Lustiges Cabinett Einigermaßen überrascht war ich im Juni über das Interesse an dem Beitrag über die Kunst und Luxus. Zunächst dachte ich ja, die hohe Klickzahl — der bis heute mit Abstand meistgelesene Beitrag meines Logbüchleins — habe mit der suchmaschinenoptimierten Janis Joplin zu tun, die vom Guten Stern auf allen Straßen umgestiegen war auf Gerhard Richter. Rock geht ja immer, allemale, wenn er in die Geschichte (rück-)blickt. Ein Richter auch, ist er doch der teuerste von allen, weitaus teurer noch als eine dieser besternten Karossen für den gehobenen Mittelstand. Sowas interessiert infolgedessen und verständlicherweise den unteren. Doch dann gab's auch noch Kommentare zur Kunst im allgemeinen. So glaubte ich mich letztendlich mit einem ungemeinen Zuwachs an Sachinteresse konfrontiert. Bis ich sah, was und wer die Flut ausgelöst, sie zu meinem bescheidenen Sabbeleckchen weit hinten am Flohmarkt der aufklärerischen Kleinrevoluzzerei hin kanalisiert hat: Monsieur Alphonse vom Tegernsee. Und was er anbietet, wird nunmal genommen. Der Rest interessiert dann nicht weiter. Sei's drum. Aber angenehm ist's durchaus, von ihm empfohlen zu werden. Nicht nur, weil er als Multiplikator, sondern eben nicht zu diesen Kunstmarktkunstsaugern zählt (klar, sonst hätte er dazu nicht seine Visitenkarte abgegeben). Vor allem, weil er jemand ist, der eine Verbindung herstellt zwischen dem Stück Torte, das es umgebende und bereichernde Silberbesteck und dem Blick und der Teilhabe an dem von ihm genüßlich als Rätsel arrangierten Stilleben, das eben nicht nur ein paar Äppel und Birnen und ein bißchen Federvieh zeigt, sondern darauf verweist, daß jede Kunst ihre Geschichte hat, der auch vermittelt, daß ein Stilleben dann doch etwas tiefer in der Historie schürft als das, was einer dieser gedruckten Wissensbriketts mal über das spanische Bodégon freigab: «Ein lustiges Cabinett mit allerlei Eßbarem, was im spanischen Klima wächst.» Wobei das Charakteristische des Bodégon gleich mit weggelassen wurde: Der Begriff Bodégon entstammt dem der Bodéga, jener ärmlichen Spelunke, in der jener billige Wein ausgeschenkt wurde, der die Armut vergessen ließ (und in der man urlaubstechnisch auch heute noch preisgünstig essen kann). Das war nicht etwa eine Fremdenverkehrsdirektorenassistentin — oder besser: langjährige Praktikantin? —, die diese auf Volkslexikonformat reduzierte Informationsflut in brillantem Deutsch auf die kunstbegierige und schlangestehende Gemeinde abließ. Kunsthistoriker waren es allesamt, mehr oder minder gestandene spanische und deutsche, die ihr Wissen auf diese Formel gebracht hatten. Knapp und prägnant. Noch unter dem Twitterlimit. Die Menschheit bloß nicht mit diesem ganzen Hintergrundkram verunsichern, sondern sie sanft an die schönen Künste heranführen. Denn wen interessiert das schon: Die dargestellten Gegenstände der Stilleben verweisen in symbolischem und theologischen Sinn auf den Menschen, deuten in Bildern die Welt oder erinnern an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Im Bücherstilleben eines unbekannten Meisters geht eine konkrete politische Aussage auf die Bewegtheit des ersten Drittels des (spanischen) 17. Jahrhunderts auf. Zwar erklärt besagter, von Fachleuten zentnerschwer armenbibelartig befrachtete Katalog, daß die zerlesenen Bücher römische Rechtsschriften sind, verdeutlicht aber nicht, daß hier die Vergänglichkeit, die Auflösung des Rechts in Spanien symbolisiert ist. Weder in einem der fünf Katalogaufsätze noch in einer der Bildbeschreibungen wird auf die religiöse, ergo politische Symbolik der Stilleben hingewiesen. So zum Beispiel, daß im Granatapfel die Einheit der Kirche mit ihrer großen Menge an Gläubigen aufgeht oder er auch als Zeichen der Auferstehung gilt. Die Schwertlilie deutet auf Marias Schmerz hin, Blumen stehen für die fünf Sinne, die den Menschen so stark an das Irdische binden, und Früchte sind Nahrungsmittel der Armen und deshalb am Hof als Dessert verpönt. Solches torkelt mir durch die Ganglien, wenn ich in einer Zeitungsanzeige ein Arrangement vor Landschaft (Orchideen in chinesischer Vase vor Golfplatz) sehe und darunter lese: ein wunderschönes Stilleben, ganz in der jahrhundertealten Tradition dieses Genres. Die Agenturpraktikantin, die diese hochinformative Bildunterschrift im Auftrag des mecklenburgischen Achtzehnlochkunden verfaßt hat, sollte ihr Wissen vielleicht doch weniger aus Kunstkatalogen beziehen und des öfteren mal in elektrischen Tagebüchern stöbern.
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