Grau ist jede Suche. Bis sie rote Sprenkel kriegt.

Um eine Fußnote lesbar zu machen, fahre man mit dem Cursor mitten hinein in die jeweilige Ziffer.1

Interkulturelle Hermenautik wird heutzutage genannt, was vor noch gar nicht so langer Zeit einmal Imagologie hieß. Von diesem Terminus hat sich wie so vieles nach Bedeutsamem Klingendes in den heutigen deutschen Sprachgebrauch des Alltags das Rudiment Image eingeschlichen wie die rezeptfreie Droge Multivitamin, mit dem Lukas, Markus oder Tobias, (früher, noch ohne EiPäd, gemeinhin Fritzchen) von Irgendwas mit Medien seiner Mascha, Sascha oder Penelope (früher, noch ohne EiPhone, gemeinhin Lieschen) von hinterm Tresen seines Stammcafés mit Pappbechern von seinem aufregenden Leben als Anonymus auf den virtuellen Schlachtfeldern der grünen Planeten zeigt, seine mittelständische Vorstellungswelt von Wir nennen es Arbeit vorführt, geradezu ungeheuerlich selbstbewußt und auch -ironisch, gleichwohl nicht auf seine Befindlichkeitshieroglyphen verzichten wollend, will doch ein Image entsprechend gerahmt werden, will man es tatsächlich als Kunstwerk erkennen.2

Wie ich darauf komme? Weil ich mir nach wie vor nicht vorstellen kann, daß ich ein Buch nicht finde. Das mag an dem Bild liegen, das ich mir von ihm so vor mich hin imaginiere. Über eine sehr lange Zeit habe ich mal nach einem Buch gesucht, aus dem ich eine Fußnote nachtragen wollte, deren sofortiger Eintrag mich scheinbar zuviel Zeit im Schreibfluß gekostet hätte. Ungeschickterweise hatte ich mir, wie sonst üblich, keinen Zettel für den großen Kasten geschrieben, in dem ich mit Sicherheit irgendwann fündig geworden wäre. Die Zeit floß und floß, ich war letzten Endes kurz davor, an diesen Heraklit zugeschriebenen philosophischen Anzeigentext bei diesen seriösen Agenturen für aus paritätischen Gründen nach noch besser verdienenden Partnern Suchenden zu denken. Es mußte damit zusammenhängen, daß meine sich wirr windenden oberen Pigmentröhren die Farbe des Buchrückens in das Grün der Hoffnung umgewandelt hatten, nach dem ich fortwährend gesucht und den ich nicht gefunden hatte, so daß ich dann als Fußnote eine imaginäre, dem Inhalt sich annähernde Quelle angab, die mir leichten bis ausreichenden Ärger hätte einbringen können, wäre dieser Aufsatz prüfenden Auges genauer gelesen worden.3 Dieses unzettelig gesicherte Wissen kann einen ja enorm durcheinanderbringen. Zwei Jahre, es mögen auch drei gewesen sein, gingen in den Fluß der Zeit, sozusagen ins Panta rhei, bis ich auf das Werk stieß, das sich schließlich als grau erwiesen hatte während der immerwährenden Suche nach einem grünen.

Grau, gleichwohl mit sinnlich roten, das Maurische assoziierende Sprengseln versehen, ist auch das, auf das ich heute stieß in meiner Abteilung französischer Literatur, die mich dazu bringen soll, mein freizeitliches Geklöpple des Alphabets fortzuführen. Es handelt sich um eines der neueren und neuesten spanischen; was so auch nicht mehr zutrifft, da es 1998 erschienen ist. Andererseits ist es sozusagen naheliegend, geht es dabei doch um die Imagologie, wie früher die Interkulturelle Hermenautik genannt wurde, die Forschung und Lehre dessen, das mich gute zehn Jahre lang mit wissenschaftlichen Assistenten in Kellern verschiedener Universitäten hat Pingpong spielen lassen und die, wie es in dem Buch heißt, nach dem ich nicht gesucht habe, in dem ich mich aber mittlerweile festgelesen habe, weil ich gerne in älteren Büchern (wieder-)lese und weil ich die Thematik nach wie vor für eine der spannendsten überhaupt halte, «die Erforschung des Bildes vom anderen Land». Manchmal sagt man dazu auch Komparatistik oder vergleichende Literaturwissenschaft, von der die hier hin- statt einführende Autorin in ihrem sinnig sinnlich gesprenkelten grauen Buch schreibt:

