Ente oder Ei?

Es mußte ja so kommen, irgendwann, eigentlich habe ich fortwährend damit gerechnet, nachdem im Februar schon einmal elektrische Fremdankurbelung benötigt wurde: Es ist nicht angesprungen wegen des dreitägigen Abenteuerurlaubs in den ziemlich nassen Feuchtgebieten von Büddenwarder, aber für sowas ist das im Exil befindliche edle Gefährt des Südens einfach nicht konstruiert worden, sondern für allenfalls zehnprozentige Luftfeuchtigkeit und nie unter fünfzehn, tiefstens zehn Grad plus auch im Winter, das mag es nunmal nicht, eine Unverfrorenheit sozusagen, es solchen kurz-vor-hinter-sibirischen Unbilden auszusetzen. Zudem es normalerweise überdacht steht in einem kuscheligen, windgeschützten Eckchen, links dickes Gemäuer aus der Zeit der (französischen!) Revolution, und nach rechts gedämmt mittels althergebrachter Techniken, mit Hilfe vieler, sehr vieler und seit Jahren hochaufgetürmter Festmeter Buche und Birke und auch ein bißchen uralter Eiche vom vor zwanzig Jahren vollzogenen Aus- und Umbau. Und es kam die Rache, wie sie kommen mußte: die sechs bis acht Jahre alte Batterie verweigerte ihre Dienste. Drei Umdrehungen. Aus. Ende.

Also Taxi im nahen Städtchen angerufen, Bitte um Starthilfe. Rasch kam sie auch, innerhalb von zehn Minuten, kostete überdies, auch hier Überraschung, denn von etwas größeren Ansiedlungen ist man anderes gewohnt, unter zehn Euro. Aber mit dem beabsichtigten Einkauf war dann nichts. Denn: mindestens zwanzig Minuten möchte sie bewegt werden, die Ladestation für die Schwachbrüstige, bis die wieder einigermaßen leistungsfähig ist, also wenigstens die drei Umdrehungen schafft, die sie unter witterungsgünstigeren Bedingungen benötigt. Und der ursprünglich anvisierte Konsumrauschtempel steht maximal fünf Minuten entfernt auf der grünen, gleichwohl im Nachhinein betonbefestigten Wiese.

Nun denn, der Himmel winkte wolkenlos, lud nachgerade ein zur gemütlichen Landpartie, zur Erholungsfahrt für Mobil und Kutscher gleichermaßen. Und wie sich's so dahinrollt, mit einem Mal ein Hinweis sich auftut zu dem immerfreundlichen und zuverlässigen Pfleger des anderen, vor kurzem noch alternativen Autochens und auch in Zukunft desjenigen, das kürzlich aus der Gebärmutter der französischen Fabrik geschlüpft ist. Wiederum ein Zaunpfahlwink auf schlechtere Zeiten, womit hier weniger die Empfehlungen gemeint sind, ein bißchen von dem Geld auszugeben, das einem zwar gehört, aber möglicherweise bald in der Lohe aufgegangen sein wird, die unsere Währungshüter entfacht haben, sondern schlicht der auf unabänderlich kommende Witterungen, die neuerlichen Startverdruß bringen könnten nach Ausflügen in die nassen Feuchtgebiete von Büddenwarder.

Nun gut, Enten mit Köpfen machen: Neue Batterie. Einbau kein Problem, das ginge ruckzuck, meinte Herr Osterhoff junior in Sandesneben. Etwas über sechzig Euro. Aber: kein Geld beziehungsweise nicht in der Tasche, da mit Geldtanken ja nichts war wegen des altbatteriebedingten Zwangsdauerlaufs. Aber auch das kein Problem. Überweisen eben oder auf einen ohnehin gern getanen Klönschnack hin noch mal vorbeikommen. Man kennt sich eben. Landleben.

Nun ist sie gewappnet, die Kutsche aus der Zeit der französischen Revolution, sogar gegen die büddenwarderschen Naßgebiete, zumal die winters ja noch ekelhafter und batteriekräfteraubender sind als herbstens.

