Väter. Noch'n Versuch.

Subjektivität sucht ihren Platz. Und wohin damit, wenn nicht hierher? Nur hier darf mir der Blut bis aufs digitale Blatt kochen. Ich heb's auf die Frontseite, da's wieder so ein allgemeinplatziges Rumgeballere ist.

Ich gedenke auch weiterhin nicht, mich pädagogisch zur Objektivität durchzuarbeiten. Dafür haben wir Eltern. Früher hießen einschlägige Publikationen so. Über sie haben wir uns gerne lustig gemacht (offensichtlich kann man das heute noch, sehe ich gerade). Ich bin ohnehin einer der Untalentiertesten, was die Pädagogik betrifft. Ich habe mit Sicherheit noch sehr viel mehr Fehler gemacht als mein Vater. Er war Jahrgang 1875 und hat mich manchmal gewickelt. Manchmal. Wenn er denn mal da war. Zu meiner Ehrenrettung: Da er zu seiner Vaterzeit noch häufiger unterwegs war als ich zu der meinen, konnte er auch nicht so viele Fehler machen wie ich. Vermutlich habe ich mich deshalb so nach ihm verzehrt und all das als die Liebe eines Sohnes zu seinem Vater interpretiert. Na gut, er war ja wirklich lieb zu mir. Nachgeeifert habe ich ihm dann auch, zumindest was die Absencen betrifft – irgendwas mit Genen entschuldigt man das heute wohl. Was zulasten meiner Mutter ging. Irgendeiner bleibt immer auf der Strecke. Muß nicht, ist aber oft so. Das habe ich aber auch sehr viel später festgestellt. Festzuhalten wäre allerdings auch, daß er es war, von dem ich Zärtlichkeit erfahren habe. Nicht nur beim Windelwechseln. Auch weiß ich von ihm, wieviele Väter seiner Generation das ebenfalls getan haben. Aber eben: nicht so ein Theater darum gemacht. Doch vielleicht lag's ja schlicht daran, daß man sich bedeckt hielt: Denn zu dieser Zeit war ein Mann eben kein Mann, tat er solchen Weiberkram!

Mein Vater war berufstätig. Meine Mutter ebenso. Beide sehr angestrengt engagiert oder vielleicht besser: anstrengend, jedenfalls für mich. Ich kannte es gar nicht anders, konnte mir anderes gar nicht vorstellen — wenn ich mir's auch manchmal gewünscht hätte. So zogen wir durch die Weltgeschichte. Sowas kann schon ein bißchen haltlos machen.

Von daher meine ich zu wissen, wie man's nicht machen sollte. Zum Beispiel: einen Winzling in eines dieser modernen Transportmittel stecken, auf daß er in völlig ungewohnter Umgebung aufwache, er früh eine Angst davor entwickle, ihm könnte eines Tages ein fremder Himmel auf den Kopf fallen und ihm deshalb später ständig ein diffuser Heimat-Begriff Durcheinander schafft in seinem Kopf. Da er zudem so oft den Aufenthaltsort mit hat wechseln müssen, daß Kinderfreundschaften sich nicht entwickeln konnten. Wie oft habe ich das gehört: «Das ist ja toll, wie sie in der Welt herumgekommen sind!» Ein Kind will nicht in der Welt herumkommen, sondern zunächstmal die eigene entdecken; das Herumziehen kommt später. Aber das alles ist schon wieder ein Thema, bei dem mir Altvorderen die fortschrittlichen Pädagogen vermutlich das Fell über die Ohren ziehen werden. Nicht nur die Pädagogen, sondern durchaus auch die Vorsitzenden unserer globalen Wanderbewegungen, die mehr flexible allzeitige Bereitschaft fordern; nur so lasse sich eine zunehmende Arbeitlosigkeit verhindern. Und so weiter.

Na gut, ganz so schlimm ist's bei mir vielleicht dann doch nicht gekommen. Einigermaßen bin ich dann doch noch geraten. Möglicherweise ein bißchen sehr viel anders, als die schon ziemlich alten Alten sich das vorgestellt oder besser gewünscht haben. (Das Alter der Eltern — wieder ein anderes, sicher ebenso diskutierenswertes Thema, hochaktuell zudem.) Irgendwie hat's dann doch geklappt. Aber es kann schon unangenehm lange dauern, bis man das auf der Reihe hat, was Heimito von Doderer in seinen Tangenten mal so notiert hat (und ich hier schon mehrfach zitiert habe):

«Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.»

