Geburt der Schuld

«... die bibel hat recht:
der mensch verlor das paradies,
als er zwischen gut und böse zu unterscheiden vermochte.
nicht, weil es gut und böse gab,
sondern weil er es
mittels unterscheidungs-inszenierung erfand.
an jenem tag wurde die schuld geboren.
und wer sie fürderhin nicht anerkannte,
galt als unverzeihlich schuldig ...»


«schuld – oh du wandelbare göttin allen elends!»
 
Do, 07.08.2008 |  link | (509) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Im Schmollstübchen

Der Freiburger Gymnasiallehrer und Pfarrer Franz Josef Brugger etwa gründet kurz vor der Revolution von 1848 einen «Verein zur Beförderung der deutschen Reinsprache». Mit standesgemäßer Besserwisserei und nicht ohne grimmigen Humor schlägt Brugger vor, Professor mit Wissmeister, Perücke mit Glatzberge, Politiker mit Staatsklügler oder Schlaukopf und Polizei mit Gewaltei zu übersetzen. «Die erotische Blondine amüsiert sich im Boudoir mit dem Finanzminister» hieße, ins Bruggersche Reindeutsch übertragen: «Das liebeatmende Hellhärchen vergnügt sich im Schmollstübchen mit dem Rechtslandwart.»

Aus dem in weiten Teilen köstlichen, in allen Bereichen informativen und dennoch (oder ebendrum) anregenden Rundfunkessay des geschätzten Martin Halter:

Gastarbeiter der Sprache
Zu Geschichte und Aktualität der Fremdwörter im Deutschen


Zwar wurde der Beitrag bereits im März vergangenen Jahres gesendet, aber der freundliche Südwestrundfunk stellt das Manuskript als rtf-Datei kostenlos zur Verfügung: Gastarbeiter der Sprache.

Im Vorspann heißt es:

«67 Prozent aller Deutschen halten das Vordringen fremdsprachlicher Ausdrücke für unerfreulich oder Besorgnis erregend. Seit sich das Deutsche vor bald 500 Jahren als Volks- und Schriftsprache durchzusetzen begann, galt das Fremdwort immer wieder als Fremdkörper im Sprachleib, ein Unkraut, das den wohl gehegten Schrebergarten einheimischer Gewächse zu vergiften und überwuchern drohte. Der Kampf der Sprachpuristen um eine unverfälschte, von fremden Verunreinigungen befreite Muttersprache ist — gerade in Deutschland, wo die Sprache von jeher als Kern nationaler Identität galt — hochgradig emotional besetzt und ideologisch kontaminiert. Während die Fremdwörter von ihren Freunden als multikulturelle Bereicherung und Erweiterung eines bornierten deutschen Sprach- und Denkhorizonts begrüßt werden, sind sie für ihre Gegner Zielscheibe nationalistischer Ressentiments und latent rassistischer Reinheitsfantasien. Sprache ist immer mehr als ein pragmatisches Kommunikationsmittel, nämlich Hoheitszeichen, Schutzschild und Waffe nationaler Identität, und je mehr diese bröckelt, desto erbitterter wird der Kampf ums Eigene im Medium der Sprache geführt.»

«Ich habb ihn doch gar ned dangiert.» (Loddar Mathäus)
«Das wird doch alles von den Medien hochsterilisiert.» (Bruno Labadia)
 
Mi, 06.08.2008 |  link | (3235) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Jonas Überohr im Ohr

Das – für mich – wichtigste deutschsprachige Buch über Rockmusik hat 1972 Helmut Salzinger herausgebracht. Es hieß «Rock Power», und Frank Schäfer, der Salzingers Leben und Werk auf einer ganzen taz-Seite vorstellt, beschreibt es als «fulminanten Collage-Essay». Fulminant war's in der Tat, und es fing mit einem Zitat von Karl Marx an: «Der Rock ist eine Ware.»

