Roman(t)ische Ruine

Weshalb diese Freundschaft endete, kann ich nicht begründen, besser: Ich habe nie nach Ursachen geforscht. Mit einem Mal war sie abgerissen, die Freundschaft. Einfach so.

Früher hatte man sich des öfteren getroffen, regelmäßig mehr oder minder zufällig auf den einschlägigen Veranstaltungen in Basel, Köln, Paris, Madrid und bisweilen sogar in Luxembourg oder Maastricht, aber auch in privatem Bereich. Dort überall verabredete man sich immer wieder einmal gezielt und besuchte dann einander, durchaus schonmal für mehrere Tage. Man hatte ebendiese gemeinsamen Interessen, gemeinhin Kunst und Kultur genannt, vor allem aber lebten wir mit diesen Menschen, die für deren Produktion zuständig waren. Lange Sitzungen am runden (Speise-)Tisch endeten oftmals früh morgens, nach vielen Gängen, wir beide noch übrig, als Rest einer wunderbaren Gesellschaft, oder manchmal irgendwo anders, (zwischen)bilanziernd wie in Mein Essen mit André. Nie ging der Gesprächsstoff aus, ebensowenig der Wein, dessen Reben wir am liebsten im Süden Frankreichs wachsen sahen.

Dort hatte er sich eines Tages auch ein Haus gekauft. Haus? Ach was, eine Roman(t)ik-Ruine. Damit wären wir eigentlich noch näher aneinandergerückt, sowohl vom Interessensgebiet her als auch geographisch. Wären. Ich hatte längst meinen hafennahen Aussichtsturm auf die Rest-Antike von Marseille bezogen und war bereit, aber er war, neben seiner Tätigkeit als mittelständischer Unternehmer, fast nur noch mit Bauarbeiten beschäftigt. Einige Male bin ich die rund 250 Kilometer in den Westen gefahren, wo er in den Hügeln oberhalb von Béziers seinen dörflichen Bauplatz aufgeschlagen hatte. Nun ja, gezielt bin ich dabei eigentlich nie unterwegs gewesen, sondern habe während meiner Bummeleien von Marseille aus entlang der Küste und der wiederholten Erkundungen des geschichtsträchtigen und zudem zauberhaften Hinterlandes der Katharer immer wieder mal den Versuch eines Besuchs unternommen. Wir trafen einander weiterhin bei den Ereignissen, bis hinauf an die Ränder der ars baltica, freuten und umarmten uns, aßen und tranken miteinander, fanden immer irgendwo ein Lokal, das einen Herzhaften aus dem Languedoc oder zumindest einen Madiran im Giftschrank hatte, aber wenn ich von Béziers oder Narbonne aus anrief, um meinen Besuch vorzuschlagen, hatte er keine Zeit. Die raubte ihm sein Stück römische Geschichte, das er wieder genau so hergestellt wissen wollte, wie es vor rund zweitausend Jahren erbaut worden war. Ich bedauerte es sehr, hatte mich jedoch zu fügen.

Eines Tages ritt mich die Neugier dann doch hin in das Dörfchen. Ich wollte die Pretiose zumindest einmal gesehen haben. Irgendwie würde ich es schon finden, zumal es mitten im Ort gelegen sein sollte. Bewußt wählte ich einen Zeitpunkt, von dem ich sicher sein konnte, den Bauherrn nicht anzutreffen, denn das wäre mir dann doch ungenehm gewesen. Ich würde mich schon durchfragen, vor allem über die ortsansässigen Handwerker. Doch ich spürte bald schroffe Ablehnung, niemand wollte mir Auskunft geben. Bis ich den in solchen Fällen einzig gangbaren Weg ging: in die zentral gelegene Bar, wie das Café genannt wird im Land, in der auch die Arbeiter ihren Pastis oder den kleinen Roten oder auch zwei nahmen. Zwar nahm auch hier zunächst einmal die Distanz Platz, doch das war wohl in erster Linie der landesüblichen Skepsis allem Fremden gegenüber geschuldet. Tourismus gab es kaum im Örtchen, lediglich zwei Deutsche hatten sich eingekauft ins Dorf.

Einer davon war er, wie mir dann nach zwei Stunden und einer ordentlichen Zeche der Wirt anvertraute. Und man war nicht gut auf ihn zu sprechen. Gerademal einen einheimischen Maurer sowie einen Hilfsarbeiter hatte er beschäftigt, und die auch noch schlecht bezahlt. Die Klempner und Installateure, die Elektriker und Verputzer, die Zimmerleute und Tischler brachte er immer allesamt aus Deutschland mit. Ebenso das Holz, die sanitären Anlagen und Fließen, die über gut tausend Kilometer von einem im Nordrheinwestfälischen ansässigen Baumarkt angeliefert worden waren — allesamt französische Produkte, die zudem überwiegend aus dem Languedoc-Roussillon stammten, aber weiter nördlich ein paar Centimes billiger verkauft wurden.

Später, während der nachdenklichen Fahrt hinunter nach Béziers, erinnerte ich mich mit einem Mal an sein Leid, das er mir mal ins Telephon geklagt hatte: Die Unzuverlässigkeit der ortsansässigen Handwerker. Dauernd lägen sie im hochsommerlichen Mittag unter den Bäumen im Schatten. Dauernd müsse er nach Frankreich fahren und hinter oder neben ihnen stehen. Sie hätten einfach kein Interesse an ihrer Geschichte, diese Franzosen. Vergnügen sei das keines.

Gestern erreichte mich auf Umwegen die Nachricht, eine Liebe sei zerbrochen: Er habe sein Anwesen nach zehn Jahren Mühsal wieder verkauft.
 
Mi, 03.09.2008 |  link | (3557) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben


richard graf rappoldstein   (04.09.08, 00:47)   (link)  
Diese bundesrepublikanischen
Marotten verwundern mich nicht. Es gibt halt Frankreich in zwei Versionen. Die eine - fiktive - ist die in den Köpfen der teutonischen Nachbarn. Das gemütliche Frankreich, in dem man es nicht so genau nimmt. Und dann auf der anderen Seite das Frankreich, dass man in Deutschland nicht kennt: Das Land, das hoch modern ist, dessen Handwerker zuverlässig und präzise sind, das Land, das in Infrastruktur investiert hat und dessen Postboten auch in der France profonde noch regelmässig kommen.
Genügend Schweizer habe ich bei uns in der Nachbarschaft gehört, die über die Franzosen geschnödet haben. Und eine weigerte sich gar - trotz eines eigenen Anwesens im Sundgau im Frankreich Fleisch zu kaufen.


jean stubenzweig   (12.07.10, 23:07)   (link)  
Nicht fehlen darf
dann auch der Hinweis auf Leben und leben lassen.















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