur ein wenig Mühe macht, darauf hinzuweisen. Manch einer, der nicht über den entsprechenden Informationsstand verfügt, wird so in die Irre geführt. Ich bin ohnehin der Meinung, die öffentlich-rechtlichen Multiplikatoren oder auch Erzeuger der Langeweile hätten sich zusätzliche Kanäle nur geschaffen, um all das in einer Art Endlosschleife zu senden, um dort Kosten für ihren Bildungsauftrag zu reduzieren, um anderswo fetten Gänsen die Ärsche zu schmieren. Fußball wäre solch ein erheblicher Kostenfaktor. Als Alternative zu dem hat die Kopfschüttlerin denn auch ein, ohne Zweifel völlig sachliches, Fragezeichen gesetzt. So stand es für mich außer Frage, was wichtiger sein könnte, dieses unsägliche Ballgeschiebe oder die sich allein durch das Stichwort Kabarett ankündigenden filigranen Kurzpässe. Es war eine Wiederholung, genauer: eine fein abgestimmte Zusammenstellung von Wiederholungen aus bis in die frühen Sechziger reichender Kleinkunst. Für sein Projekt Freßtheater hätte der Kabarettist Helmut Ruge 1977 gern 8.000 Mark aus dem Steuersäckel gehabt. Dem Münchner Stadtrat war dies ein suspektes Anliegen, ein plebejisches zudem. In der Verbindung von Völlerei und Kunst vermochten die Stadtväter und -mütter nichts Förderungswürdiges zu entdecken! Ein kategorisches Nein fegte diesen allerdings kulturhistorisch bedeutsamen Vorschlag vom Tisch.Und selbst für mich als langjährigem Beobachter der sogenannten kleinen Kunst waren es teilweise Erstauffühungen. Aber die Dokumentation aus dem Jahr 2010 an sich war neu für mich. Man sollte sich nicht übermäßig festlegen. Ein Lob der Wiederholung also. Allerdings gleich wieder Wasser in den Wein, ein Tröpfchen zumindest, ein Widerwörtchen. Was ist das für eine Pressearbeit?! Nur andeutungsweise ist in der Ankündigung darüber zu lesen, um welches Format es sich dabei handeln könnte. Eine Aufreihung von Namen, abschließend ein Zitatchen von Dieter Hildebrandt, vermutlich als Zugpferd. Dann noch: «Länge: 89 Minuten.» Ende. Hat man mittlerweile sogar im Kulturkanal 3sat Angst vor der eigenen Wirkkraft? Will man dem «mündigen Bürger» letzlich nicht zumuten, mehr als vier Zeilen zu lesen? Befürchten die Pressearbeiter des Themas — Praktikanten U 25 allesamt? Viel zu sehr mit Fußball beschäftigt? Da kuckt ohnehin niemand rein? —, ein Fitzelchen mehr an Information könnte abschreckend wirken? Der Dokumentarfilm von Josef Rödl zeigte nämlich eine ganz andere als zu vermutende Richtung, also keine Ansammlung immerfort wiederholter Wiederholungen wie etwa die eintausend-dreihundertdreiundneunzigste Andacht an den großen Comedian, den Komödianten Dieter Krebs. Auch gab es keine Reihung wie beispielsweise die hinlänglich bekannten Nummern aus der Lach- und Schießgesellschaft oder Wolfgang Neuss. Den wie immer leisen Rödl beschäftigten im Vordergrund die Fragen: Existiert(e) eine Zensur? Was kann Kabarett bewirken? So schnitt er beispielsweise in seine Dokumentation mehrfach Szenen von Siegfried Zimmerschied ein, die meines Wissens im Fernsehen — das dieser Passauer Teufel lange mied wie das Weihwasser — nie gezeigt wurden, darunter aus seinen Programmen, die er Ende der siebziger und dann in den achtziger Jahren in seinen Stammhäusern, in Münchens Fraunhofer, der Drehleier sowie im Scharfrichterhaus von Passau darbot, wo die Oberzensoren Kirche und Stadtrat und sonstiges Volk für heutige Verhältnisse unvorstellbar grausam wirkten. Er bewahrte denen gegenüber nicht nur Haltung, er blieb seiner Überzeugung treu, innerhalb der Region, also letztlich im einzelnen etwas gegen diese Übermacht bewirken zu wollen. Wie heute ist mir sein Mia druckn ois, nur des, des druck ma ned in Erinnerung, womit er einen Druckereibesitzer nachstellte, der die Vervielfältigung solch «linken» Dreckszeugs ablehnte, das zum Aufruhr gegen den niederbayerischen Kirchen- und gleichermaßen Kleinstaat aufforderte. Zimmerschied war es auch, der die markante Erkenntnis prägte: «Die Satire ist nicht in der Lage, die Realität einzuholen.» Und letztere war hart zur Zeit von Der Kandidat. Der Bayerische Rundfunk als Wahrer des Edlen, Guten und Schönen wollte seinen