Wir alle wissen doch, daß es bei den einen funktioniert und bei den anderen eben nicht. Das habe ja sogar ich mitbekommen im Lauf der Jährchen. Ich bin ja auch so ein moderner Flickerlteppichvater geworden. Und Großvater noch dazu. Mehrfach auch noch. Man lernt eine Menge dabei. Zum Beispiel, sich nicht so wichtig zu nehmen. Leicht gerät man in die Gefahr, in der sich daraus ergebenden Lächerlichkeit umzukommen. Das passiert leicht, wenn man sich die falschen Schuhe anzieht. Nun gut, die einen können's, die anderen eben nicht. Lesen zum Beispiel. Im Blütenstaubzimmer. Aber wer weiß — vielleicht hat mich das alles ja etwas zu sehr mitgenommen, weil ich in meiner «Rolle» als Vater nicht ausreichend Beachtung gefunden habe oder ihr nicht gerecht wurde, und mache deshalb jetzt hier so einen Krawall.

Ich geh' jetzt ein bißchen mit einem Enkeltöchterlein spielen. Oder einem der -Söhnchen. Irgendeines der unzähligen Plagen wird doch wachzukriegen sein. Opa will. Jetzt.
 
Mo, 02.02.2009 |  link | (1924) | 11 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


vert   (02.02.09, 13:18)   (link)  
natürlich ist das hier der platz für subjektivität und krawall.
ich würde mich dem thema nur anders nähern, vielleicht theoretischer; das ist eben teil meiner lebenswelt.
in der ich eben auch kein vater bin, mir aber trotzdem meine gedanken machen möchte über konstruktion von männlichkeiten...

und, haben sie jemand spielbereites auftreiben können?


jean stubenzweig   (03.02.09, 03:57)   (link)  
Daß Opa spielen will, jetzt! das war eine meiner üblichen Mogeleien (nein: eine Anspielung auf einen Kommentar auf der Seite, wo mein «Wutausbruch» vom Sonnabend engagiert diskutiert wurde). Das geht ja gar nicht, sind die vielen lieben Kleinen doch viel zu weit weg, bei den Mamas und den Papas (meine «Hochzeitskapelle» 1968; die etwas korpulentere Dame war übrigens eine wunderbare Frau [noch eine])


jean stubenzweig   (03.02.09, 10:47)   (link)  
Die eigentliche Antwort,
sehe ich gerade, ist mir nach hier verrutscht.


gorillaschnitzel   (02.02.09, 13:26)   (link)  
...herrlicher Text...chapeau!


jean stubenzweig   (03.02.09, 03:16)   (link)  
Der eine findet ihn herrlich, der andere dämlich. So ist das eben im Leben, nicht nur bei der Kindererziehung. Gut, daß er Ihnen gefällt, das wiederum gefällt mir. Dann sind wir schon zu zweit. Nein, so arg ist's nicht. Er kommt durchaus an, nicht zuletzt, da er sich anderswo offensichtlich als Lesehilfe für den ersten eignet.


gorillaschnitzel   (05.02.09, 15:08)   (link)  
Der erste ginge ja auch noch bequem als Polemik durch. Ich mag schnoddrige Polemiken übrigens recht gerne...


jean stubenzweig   (05.02.09, 15:53)   (link)  
Nichts anderes war's,
lieber Gorilla. Wer schreibt denn solche «Standpunkte» ernstgemeint irgendwo hin?! Nun gut, es soll ja Menschen geben, die solche festgemauerten Meinungen vertreten.

Vielleicht ist's ja nicht ganz so einfach, die Polemik herauszulesen; zumal ich grundsätzlich auf dieses hieroglyphische Erklärungsalphabet des Internets verzichte. Aber wer mit ein klein wenig Aufmerksamkeit nur in meinen Texten liest, muß doch eigentlich zumindest die Tendenz erkennen, daß ich nunmal gerne rumschnoddere (wozu soll solch ein elektrisches Poesiealbum denn sonst gut sein?). Aber mal eben drüberhuschen und dann ein Fitzelchen rausschneiden und dann entrüstet als schlimme These eines anderen ans eigene Scheunentor nageln (und auch noch twittern?! – ich weiß nicht, von wo es kam) – ach nee, wissense, nee. Das tropft dann eher ab.