Heile Welt. Es sei denn, es bricht eine Revolte aus und neben den halbstaatlichen oder mittlerweile gänzlich verstaatlichten Banken oder mit dem deutschen Staat geht auch die Bauernkasse pleite, in deren Silos unsereiner Milliönchen silagegleich gebunkert sind. Aber dann holen wir eben den Karren aus der Scheune wie anderleuts ihre Oldtimer, spannen den Ochsen davor, fahren zu den Alten, die ihr Viehzeugs entgegen aller Brüsseler Anordnungen und Erlasse und Gebote und Verbote und Gesetze einfach, irgendwo da hinten versteckt, uneinsehbar für die ewig Fortschrittsgläubigen und deren Globalitätshüter, behalten haben, leihen uns ein Huhn und haben damit ein für allemale die seit Douglas Adams existierende Frage gelöst, was denn nun zuerst dagewesen sei: Ente oder Ei.
 
Mo, 06.10.2008 |  link | (1979) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 

Automobilgeriatrisches

Wegen vielfacher (Such-)Anfragen

Zwei alte französische Schachteln, fernab der Heimat. Die Historie der beiden Schwestern, überhaupt ihrer Familie ist Legende. Gebaut wurden diese beiden bis 1990 (links), die andere bis 1991. Manchmal knirscht und klappert es arg im Geläuf, und wenn's gar nicht mehr geht, dann müssen sie eben in die geriatrische Klinik.

Bei dieser hier handelt es sich um Die Auto-Schmiede im holsteinischen Sirksfelde. Dort beschraubt Johann A. Berlenbach quasi in kollegialer Hilfe auch schonmal die nicht eben in der Nachbarschaft beheimatete (Leasing-)Ente vom Dannek Josef, dem Entenmann aus dem oberpfälzischen, also südostbayerischen Regensburg, das noch ein klein wenig älter ist als seine Enten. Dort werden die nicht nur dem rauhen Klima des Vor-Baltikums angepaßt und wieder TÜV-, sondern auch, und nicht zuletzt, erneut rasant-fahrtauglich gemacht.

Allerdings ist die berlenbachsche Auto-Schmiede im Norden beileibe keine Klinik nur für ständig frierende Südländerinnen, die es in der Barbaren Land verschlagen hat. In seinem Altensanatorium bekommt alles aus der automobilen Rentnergeneration die Pflege, die den Betagten gebührt. Da gibt's auch schonmal ein liebevoll überholtes Hüft- oder Fußgelenk, und es wird, wenn's denn sein muß, auch das Herz herausgerissen, selbiges ordentlich durchgewalkt und anschließend zur Wiederbelebung und unter Neuanschluß aller notwendigen Arterien und sonstigen Kanülen an die angestammte Position zurückversetzt. Johann A. Berlenbach gehört eben nicht zu diesen heimatabgewandten Chauvinisten, denen nur das Fremde nicht fremd ist, die sich emphatisch lediglich über englisch-französisch-italienische oder sonstige verrottete Altersbauchhöhlen beugen (zumal er durchaus auch Jüngeren Hilfe angedeihen läßt). Auch manch ein deutscher Veteran kam nach der Verjüngungskur — nach der er wieder aussah, wie hier in metereologisch naheliegender, randatlantischer Umgebung abgelichtet — bei ihm wieder fröhlich über die herzöglich-lauenburgischen Hügel geflogen. Wie das alte Landeier-behältnis in seiner Heimat, bis weit in den Süden.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier angefügt: Weder Johann A. Berlenbach noch Josef Danneck wissen von diesem kleinen Lob hier, können es also nicht in Auftrag gegeben haben (was auch kaum viel brächte bei dem hiesigen Zehn-Subskribenten-Blättchen). Es handelt sich also nicht um bezahlte Public Relation oder gar hochhonorierte Werbung, wohl aber um eine gerne gesungene, gagenfreie Hymne, aus schierer Freude darüber, daß es noch Menschen und Maschinen gibt, die noch nicht von Profitdenken (oder Rost) zerfressen beziehungsweise computergesteuert daherkommen.
 