Zuschauern nicht nur den hildebrandtschen Scheibenwischer nicht zumuten. Jochen Busse, Henning Venske und andere erzählten von kleinen Sendern, deren Namen hier nichts zur Sache täten, in denen man ihnen bedeutete, bestimmte Namen nicht zu nennen, da ansonsten Verträge nicht verlängert werden könnten et cetera. Urban Priol machte, mit einem zufriedenen Lächeln und auch sichtlich mit ein wenig Stolz, darauf aufmerksam, es sei durchaus erhebend, nach siebenundzwanzig Jahren ohne (politisches) Kabarett im ZDF mit dem 2007 erstmals gesendeten Neues aus der Anstalt die Kleinkunst auf die dortige Bühne zurückgebracht haben zu dürfen. Auch die DDR geriet nicht in randgelegene Vergessenheit. Ernst Röhl und Peter Sodann berichteten, belegt von juristischen oder auch sicherheitsministeriellen Begleitschreiben, von den gegen sie ergangenen Urteilen von einem Jahr beziehungsweise zwanzigmonatiger Haft wegen Staatszersetzung. Dabei sei es, so Sodann, ihnen um den Erhalt des Sozialismus gegangen, habe die kabarettistische Kritik lediglich mit zu dessen Verbesserungen beitragen wollen. Was die kleine Kunst gegen die große Politik ausrichten könne, erwies sich als zweite zentrale Frage. Viele der von Rödl Befragten äußerten sich eher resignierend. Der bedachte Ottfried Fischer, ich sah ihn in den Neunzigern, aber auch weitere sahen sich zudem erdrückt vom aktuellen medialen Überangebot, einer Reizüberflutung wie etwa durch die sogenannten Comedians, das die Wirkung des Brettls eliminiere, das abstumpfe. Luise, die (Kin)Seherin, zeigte sich überzeugt vom Theater. Ihr nachdenkliches Wort ging einher mit der finalen Stimmung von Dieter Hildebrandt, wenn sie, die Kabarettisten, den Zuschauern und -hörern nur ein wenig auf den Nachhauseweg mitgeben könnten, dann hätten sie ihre Aufgabe bereits erfüllt. Es fiel, ich erinnere mich nicht mehr genau, von wem es kam, es klingt nach Henning Venske, der alte Spruch der Achtundsechziger, der APO, der Außerparlamentarischen Opposition: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. Kabarett, Kabarett — ein großes Kleinkunststück gesamtdeutscher (Bühnen-)Geschichte. Wat ham wer jelacht bei de Beerdijung. De Kinner wollten in Sarch rin.
Bei Georg Seeßlen an der Autobahn lasse ich mich gerne nieder, seine in sich gesammelten Weisheiten genieße ich nahezu ausnahmslos. Ein éclat aber hat mir den wolkenverhangenen Tag des Nordens erleuchtet, das dunkel gewordene siécle de lumières kurz zum Aufflackern gebracht, weshalb ich sie zur Multiplikation ausrufe, diese KleinigkeitenUnd bei der mir naheliegenden, nächstgelegenen Gelegenheit: Hilfe, der Sozialismus bricht aus!À nôtre santé!
Neuwort Dingsucht Dingsucht lautete der Titel einer Ausstellung der Münchner Künstlerin Astrid Roeken. Dieser von ihr geprägte Begriff gefiel ihr so gut, daß sie meinte, er solle im allgemeinen Sprachgebrauch Niederschlag finden. Also beantragte sie bei der Mannheimer Duden-Redaktion die Aufnahme ins Standardwerk. Die Antwort auf dieses Begehren wollte das Laubacher Feuilleton seinerzeit seinen Lesern nicht vorenthalten, schließlich sei sie doch ein Lehrstück dessen, wie die deutsche Sprache entstehe: «... Neuwörter werden in den Duden aufgenommen, wenn sie eine gewisse Verbreitung gefunden haben und allgemein bekannt geworden sind. Wir werden Ihren Vorschlag zwar weiterleiten, müssen aber abwarten, ob er sich über regionale Grenzen hinaus durchsetzt.» Das war in den Neunzigern. Eine Sucht nach den Dingen scheint sich seither nicht eingestellt zu haben. Möglicherweise hat das Ding an sich keinen Wert mehr, da es vom neudeutschen Tsunami, altdeutsch Erdbebenwelle, der Inflation, des zunehmend Wertlosen ins Landunter der Bedeutungslosigkeit gerissen wurde. Vor lauter angeschwemmten Einheitspröll (Mir han Mahnde voll Pröll fortjerumb.) sieht niemand mehr etwas in den niederen, prekär geratenen Landen. Es kann allerdings auch daran liegen, daß der Duden totsprachreformiert ist und er selbst längst in der Vorhölle oder -halle des Wortmuseums unter bedrohte oder seltene Wörter der Einbalsamierung harrt.
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