Irre Natur

Ich habe von jeher einen leichten Hang, mich mit Menschen zu umgeben, die von anderen gerne als irre bezeichnet werden. Künstler beispielsweise. Zu dieser seltsamen Species zählte auch der promovierte Psychologe, den die Liebe von Wien nach München und in geradezu unausweichlich kerzengerader Folge in einen Familien-Corral getrieben hatte. Vier oder gar fünf Gründe also für den Irrsinn.

Dieser Irrsinnige kommentierte in den Achtzigern, als im der Klassik geweihten Isar-Athen die ersten Vorboten einer zeitgenössischen romantischen Sehnsucht nach freier Natur am weiß-blauen Himmel dräuten, dieses Phänomen gerne beiläufig aufklärerisch: Was brauch ich Natur? Ich hab doch den englischen Garten. Die meisten zuckten mehr oder minder höflich mit den Schultern, man wollte es sich schließlich mit diesem zwar irren Sympathischen oder andersrum, aber eben oder vielleicht deshalb Kopfgesteuerten aus ahnungsvollen Gründen nicht verderben. Einige lachten, da sie wußten, daß dieser Mensch selten einen Fuß vor seine Tür geschweige denn hineinsetzte in diesen Volkslustgarten, den auch sie in der Regel nur dann aufsuchten, um am Chinaturm eine Maß oder auch zwei, dann langsam der unausweichlichen Obstler wegen, weil's so besser rutscht, das Manna, lustig werdend, nicht zuletzt deshalb schließlich eine dritte zu sich zu nehmen. Aber tatsächlich verstanden hat den sarkastelnden Witz auch nach einer möglicherweise vierten Maß gar niemand nicht oder auch nicht mehr. Denn selbst, wenn man mit dem Radl da war, hieß das noch immer nicht zwingend, in des sehr frei oder auch sehr viel vogelwilder noch als die neuen Fauves arbeitenden Kreateurs Natur gewesen zu sein, selbst dann nicht, wenn man zuvor die Hirschau beradelt hatte.

An den irren Theo muß ich denken, wenn sie (jetzt wieder verstärkt wegen der schönsten Zeit des Jahres) unterwegs sind in Gottes freie Natur, die mittlerweile allumfassend behelmtem Rentnerformationen, gerne im Partnerlook auf zwei Rädern durch radwandergerecht aufbereitete Fluren und Auen oder nordisch skibestockt ab durch die Wälder, die sehr jugendlichen, überwiegend mittelständischen Pulks in der Anreise in ihren hier einmal sinnvoll genutzten, da ansonsten überwiegend vor Restaurants stehenden geländegängigen Fahrzeugen ohne jeden Krisenkratzer hin zum reißenden Gebirgsbach, der leicht entschärft wurde, um beim Rafting die Gefahren des Überboardings zu mindern.

Irgendwann kam mir zu Ohren, er sei entmündigt worden, der Theo. Ob es tatsächlich so war oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Sollte es jedoch so gewesen sein, dann geschah es sicherlich wegen seiner überstrapazierten Narretei, die Natur in ihrer Freiheit zu leugnen, wider jede Glaubensvernunft.
 
Do, 02.07.2009 |  link | (3108) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


damenwahl   (03.07.09, 11:37)   (link)  
Wo ist nur der ordinäre Sonntagsspaziergang geblieben, den es in meiner Kindheit noch gab? Es muß immer irgendwas mit Stöcken sein, jedenfalls in Sportkleidung und mit energisch mit-bewegten Armen - und uhhhh, Partnerlook, geht gar nicht.

Verrückte Menschen hingegen - geht sehr gut.


jean stubenzweig   (03.07.09, 13:25)   (link)  
Sonntagsspaziergang?
Wollen Sie damit kundtun, auch noch in Ihrer Kindheit sei diese Maßnahme exekutiert worden? Sie sind doch so jung! Mich hat's ja glücklicherweise eher seltener erwischt, weil's immer irgendwie Spannenderes oder auch schlicht Besseres zu tun gab oder wir einfach grundsätzlich immer nur herumspaziert sind. Allerdings war ich davon überzeugt, daß diese Maßnahme bereits in den Siebzigern in den Mülleimer der Anstandsgeschichte (sich im Sonntagsanzug bzw. -kleid den Nachbarn zeigen) geraten ist.

Andererseits – die Welt geht ja längst an Krücken, zumindest die mitteleuropäische. Oder so: Haben Sie während Ihrer Heimreisen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland schonmal ältere Menschen gesehen, die sich nicht auf irgendwas gestützt hätten? Ich warte darauf, daß die Krankenkassen zwar insgesamt nichts mehr bezahlen an ärztlichen Leistungen, aber dafür demnächst Einkaufswagen – selbstverständlich, sofern vom Schicksal nicht sozusagen überholt, auch im Partnerlook – als sogenannte Rollatoren kostenlos zur Verfügung stellen.

Mein Schmiedstöchterlein (600 Jahre im Familienbesitz) Büddenwarderin hat mir Lahmfüßigem angekündigt, mich demnächst auf der Sackkarre in Cafés und Restaurants zu fahren – das sei ja längst üblich bei alternden Interpreten, denn irgendwie müßten sie schließlich auf die Bühne. So ein Rolldingens sei schlicht unpassend für mich Hilfsmittelverweigerer. – Ja, die ist irgendwie schon ein bißchen verrückt. Was mir sehr recht ist.


gorillaschnitzel   (04.07.09, 03:35)   (link)  
Entmündigung?
Kommt drauf an wann.....weil: Die Entmündigung gibt es mittlerweile nicht mehr. Das wurde durch das neue Betreuungsrecht ersetzt (und ich bin jetzt zu faul zum g**geln, aber würde behaupten wollen, dass es das nun schon etwa 12-15 Jahre mindestens gibt). Entmündigung hieß de facto völliger Verlust aller Rechte (und zwar wirklich aller, inkl. des Wahlrechts!) und das kann es (meiner Ansicht nach) in einem demokratischen Rechtsstaat nie geben.


jean stubenzweig   (04.07.09, 11:08)   (link)  
In den Achtzigern
war das, wie's oben auch zumindest ansatzweise geschrieben steht, es kann auch Ende der Siebziger gewesen sein, so genau weiß ich es nicht mehr. Damals sprach man von «Entmündigung». Ob die Bezeichnung juristisch korrekt war, auch das entzieht sich meiner Kenntnis. Es wurde ohnehin eher herumgeblödelt, überdies dürfte es sich um ein Gerücht gehandelt haben, das in die Luft gesetzt wurde, aus welchem Grund auch immer. Auch war der Mann viel zu klar im Kopf, als daß der das hätte mit sich machen lassen. Ich traue ihm sogar zu, daß er der Gerüchtekoch selber war, bereitete es ihm doch einen heidnischen Spaß, seine Mitmenschen in den Zustand zu versetzen, von dem diese meinten, er sei sein Repräsentant: Klapsmühle, als Freigänger vielleicht ... Wie auch immer – er war ein hoch-, irgendwie anti-k.u.k-gebildeter, großartiger Mensch, der sich um nichts scherte und in dessen Gesellschaft ich mich immer wohlfühlte, vermutlich auch, da ich durch ihn oder von ihm immer lernen konnte.

Das mit dem dem «Betreuungsrecht» ist mir einigermaßen ein Begriff, da ich eine Bekannte hatte, die etwa in den Neunzigern als «Betreuerin» fungierte. Ich habe das in keiner guten Erinnerung.















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