Sa, 27.09.2008 |  link | (4351) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 

Anis-Infusion

Betrachtete ich mich selbst, ich sähe mich in einem dieser Werbefilme, in denen die Männerwelt noch in Ordnung ist. Zumindest die des wohlen materiellen Mittelstandes. Ich liege in einer sogenannten Wirklichkeit — in einem lichtdurchfluteten sogenannten Designerbett, inmitten eines großen, nahezu dekorationsfreien, in der Sprache der klitternden Werbetexter und ihrer journalistischen Nachplapperer also minimalistischen Zimmers, das folglich lediglich von hochwertiger Unterhaltungselektronik illustriert ist und auf dessen gleißend weißen Wänden sich eindeutig die Mittelmeersonne bricht. Wie die Gestalter diese symbolhafte Ausleuchtung zuwege gebracht haben, ist mir quasi nicht ganz einleuchtend. Und als Eyecatcher haben sie noch eine riesige, halb heruntergebrannte, scheinbar an Baudelaire gemahnende umbrafarbene Kerze installiert, die zweifelsohne den sakralen Charakters dieses Raumes betont. Sehr publikumswirksam. Und es ist ein Duft, den man meiner leicht bewegten Nasenspitze ansieht und der sehr langsam, aber mit ausreichender Geschwindigkeit, demnach kosten- und zuschauergerecht mein linkes Augenlid nach oben fahren läßt. Der verbale Spot kommt von einer zauberhaft französisierenden Stimme, die engelgleich, aber denoch mit dem erdennahen Ton der zumindest Polyglotten, also vermutlich Stewardess oder Fremdenführerin, in deutscher Sprache verkündet, er sei fertig. Das Werbefilmchen endet mit dem Eintreten der Person, die zu den Flötentönen gehört, denen ich etwas entgegensetzen muß.

Selbstverständlich ist sie mit einem weißen Slip und einem T-Shirt gerade noch gewandet. Hierbei muß dem Requisiteur allerdings ein Fehler unterlaufen sein, der ihn den Job kosten könnte. Es sei denn, eine andere Firma hat sich an den Produktionskosten beteiligt. In unübersehbaren Kapitälchen auf den augenfängerischen leichten Wölbungen des bis zum Bauchnabel reichenden Hemdchens wird in einer Variation der Immunschwächenwarnung verkündet: Gib GATES keine Chance! Wie auch immer — es muß sich um eine unvergleichliche Nacht gehandelt haben. Der Fernsehzuschauer kann gar nicht anders denken. Und ich nicht minder.

»Möchten Sie eine Infusion de menthe, Monsieur? Ich sehe, es geht Ihnen wieder besser. Und französisch sprechen Sie auch. Sie klingen angenehm heimatlich in meinen Ohren. Diese Töne. Es freut mich sehr. Aber ist das hier etwa ein Hôtel?! Indem die Abteilungsleiterinnen persönlich den Morgen-Pastis servieren. Wie im Kino. Par exemple.»

Der Beginn einer seltsamen und langen Geschichte. Mal sehen, ob sie weitergeht.
 
Di, 16.09.2008 |  link | (1392) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 

Leben und leben lassen

«Das gemütliche Frankreich, in dem man es nicht so genau nimmt. Und dann auf der anderen Seite das Frankreich, das man in Deutschland nicht kennt: Das Land, das hoch modern ist, dessen Handwerker zuverlässig und präzise sind, das Land, das in Infrastruktur investiert hat und dessen Postboten auch in der France profonde noch regelmässig kommen.»

Richard Graf Rappoldstein kommentierte gestern so die Roman(t)ische Ruine. Ich hebe den Kern seines Kommentars hier auf Seite 1, da ich vermeiden möchte, daß er ungelesen in der Ablage verstaubt. Und weil es ein Thema ist, das eben nicht nur so ein trou perdu da unten in der südlichen Wüste betrifft.

Was der roman(t)ische Bauherr da aufgezogen hat, ist ebendiese kleinkrämerische Billigheimermentalität, über die er sich abends in gepflegter düsseldorferischer oder hamburgischer oder münchnerischer Restaurantrunde beim edlen Piemonteser gerne ein wenig lustig macht: Diese ganzen Käsköppe und, ach ja, auch die Deutschen, die zuhause den Wohnwagen mit Konserven und Kartoffeln vollpacken und damit auf Reisen gehen. Ich für meinen Teil denke mir mittlerweile so manches Mal: Meinetwegen, so sei's denn drum, sie kennen eben nichts anderes als deutsche Speckbohnen aus der Dose, und außer Liebling Linda darf nichts ran an knolligen Nachtschattengewächsen an ihre sensibel geweiteten Magenwände.

