Paritätisch coram publico

Was heutzutage via Chat, Elite-Partner et cetera pp. das Leben abenteuerlich gestaltet, waren früher Bekanntschaftanzeigen in den sogenannten seriösen Zeitungen. Auch ich beteiligte mich hin und wieder an diesem schönen Gesellschaftsspiel, in dem es meistens in der letzten Zeile der Selbstanpreisung hieß: Aus paritätischen Gründen Akademiker bevorzugt. Das war wohl der Anlaß, sich auf dem Markt der lateinischen Sprache, zumindest jedoch sprachlicher Mittel der philosophischen Antike zu bemühen. Da ich mich des öfteren nicht des Eindrucks erwehren konnte, die Paritätikerinnen kämen sprachlich bisweilen etwas orientierungslos von der Ziellinie ab, gab ich einen kleinen Nachilfe-Leidfaden heraus, den ich von Zeit zu Zeit verschickte; schließlich konnte man seinerzeit noch nicht eben mal bei Wikipedia nachschlagen. Heute kam er, nach weit über zehn Jahren, quasi als verspäteter Boomerang zurück, aus dem Archiv einer Dame, die beim Surfen auf den globalen Highways auf mich gestoßen war. Auch wenn eine Weiterführung nicht notwendig sein dürfte angesichts der voll informierten Gesellschaft, so will ich doch selbst belustigt über meine früheren abseitigen Beschäftigungen das Publico (auszugsweise) partizipieren lassen.

Werte Holly Golightly1,
ich habe, als Student der Bekanntschaftsanzeigen im 111. Semester, mein gerüttelt Maß an Leid und Mit-Leid gebündelt — für den Fall, daß Sie Ihren Fred nicht umgehend finden und nochmals coram publico Ihre Zugehörigkeit zu den sportlich-gebildeten Ständen demonstrieren müssen: ein paar Beispiele weiterer Entrées:

