Ich kämpft' für dich, dein ist die Ehre!

Ich habe nicht nur einen Zettelei-, sondern auch noch einen Geräuschekasten. Nein, ich meine jetzt nicht so einen, der an Wilhelm Busch erinnert: «Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.» Diese mehr oder minder und je nach Höreslust spezifische Art von Lärm steht bei mir auch überall herum; sie versteckt sich in allen erdenklichen Ecken, in denen ich sie häufig genug nicht wiederfinde, weil ich sie in einer anderen vermute. Aber auch Sprache kann Krach erzeugen, nicht nur gesprochene. Einen umzugsgroßen Karton habe ich davon. Manchmal wühle ich in einer meiner liebsten Beschäftigungen, dem Suchen nach Bestimmtem, darin herum, um dann auf Unvermutetes zu stoßen. Es handelt sich also um eine Variante des Bücherregals. Auf der Suche war ich nach einem Tonbändchen, den nicht ganz so Jugendlichen vielleicht eher noch unter dem lustigen Begriff Musikkassette bekannt, auf dem ein Gespräch mit Peter Lilienthal aufgezeichnet war. Und Auslöser war dieser seit einiger Zeit anhaltende Dauerrummel um Kreuzfahrtschiffe, derentwegen ständig irgendwo das nordfriesisch platte Binnenland umgegraben wird, auf daß sie dann irgendwann im Hamburger Hafen angeschwommen sein können, wo sie geradezu irrsinnige Tumulte einer Gesellschaft auslösen, die wegen mangelnder Arbeit zuviel Freizeit hat.

Photographie: Tombografie CC

Um AIDA ging es damals, nein, nicht um das Musiktheater, jedenfalls nicht so direkt, auch nicht um die nach dem Komponisten der Oper benannte Gewerkschaft, sondern um eine Organisation, die von Patrice Chéreau, Ariane Mnouchkine und anderen nach dem Prozeß gegen den damaligen CSSR-Regimegegner Václav Havel beziehungsweise einer Aufführung im Oktober 1979 des Théâtre du soleil gegründet worden war, die das von Chéreau aufgezeichnete Prozeßprotokoll zum Inhalt hatte. Im Anschluß daran konstituierte sich die bundesdeutsche Sektion. Hans Werner Henze, Wilhelm Killmayer, Luigi Nono und Dieter Schnebel komponierten auf Bitten von AIDA Musikstücke, die dann 1982 (unter der Schirmherrschaft von Heinrich Böll) an der Kölner Musikhochschule uraufgeführt wurden. Durch AIDA wurde zumindest den Angehörigen der seinerzeit verschwundenen und nie wieder aufgetauchten etwa hundert argentinischen Künstlern Hilfe zuteil, auch gelang es, die in Kolumbien wegen «Terrorismus» inhaftierte uruguayische Pianistin Albe Gonzales Souza frei zu bekommen, ebenso den südafrikanischen Maler und Schriftsteller Breyten Breytenbach. Und auch zur späteren Freilassung von Havel dürfte die Intervention von AIDA beigetragen haben. (Die deutsche AIDA-Sektion existiert offensichtlich nicht mehr, vermutlich, weil es in den deutschen Ländereien keine gefangene und gefolterte Künstler mehr gibt und man für diesen ganzen Solidaritätskram ohnehin einfach keine Zeit mehr hat. Anders scheint es sich in den Niederlanden zu verhalten, wo sich die dortige AIDA — Organisatie voor vervolgde kunstenaars weiterhin bemüht.)