Doch im beschriebenen Fall ist das ja noch nicht einmal mit Geschmacksgewohnheit zu begründen, sind das doch allesamt französische Produkte gewesen, die er für ein paar Centimes günstiger (vermutlich allein wegen der höheren Mehrwertssteuer) nach Frankreich reimportiert hat: die Eiche vermutlich aus dem östlichen Massif Central, die Fließen, Bidets, Wannen und Toiletten allerdings bereits aus der Gegend, mit Sicherheit aus dem Languedoc-Roussillon. Und alles nichtmal über einen Fachbetrieb — er selber verdient sein gutes Geld mit einem solchen, wenn auch einen einer anderen Branche —, sondern über einen Baumarkt, einen dieser Immer-noch-ein-bißchen-billiger-Anbieter eben, die alteingesessene Handels- und Handwerksbetriebe aus der Karte eines einst gesunden kleinmittelständischen wirtschaftlichen Unterbaus radiert haben. Viel mehr als, nach heutiger Währung, fünfhundert Euro dürfte er insgesamt kaum eingespart haben. Für das Geld hat sich eine Menge Ärger und Antipathie gekauft. Auf jeden Fall haben sie ihm dafür kein Schild über die Ortseinfahrt gehängt, das ihn als Neubürger willkommen heißt.

Ich kaufe grundsätzlich dort ein, wo ich mich aufhalte, egal in welchem Land. Vor allem, wenn ich dort leben möchte. Man könnte es auch einen Versuch der Integration nennen. Oder mal andersherum: Hätte meine verehrte Madame Lucette bei der Rettung der hiesigen holsteinischen ländlichen Ruine ihren persönlichen Bautrupp aus den heimatlichen Ardennen mitgebracht, dürfte sie sich nicht wundern, bliebe das Klo nicht nur über das Wochenende hinaus, sondern dauerhaft verstopft, da es die Terminkalender sämtlicher Handwerker aus der Gegend ebenso wären. Und zwar auf ewig.

Sie erinnern mich an einen ähnlichen Fall in La Rochelle. Dort wurde in den Neunzigern auf Geheiß eines pfiffigen geschäftsübernehmenden Juniors ein riesengroßes Bistrot am (gerade noch leicht touristisch frequentierten) Quai Valin von einer seinerzeit marktführenden Münchner Brauerei übernommen und komplett neu eingerichtet. Mit Material und Arbeitskräften aus Bayern. Allein die im Niederbayrischen gefertigte und herangekarrte und von Oberbayern installierte Ausstattung kostete seinerzeit gut 100.000 Mark; das läßt sich heutzutage nicht mehr 1:2 umrechnen, sondern eher 1:1. Lediglich an die Elektrik haben sie die Deutschen nicht rangelassen. Das wäre dann doch zu kompliziert gewesen. Auch die Abteilung Meeresfrüchte und Fisch in der Küche durften Einheimische einrichten. Davon, so klug waren sie dann doch, verstehen die Deutschen dann doch eher weniger. Daß die Umsätze bei konstant guter Restaurantqualität dennoch ständig zurückgingen (der vorherige, elsässische Bierlieferant war bereits wegen Unrentabilität ausgestiegen), dürfte nicht allein an der lederhosrigen Ausstattung gelegen haben. Die dann vielleicht doch etwas gröbliche Mißachtung des ortsansässigen Handwerks hatte sich unter den verbliebenen Stammgästen rasch herumgesprochen. Heute werden darin Randtouristen abgegrillt.