Ab Iove principium
Bei Jupiter ist der Anfang. Jupiter (Zeus) ist der römische Göttervater, «von ihm hat alles seinen Ursprung». Die Redewendung geht zurück auf Vergil bzw. auf den Anfang der Phänomena des Aratus in der Übersetzung des Germanicus, wo es heißt: «Von Jupiter anfangend, singet ihr Musen ...» (Vers 1)
Abusus non tollit usum
Mißbrauch hebt den Brauch nicht auf.
Ad arma
Zu den Waffen – gebräuchlich im Sinne von: ans Werk oder: Gehen wir (an eine Sache heran). Ad arma wurde schließlich zu ‹Alarm›.
Aequalis aequalem delectat
Der Gleiche macht dem Gleichen Freude. «Ähnlichkeit», schreibt Erasmus von Rotterdam, «ist die Mutter des Wohlwollens und die Stifterin von Beziehung und Freundschaft.» — Es kommen Junge zu Jungen, Alte zu Alten, Bayern zu Opel, Gebildete zu Lateinern et vice versa, Reiche zu Huren zu Luden, zeitgenössische Künstler oder Schriftsteller zu feingezwirnten Damen mit kleinem Latinum und großem Herzen. Aristoteles hat dies in seiner Nikomachischen Ethik so gesehen Semper similem ... Semper graculus ... Doch ebenso weist er, wie andere seiner antiken Kollegen, darauf hin: «Es ist klar, wen man beneidet; jedenfalls nicht diejenigen, die vor zehntausend Jahren gelebt haben oder in zehntausend Jahren leben werden [...]; nein, wir beneiden diejenigen, die uns von der Zeit, vom Ort, vom Alter, vom Ansehen und von der Abstammung her nahestehen.» Das Ergebnis ist unter Künstlern, herausragend in Köln, bisweilen theatralisch zu erfahren.
Aut Caesar aut nihil
Entweder Caesar oder nichts — im Sinne von: alles oder nichts. Wahlspruch des Cesare Borgia.
Canis a non canendo
Der Hund (wird Hund genannt), weil er nicht singt (vom Nicht-Singen). Ein spöttischer Ausdruck, der bei Varro in einem Werk über die lateinische Sprache aufscheint: Lucus a non lucendo.
Captatio benevolentiae
Haschen nach Gunst. Trachten nach Wohlwollen Höhergestellter; Gunstwerbung. Der Ausdruck wird Boethius zugeschrieben. Er war Minister Theoderichs des Großen, sein Hauptwerk führt den Titel Tröstung der Philosophie.
Cucullus non facit monachum
Die Kutte macht nicht den Mönch — Äußerlichkeiten haben mit dem Wesen nichts zu tun; in gewissem Sinne das Gegenteil des Sprichworts: Kleider machen Leute
De gustibus non est disputandum
Über Dinge des Geschmacks läßt sich nicht streiten.
Difficile est satiram non scribereEs ist schwer, eine Satire (darüber) nicht zu schreiben — bezieht sich auf Situationen oder Begebenheiten so grotesker Art, daß der Spott des Beobachters herausgefordert wird. Der Ausspruch geht zurück auf Juvenal.
Est modus in rebus, sunt certi denique fines
Es ist ein Maß in den Dingen, es gibt schließlich bestimmte Grenzen. Zitat aus den Satiren des Horaz.
Evitata Charybdi in Scyllam incidi
Ich bin der Charybdis ausgewichen und dafür in die Fänge der Skylla geraten — in (bekannter) Kurzform: Zwischen Skylla und Charybdis. Der Sinn des Wortes: Während man dem größeren Übel zu entgehen trachtete, geriet man ins andere. Homer ist es, der in seiner Odyssee erzählt, wie Odysseus aus Angst vor der Charybdis näher bei der Skylla vorüberfuhr und dabei sechs seiner Gefährten einbüßte. In seiner Aeneis schildert Vergil: «Diese Gegend soll einst, als beide Länder noch zusammenhingen, durch einen gewaltigen, verheerenden Einsturz auseinandergebrochen sein [...], riß mit seinen Wassermassen die italienische Seite von der sizilischen und durchspülte in brandender Enge die nun getrennten Fluren und Siedlungen. Das rechte Ufer hält die Skylla besetzt. Das linke die unbarmherzige Charybdis.» Skylla: «[...] die schrecklich bellende [...]. Zwölf Füße hat sie [...] und sechs Hälse [...] und auf jedem ein greuliches Haupt, und darinnen eine Reihe Zähne [...]» Charybdis: «[...] schlürft die göttliche Charybdis das schwarze Wasser ein. Denn dreimal sendet sie es empor am Tage, und dreimal schlürft sie es ein, gewaltig: mögest du nicht gerade dort sein, wenn sie einschlürft!» Also, sagt uns vergilsche Moral: Lieber Hab und Gut, jedoch nicht den Kopf verlieren; aber auch: äußerste Vorsicht walten lassen — sich also nicht so herumtreiben wie dieser Odysseus und sich demnach besser nicht zwischen beiden begeben. Doch ein weiteres führt Erasmus von Rotterdam an (womit wir beim Thema Errata wären): «Du hattest Angst, deine Bildung könnte zu wenig zur Geltung kommen, und hast dir dafür den Ruf eingehandelt, ein eingebildeter Protz zu sein. Das stimmt genau mit der verkehrten Fassung unseres Sprichwortes überein: Du bist der Skylla ausgewichen und dafür in die Charybdis geraten.»
Ex ungue leonem
An der Klaue (erkennt man) den Löwen — etwa gleichbedeutend mit dem ins Heitere übertragenen deutschen Sprichwort: Am Ringelschwanz erkennt man doch das Schwein. Der Gedanke, nämlich vom Teil aufs Ganze zu schließen, findet sich bei Plutarch.
Fide, sed, cui, vide!
Traue, aber achte darauf, wem! — analog dem deutschen: Trau, schau, wem!
Gutta cavat lapidem
Der Tropfen höhlt den Stein — eine Sentenz nach Ovid, aus dem Steter Tropfen höhlt den Stein wurde.
Hora ruit
Die Stunde eilt — ein Sinnspruch über die Flüchtigkeit der Zeit, der auf den niederländischen Rechtsgelehrten und Staatsmann Hugo Grotius de Groot, 1583 – 1645) zurückgeht.
Horror vacui
Grauen vor dem Leeren. Einer uralten Vorstellung nach besteht eine natürliche Abneigung, ein Grauen vor dem luftleeren Raum. Das Wort wird auch verwendet in der Bedeutung: Angst vor dem Nichts.
In acie novaculae
Auf des Messers Schneide — Nestor sagt im 10. Buch von Homers Ilias: «Denn jetzt steht es fürwahr auf der Schärfe des Messers, ob alle Danaer schmählich verderben sollen oder noch leben.» In Sophokles Antigone liest es sich so: «Bedenke, daß du wieder auf der Schneide des Schicksals stehst!» Und im Epigramm eines unbekannten Dichters läßt dieser Helena zu Menelaos und Paris sagen: «Speergewaltige Fürsten von Europa und Asien, für euch beide steht es auf der Schneide des Messers, wer mich Unglückliche zur Gattin gewinne.»
Mens sana in corpore sano
In einem gesunden Körper (wohnt) ein gesunder Geist, eine gesunde Seele. In der sogenannten Neuzeit, verstärkt seit Einführung der sportiven Autofolter interpretiert man diese Anrufung dahingehend, daß einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist entsprechen müsse (wobei letzterer infrage zu stellen ist). In der Antike wurde darunter jedoch eine Anrufung der Götter verstanden, sie mögen einem Kind sowohl einen gesunden Körper als auch eine gesunde, das heißt tapfere Gesinnung schenken; Sentenz nach Juvenal.

Nec aspera terrent
Auch Widerwärtigkeiten schrecken nicht.
Nosce te ipsum
Erkenne dich selbst.


Sollten Sie weitere Hilfe benötigen — meine Datei ist schier unerschöpflich. Denn: Homo sum, humani nihil a me alienum puto.

Viel Glück bei der Suche.


Nachtrag am 19. Februar 2012:
Auslöser für das oben angedeutete Vademecum (vielen wohl allenfalls als Mundwasser bekannt), das hat weiteres Stöbern in den digitalisierten Altakten ergeben, war folgende Anzeige in einer der «großen deutschen» Zeitungen.