Nun, irgendwann werde ich die Kassette schon noch finden. Bislang habe ich noch alles wiedergefunden, das umzugsbedingt in den Untiefen unterschiedlicher geographischer Lagerungen verschwunden ist. (Ab und an bekomme ich obendrein Besuch von der werten Frau Braggelmann, die alles findet, auch Nichtgesuchtes.) Und erstaunlicherweise geben diese alten Bänder, denen man ja immer wieder die Selbstzerstörung vorausgesagt hat — sie zumindest zwischendurch immer wieder mal abspielen, das wurde (von welchen Schützern?) dringend empfohlen —, auch nach jahrzehntelanger Nichtnutzung ohne jede Beeinträchtigung alle wesentlichen Töne wieder. Deutlich wurde das an der unvermittelt aufgetauchten und dann abgehörten Aufnahme einer Gesprächsrunde, die mich mal davor bewahrt hat, in einem Gefangenenchor singen und anschließend von Journalisten helfen Journalisten* befreit werden zu müssen, weil ich mit Hilfe des Tonbands beweisen konnte, daß der Herr, der mir ziemlich unwahre, zumindest aber aus dem Zusammenhang gerissene Äußerungen unterstellte, eben genau in dieser Reihenfolge das gesagt hatte, von dem er behauptete, es so nicht gesagt zu haben.

Um Stadterneuerung ging es seinerzeit. Hardt-Waltherr Hämer von der «Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung Berlin mbH» (S.T.E.R.N.) sprach beispielsweise von der Stadtteilarbeit in Berlin-Kreuzberg, in der er einen Demokratisierungsprozeß sehe, der zur Entscheidungsfindung beitrage. Oder Eberhard Mühlich vom Darmstädter «Institut Wohnen und Umwelt» plädierte angesichts der Tatsache, daß zunehmend Sozialwohnungen auf den freien Markt gelängen, für «Gewaltenteilung in der Wohnraumversorgung». Es müsse dafür gesorgt werden, über Finanzierungszentralen billige Wohnhäuser aufzukaufen, deren Bewirtschaftung (Mieten, Instandhaltung et cetera) jedoch den Bewohnern zu überlassen, also eine «weitreichende Mietermitbestimmung» zu schaffen, wobei Mühlich sich auf «Vorerfahrungen aus England und Holland» stützte. Solle die Stadt dahingehend emeuert werden, daß sie dem Menschen zurückgegeben wird, müssen, wie der Frankfurter Kultur- und Architekturkritiker Dieter Bartetzko (damals frei für die FR, später dann fest in der FAZ) argumentierte, «die monofunktionellen Inseln (die reinen Büro- und Geschäftsviertel) eliminiert», müsse also die Trennung von Arbeit und Wohnen abgeschafft werden.

Mit am interessantesten fand ich die Worte von Siegfried Hummel, zu dieser Zeit noch Osnabrücker Kulturdezernent und später leicht ungelenker Leiter desselben Referats in München. Es dürfe nicht vergessen werden, daß die Friedens-, aber auch die ökologische Bewegung ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts habe. Die «proletarische Ökologiebewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, nämlich die Naturfreundebewegung», habe «sicher über achtzig Prozent dessen schon artikuliert, was die Ökologiebewegung sagt». Daß dies nicht richtig erkannt werde und daß «ein paar Veteranen nicht merken, daß sie ihre eigene Geschichte massakriert haben», sei einer der Gründe, warum dauernd irgendeine Partei «Wahlkämpfe in Städten verliert».

Ach, wie sagte noch der große Fußballphilosoph, nein, nicht der aus Bayern, sondern der serbisch-hessische: Lebbe gehd weida. Und deshalb sollte vielleicht angefügt werden: Man soll nichts wegschmeißen! Und nichts löschen.

*Journalisten helfen Journalisten war, wie es dort heißt, noch nicht begründet, obwohl ich meine, bereits in den Achtzigern mit dabei gewesen zu sein und nach 1986 gar keiner mehr war. Aber vielleicht bilde ich mir da ja nur wieder was ein. Möglicherweise waren das ja eher leicht verwackelte Aida-Sitzungen des Triumphes, bei denen ich mitgesungen habe.
 
