Saurer Wein

Dieses Mal ist es schwarze Johannisbeere — Cassis. Crème de Cassis ist es, der in mich fließt, langsam überspült von dem weißen Bordeaux, den in Deutschland keiner trinken würde, ihn aber auch nicht zu kaufen bekäme, weil die Winzer ihn lieber selber schlucken. Diese Bordeaux sind so trocken, daß sie, wie ich gerne zum besten oder schlechten gebe, kurz davor sind, zu stauben. Erst nach dem zweiten, besser: dritten Schluck kommt dieser Geschmack des absolut reinen Weines. Es gibt sie ganz weit nordöstlich des Bordelais allerdings auch. In der Pfalz habe ich mal bei einem Winzer, der sich äußerlich bereits seinen jahrtausendealten Rebstöcken angeglichen hatte, welchen getrunken. Er sagte mir, solche Weine seien gar nicht verkaufbar. Man könne sie nicht lange lagern. Den meisten seien sie auch zu sauer. Da müsse man sie eben selber trinken. Sprach's und nahm noch einen lustvollen Schluck.

Sauer, sehr sauer, das sagte auch die Kollegin vor einigen Jahren, als ich mal von dieser Geschmacksrichtung schwärmte. Ihr ohnehin leicht verhärmtes Gesicht verzog sich dabei zu einer (spieß-)bürgerlichen mittelständischen mittelalterlichen Altweiberzitrone. Mit entsprechend säuerlichem Gesicht berichtete sie, sie sei einem Irrtum aufgesessen, in der Übersetzung hörte ich so etwas wie Betrug heraus, hatte sie doch gleich einen Karton mit vierundzwanzig Flaschen gekauft, weil Paul Bocuse seine Empfehlung allem Anschein nach jeder einzelnen persönlich mit antiker Tinte an den Hals signiert hatte. Mit der dem Diplomatenhaushalt gebührenden Zurückhaltung, aus dem sie in die schnöde Welt hinausgeworfen worden war, berichtete sie vom ersten Verkostungsversuch der zwei Dutzend Flaschen. Es habe eine Art Revolution gegeben in ihrer Geschmacksnervenwelt. Und ob ich interessiert sei, selbstverständlich gewähre sie mir einen Nachlaß. Sprach's, rauschte ab, ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten, tauchte hinab unter ihren Schreibtisch, wo der Wein seinem Verderben entgegenwartete, zog eine Flasche heraus, kam zurück zu mir, stellte sie vor mich hin und meinte, ich solle ihn doch mal probieren. Zuhause angekommen telephonierte ich sogleich dem Händler hinterher, der dann tatsächlich auch noch ein paar Flaschen dieser «Sonderedition» aus dem Giftschrank seines Lagers hervorkramte; vermutlich für sich persönlich reserviert. Restlos ausverkauft war dieser weiße Bordeaux. Am außerordentlich günstigen Preis dürfte es weniger gelegen haben, eher an der Tatsache, daß Monsieur Bocuse seine Empfehlung laut und vernehmlich proklamiert hatte. Vielleicht hätte ich bei noch ein paar anderen dieser verspäteten Mädchen nachfragen sollen, ob sie zufällig auch diese Bocuse-Empfehlung erstanden hätten, die eigentlich kein Mensch trinkt.

Aber ich hatte bereits soviel davon, daß ich mir immerhin hin und wieder das Sakrileg erlauben konnte, diesem Wein (für andere) etwas Farbe zu geben. Und er mußte ja weg, weil er sich bekanntlich nicht so lange lagern läßt.

Ich liege unter einem sich auf mir zum Bouches-du-Rhône ausbreitenden heiteren Quell aus feinsten, sorgsam dosierten edelherben Früchten.
 