Spielgefährtin gesucht, deren Geist nicht kreist, ein Mäuslein zu gebären, die den Steinbock lieber im Gebirge, die Natur nicht (nur) grünäugig und den Krebs bisweilen gerne im Topf sieht, Golf geographisch, Romantik historisch buchstabiert, zwischen 20 ist und 50, 150 und unendlich und keine nationalen Grenzen kennt – von passablem Kopf, weniger Apoll als apollinisch, nie genau in der Waage zwischen Solo und Duo, Albern- und Ernsthaftigkeit.

Die daraufhin eintreffende Post war zwar nicht in Säcken verpackt, aber von der Quantität her auch nicht gerade ein Sparpaket. Die Qualität veranlaßte mich dann allerdings zu einer neuerlichen Annonce, die die mich erreichten Werteangaben in etwa zusammenfaßt:

Sie, absolut klischeefrei: Altlasten (ohne), attraktiv (wie man sagt), Beine (im Leben), Blond (nicht blöd), Buch (das gute), Carpe diem, Dinner (bei Kerzenlicht), Entheiratet, Figur (top + EQ), first (class music), Herz (und Wärme), Investition (und Liebe), Jeans (und kleines Schwarzes), Gespräche (und Kamin), Golf (und Tennis), Gott (und Welt), Herz (und Bildung), Kunst (und Kultur), Gespräche (lang), Lebenstil (gehobener), Lesen (und Musik), Natur (frei), Neu(-anfang), Niveau, Outfit, Power(-frau), Reisen (ferne Länder), Rotwein (Kamin), Single (mal gerne gewesen, jetzt nicht mehr), Ski (und aprés), schlank (mit Formen), Unternehmen (und trotzdem), Vollblut (-frau; akademisch), weiblich (geblieben).
 
Do, 16.02.2012 |  link | (2141) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


jagothello   (16.02.12, 20:46)   (link)  
(Difficile est) satiram non scribere.
Wie man sieht!


jean stubenzweig   (17.02.12, 18:11)   (link)  
Ach, wissen'Se,
im nachhinein ist mir das selber ja durchaus ein bißchen peinlich, mich so aufgeplustert zu haben; deshalb habe ich es auch Boomerang genannt. Tatsächlich war es nicht anders zu lesen als satirisch, was seinerzeit in der Branche so abging. Das Schwingen von Sprüchen von irgendwas mit Bildung hatte, von weiten Teilen der Bevölkerung unbemerkt, da sie in den Neunzigern nicht die richtigen Zeitungen beziehungsweise Anzeigen lasen, Konjunktur angenommen; ich habe mal versucht, es ein wenig aufzudröseln: Lapsi linguae. In dieser Zeit schien mir das Bedürfnis derart außerordentlich geraten, mit Hilfe solcher Sprach-ver(w)irrungen die Hühnerleiter sozial emporzusteigen, daß ich begonnen hatte, eine Studie anzulegen. Als mir der Überfülle wegen die Lust abhanden gekommen war, kam zum Abschluß hin lediglich dieser kleine Leidfaden zustande. Leider ging das meiste Material dahin, als ich eines Tages beschlossen hatte, alles zu digitalisieren und kein überflüssiges Papier mehr aufzuheben, beispielsweise die vielen Zeitungsausschnitte, auf deren Dokumentation ich dann doch verzichtet habe. Allerdings gehe ich davon aus, daß diese Satire sich in den digitalen Anzeigenblättern nahtlos fortsetzen ließe, denn es dürfte sich innerhalb des klassischen Elitebewußtseins nichts geändert haben.


terra40   (17.02.12, 12:58)   (link)  
Groß, größer, de Groot
Vielen Dank, lieber Herr Stubenzweig, für diese Lateinstunde. Interessant sowieso, und für mich, Nicht-Latinist, sehr nützlich.
Übrigens, den Herr Hugo de Groot Hugo Grotius de Groot zu nennen, würde ich für ein pleonasme halten. Zu viel vom guten. Der Mann hieß mit Nachnamen schlicht de Groot und weil es ihm zu schlicht vorkam,ließ er es lateinisch umwandlen in Hugo Grotius.
Er wurde 1619 vom Stadthalter Prinz Maurits verhaftet und im Schloss Loevesteijn eingekerkert. Er floh weil er sich, intelligent wie er war, versteckte in einer Bücherkiste welche aufs Land befördert werden mußte. Dann reiste er vorerst nach Schweden und wurde schließlich einer der weltbesten Juristen seiner Zeit.
Gruß, T.


jean stubenzweig   (18.02.12, 17:09)   (link)  
Recht haben Sie.
Die Latinisierung stand im Urschriftlichen, das hat mein Archiv dann doch noch herausgerückt, auch in Klammern gesetzt: Hugo (Grotius) de Groot. Das obige ist wohl via eMail-Hieroglyphisierung beziehungsweise durch die unterschiedlichen Systeme mißraten und von mir eben übersehen worden.

Ihnen Dank für die Erweiterung dieser Information.















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