Salzinger, Jahrgang 1935, gehörte mit seiner ganzen Person zum politischen Hippie-Untergrund, dem deutschen Ableger dessen, was die Yippie-Vordenker Jerry Rubin und Abbie Hoffman «Woodstock Nation» genannt haben. Yippies waren Anhänger der «Youth International Party», Leute, die versuchten, die neue Linke und die psychedelische Jugendkultur unter einen Hut zu bringen. Salzinger erklärte das so: «Woodstock Nation ist ein Vorgriff auf die befreite Gesellschaft. Denn die Revolution braucht keineswegs auf den Tag verschoben zu werden, an dem die Arbeiterklasse zum Bewusstsein ihrer selbst gekommen ist und ihre historische Aufgabe, die Revolution zum Sieg zu führen, begriffen hat.» Das hat ja auch Jim Morrison so gesehen: «We want the world and we want it – NOW.»

Was Frank Schäfer da über Helmut Salzinger zusammengetragen hat, verdient höchste Anerkennung. An einer Stelle heißt es: «Man kann auch neidisch werden, wenn man bei Salzinger nachliest, welche gesellschaftliche Relevanz Popmusik und eben nicht zuletzt auch die Musikkritik einmal besessen hat. (...) Salzingers Texte sind Welten entfernt vom heute üblichen schnellfertigen Geschmacksfeuilletonismus.» Bei der Lektüre von Salzingers Texten kann man «auch viele Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung die Morgenluft noch wittern; diesen berückend aromatischen Duft einer machbaren gesellschaftlichen Umwälzung, der damals in der Luft lag. Das muss ein heimeliges Gefühl gewesen sein – als Teil so einer Jugendbewegung!»


hap im tazblog

Anderswo:

«Spaß macht so richtig Spaß nur», erinnert Helmut Salzinger*, «solange die anderen sich darüber ärgern. Unverständnis, Widerspruch. Ablehnung, empörter Protest sind ein ergiebiger Quell der Inspiration für den, der es darauf angelegt hat, durch sein Tun die Umwelt in ihrer Ruhe zu stören.» Kabarettistisch an diesen Veranstaltungen waren, so Salzinger, allerdings «bestenfalls die eingelegten Chansons, im übrigen aber entsprachen sie überraschend genau dem, was zur gleichen Zeit in New York erfunden wurde, dem Happening. Vorgänge sollten ausgelöst werden, in denen die Wirklichkeit sich selber agiert, zugleich Subjekt und Objekt der Demonstration ist.»

*Jonas Überohr «Helmut Salzinger war der Diedrich Diederichsen der siebziger Jahre.» Genauer: «Diedrich Diederichsen ist der Salzinger der Achtziger und Neunziger.» Jungle World
 
Mo, 04.08.2008 |  link | (588) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Lebendig, dabei ungestüm

«Nackt war sie dagelegen, sich ihm anbietend und wartend auf seine Hände, seinen Mund, seinen erregt verhärteten Penis und während er darüber nachdachte, in welcher Stellung er zuerst in sie eindringen solle, sagte sie es. Erst hatte er gar nicht richtig begriffen, was sie gesagt hatte, vielleicht weil es so gar nicht zu ihr passte. Wild war sie und lebendig, dabei ungestüm und zügellos.»

Heringe heißt das, was da beschrieben ist und worüber (unter anderem) heute bis 22.00 Uhr abgestimmt werden soll in der Schreibwerkstatt. Zu Besuch in Hildes Heim?
 
Do, 31.07.2008 |  link | (2108) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Katholenberg