Do, 18.02.2010 |  link | (3075) | 21 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Seltsamkeiten


charon   (18.02.10, 08:14)   (link)  
jetzt haben sie mit alt-bundesrepublikanischem geist aber maechtig aufgefahren! hardt-waltherr haemer hatte ich einmal eine sehr schoene und preisguenstige wohnung zu verdanken, auch habe ich ihn als behutsamen bewahrer von nichtgebauten erinnerungen sehr gut in, na ja, erinnerung. die kassetten heute wiederzufinden und dann auch zu hoeren, muss ein sehr ambivalentes vergnuegen sein. zieht dies den hoerenden doch zurueck in eine verloren, ich wuerde sogar behaupten: in eine unwiderruflich verloren gegangene zeit und katapultiert die sprechenden in eine gegenwart, die nicht mehr ihre ist (trotz manch kleiner erfolge), der sie aber noch immer viel zu erzaehlen und zu erklaeren haben. kleiner tipp, wenn sie's eh nicht schon laengst wissen: das neu eingerichtete dradio wissen sendet taeglich 20.00 uhr mez die sendung "hoersaal", aeltere und juengere hoerenswerte vorlesungen. heute bspw. curt werner bondy und erich fromm aus dem jahr 1957. allein fuer dieses "format", wie man heute wohl sagt, sollte man dem sender dankbar sein. auch als podcast erhaeltlich.

tja, nun da ich dem krankenbett nach ausgiebig viel schlaf und heilendem tee wieder entstiegen bin, beschaeftige ich mich mit genau gegensaetzlichem: ich packe umzugskartons. heute waren die ersten bilder dran, erinnerungsstuecke an damals junge kuenstler, an die zeit als ich auch noch jung war und eine naehe zur kunst zu verspueren meinte. ich mag keine umzugskartons und kaum einem ende und nur wenigen anfaengen wohnt ein zauber inne, aber dieses auskramen, sich in den dingen und gedanken verlieren und dann wieder orientieren, das gefaellt mir sehr. wahrscheinlich packe ich deshalb schon die sieben sachen, obwohl der umzug des mobiliars erst in sechs wochen und meiner nochmal acht wochen spaeter bevorsteht.

sie sehen, ich bin zurueck! noch nicht bester gesundheit, aber guter dinge. danke fuer die vielen autogeschichten, denen ich gerne den einen oder anderen kommentar hinzugefuegt haette. aber wie sie ja selbst schreiben, das internet ist ja so geduldig...




jean stubenzweig   (18.02.10, 11:49)   (link)  
Die Zeit hätten Sie
nun aber wirklich noch finden können, auch wenn es Sie zum Weiterkramen drängt und Sie nur noch sechs Wochen haben, wenigstens meine allerdringlichste Neugier zu stillen: Wohin ziehen Sie denn nun um?!

Wenn Sie mir diese Frage nicht beantworten, wenigstens pausibel entschuldbar phantasievoll ausweichend, sage ich solange keinen Ton mehr, bis man es meiner Umgebung ansieht.


frau braggelmann   (18.02.10, 18:53)   (link)  
...keinen ton mehr?
krieg ich das schriftlich ?


jean stubenzweig   (19.02.10, 06:05)   (link)  
Tonlos


charon   (19.02.10, 06:59)   (link)  
zwar leugne ich jeden zusammenhang zwischen meinen mittlerweile geradezu sagenumwobenen umzugsplaenen und ihrem ploetzlichen verstummen, doch wie alle anderen in diesen hallen will ich sie - mal lerche, mal nachtigall - weiter singen hoeren. nur haben sie mir da eine aeusserst knifflige aufgabe gestellt, die in einen zehnzeiligen kommentar zu pressen ich nicht vermag. ich erbitte daher aufschub und schlage bis auf weiteres vor: sie zwitschern hier munter weiter und ich werde in meinem wohnzimmer baldmoeglichst ueber vergangene, gegenwaertige und zukuenftige raumveraenderungen meinerseits ausschweifendst schwadronnieren und raesonnieren. ton ab!


jean stubenzweig   (19.02.10, 13:52)   (link)  
Es hat getönt.
Wie Sie hier da unten sehen. Nun sind Sie dran.

