Französisch föderal

Mit Jack Lang geschah in den achtziger Jahren in Frankreich Wundersames. Vor allem während der Zeit von François Mitterand als Président de la République begann er als Kulturminister das Land zu entzerren oder auch zu dezentralisieren. Das war mehr als ungewöhnlich, führten doch bis dahin grundsätzlich alle Wege nach Paris. Mit ihm kam sogar die zeitgenössische bildende Kunst, eine bei der eher dem Theater oder der Literatur zugeneigten Bevölkerung nicht übermäßig geliebte Disziplin, in die Provinz. Auch dürfte er Einfluß an der entsprechenden Besetzung neuer Häuser gehabt haben wie dem Musée de Grenoble hoch oben in den Bergen, auch Alpen genannt, das Mitte der Neunziger nach langer Planungszeit endlich erweitert worden war und umziehen durfte; in mehr als angenehmer Erinnerung habe ich die Zeit unter Serge Lemoine (der später das Pariser Musée d'Orsay übernahm). Es geschah einiges, das vor der Zeit des agilen, im jüdisch (und somit bastardisch) wurzelnden Lorrain aus Nancy undenkbar schien.

So durften, was früher unter Strafe verboten war, beispielsweise an Schulen tief unten im Südwesten wieder Okzitanisch gesprochen und sogar unterrichtet werden; das langue d'oc (daher der Name der Région) sollte über lange Zeit hin ausgerottet, zumindest aber unterdrückt werden. Die Sprache der Könige (bis hin zu Mitterand) war eben langue d'oic. Jack Lang erinnerte daran, daß das Land, bevor Gott zum französischen Katholizismus konvertierte, schließlich zum einen von Barbaren aus dem Norden gegründet wurde, die im Süden auch heute noch so bezeichnet werden, nicht nur weil sie so stottern oder auch stammeln, also unverständlich barbasieren, was dem prahlerischen oder lautstarken, Johann Fürchtegott Gellert zugeschriebenen Bramabarsieren nahezukommen scheint, das dann sogar schon wieder piefkesche Züge aufweist, vergleichweise für den sich dem südsüdostlichen Nachbarn eher verbundenen Bayern, der den japanischen Preiß nicht versteht; und zum anderen, daß, bevor dieser unstete Germane ins Land kam und seine Krieger um sich versammelte, um daraus später die Grande Nation entstehen zu lassen, die verschiedenen Stämme so schlimm unterschiedlich waren und noch unverständlicher sprachen als Asterix und Obelix. Bekanntermaßen schafften es nicht einmal die Römer, diesen ganzen von lauter Miraculixen verhexten Götzenanbeter ordentliches Latein beizubringen.

Vieles hat Jack Lang in Bewegung, in die Provinz gebracht. Bis hinein in, nach deutscher Gradmessung, winzige Städtchen von einigen hundert Einwohnern am südlichen Rand der Servennen flossen Gelder gar für zeitgenössische Kunst. Alle erdenklichen Ecken und Winkel auch des Südens profitierten somit von diesem allumfassenden kulturellen Interesse dieses von mir überaus geschätzten Mannes, der sich dennoch dem Norden verbunden scheint; im Département Pas-de-Calais hat er seinen Wahlkreis, dort, wo Andersprechende definitif mißverstanden werden. So muß ich vermuten, daß auch die Wiederbelebung oder überhaupt die Belebung seiner Heimat Lorraine auf seinen nach wie vor währenden Einfluß zurückzuführen ist. Denn wer käme sonst auf die Idee, ein derartiges Museumskathedrälchen, eine Filiale des Centre Pompidou kurz vor der Grenze zu Deutschland zu errichten? Ohne jeden Zweifel ist es ein Genuß, nicht nur für mich, der ich diese (eben landestypische) Oppulenz auch im Kleinen schätze, die bei mir jedenfalls diese große, ja fröhliche Architekturassoziation auslöst. Sicher, es gibt in der Stadt selbst seit langem Faux Mouvement, gegründet Anfang der achtziger Jahre von jungen Begeisterten, die keinerlei Markt, sondern Kunst bewegte und die nach und nach ihre Räume erweitern konnten, so daß es immer wieder lohnte, auch mal ohne andere Absichten anzureisen. Aber selbst deren zwar südlich gelassenenes, aber auch geradezu katalanisch anmutendes, also sehr bestimmtes Agieren dürfte kaum ausgereicht haben, Paris soviel Geld aus den Boubou-Rippen zu leiern, daß eine solche Architekturlust ausgerechnet kurz vor der zwar sympathischen, aber insgesamt doch etwas weniger aufregend ausgestatteten Stadt der Brüder und Schwestern aus dem Norden postiert würde.

Nun, es dürfte ein vom Fremdenverkehr bestimmter und damit wesentlicher Aspekt hineingespielt haben in dieses schöne Stück Architekturtheater. Auch im parisischen Stammhaus fahren am liebsten oder überwiegend Touristen die Rolltreppen hinauf, um die Internationale der Kunst nachzuträllern. Franzosen, auch Pariser singen eher landestypische, theatratralische Lieder, sie haben's nicht unbedingt so mit der Westkunst, gleich gar nicht mit der zeitgenössischen im Kanon der sich zwar grenzenlos gebenden, aber letztendlich doch der okzidental verhafteten Welt; das Bißchen an Civilisation, das man benötigt, hat schließlich die ureigene Geschichte der Postrevolution geschaffen. Da mag man die Städte landauf, landab noch so (unerkannt) aufhübschen mit den paar wenigen einheimischen Künstlern weltweiten Renommées (was nichts an deren nicht-zentralistischer Bedeutung ändert). Die wahrlich gut besuchten Museen vor allem der größeren Kommunen füllen sich mit denjenigen, die dieses Land der Kultur unwissentlich auch mit bildender Kunst von heute verbinden. Sie haben keine Kenntnis darüber, daß innerfranzösische Kunstinteressen allenfalls dann in die Breite gehen, wenn es dabei etwas zu essen gibt. Ähnlich dem vielzitierten Abspann wird Troubadix zunächst einmal schweigend zur Reifung nach oben (ab)gehängt. Wenn dann irgendwo noch Buchstaben drinnen vorkommen, dann kann man sich immer noch irgendwann damit beschäftigen.
Martine Dallennes: Hommage à J. Roubaud, 1990; 150 x 250 cm

Ich weiß schon, weshalb ich konvertiert bin.
 
Mo, 31.05.2010 |  link | (3134) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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