Aber es ist im eingangs beschriebenen Fall nichtmal allein das Mißtrauen gegenüber französischem Handwerk — das da unten im Süden die Restauration eines romanischen Bauwerks allemale sehr viel eher beherrscht als das aus dem Bergischen Land. Wer einem Arbeiter in Südfrankreich sein mittägliches Nickerchen im Schatten eines Baumes verwehrt, der hat etwas nicht verstanden von einem Land, in dem er vorhatte, den Rest seines Lebens verbringen zu wollen. Allein der Schatten hat zu dieser Tageszeit seine fünfunddreißig bis vierzig Grad. Deshalb arbeitet man eben sehr früh und dann wieder am späten Nachmittag bis teilweise in den Abend hinein. Während der Deutsche zuhause um halb fünf den Hammer hat fallen lassen, er selbst längst in der Hängematte und das Supermarktgrillgut auf dem Rost vor sich hinschmurgelt. Immer wieder habe ich beobachtet, wie vor allem Deutsche nach ihren geschichtsforschenden Rundgängen in der Gluthitze verwundert waren darüber, daß die eigentlich ja so faulen Südfranzosen abends so lange arbeiten. Ach was, meint Annalena daraufhin ihrem Thorsten gegenüber, die tun nur so, um uns zu beeindrucken.

Das Fleisch möchte nicht in Vergessenheit geraten. Das würde ich als Franzose niemals in der Schweiz kaufen! Nicht nur wegen des Preises. Eine Schweizerin, das kenne ich aus der eignen Verwandtschaftsmischpoche, kauft kein Fleisch, das nicht strahlend rot glänzt, schon gar keines, das den Anschein erweckt, es würde auch als Entrecôte bald wieder laufen. Kleine Erinnerung: Reifes Fleisch. Ich nehme an, Monsieur le Comte, über Lebensmittelphilosophie muß ich jetzt hier nicht auch noch weiter referieren ...
 
Do, 04.09.2008 |  link | (2506) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 

Roman(t)ische Ruine

Weshalb diese Freundschaft endete, kann ich nicht begründen, besser: Ich habe nie nach Ursachen geforscht. Mit einem Mal war sie abgerissen, die Freundschaft. Einfach so.

Früher hatte man sich des öfteren getroffen, regelmäßig mehr oder minder zufällig auf den einschlägigen Veranstaltungen in Basel, Köln, Paris, Madrid und bisweilen sogar in Luxembourg oder Maastricht, aber auch in privatem Bereich. Dort überall verabredete man sich immer wieder einmal gezielt und besuchte dann einander, durchaus schonmal für mehrere Tage. Man hatte ebendiese gemeinsamen Interessen, gemeinhin Kunst und Kultur genannt, vor allem aber lebten wir mit diesen Menschen, die für deren Produktion zuständig waren. Lange Sitzungen am runden (Speise-)Tisch endeten oftmals früh morgens, nach vielen Gängen, wir beide noch übrig, als Rest einer wunderbaren Gesellschaft, oder manchmal irgendwo anders, (zwischen)bilanziernd wie in Mein Essen mit André. Nie ging der Gesprächsstoff aus, ebensowenig der Wein, dessen Reben wir am liebsten im Süden Frankreichs wachsen sahen.

Dort hatte er sich eines Tages auch ein Haus gekauft. Haus? Ach was, eine Roman(t)ik-Ruine. Damit wären wir eigentlich noch näher aneinandergerückt, sowohl vom Interessensgebiet her als auch geographisch. Wären. Ich hatte längst meinen hafennahen Aussichtsturm auf die Rest-Antike von Marseille bezogen und war bereit, aber er war, neben seiner Tätigkeit als mittelständischer Unternehmer, fast nur noch mit Bauarbeiten beschäftigt. Einige Male bin ich die rund 250 Kilometer in den Westen gefahren, wo er in den Hügeln oberhalb von Béziers seinen dörflichen Bauplatz aufgeschlagen hatte. Nun ja, gezielt bin ich dabei eigentlich nie unterwegs gewesen, sondern habe während meiner Bummeleien von Marseille aus entlang der Küste und der wiederholten Erkundungen des geschichtsträchtigen und zudem zauberhaften Hinterlandes der Katharer immer wieder mal den Versuch eines Besuchs unternommen. Wir trafen einander weiterhin bei den Ereignissen, bis hinauf an die Ränder der ars baltica, freuten und umarmten uns, aßen und tranken miteinander, fanden immer irgendwo ein Lokal, das einen Herzhaften aus dem Languedoc oder zumindest einen Madiran im Giftschrank hatte, aber wenn ich von Béziers oder Narbonne aus anrief, um meinen Besuch vorzuschlagen, hatte er keine Zeit. Die raubte ihm sein Stück römische Geschichte, das er wieder genau so hergestellt wissen wollte, wie es vor rund zweitausend Jahren erbaut worden war. Ich bedauerte es sehr, hatte mich jedoch zu fügen.

