Ich suche was ...

verzweifelt, ein Buch, nicht in einem Regal, sondern in den seit fünf Jahren noch immer nicht ausgepackten Kartons, für deren Inhalt einfach kein Platz ist, da kommt mir Frau Vanderbeke entgegen. Die war mal von Berlin aus an die Ausläufer der Cévennes gezogen, so liest sich das jedenfalls, nach den beschriebenen Herbst- und Winterstürmen, in die es mich lesend hineingesogen hatte und die da oben alles zerfetzen, wie der Mistral die Rhône hinunterfegt nach Marseille, der einem das Gefühl gibt, man befände sich in der Antarktis. Gerade hat's ja wieder mal im ganzen Land ordentlich geblasen.

Ich weiß nicht, ob sie dort noch lebt, aber es liest sich offensichtlich nach wie vor gut, habe ich die Suche nach dem Symbolismus bei Saint-Paul-Roux schließlich aufgegeben oder auch nur vergessen und mich mal wieder ihr gewidmet. Wie damals stelle ich fest, daß sie vieles offen läßt – was die Phantasie beflügelt. Es sind teilweise bezaubernde, sehr respektvolle, aber auch amüsante, eigenwillige, im besten Sinn eigen-artige lakonische Charakterisierungen von Menschen in Frankreich — aber auch deutscher Urlauber: «Der Mann sagte, was sag ich immer: Urlaub ist verschärfter Existenzkampf.» Oder: «Es gab wieder meinen Wein, obwohl er auch heute kein St. Emilion war, und später stellte sich heraus, daß die Bohnensuppe, die ich gekocht hatte, während sie duschten, kein Lammfilet war, nicht einmal Loup de mer, sondern tatsächlich Bohnensuppe mit weißen Bohnen. Paßt irgendwie nicht hierher, sagte der Mann.» Der Gehalt der Wiedererkennung ist enorm. Überall, wo diese gut und noch besser verdienenden und besserwissenden Deutschen auftauchen, meistens mit Fahrrädern für (damals) je achttausend Mark aufm Dach ihres Saab oder Volvo für achtzigtausend. Leute aus Werbung oder Journaille. Heute nennt man das Irgendwas mit Medien. Sowas fährt nicht Mercedes. Bei Vanderbeke heißen diese futuristischen Maschinen zur Mountainbesteigung Fluggeräte. Die Österreicher haben ihre Bezeichnung für die neonhelmgeschützten Besitzer dieser Fluggeräte, mit ihnen müssen sie jedenfalls verwandt sein: mit den Piefkes.

Ja, und dann: nicht nur der Landschaft wegen, sondern auch wegen der Beschäftigung der Protagonistin des Romans, nein: der längeren Erzählung mit den Farben dieser Gegend, die sie daran hindern, nach den Hörfunksendungen Cézanne für Kinder, Miró für Kinder eine titels van Gogh für Kinder zu schreiben, «weil das Licht gegen Ende des Sommers so grau wurde, ganz durchsichtig leuchtend grau, daß ich Cézanne plötzlich besser verstand als früher», und der Gedanke an van Gogh für Kinder ihr Unbehagen bereitete, das jedoch «so undeutlich» war, «daß ich nicht weiter darüber nachdenken mochte — nicht, solange wir noch im Niemandsland lebten und uns jeden Tag erzählten, was wir sahen, und jeden Tag war es etwas Neues, und jeden Tag war es schön und wurde immer noch schöner von Tag zu Tag». Und mit Paul Klee für Kinder hatte sie dann auf einmal Schwierigkeiten, weil er ihr so fremd geworden war.

Überhaupt geht es um Farben, und es geht dabei sehr farbig, manchmal sogar bunt zu, auch wenn es mal nicht um Farben geht, sondern um die Gespräche mit dem Mann, der hin und wieder da ist, wenn er zurück ist von seinen Kunstreisen. Sie malt die Vielfalt der Farben und läßt die Konturen weg. Und ich bin dennoch ganz begierig, möchte die Einfassung der Farben sehen, möchte wissen, wo der Landstrich liegt, den sie da mit viel Verliebtheit und auch sich anbahnender Liebe zu den dortigen eigenwilligen Menschen festhält. Ich komme auch nach zehn Jahren nicht darauf. Doch es muß weit südwestlich des Rhône-Tals sein, denn sie schreibt von einer Fiesta, einer Stadt, durch die junge Stiere getrieben werden, und Schafe und Meeresgetier kommen auch sehr häufig darin vor. Es dürfte sich also um die südlichen Cévennes handeln, also nördlich von Montpellier, da sie auch von Bergen erzählt, in denen es schrecklich stürmen kann im Herbst und im Winter ...

Ich mit meinem Lokalisierungswahn in der erzählenden Literatur. Immerzu meine ich, alle Orte und Gegenden genau ausfindig machen zu müssen. Anstatt einfach mitzufrieren oder mitzuschwitzen, nicht nur beim Feiern. Oder das Buch zu empfehlen. Ach so, ja, ich hab's gerne wiedergelesen.
 
Di, 27.01.2009 |  link | (1368) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5807 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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