Aber ach – ich will ja gar nicht in Sie dringen. Ich will ja einfach nur wissen, wo ich Sie besuchen kann. Soviel sag ich aber gleich: Nach Bayern fahr ich nicht. Von dort wollte ich dreißig lange Jahre weg. Da geht's mir wie nach zehn Jahren Berlin, das ich anschließend fast zwanzig Jahre ignoriert habe. Und dort hat's mir durchaus gut gefallen ...


charon   (19.02.10, 19:39)   (link)  
wertester, ich habe ja gar nicht vor, mich zu verstecken. doch vor den umzug hat der herr das packen von kartons gesetzt. und ehe ich die 50 verschlossenen und versiegelten kartons nicht erreicht habe, muss ich stille halten. denn man soll ja nicht gackern bevor das ei gelegt.

nur eins kann ich soweit verraten, ihre persoenlichen no-go areas decken sich ziemlich haarscharf mit meinen ersten aufenthaltsorten - wenn nichts dazwischenkommt.




jean stubenzweig   (20.02.10, 00:58)   (link)  
Singular!
Nach Berlin fahre ich ja wieder.


mark793   (19.02.10, 09:34)   (link)  
Hach ja,
die gute alte Kompaktcassette. Bei Ihnen hätte ich mir vorgestellt, dass Sie mit einem Uher Report unterwegs gewesen sind (ich habe Mitte der 90er ein schönes und voll funktionsfähiges Exemplar auf dem Sperrmüll gefunden).

Da ich ja nicht für den Hörfunk gearbeitet habe, bin ich meistens nur mit Diktiergerät bewaffnet in Interviewsituationen geraten. Für ein längeres Gespräch mit dem damals frischgewählten SDR-Intendanten Fünfgeld hatte ich mir von einem Kollegen ein professionelleres Aufnahmegerät ausgeliehen. Leider hatte das Mikrokabel einen Wackler und ich hatte von den zwei Stunden Gespräch kein Wort auf Band, wie ich bestürzt feststellte, als ich vor der Heimfahrt die Kassette in das Auto-Cassettenteil steckte.

Ich bin dann gar nicht erst losgefahren, sondern habe noch auf dem Besucherparkplatz des Spätzlesenders angefangen, das Gespräch so gut es ging aus dem Gedächtnis und anhand einiger hingeschmierter Stichworte auf meinem vorbereiteten Fragenzettel auszuformulieren. Man muss auch dazu sagen, dass nochmaliges Vorlegen des Interviews vor Drucklegung nicht ausdrücklich vereinbart oder gefordert war, es war auch zeitlich zu knapp, und so gab ich meine Version nicht ohne ein mulmiges Gefühl in der Redaktion ab. Später bekam ich die Rückmeldung aus der Intendanz, dass Herr Fünfgeld doch recht angetan davon gewesen sei, den Geist des Gesprächs so authentisch im Fachblatt zu lesen, und ich habe ihm erst ein bisschen später gestanden, wieviel Schweiß und zusätzliche Hirnleistung mich diese kleine technische Panne gekostet hat.

Gut, Knast hätte natürlich nicht gedroht, wenn ich das verbockt hätte. Aber seitdem weiß ich wenigstens, dass ich, wenn ich einigermaßen gut vorbereitet und thematisch sattelfest ins Interview gehe, notfalls auch ohne Aufzeichnung arbeiten kann. Zumal das Autorisieren lassen von Interviews heutzutage ja eh Standard ist. Und was da dann manchmal herauskommt, hat mit dem eigentlichen Gespräch so wie es geführt wurde nicht mehr viel zu tun.


jean stubenzweig   (19.02.10, 12:16)   (link)  
Ein solches Monstrum
habe auch ich, sicher doch, eine lange Zeitlang mit mir herumgeschleppt. Nicht nur die Größe und das Gewicht – ein bißchen peinlich war es mir auch noch, nur wegen ein paar lauer Töne solch ein Equipment-Gedöns zu veranstalten. Solch ein Winzling ward zudem nach wenigen Minuten vergessen, was sich erheblich auf die Gelöstheit von Gesprächen auswirkte. Allerdings hat es eine ganze Weile gedauert, bis ich einen Fachmann, ähnlich dem heutigen Experten, ausgetrickst, na ja, eigentlich eher in seinem Nichtwissen bestätigt hatte. Eine (Sprach-)Aufnahme mit einem Sony TCM 600 B, auch noch überspielt auf den sogenannten Schnürsenkel, auf daß er nicht erkenne, habe ich ihn vergleichen lassen mit der einer aus dem Uher. Er mußte passen. Nicht einmal die (zusätzliche) Aufnahme mit dem internen Mikrophon hat er erkannt, er, der mit seinem Qualitätsbewußtsein. Ich rede hier allerdings auschließlich von Sprachaufnahmen. Musik ging damit nicht.

