Bleibende, gesteigerte Werte

Die Kunstmarktkunst treibt im besten Sinn des Wortes Blüten, im Sinne von Falschgeld. Nicht weit hergeholt sind die blühenden Landschaften, mit denen ein deutscher Bundeskanzler sein Volk verkohlte. Doch die Ersatzreligion Kunstmarktkunst findet zunehmend Anhänger, und deren Missionare sitzen in den Redaktionsstuben. Anders als desinformierend läßt sich wohl nicht bezeichnen, was die Gemeinschaft des deutschen Fernsehens als Anstalten der Bildung und Information mit ihren Zuschauern macht. Als Berichterstattung deklariert strahlt es ein Filmchen aus, das nur in Unkenntnis der Branche oder aber in gezielter Irreführung entstanden sein kann. Ich mutmaße mal: Aufgrund der Verjüngung der Redaktionen ist niemand mehr da, der hier korrigierend eingreifen könnte. Oder sie sind allesamt Hauptabteilungsleiter, die sich für die einzelnen Beiträge nicht mehr weiter interessieren.

Mit viertausend Euro im Portemonnaie läßt sich einer dieser neuen anlegenden Sammler durch die mediale Nachplappererei der Kunstmarkt-PR-Maschinerie zur Liebhaberei Bewegter in eine Auktion schicken, um im «Wert beständige und steigerungsfähige» Gemälde von Zeitgenossen zu ergattern. Von Kunstfonds irgendwelcher Anlagefirmen bis hin zu den im Scheingeschäft nicht so unerfahrenen Banken ist die Rede, die die Rettung in «Sachwerte» propagieren. Darin befinden sich beispielsweise Radierungen von Pierre Soulages, also Auflagenarbeiten in einer Höhe von bis zu sechshundert Exemplaren (hier ein Beispiel dafür, wie solch ein Sammlerstück aussehen könnte: Eau-forte III), und es steht an zu vermuten, daß sich in diese Fonds auch mal ein Dalí eingeschlichen hat mit einer Auflage von zehntausend. Der katalanische Meister des Surrealismus ist bekannt dafür, daß noch zu seinen Lebzeiten Blanko-Signaturen von ihm in Umlauf kamen.

Finanziell (noch) passabel ausgestattete Rentner, die ihr Lebtag nie etwas mit dem Kapitalmarkt und Gewinnsteigerung zu tun hatten, lassen sich wie bei der Landimmobilie davon überzeugen, es sei sicheres und zugleich gewinnerzielendes «Sparen». Auch sie machen mittlerweile in Kunst. Ein Volk von «Sammlern» in Ersatzreligionen. Wer einmal versucht hat, das Originalgemälde eines lebenden, in der Rangliste nicht ganz so weit oben gehandelten Künstlers zum Kaufpreis wieder zu verkaufen, der wird, wie man das heuzutage so schön nennt, in eine Schieflage geraten. Fünfzig Prozent Einbuße sind durchaus der Normalfall, wenn's sich nicht ohnehin als Ladenhüter erweist.

Ein Beispiel für «normale» Preise: Unter uns weilende wie der durchaus renommierte Bildhauer Alf Lechner bietet seine Zeichnungen gar für 250 Euro an: Shoppen im Shop des Alf-Lechner-Museums: Sicher, daß sind kleine, etwa postkartengroße Zeichnungen eines Plastikers, mögen sie Bewegungsstudien genannt werden. Aber es sind immerhin Originale und keine Radierungen gleich Drucken.

Ich bitte um Vergebung für die Bildqualität des Krummen und Verblitzten. Ich kann's nicht anders. Es ließe sich auch sagen: Ich war zu bequem, meinetwegen zu faul, das Blättchen aus dem Rahmen zu nehmen, in den Frau Braggelmann als Kuratorin der heimischen Petersburger Hängung es hat setzen lassen, und es einzuscannen.


Das hat ebenfalls nicht nur nach wie vor Gültigkeit, nein, es ist sehr viel ärger geworden: Leutchen mit Pfiff.
 
Mo, 29.10.2012 |  link | (4185) | 57 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Abartiges



 

Wissen macht Ahbeit

Allerdings weniger für Redakteusen und Redakteure der immer jungen Abteilung einer gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalt. Die müssen sich nämlich nicht vorher wenigstens klugmachen, bevor sie etwas als Innovation in den Äther posaunen. Das erinnert mich ein wenig an den jungen Künstler, ich meine nicht Daniel Ambühl, der Vom Genie der Neuigkeiten ... erzählt, ein anderer war's, dessen Namen ich vergessen habe, der in den Achtzigern Marcel Duchamps Weinflaschentrockner neu erfunden hatte, da er der Lektüre nach hinten, der Historie seines Gebietes nicht sonderlich zugetan war. Da kann's einem durchaus passieren, daß man für ein Genie gehalten wird, obwohl es gar keinen Neuschnee gibt.