«Die größere Aufmerksamkeit, die [Soziologie, hier Karin] Knorr-Cetina12 nämlich den Phänomenen Situationalismus und Interaktion zuteil werden lassen möchte, hat in der Literaturwissenschaft eine Entsprechung. Das Erkenntnisinteresse der Literaturwissenschaft richtet sich darauf, auf welche Weise eine vorgefundene außerliterarische Realität eben nicht im literarischen Text abgebildet, sondern transformiert wird. Ein Text bildet ein Gewebe aus Gelesenem, Vorgefundenem, Erfundenem. Dieses Gewebe wiederum interagiert mit der spezifischen Lebenssituation, Textkenntnis u. ä. des jeweiligen Lesers. Wenn diesem Interaktionsfeld zwischen Autor, Figuren, Leser, Vortext und Texten von imagologischen Untersuchungen die ihm gebührende Bedeutung zuerkannt würde, wäre die Handhabung von ‹Eigenem› und ‹Fremdem› als zwei eindeutig trennbaren Kategorien hochgradig problematisch. Vermutlich ist dies einer der Gründe, weshalb die Imagologie, die solche Kategorien weiterhin handhabt, das Verunsicherungspotential nicht zur Kenntnis nehmen möchte. Wenn wir uns nun erneut die eingangs erwähnte Zielvorgabe der Disziplin — die Erforschung des Bildes vom anderen Land — vergegenwärtigen, ahnen wir bereits, wie gründlich eine methodische Neuorientierung der Imagologie ausfallen müßte.»13

Außerdem erinnere ich mich gerne an die Verfasserin dieser Imagologie, nicht nur, weil ich deren Imago auch nach recht langer Zeit noch ziemlich genau im Kopf habe, die vor Beendigung des vergangenen Jahrtausends durchaus in meine Vorstellungswelt paßte von einer nicht nur wohlansehnlichen, sondern darüber hinaus klugen und intelligenten und gebildeten, also intellektuellen jungen Frau, mit der man nicht nur wesentliche Gespräche führen, sondern auch ordentlich einen trinken konnte.

In ihr ertrinke ich also gerade statt zur rettenden Insel meines Freizeitwerks zu schwimmen. Sie taucht mich tief ein in meine spätere, bis heute andauernde Jugend, indem sie mich an diese Frische erinnert, mit der ich mich eine Zeitlang gerne beschäftigt habe, etwa an die von Georges Perec oder Raymond Queneau, überhaupt an die Gruppe Oulipo, an L'Ouvroir de Littérature Potentielle (etwa: Werkstatt für Potentielle Literatur), der ja auch mein inniggeliebter Italo Calvino angehörte, in der sie absolut belesen war (und vermutlich noch ist, obwohl sie vermutlich des schöden Mammons wegen in eine andere Abteilung der Imagos umzuziehen gezwungen war). Sie hat übrigens auch Zettels Wirtschaft betrieben. Als ich das Buch von meiner Galerie hinuntertrug, in der die besonderen Franzosen und Italiener und Spanier, diese Romanen also, von denen auch die die Romantiker abstammen (La vie est un roman), sowie Erstausgaben und auch während fröhlicher Feiern nicht nur um Bücher völlig kunstverkritzelte Kataloge oder, eben, gewidmete Dissertationen von schlimmen Erbkrankheiten («In Liebe») über chemische Prozesse zur Waschmittelherstellung (Ewig Dein!») bis, genau, fragwürdiger fremdländischer Literatur («Je sui un autre.») vergiftschrankt sind, entfiel ihm ein Blatt mit einer Vorrede, die einen Schluß auf ihre geistige Haltung zuläßt, in der ich es mir nach langer Zeit jetzt behaglich machen werde.
Dieses Buch ist ein tolles Buch. Die Verfasserin jedenfalls kann nicht besser (und anders übrigens auch kaum). Es handelt von der schlimmen Welt, in der die Wissenschaftler schreiben und davon, was an diesem Schreiben so schlimm ist. Aber es handelt auch von Kriechwurzeln, Ikarusflügeln aus Messerklingen, kindischen Säulenheiligen und verbeulten Kaffeedosen, die ich alle selbst bezahlt habe. [...]