Daraufhin hatte ich mir eines privat gekauft für damals stolze achthundert Mark – Vergleich: das waren gut drei Monatsmieten – plus externem Mikrophon und ein bißchen mehr. Ich war es auch leid, mir immer einen dieser monströsen sendereigenen Koffer aus der Geräteabgabe abholen zu müssen, die obendrein rar waren, da die Anstalt vermutlich bereits zu dieser Zeit Sparübungen absolvierte. Leidiglich Kassetten habe ich mir abgeholt, containerweise, um nichts überspielen zu müssen. Ich war damit endlich unabhängig. Ich habe es heute noch, und es funktioniert, auch nach zweimaliger Reparatur, die allerdings jeweils nach Stürzen erfolgen mußte. Zwar kam irgendwann so ein Digitaldingens dazu. Aber ich bilde mir ein, mit dem knapp handgroßen, metallenen Sony besser operieren zu können, nicht zuletzt wegen der Reichweite des Mikrophons (an der Flasche hängend, unterhalb der das Gerät liegend).

Die Nichtaufzeichnung ist auch mir unterlaufen, aber nicht wegen eines Defekts, sondern weil ich anfänglich den falschen Knopf oder gar keinen gedrückt hatte. Die Lehre daraus war: Das Gerät immer so hinlegen, daß man den Bandlauf und das Blinken beobachten konnte, das die ordnungsgemäße Aufzeichnung anzeigte.

Das mit dem Zuchthaus war vielleicht ein klein wenig übertrieben. Aber es gab tatsächlich erhebliche Drohgebärden seitens des Herrn, der sich «unbedachter», wie er sie später nennen sollte oder auch mußte, Äußerungen wegen in seinem politischen Fortkommen behindert sah, von wegen Widerruf und so weiter. Ebenfalls nicht bedacht hatte er wohl, daß aufgezeichnet worden war. Ein weiterer Vorteil wäre damit verdeutlicht, den ich des öfteren haben sollte: die Winzigkeit des Geräts. Hin und wieder habe ich auch dort mitgeschnitten, wo es nicht gestattet war, in Gemeinde- bzw. Stadtratssitzungen zum Beispiel. Einfach ein (Feigen-)Blatt darübergelegt. Für eine eventuelle spätere Beweisführung hat das interne Mikrophon allemale gereicht. Ich habe also sozusagen einen Karton voller Beweise. Aber ich habe sie nie manipulativ genutzt. – Und Autorisieren, das hat's bei mir nicht gegeben. Einmal wollte einer. Aber nach den Verschönerungsversuchen seiner Worte habe ich abgelehnt. Dem hat er sich gebeugt. Die Eitelkeit siegt fast immer.


kid37   (19.02.10, 23:34)   (link)  
Na ja, ums Autorisieren lassen kommt man heute (in Deutschland) nur schwer herum. Ein Dilemma, aber auch eine Möglichkeit fürs Zwischenzeilige. Ich habe mal den Kopf einer bestimmten buddhistischen Linie interviewt und hätte durchaus, öh, interessante Aspekte rausarbeiten können. Seine Pressefrau meinte beim Rausstreichen, da "hätte ich mich wohl verhört, es sei ja auch laut in dem Raum gewesen". Also, die Kassette hätte ich vorlegen können... aber es war andererseits auch nicht wichtig genug, da irgendetwas auszufechten ;-)


jean stubenzweig   (20.02.10, 00:52)   (link)  
Von Fall zu Fall
würde ich das sogar verstehen – angesichts der Tatsache, was heutzutage alles so gedreht wird. Wobei es das natürlich früher auch und oftmals sehr viel heftiger gegeben hat, denke ich an ganz bestimmte Blätter, die völlig unkontrolliert alles mögliches hinausposaunten. Aber das sind Bereiche, in denen ich ohnehin nichts zu tun hatte.

