Tanz in den Magen

Photographie: Rhys Alton CC


Die in der DDR akademisierte Dame, die sich in den Westen aufmachte, bevor das global-europäische Schmieröl das Land überschwemmte, die sich fortan um die westliche und die eigene Gesundung sorgen würde, war sich sicher: das im Wonneostseebad Warnemünde, das ist «ein Mexikaner». Er hatte schließlich Tacos im Angebot. Sie ist weitgereist, die Dame, sie kennt sich aus mit Wochenendausflügen nach Übersee und Kurzkreuzfahrten, zum genaueren Hinschauen bleibt nicht mehr Zeit, die wird von der heimischen Gesundheit aufgefressen. Die Anwesenden tanzten eine Habanera, eine süße Merengue oder was auch immer, eine über prächtige dämliche und weniger herrliche Hinterteile versinn(bild)lichte rhythmische Salsa eben, diese köstliche Kolonialisten-Sauce, wenn auch mit einer anderen Leidenschaft, als sie an den Leipziger und anderen nordeuropäischen Kunst-Tanz-Schulen friseusenmeisterlich wie Eiweiß steifgeschlagen wird. Glücklicherweise blieben die mit den eingegipsten Hüften sitzen und mampften ihre Tacos, ohne Salsa. Kein Bésame mucho schluchzte, keine Mariachi tröteten wie beim public viewing in einer Fußgängerzone, kein Guitarrón zupfte, Castro fidelte jungbärtig weit über das DIN-A 0-Format hinaus von den Wänden herunter in die verordnete Freundschaft, die diese beiden Länder verband, bevor das eine kapitalistisch liquidiert wurde. Es dürften Überreste dieser letztendlich vereint menschlich gewordenen Verbindungen sein, die im kühleren Osten geblieben sind und Honecker lediglich leidlich erwärmten, auch wenn Unsere Zeit gar eine «zärtliche Beziehung» im «Atem der Weltgeschichte» festgestellt hat. Da besagte Dame seit je dem Kommunismus kritisch gegenüberstand, ohne weiter aufzubegehren, umkurvte sie auch die Klippen des Wissens, daß dieser Karabik-Staat manch einen Botschafter einer etwas anderen Färbung in den eiweißähnlichen kurz vor sibrischer Kälte entsandte — und ein paar von ihnen eben geblieben sein dürften. Sogar kubanischer weißer Rum stand im Regal, richtiger, kein im Exil gebrannter oder gar in Buxtehude abgefüllter. Aber die Gaststätte mußte «ein Mexikaner» sein. Klar, schließlich gab es Tacos. Wie auf dem Dampfer der Kreuzfahrt kurz vor Venezuela, es kann aber auch Martinique gewesen sein, irgendwie wie an der Außengrenze Europas kam man sich schon vor. Ach, du guter alter Kontinent, du ewiger Bildungsborn.
 
Mi, 06.10.2010 |  link | (1902) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5808 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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