Die Transkription des Arabischen wird wissenschaftlichen Anforderungen nicht gerecht, was technische Gründe hat, die zu erläutern hier kein Platz ist. Für den Schwund des Diakritischen zeichnet der Iberer verantwortlich.

Die beiden Ebenen der Repräsentation von a) außerliterarischer Wirklichkeit im literarischen Text und b) Wirklichkeit literarischer Texte in literaturwissenschaftlichen Analüsen [hic] können nach der Lektüre dieser Arbeit hoffentlich nicht mehr auseinandergehalten werden. Dabei waren Autoren wie Geertz und Castaneda ziemlich hilfreich. Andere Verunklarungen habe ich mühelos allein zuwegegebracht. Schließlich rechnet man ja auch mit Lesern, die für Kinkerlitzchen wie z. B. Rückbindung der einzelnen Kapitel an die in der Einleitung angestellten Beobachtungen nicht an die Hand genommen werden wollen.

Der Begriff der Imago wird in dieser Arbeit, in Anlehnung an den Duden, durchgehend im Sinne von ‹fertig ausgebildetes, geschlechtsreifes Insekt› gebraucht.

Im Goytisolokapitel kommt ein Baum vor, der Baum der Literatur, auf dem die Verfasserin als Spottdrossel verkleidet von Ast zu Ast hüpft. Was die meisten nicht merken: dieser Baum ist hohl.
Die Fortführung meines sicher außerordentlich wichtigen Werkes zur Weltrettung muß warten. Aber wahrscheinlich ist der Rücken des Buches ohnehin tiefschwarz und nicht grün wie die Hoffnung. Vielleicht begegnen wir uns mal wieder, die vermutlich immer noch junge und frische Frau und ich in den Jahren Verkommener. Dann würden wir sicher über Bücher sprechen, die ohne den Buchstaben E auskommen. Denn Georges Perec hat auch ein Buch geschrieben, in dem eine Frau durch die Zeilen geistert, die mich mit einem Mal im nachhinein an die da oben erinnert: So könnte sie heute als (noch?) Vierzigerin ein wenig gedankenverloren sinnierend durch das Haus in Paris streifen. Besondere Alltäglichkeiten.

Friederike Heitsch
Imagologie des Islam in der neueren und neuesten spanischen Literatur
Edition Reichenberger, Problemata Literaria 36


Sie, die sich später — um auch in der tiefen virtuellen Maurenwelt rascher gefunden zu werden? — den zweifelsohne auch besser zu ihr passenden zweiten Vornamen Elena gab, hat auch andere schöne Stückchen geschrieben:

vor der Imagologie, ihrer Dissertation:
Antonio Gala und der Islam. Kritik eines Bestsellers
nach der Imagologie (auszugsweise):
Verweigerung macht sexy, in: Valio Tchenkov, 1999 - 2002
Ornament als Verbrechen an der Volkswirtschaft. Die Geistesverwandtschaft zwischen Adolf Loos und Arnold Schönberg, ein Hörstück, 2004, Bayern 2
Eine Piroge voller Affen. Humboldts Fahrt auf dem Orinoco, 2004, SWR 2
Keine einzige unwahre Note. Maske und Widerstand bei Schostakowitsch, ein Hörstück, 2006, Bayern 4 (Klassik)

 
Fr, 06.01.2012 |  link | (2825) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino















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