Als unangenehm empfand ich es jedoch, als es Anfang der Neunzigern losging, daß Autoren ihre kompletten Texte von etwaigen «Betroffenen» absegnen ließen. Freiwillig und ohne Nöte. Da hörte ich das eine um andere Mal bereits beim Verfassen im Kopf was mitklappern.


kid37   (20.02.10, 01:22)   (link)  
Der Autor war da sicher auch immer nur so mutig wie die Redaktion/der Verleger hinter ihm. Und ich denke, daß manche Ressorts da sensibler sind als andere. Im großen Bereich der Gartendekoration, wie ich es nenne, sind ja selbst die dunklen Geheimnisse selten wirklich relevant.


jean stubenzweig   (20.02.10, 15:36)   (link)  
Redaktion und Verlag,
ach ja, da saßen oft genug die Vorsichtigen schlechthin drinnen, vor allem in ersterer. Nicht nur einmal habe ich es erlebt, daß auf die doch immerhin vorhandene Möglichkeit der indirekten Rede hingewiesen wurde. Vielleicht war es aber auch der allgemeine Hang zur angestellten Gemütlichkeit. Und wer die nicht sonderlich schätzte, der fand sich auch schonmal in einer Abstellredaktion wieder. Heute greift man wohl eher zu sehr viel drastischeren Maßnahmen.

Ich meine allerdings eher das absolut freiwillige «Gegenlesenlassen», das Anfang der Neunziger Einzug hielt in den Köpfen vieler Autoren, vor allem jüngerer. Das habe ich nie verstanden. Es muß mit dem Absinken des Selbstwertgefühls einhergegangen sein, das sich im Zug politischen Wandels einstellte, einstellen sollte. Auch Unsicherheit ließe es sich möglicherweise nennen. Das hatte zur Folge, daß immer mehr Nachfragen der Vorablektüre kamen, auch in meiner postjournalistischen Verlagstätigkeit. Ich lehne das bis heute ab.


vert   (22.02.10, 03:51)   (link)  
auf der anderen seite...
von den wenigen interviews, die ich gegeben habe, gab es nur eines, wo ich um vorlage vor veröffentlichung bat. sie wurde mir nicht gewährt, aber mein riecher war richtig gewesen: der vollspaten hatte meine aussagen so verdreht, dass ich hinterher ein staatsanwaltliches ermittlungsverfahren am hals hatte.

o-ton-remix, cut-up-technik und inhaltliche collage; ach was, intertextualität heißt das ja heute.

das kostete drei leute eine woche arbeit, um die scheiße aus der welt zu schaffen. schönen dank auch.
(hätte ich mal drauf bestanden.)


jean stubenzweig   (22.02.10, 13:53)   (link)  
Unangenehm ist das,
zweifelsohne. Mir ist das auch mal passiert, als Befragter. Trotz präziser Auskünfte meinerseits, hat es der Herr trotz seitenlanger Notizen nicht auf die Reihe gebracht. Das war peinlich (für ihn), und er hat auch keine weitere Karriere gemacht im Anschluß; die hatte er sich selbst verbaut aufgrund von sich wiederholenden Schludrigkeiten. Allerdings hatte in meinem Fall die Angelegenheit auch keine allzu schwerwiegenden Folgen. Es ging schließlich nur um Kunst und Kultur. Dem wurde bereits früher häufig genug kein allzu großer Stellenwert beigemessen. Ich habe das zwei Jahre lang erfahren müssen

Auch hatte ich durch das grundsätzliche Mitschneiden der Gespräche immer eine Rückversicherung. Wer eine Aufnahme – die immer angekündigt war – abgelehnt hatte, der kam nicht bzw. allenfalls in Andeutungen, etwa durch Fremdzitate, dran. Seltsamsprachiges habe ich vom Kollegen- oder Bekanntenkreis gegenlesen- bzw. hören lassen. Das war zwar aufwendig, diente jedoch der Sache. Und wenn ich mir nicht absolut sicher war, dann hat das eine ums andere Mal eine erneute Nachfrage abgeholfen. Das ging früher sogar ohne eMail oder SMS. Das kleine Helferlein nannte man Telephon, und wenn es ganz schwierig wurde, bediente man sich einer Technik, die heute vermutlich bereits mit Antiquität gleichgesetzt wird: Telefax. Und davor, also etwa zur Zeit der Arche Noah, hatten wir die Rauchzeichen namens Fernschreiber.