«Katholizismus ist eine überaus ernste Angelegenheit. Todernst sozusagen. Eben darum benötigt man ja den ganzen Humor — das Thema bringt einen sonst glatt um. Ja, in dem Zusammenhang sind Harpyienphantasien durchaus zulässig. Wie überhaupt alle bizarren Phantasien, deren die Menschheit je fündig wurde. Wer den Katholizismus im Hinblick auf seine Wirkungsgewalt betrachtet, findet sich unweigerlich mit Schlangengruben, sadistischen Bocksbeuteln, nie endendem Kampf zwischen Gut und Böse, Rein und Verderbt, Lilien und Leichen, schwärend bleichen Gesichtern und Gebeinen, dem Satan in Menschengestalt nebst menschlichen Teufeln — kurzum mit ausnahmslos allem konfrontiert, was Trashfilmern feuchten Traum beschert. Wer es nicht glauben mag, weil's einfach zu albern klingt, sollte sich wahlweise Herrn Boschs Höllenergüsse oder xbeliebige gothische Kathedrale speziell in den unteren und oberen Regionen zu Gemüte führen. Zur Not reicht auch die Göttliche Komödie. (Bitte unter Verzicht jeglicher Halluzinogene — kein Humor der Welt wäre solchem Erleben gewachsen.)»

Da sage einer, allein der jüdische Humor habe sich selbst zu umschiffen! Das da oben ist nur ein Teilchen desssen, das diese Dame zum Thema durchtaucht hat. Also, Die Lust am Text winkt: katholen-junk
 
Mi, 30.07.2008 |  link | (1431) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Unterm Geistesbanner

Lassen Sie uns doch erstmal «kühlende Wassermusik» spielen, meinte der Herr heute früh am Mikrophon und gab der Lust auf der Themse die Fahrt frei. Nein, nicht KlassikRadio. Ich vermute, daß nichtmal die sich unter diesen NN-Wasserstand trauen würden. Solches kann man sich nur leisten, wenn man unter der Flagge segelt, die das Hochgeistige im gesamten Norden ausliefert: NDR-Kultur.
 
Di, 29.07.2008 |  link | (464) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Das wird schon

«Ich wollte noch fragen was denn dann werde, wenn jeder eine Schreibtischlampe mit einem Auto mit 285 KW zur Sammelstelle bringe, aber er war schon eingestiegen und losgefahren, ganz siegessicher, den notwendigen Beitrag erbracht zu haben.»

Chez Buster
 
Sa, 26.07.2008 |  link | (485) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Die Natur

will nicht der ausschließliche Besitz eines einzigen sein. Als Eigentum verwandelte sie sich in ein böses Gift, was die Ruhe verscheucht, und die verderbliche Lust, alles in diesen Kreis des Besitzers zu ziehn, mit einem Gefolge von unendlichen Sorgen und wilden Leidenschaften herbeilockt. So untergräbt sie heimlich den Grund des Eigentümers, und begräbt ihn bald in den einbrechenden Abgrund, um aus Hand in Hand zu gehen, und so ihre Neigung, allen anzugehören, allmählich zu befriedigen.»

Novalis, Heinrich von Ofterdingen, Kap. 5, via hap
 
Sa, 26.07.2008 |  link | (537) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Noch mehr Bühne

«... was die professionellen Mitglieder der Journalistenzunft täglich so akkurat beherrschen — und am Ende erweist es sich, dass sämtliche Beteiligte in diesem redaktionellen Kasperltheater allesamt auch wiederum nur Journalisten gewesen sind. Kurzum: Bullenkrieg in Büttenwarder

Klaus Jarchows gespiegelte Medienlese.

Doch das Traumtheater von Chat Atkins erst, das sich In somnambuler Umnachtung abspielt:

«Beim zweiten Blick, den ich dann riskierte, erschien der Mann dort drüben mir völlig verwandelt: Hinter dem schnieken Anzug sah ich plötzlich die rote Litewka und die goldene Litze des Leierkastenäffchens hindurchblitzen. Statt der teuren Zigarre, die er mit perfekt manikürten Fingern kunstgerecht beschnitt, hörte ich ihn mit der Sammelbüchse des Außendienstlers klappern.»
 
Do, 24.07.2008 |  link | (458) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Verläßlichkeiten

«Das Verläßlichste sind Naturschönheiten. Dann Bücher; dann Braten mit Sauerkraut. Alles andre wechselt und gaukelt.»

Arno Schmidt
 
Mi, 16.07.2008 |  link | (467) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 







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