Eines Tages ritt mich die Neugier dann doch hin in das Dörfchen. Ich wollte die Pretiose zumindest einmal gesehen haben. Irgendwie würde ich es schon finden, zumal es mitten im Ort gelegen sein sollte. Bewußt wählte ich einen Zeitpunkt, von dem ich sicher sein konnte, den Bauherrn nicht anzutreffen, denn das wäre mir dann doch ungenehm gewesen. Ich würde mich schon durchfragen, vor allem über die ortsansässigen Handwerker. Doch ich spürte bald schroffe Ablehnung, niemand wollte mir Auskunft geben. Bis ich den in solchen Fällen einzig gangbaren Weg ging: in die zentral gelegene Bar, wie das Café genannt wird im Land, in der auch die Arbeiter ihren Pastis oder den kleinen Roten oder auch zwei nahmen. Zwar nahm auch hier zunächst einmal die Distanz Platz, doch das war wohl in erster Linie der landesüblichen Skepsis allem Fremden gegenüber geschuldet. Tourismus gab es kaum im Örtchen, lediglich zwei Deutsche hatten sich eingekauft ins Dorf.

Einer davon war er, wie mir dann nach zwei Stunden und einer ordentlichen Zeche der Wirt anvertraute. Und man war nicht gut auf ihn zu sprechen. Gerademal einen einheimischen Maurer sowie einen Hilfsarbeiter hatte er beschäftigt, und die auch noch schlecht bezahlt. Die Klempner und Installateure, die Elektriker und Verputzer, die Zimmerleute und Tischler brachte er immer allesamt aus Deutschland mit. Ebenso das Holz, die sanitären Anlagen und Fließen, die über gut tausend Kilometer von einem im Nordrheinwestfälischen ansässigen Baumarkt angeliefert worden waren — allesamt französische Produkte, die zudem überwiegend aus dem Languedoc-Roussillon stammten, aber weiter nördlich ein paar Centimes billiger verkauft wurden.

Später, während der nachdenklichen Fahrt hinunter nach Béziers, erinnerte ich mich mit einem Mal an sein Leid, das er mir mal ins Telephon geklagt hatte: Die Unzuverlässigkeit der ortsansässigen Handwerker. Dauernd lägen sie im hochsommerlichen Mittag unter den Bäumen im Schatten. Dauernd müsse er nach Frankreich fahren und hinter oder neben ihnen stehen. Sie hätten einfach kein Interesse an ihrer Geschichte, diese Franzosen. Vergnügen sei das keines.

Gestern erreichte mich auf Umwegen die Nachricht, eine Liebe sei zerbrochen: Er habe sein Anwesen nach zehn Jahren Mühsal wieder verkauft.
 
Mi, 03.09.2008 |  link | (3540) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 

Wetterspinne

Alles schreibt vom dahingehenden Sommer. Und ein paar starren auf die wetterverkündende Dame, wenn auch weniger auf deren blonden Formen als vielmehr auf die durch sie angedeuteten Hoffungskurven. Dabei ist die Hoffung nach Nietzsche das Übelste aller Übel, da sie die Qual verlängere. Und die könnte auf Ballermannorca liegen. Das einige bereits als Exil angekündigt haben.

Aber es verhält sich anders: Mein Wetterfrosch ist eine Spinne, und die spinnt. Wieder. In letzter Zeit hatte sie ihre Produktion eingestellt. Vermutlich, weil sie keine Lust verspürte, den Winterpelz aus dem Schrank zu holen, ihr aber auch noch nicht danach war, hier drinnen in meinem Büro ihr Dauerschlafplätzchen aufzusuchen (sehr zur Freude der völlig arachnophoben Büddenwarderin).