Fr, 02.01.2009 |  link | (3153) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache


vert   (02.01.09, 12:06)   (link)  
à votre santé, monsieur stubenzweig.
auf weitere gute flaschen mit guter zeit im neuen jahr.


jean stubenzweig   (02.01.09, 12:11)   (link)  
Die alte Flasche
nimmt die Neige als einen ordentlichen Schluck und prostet vollmundig wünschend zurück.


prieditis   (03.01.09, 01:36)   (link)  
ja, feiern sie das neue jahr! ich hab da auch noch eine flasche "le rouge" vom shell, anno 1987. das pendant wurde mittels lippenpflegestift entkorkt und gemeinsam mit einem holden, angebeteten aber mich verschmähenden fräulein vor einer disc...tanzlokal verköstigt... geschmacksrichtung evtl. ähnlich wie oben beschrieben...
vielleicht wage ich das experiment und teste die lagerfähigkeit

- aber nein, es steht darauf, dass diese flasche erst im falle des zustandekommens einer beziehung... egal - ich nehme daher vorlieb mit ihrer bildreichen beschreibung =)


jean stubenzweig   (03.01.09, 07:13)   (link)  
Die 87er Castop-Rauxeler
Muschel dürfte sogar als Roter mittlerweile so abgerauscht sein, daß nichtmal mehr ein Glykol-Junkie darauf abfahren würde. Es ist wohl besser, sie arbeiten ihn in eines Ihrer vielen schönen Rückblicksbilder ein. Ein ideales Sujet dabei könnte sein die mittels Lippenpflegestift entkorkte Pulle, vielleicht als gemalte Gebrauchsanleitung für eine neuen Flaschengeneration? Tun Sie's, möchte ich doch zu gerne sehen, wie das funktioniert. Außerdem schwingt da irgendwie der Turner-Preis mit.

Ohnehin: süße Träume mit saurem Wein? Das geht vielleicht, wenn die dann Anzubetende nie Rebenkönigin in Billigheim oder Gammeldingen oder so werden kann, weil sie lieber reinen Wein einschenkt.

Ich für meinen Teil benötige kein Neues Jahr, um guten Wein zu trinken. Aber Ihnen wünsche ich gerne beides.


hap   (03.01.09, 21:24)   (link)  
Mann? NRW? Software? Irrtum?
Ginge es um Thomas Manns "Zauberberg" wäre wohl (Hans) Castorp recht. Und ginge es um die Stadt im Kohlenpott seligen Angedenkens, wäre Castrop-Rauxel die korrekte Bezeichnung: Zeche Erin, Abraumhalde Nordlage, 87er Riesling. Es gibt auch eine Software die so heißt wie du es schreibst: "Wissen Castop 98 is a graphics tool designed specifically to meet the needs of the modern signmaker." Was bei ein paar Smarties die Idee reifen ließ, in Castrop einen Castop-Shop zu eröffnen (very smart, I'd say). Aber wenn es sich um einen Vertipper oder kurzfristigen Irrtum handelt, bist du in zahlreicher Gesellschaft: Mehr als 8.000 Einträge in der Guggelei zeigen Castop und meinen Castrop. Wo mein früherer Billardkumpel Martin herkommt.


jean stubenzweig   (04.01.09, 07:34)   (link)  
Fehlerfeinder
Wär das auch so ein Wort, das Dich zu einem weiteren dieser Endzeitlosenkorrektorkurzessais animieren könnte? Überhaupt, dann verschröbe ich mich fortwährend. Und flugs hätte ich mein Blöckchen rasch gefüllt mit follen Kommentaren. Klärung: Ich hielt Castrop-Rauxel für die französische Übersetzung von Wanne-Eickel. Da die Konsonantenfolge von t und r sich in dieser zarten Sprache sträubt, kam eben Castop-Rauxel heraus.

Ach – end und zeitlos: Erinnerst du Dich an die wunderschönen Korrekturfahnen von Géza von Cziffra? Der damit die Lektoren und Redakteure derart zur Verzweiflung brachte, daß sie sie sich rahmen ließen und als Meisterwerke der écriture automatique an die Wand hängten. Das waren Zeiten! Etwa die von Nearly Normal Jimmy. Der nicht guhgelte, wenn er auf der Leopoldstraße den hüpfenden Müßiggang suchte.

Ab morgen wieder im Büro.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5804 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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