Aber ich will mir jetzt auch wahrlich keinen Heiligenschein aufsetzen. Zu meiner aktiven Zeit hatte ich ohnehin relativ wenig mit aktueller (politischer) Brisanz zu bewältigen, auch unterlag ich höchst selten solch einem Zeitdruck, wie er seit Mitte der neunziger Jahre den Journalismus zunehmend prägt. Mir war das früher auch so schon hektisch genug, so daß ich mich ohne jede Träne in den Achtzigern von dieser Tätigkeit verabschiedet hatte. Unter den Bedingungen, wie das heute läuft, wäre ich mit Sicherheit nie auch nur ansatzweise in diesen Randbereich des aktuellen Journalismus geraten, in dem ich anfänglich zu tun hatte.


vert   (22.02.10, 21:39)   (link)  
ein lokalsportreporter wollte hoch hinaus und hat sich in die politik verflogen. das hatte zwar keine großartige politische brisanz, aber eine juristische - das hätte auch noch ganz anders kommen können, das ist mir erst nachher klar geworden.
und das drecksblatt veröffentlichte nicht einmal - und wider besseren wissens - eine vernünftige gegendarstellung.
ich fürchte, ich habe hinterher aus versehen den ganzen laden ruiniert.

(jetzt tanzt er mit schlips und kragen auf crazy-business-veranstaltungen in hamburg - und textet schulnachhilfestoff.)


terra40   (19.02.10, 23:14)   (link)  
Wie die Ökologie sich der Fussballphilosofie natlos anschließt
Verwackelte Aida-Sitzungen des Triumphes? Waren es nicht die Sklavenchöre des Nebukadnesars? Übrigens (1) in der Tat waren (auch bei uns) es zuerst die bemittelten Mitglieder der Arbeiterbewegung die sich um die Umwelt Sorgen machten, und (2) der große Fussbalphilosoph aus Bayern (Löffelchen, Löffelchen, meinen Sie, oder Louis (Ludwig) der Große) wird nach der kommenden deutschen Meisterschaft (inklusive Pokal) glorreich in die deutsche Geschichte eingehen.
Gruß, T.


jean stubenzweig   (20.02.10, 22:15)   (link)  
Löffelchen kenne ich
lediglich als Einschlafposition, in die es mich angesichts heutiger Balltretereien allerdings auch eher drängt, anders als noch zur Zeit des Diagonalpaß als Textkultur. In dieser Epoche war auch der Fußballweise aktiv, den ich meine. Dieser Françoisl stammte aus einer volksnahen Tonne namens Giesing, heute ist er mehr als weltweiter Frühstücksdirektor tätig. Und daß er in die Geschichte eingehen wird, glauben Sie vermutlich auch nur, weil der sportlich aktive Chor dieses Champagnervereins von einem Niederländer dirigiert wird.


terra40   (20.02.10, 23:04)   (link)  
Van Gaals Löffelchen
Der Louis van Gaal, der sich selber zum größten Fussballtrainer auf dieser Weltkugel ernannt hat, sprach im Fernsehen vor der versammelten Weltpresse über seine bevorzugte Einschlafhaltung. (Vereinbart, wie er ritterlich zugab, mit seiner Gattin.) Der Thrillertitel Diagonalpaß als Textkulturgefällt mir übrigens sehr.
Gruß, T.


caterine bueer   (02.11.10, 19:23)   (link)  
AIDA – Peter Lilienthal
«[...] Darstellung von Gewalt auch im Bildjournalismus oder im Wortjournalismus, wie schafft man das, bei einer Welt, wo wirklich Verbrechen, Massaker ins Haus geliefert wird neben einer Information, die uns dazu bringt, eine Zahnpasta zu konsumieren und wo wir zwischen Küche und Wohnzimmer Fragmente hören von Hunderten von Menschen, die in El Salvador massakriert wurden, und dann vielleicht bestenfalls nach dem Abendbrot sagen, ja, was ist das für eine Welt. Die Leute, die diesen Bericht gemacht haben, haben das bestimmt sehr ernst gemeint. Nur: Die Medien haben keine Form gefunden, um solche Dinge zu vertiefen. Sie gehen auch da quantitativ ran.