Es geht um meine Außenspinne. Sie ist nicht nur meine blonddralle Verkünderin, sondern sie frißt auch für ihr Leben gern Fliegen (wie andere Frösche). Zwar sind hier bei mir im Dörflichen alle erreichbaren Fenster fliegengitterbewehrt, aber es gibt da eine Species, die so winzig ist, daß sie nächtens noch jedes allerwinzigste Löchlein durchschlüpft, um auf meinem Computerbildschirm ihre nächtliche Tanzparty zu veranstalten. Wärme und eine bestimmte Luftfeuchtigkeit verursachen in ihrem Botenstofflabyrinth offensichtlich ein LSD-artiges Chaos, das Orgien auslöst, in die ich nicht anders korrigierend eingreifen kann, als die Fenster zu schließen. Und das, nachdem mir die Sonne durch rund vierzig Quadratmeter Glas das westlich gelegene Bürokathedrälchen auf vierzig und mehr Grad aufgeheizt hat.

So war das, bis eines Nachts die Fliegen ausblieben.

Ich dachte nicht weiter darüber nach, wurde nach der dritten fliegenfreien und ungestörten Schreibnacht dann doch so stutzig, daß ich der Sache bei Licht betrachtet auf den Grund gehen wollte. Und tatsächlich: Überall dort, wo ich die Fenster bevorzugt weit öffne, zumindest aber kippe, befanden sich auf den Fliegengittern Spinnennetze, so fein, daß auch diese übelwollende minifruchtfliegenkleine seltsame Kreatur keinen Eingang in mein arbeitssames Inneres mehr fand. Ab und an hing frühmorgens noch so ein Leichlein darin, vermutlich übriggeblieben vom üppigen Spinnennachtmahl.

Mit meiner Rückkehr von der Einrolltour des neuen Roten hatte auch die kurzvorhintersibirische Sommerkälte Einzug gehalten. Und mit ihr war auch meine fliegenfressende Außenspinne samt Netz verschwunden. Verständlich, denn es gab ja nichts zu mampfen. Woran sie sich ansonsten delektierte, kann ich nicht beurteilen. Aber es war auch nicht zu überprüfen, da ich sonst erfroren wäre.

Seit heute abend aber spinnt sie wieder, meine Spinne. Das heißt für Euch, die ihr die Hoffnung bereits habt fahren lassen: Es geht wieder aufwärts. Mit den Temperaturen.
 
Fr, 29.08.2008 |  link | (1853) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 

Tele-Visionen

Wir haben den größten überhaupt, kein Hersteller elektrischer Medien wird den je in sein Angebot aufnehmen (können).

Der Privatier und dessen freizeitaktive Muse hocken im holsteinischen Büddenwarder hinterm vorhanggesicherten Terrassenpanoramafenster und schauen der emsigen Vögelei zu. Rotkehlchen beobachtet gerne die hamsternden Mäuslein, auch verfliegt sich deshalb schonmal gerne ein Bussard, Grün- prügelt sich gerne mit Sperling um die letzten, gerade noch den Warenterminbörslern entrissenen Tonnen gutsortierter Brosamen. Blaue und kohlige Meisen, vor allem die intelligenten und gebildeten ersteren haben die globalen Nachrichten von der Nahrungsmittelknappheit gelesen und perforieren deshalb die Dose, um den Fischen das Futter zu klauen. Verständlich, ihre ungezügelte Sommerlust hatte vielfache Folgen, und die fordern weiter unten in ihrem Häuschen am Knick, wie man in Schleswig-Holstein die wallartigen Baum- und Strauchhecken nennt, und fürchterlich lärmend den Tribut fürs ungestüme Treiben der Alten ein. So kommen wir zum Vergnügen, eine luftige, staufreie Nahrungsmittelauslieferung beobachten zu dürfen, so eine Art Rosinenbomberstrecke für zwei Meisen, alle zwanzig Sekunden An- und Abflug. Ja, wir geben's ja zu, so richtige Tier- und Naturfreunde sind wir nicht. Völlig eigennützig an unsere Unterhaltung denkend haben wir ein paar Nüßchen bereitgelegt, um ein zweites Mal im Jahr dieses Spektakel miterleben zu dürfen, das vier, fünf, sechs Meislein veranstalten, wenn sie die elterliche Bude in Richtung weite Welt verlassen, hier fürs erste die wohlgenährte Buschigkeit der Weide, so eine Art dörfliche Sammelstelle für Fluganfänger. Amsel, Fink und auch Star, alle sind sie da. Letztere, weil sie der ständigen Kirschen überdrüssig sind, von denen sie nicht wenige zu sich nehmen während der Erntehilfe und wohl auch, da sie den Baumbesitzern auch noch ein Schälchen übriglassen möchten. Eines dieser rotschnäbligen Klappertiere übt den Landeanflug eines Kranichs direkt hinein in unsere Warte, dreht aber dann doch kurz zuvor ab, vermutlich, weil sein Weitblick erkannt hat, daß von den Froschschenkeln nur noch die Knöchlein herumliegen oder aber weil die naturgegebene Eigenheit gerade noch daran erinnert hat, daß es hier ja nun wahrlich oft genug war und es die vielen Kinderchen anderswo auszuliefern hat, möglicherweise aber auch, weil er den weit über ihm herumzischenden Schwalben mal beweisen möchte, daß auch er gewagte Kurven fliegen kann.

