Wetterspinne

Alles schreibt vom dahingehenden Sommer. Und ein paar starren auf die wetterverkündende Dame, wenn auch weniger auf deren blonden Formen als vielmehr auf die durch sie angedeuteten Hoffungskurven. Dabei ist die Hoffung nach Nietzsche das Übelste aller Übel, da sie die Qual verlängere. Und die könnte auf Ballermannorca liegen. Das einige bereits als Exil angekündigt haben.

Aber es verhält sich anders: Mein Wetterfrosch ist eine Spinne, und die spinnt. Wieder. In letzter Zeit hatte sie ihre Produktion eingestellt. Vermutlich, weil sie keine Lust verspürte, den Winterpelz aus dem Schrank zu holen, ihr aber auch noch nicht danach war, hier drinnen in meinem Büro ihr Dauerschlafplätzchen aufzusuchen (sehr zur Freude der völlig arachnophoben Büddenwarderin).

Es geht um meine Außenspinne. Sie ist nicht nur meine blonddralle Verkünderin, sondern sie frißt auch für ihr Leben gern Fliegen (wie andere Frösche). Zwar sind hier bei mir im Dörflichen alle erreichbaren Fenster fliegengitterbewehrt, aber es gibt da eine Species, die so winzig ist, daß sie nächtens noch jedes allerwinzigste Löchlein durchschlüpft, um auf meinem Computerbildschirm ihre nächtliche Tanzparty zu veranstalten. Wärme und eine bestimmte Luftfeuchtigkeit verursachen in ihrem Botenstofflabyrinth offensichtlich ein LSD-artiges Chaos, das Orgien auslöst, in die ich nicht anders korrigierend eingreifen kann, als die Fenster zu schließen. Und das, nachdem mir die Sonne durch rund vierzig Quadratmeter Glas das westlich gelegene Bürokathedrälchen auf vierzig und mehr Grad aufgeheizt hat.

So war das, bis eines Nachts die Fliegen ausblieben.

Ich dachte nicht weiter darüber nach, wurde nach der dritten fliegenfreien und ungestörten Schreibnacht dann doch so stutzig, daß ich der Sache bei Licht betrachtet auf den Grund gehen wollte. Und tatsächlich: Überall dort, wo ich die Fenster bevorzugt weit öffne, zumindest aber kippe, befanden sich auf den Fliegengittern Spinnennetze, so fein, daß auch diese übelwollende minifruchtfliegenkleine seltsame Kreatur keinen Eingang in mein arbeitssames Inneres mehr fand. Ab und an hing frühmorgens noch so ein Leichlein darin, vermutlich übriggeblieben vom üppigen Spinnennachtmahl.

Mit meiner Rückkehr von der Einrolltour des neuen Roten hatte auch die kurzvorhintersibirische Sommerkälte Einzug gehalten. Und mit ihr war auch meine fliegenfressende Außenspinne samt Netz verschwunden. Verständlich, denn es gab ja nichts zu mampfen. Woran sie sich ansonsten delektierte, kann ich nicht beurteilen. Aber es war auch nicht zu überprüfen, da ich sonst erfroren wäre.

Seit heute abend aber spinnt sie wieder, meine Spinne. Das heißt für Euch, die ihr die Hoffnung bereits habt fahren lassen: Es geht wieder aufwärts. Mit den Temperaturen.
 
Fr, 29.08.2008 |  link | (1743) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben


nnier   (29.08.08, 10:20)   (link)  
Die Spinne ist ja nicht dumm, sie hat gemerkt, dass Sie wieder da sind und nachts bloggen. Dann lohnt sich das Spinnen wenigstens. "Endlich wieder dieses Licht", denkt sie, "auf das die dummen Fluginsekten so abfahren. Etwas mehr Regelmäßigkeit wäre wohl zu viel verlangt.", murmelt sie und knüpft den nächsten Knoten.


jean stubenzweig   (29.08.08, 12:05)   (link)  
Prächtig!
Sie schreiben ab sofort solche Geschichtchen für mich (weiter). Das können Sie besser. Das heißt aber auch: Sie müssen hier sitzen und der Spinne computerleuchten.

Was allerdings auch bedeutet: Sie müssen viel öfter hier herüber in den Osten des Westens, als Sie vermutlich annehmen. Denn ich habe ja häufiger anderenorts mein Kreatief und funke das hier hinein. Denn nur wenn ihr jemand heimleuchtet, dann spinnt sie, die Spinne. Das jedenfalls behaupten Sie! (Ich hatte noch keine Möglichkeit zur Rücksprache – sie hat wohl achtern in ihrem Außenapartement alle Achte eingerollt und ruht.)















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5807 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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