Und genau da liegt das Problem. Die Leute werden überhäuft mit Information, die zum Schluß willkürlich wird, die niemand mehr beunruhigt, man gewöhnt sich daran. Deswegen wurde ich gern von der Gewohnheit sprechen, mit der man dem Verbrechen begegnet, der Unterdrückung, der Gewalt. Das ist das Schlimmste: die Gewohnheit, die die Medien bei uns erzeugen, das hinzunehmen. Und ich nehm' mich da gar nicht aus. Denn ich setze mich auch nicht hin, raufe mir die Haare und weine nur, so wie Hiob. Aber wenn wir ganz konkret werden: Was sollte man eigentlich andereres tun als nur noch so zu leben wie Hiob, der nur noch klagt.

Ich sag' das deswegen: Gestern, als ich beim Archiv im ZDF war und die Bilder gesehen habe, die eine Agentur dem ZDF liefert — das ist ja nichts neues für mich, daß das Fernsehen mit Agenturen arbeitet —, und mir dann überlegte, daß auch Redakteure, die es sehr gut meinen, diese Bilder, die sie nicht erlebt haben, mit Kommentaren versehen ... Das sind die Bilder, ich sag das jetzt sehr pauschal, die immer wieder das darstellen, was wir kennen: Die Straße, da wird gekämpft, Menschen, Leichen, junge Menschen, die zerfetzt werden vom Maschinengewehr. Keine Kamera, kein Redakteur geht in die Häuser, wo die Klagen statfinden, bleibt bei einer Familie, bei einer Mutter, beim Vater und sitzt dort und ist mit denen zehn Stunden zusammen, beobachtet sie und vermittelt das den Leuten beispielsweise in der Bundesrepublik. […] Ein Redakteur, in einem fabelhaften Anzug, mit dem Mikrophon vor dem Hotel Sheraton, gibt Bericht über die Front. Mit dem Material, nicht von diesen mexikanischen Kollegen, sondern von VIS-News oder UPI. Und ich sage nochmal, ich sag das nicht kritisch, denn der Kollege, der das macht, kommt aus einer ganz anderen Tradition der Darstellung von Gewalt, und ich will nicht, daß er erschossen wird, daß er ein Held ist. Aber ich will auch nicht, daß ein völlig falsches Bild unserm Publikum vermittelt wird, das keine Möglichkeit hat zum Mitleiden, zum Mitempfinden, sondern durch diese kalte Neutralität in die Lage versetzt wird, zu sagen, aha, das alles hält sich sozusagen in Grenzen, man kann es statistisch erfahren, man kann darüber kühl nachdenken, was man ja im allgemeinen nicht tut, aber das Material vermittelt sich so, so daß man sich genau so rausnehmen kann wie dieser Mann, der beherrscht, nicht weinend, nicht schluchzend dort steht mit dem Mikrophon. Ich sitze also in meinem Wohnzimmer genau so beherrscht, fühle mich ein in seine Funktion. Alles, was ich Ihnen jetzt sage, ist sehr schematisch und ist nur eine Winzigkeit von den Sachen, die mich sehr, sehr beunruhigt haben. Denn beispielsweise das Verbrechen, das im Moment in Zentralamerika stattfindet, aber auch das im Libanon, verlangt von uns zumindest, daß wir uns mal überlegen, wie stellen wir das dar. Inzwischen hat sich eine Routine und eine Tradition eingestellt, die nicht mehr zu gebrauchen ist, weil sie abgenutzt ist. [...]»


Aus einem etwa dreistündigen Gespräch mit Peter Lilienthal am 25. Januar 1984 für den Südwestfunk Baden-Baden, Kultur Aktuell. Auch andere Hörfunk-Redaktionen sendeten Auszüge im Februar 1984. Aktueller Anlaß war eine Veranstaltung der AIDA, deren aktives Mitglied er war.















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