Ein solches Format kriegt kein Fernseh(apparate)produzent hin, nicht einmal ein auf bestimmte gesellschaftliche Prioritäten hin programmierter.
 
Mi, 30.07.2008 |  link | (1449) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 

Fütterungskunstfliegen

Bevor wir das wunderschön abgelegene Dorf-Büro in der deutsch-französischen Exklave bezogen, gab es hochoben unter der Westtraufe des über 200 Jahre alten ehemaligen Bauernhauses Schwalbennester. Die hatte der Unter-Mieter mit Hilfe eines Wasserschlauches «entsorgt» (wie der gute Deutsche spricht), da die Resultate der Vögelei es von den Alten nicht nur vorne permanent reingestopft bekamen, sondern es in Folge auch hinten ständig rausging. Wie das eben so ist mit den süßen kleinen Futterdurchgangsmaschinen. Sie warfen ihr Dekorationsmaterial ab. Aber solche Muster passen nicht ins Ordnungsschema. Weg damit. Mit den Verursachern.

Andererseits geben die Unter-Mieter für solche Verzierungen gut und gerne viel von ihrem knappen Geld aus. Nur wollen sie sie eben nicht direkt neben der Wohnungseingangstür. Eher am Katzenmausoleum im funktionellen Vorgärtchen oder das Häkeldeckchen am Fenster, durch das man die lieben Vögelein im (Baumarkt-)Häuschen der freien Natur trefflich beobachten kann.

Nun haben sie gebaut. Nicht die Unter-Mieter. Das wär's ja. Dann könnten sie ihr klein' Häuschen in ihrer Ordnung halten. Sondern die Schwalben. Sie sind wieder da. Nach sieben Jahren haben sie sich (wieder) getraut. Und naturgemäß sofort Nachwuchs gezeugt. Aber wie das so ist auf dem Lande: vorher erstmal Nest gebaut, und zwar direkt neben dem Bürofenster in etwa zehn Metern Höhe. Und nun gibt's hier Fütterungskunstfliegen höchster Schule. Schöner als Computergucken.

Wenn er das wieder tut, der Unter-Mieter, das mit dem Schwalbennest-Wegspritzen, dann hole ich die örtliche freiwillige Jungdynamikfeuerwehr aus dem ein paar Schritte nur abgelegenen Saufaushaus, spendiere noch ein Faß, und dann gebe ich der Übung Feuer frei Richtung Unter-Mieter-Wohnung, sprich Wasser marsch, mit allerhöchster US-Wolkenkratzerterroristen-ATÜ-Zahl hinein in die geöffnete Tür. Im (hoffentlich sehr kalten) Winter. Während die Schwalben im Süden Sonne baden und die Flügel baumeln lassen.
 
Do, 05.06.2008 |  link | (1685) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben



 







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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6004 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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