Vielleicht ist noch nachzutragen, daß es nicht alleine Polemik war und ist. Am Anfang stand Ärger, der zu diffusen Notizen führte, daraus entstand ein Gefühlspfropfen, der wegplatzte, also ein bißchen wohl auch emotionales Geschwurbel über persönliche Erfahrungen, das als Form letztlich im Polemischen aufging. Aber eben alles andere als eine (Hypo-)These, mit deren Hilfe ich die Welt zu korrigieren trachtete.


jammernich   (03.02.09, 13:06)   (link)  
Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es bei Eltern nicht darum geht, ob Mann oder Frau, auch nicht darum, alles richtig zu machen (das kann sowieso keiner, auch die Mamas nicht };-) ), sondern darum, dass man die Kleinen lieb hat. Dass man sie ernst nimmt und ihnen zuhört. Dass man ihnen eben Aufmerksamkeit und Nähe schenkt. Ab und zu auch mal ein ermahnendes Wort, um sie ein bischen zu lenken in ihrem Weg. Alles andere ergibt sich dann von selbst, ob Papa nun die richtigen Klamotten angezogen hat oder Mama mal wieder die Nerven durchgegangen sind. Alles Nebengeräusche. Die Kinder haben sensible Antennen, wer Liebe sät, wird in der Regel auch Liebe ernten.
Ach ja und ihr Männerbild aus dem letzten Beitrag lässt mich schließen, dass sie mit den falschen Kerlen verkehren };-)
Ich kenne zumindest ein paar "Jungs", die sehr wohl gut zuhören können und durchaus sehr interessant sind...


jean stubenzweig   (03.02.09, 14:46)   (link)  
Wer wollte Ihnen da widersprechen?! Sogar ich könnte es nicht, selbst wenn ich wollte. Auch nicht, was meinen Umgang mit Männern betrifft.

Vielleicht sollte ich mehr in mich gehen und weniger außer mir sein.


hanno erdwein   (03.02.09, 17:24)   (link)  
väter ...
man weiß sie oftmals erst zu schätzen, wenn sie nicht mehr sind. Der meinige (Jahrgang 1897) verabschiedete sich, als ich mal gerade 20 war. Zu früh, denn just da begann ich erst zu denken und hätte ihn noch gebrauch - dringend sogar. Weitere Vater-erfahrungen gibts bei uns nicht. Auch schade. Hanno


jean stubenzweig   (04.02.09, 00:17)   (link)  
Ja, aus dem Staub
machen sie sich gerne. Ich kenne das. Auch ich war zwanzig. Aber der meine durfte das, hatte er doch das zarte Alter von neunzig erreicht. Richtig: zart. Noch zarter war er geworden, er, der ohnehin nie grobbesaitet war. Ich weiß das so genau, da er es in meine Nähe geschafft hatte. Er muß gespürt haben, mich noch einmal sehen zu wollen. Aber er hatte mir zuvor bereits nicht nur einige Koffer vollgepackt mit Materiellem, sondern auch mit vielen Weisheiten. Die ich dann zwanzig Jahre später so langsam umzusetzen begann. Die Zeit zuvor meinte ich, diesen Altmännerkram vernachlässigen zu können, mir ein eigenes Geweih wachsen lassen zu müssen. Heute weiß ich, es wäre besser gewesen, das eine oder andere vermittelte Wissen bereits vorher umzusetzen. Aber trösten wir uns: Andere unseres Alters hatten erst gar keine Väter, weil sie in den Schützengräben der Vaterländer oder in irgendwelchen Lagern das Zeitliche segneten und in ach zu vielen Fällen ihre Kinder gar nicht mehr sehen durften. Oder sie kamen zurück und waren dennoch fertig mit dem Leben. Was sich in vielen Fällen auf das der Kinder auswirkte. Endlos, diese Assoziationsketten ...

Ich habe ja ein bißchen was an Vatererfahrung. Ein wenig an Vorväterwissen habe ich hinübergerettet über die Zeit. Ich bemühe mich, verständnisvoller zu sein, als ich es in jüngeren Jahren war. Manchmal ist es gar nicht so schlecht, an Jahren zugelegt zu haben. Es kann jünger machen. Zwar geht das nicht mehr so mit den wilden Ritten über die Koppel, aber eine Tanznacht mit den Jungen in der Disko oder ein Rock-Wochenende gibt's manchmal schon noch her; auch wenn man dabei nicht mehr ganz so in Bewegung ist wie dreißig oder gar vierzig Jahre zuvor. Und auch der Drei-Generationen-Mittagstisch oder -Kaffeetratsch hat seine Reize. Und dann kann man als Alter von den Jungen eine Menge lernen. Zum Beispiel, wie man's nicht machen sollte, etwa, den Jungen zu vermitteln, es sei alles falsch, wie sie's anpackten. Dann wächst ihr Gehörn nämlich noch schneller, sie heiraten viel zu jung oder bauen sich Häuser für Irrsinnssummen, die sie nicht haben. Aus Trotz gar, am Ende. Dabei wollte man doch eigentlich die Klappe halten, konnte aber mal wieder nicht an sich halten, obwohl man aus eigener Erfahrung wußte, wie die Reaktion sein würde. Und so weiter. Aber Hauptsache, sie haben einen und können sich Rat holen. Ob sie ihn einhalten, steht auf einem anderen Blatt. Endlos, diese Assoziationsketten ...















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