Kunst müsse man nun nicht mehr kaufen, man könne sie mittlerweile auch leihen, hieß es frühmorgenlich (und vor ein paar Minuten wiederholt) im Kinderkanal Hirnradio. Ein neuer Trend sei aus La Défense, einer Randgemeinde des Zentrums der Îl-de-France zu vermelden. Kraft einer dort ansässigen Artothèque, so hat ein halbes Ohr die ungemein witzige Moderatorin noch mitgekriegt, werde das Risiko gefälschter Kunstwerke insofern minimiert, als man sie gegen Gebühr ausleihen und zurückgeben könne, nach einem halben Jahr sogar müsse. «Die Bürger können zwischen rund 90 Gemälden auswählen, die Sammlung hat das Rathaus zusammengestellt. Solche Artothèques gibt es mittlerweile in vielen Gemeinden Frankreichs — ein französisches Erfolgsmodell, das schon von einigen Kunstvereinen kopiert wird.»

Da hat wohl die Reporterin ein Ausflug nach La Défense gemacht, für sich eine Neuheit entdeckt und diese sofort nach Köln gezwitschert oder gesimst, und die Entscheider des Bildungsauftrags haben ihr flugs den Zuschlag erteilt. Die Worte von Martine Dallennes fallen mir dabei ein, die beim Lesen des Buches Und Gott schuf Paris sich und die Leser fragte: «Zehn Jahre soll er dort gelebt haben? Seine zweite Heimat soll er dort gefunden haben? Er tut geradeso [...], als habe er Paris und Frankreich immer nur in der Rolle des Auslandskorrespondenten erlebt [...].» Andererseits ist das Nichtwissen der vermutlich Paris für Frankreich haltenden Berichterstatterin einleuchtend, wenn man weiß, wie schwer sich sogar die einstige Metropole d'art mit der zeitgenössischen bildenden Kunst tut. Die Trennung zwischen Kirche und Staat, das möglicherweise so entstandene Desinteresse an immer noch katholisch befeuertem Bildhaften, die übermächtige Liebe zu Literatur und Theater hat erhebliche Wissenslücken entstehen lassen. Trotz aller Bemühungen beispielweise eines Bildungsfindungsministers wie Jack Lang, auch via Museen mehr Siècle des Lumières in die dunkelsten Provinzen des Landes zu bringen, hat man's dort nach wie vor nicht unbedingt mit den bunten Bildern, während in der rechtsrheinischen Republik bald jedes Kuhkaff eine eigene Skulpturenmeile unterhält.

In Frankfurts Klappergass', dort, wo die Frau Rauscher gerne einen gehoben und deshalb e Beul am Ei hot, was Sachsenhausen vermutlich im Bembelsommer mehr äbbelwoiselige Handkäs'-mid-Musigg-Touristen beschert als dem Museumsufer ganzjährig, feierte man unlängst fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Dort kann man, wie wohl auch in den meisten anderen Bildereien, wie diese Bildleihstellen auch genannt werden, Kunst von Zeitgenossen vor und/oder nach der Ausleihe kaufen. In der Artothèque von Puteaux ist das nicht möglich. Wahrscheinlich ist es deshalb «ein französisches Erfolgsmodell». Wer's mit dem Hinkucken nicht so hat, für den ist alles fortschreitend neu, auch wenn's anderswo längst ein alter Hut ist. La Défense könnte die Metapher für diese typisch französischen Grundhaltung lauten: Abwehr von allem, was nicht aus dem Ei Grande Nation geschlüpft ist.

Wenn ich mich recht erinnere, habe ich schon gegen Mitte der achtziger Jahre in der Münchner Artothek zwei-, dreimal Gemälde ausgeliehen, quasi zum Probekucken. Seit den Neunzigern wird sie (mit)betreut von Johannes Muggenthaler, der dazu den einzig richtigen Kommentar gezeichnet hat: «Mondrian geht unerkannt spazieren». Da ich auf diese Zeichnung nicht zugreifen kann, weil sie von Frau Braggelmann konfisziert wurde, zeige ich Wiederholer ersatzweise ein weiteres seiner Erkenntnisse (die mir wenigstens als Photographie geblieben sind):

© Johannes Muggenthaler: Giacometti erobert die Welt, ca. 50 x 90 cm, um 1985

 
Di, 15.11.2011 |  link | (2207) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Abartiges



 





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