Leben und leben lassen

«Das gemütliche Frankreich, in dem man es nicht so genau nimmt. Und dann auf der anderen Seite das Frankreich, das man in Deutschland nicht kennt: Das Land, das hoch modern ist, dessen Handwerker zuverlässig und präzise sind, das Land, das in Infrastruktur investiert hat und dessen Postboten auch in der France profonde noch regelmässig kommen.»

Richard Graf Rappoldstein kommentierte gestern so die Roman(t)ische Ruine. Ich hebe den Kern seines Kommentars hier auf Seite 1, da ich vermeiden möchte, daß er ungelesen in der Ablage verstaubt. Und weil es ein Thema ist, das eben nicht nur so ein trou perdu da unten in der südlichen Wüste betrifft.

Was der roman(t)ische Bauherr da aufgezogen hat, ist ebendiese kleinkrämerische Billigheimermentalität, über die er sich abends in gepflegter düsseldorferischer oder hamburgischer oder münchnerischer Restaurantrunde beim edlen Piemonteser gerne ein wenig lustig macht: Diese ganzen Käsköppe und, ach ja, auch die Deutschen, die zuhause den Wohnwagen mit Konserven und Kartoffeln vollpacken und damit auf Reisen gehen. Ich für meinen Teil denke mir mittlerweile so manches Mal: Meinetwegen, so sei's denn drum, sie kennen eben nichts anderes als deutsche Speckbohnen aus der Dose, und außer Liebling Linda darf nichts ran an knolligen Nachtschattengewächsen an ihre sensibel geweiteten Magenwände.

Doch im beschriebenen Fall ist das ja noch nicht einmal mit Geschmacksgewohnheit zu begründen, sind das doch allesamt französische Produkte gewesen, die er für ein paar Centimes günstiger (vermutlich allein wegen der höheren Mehrwertssteuer) nach Frankreich reimportiert hat: die Eiche vermutlich aus dem östlichen Massif Central, die Fließen, Bidets, Wannen und Toiletten allerdings bereits aus der Gegend, mit Sicherheit aus dem Languedoc-Roussillon. Und alles nichtmal über einen Fachbetrieb — er selber verdient sein gutes Geld mit einem solchen, wenn auch einen einer anderen Branche —, sondern über einen Baumarkt, einen dieser Immer-noch-ein-bißchen-billiger-Anbieter eben, die alteingesessene Handels- und Handwerksbetriebe aus der Karte eines einst gesunden kleinmittelständischen wirtschaftlichen Unterbaus radiert haben. Viel mehr als, nach heutiger Währung, fünfhundert Euro dürfte er insgesamt kaum eingespart haben. Für das Geld hat sich eine Menge Ärger und Antipathie gekauft. Auf jeden Fall haben sie ihm dafür kein Schild über die Ortseinfahrt gehängt, das ihn als Neubürger willkommen heißt.

Ich kaufe grundsätzlich dort ein, wo ich mich aufhalte, egal in welchem Land. Vor allem, wenn ich dort leben möchte. Man könnte es auch einen Versuch der Integration nennen. Oder mal andersherum: Hätte meine verehrte Madame Lucette bei der Rettung der hiesigen holsteinischen ländlichen Ruine ihren persönlichen Bautrupp aus den heimatlichen Ardennen mitgebracht, dürfte sie sich nicht wundern, bliebe das Klo nicht nur über das Wochenende hinaus, sondern dauerhaft verstopft, da es die Terminkalender sämtlicher Handwerker aus der Gegend ebenso wären. Und zwar auf ewig.

Sie erinnern mich an einen ähnlichen Fall in La Rochelle. Dort wurde in den Neunzigern auf Geheiß eines pfiffigen geschäftsübernehmenden Juniors ein riesengroßes Bistrot am (gerade noch leicht touristisch frequentierten) Quai Valin von einer seinerzeit marktführenden Münchner Brauerei übernommen und komplett neu eingerichtet. Mit Material und Arbeitskräften aus Bayern. Allein die im Niederbayrischen gefertigte und herangekarrte und von Oberbayern installierte Ausstattung kostete seinerzeit gut 100.000 Mark; das läßt sich heutzutage nicht mehr 1:2 umrechnen, sondern eher 1:1. Lediglich an die Elektrik haben sie die Deutschen nicht rangelassen. Das wäre dann doch zu kompliziert gewesen. Auch die Abteilung Meeresfrüchte und Fisch in der Küche durften Einheimische einrichten. Davon, so klug waren sie dann doch, verstehen die Deutschen dann doch eher weniger. Daß die Umsätze bei konstant guter Restaurantqualität dennoch ständig zurückgingen (der vorherige, elsässische Bierlieferant war bereits wegen Unrentabilität ausgestiegen), dürfte nicht allein an der lederhosrigen Ausstattung gelegen haben. Die dann vielleicht doch etwas gröbliche Mißachtung des ortsansässigen Handwerks hatte sich unter den verbliebenen Stammgästen rasch herumgesprochen. Heute werden darin Randtouristen abgegrillt.

Aber es ist im eingangs beschriebenen Fall nichtmal allein das Mißtrauen gegenüber französischem Handwerk — das da unten im Süden die Restauration eines romanischen Bauwerks allemale sehr viel eher beherrscht als das aus dem Bergischen Land. Wer einem Arbeiter in Südfrankreich sein mittägliches Nickerchen im Schatten eines Baumes verwehrt, der hat etwas nicht verstanden von einem Land, in dem er vorhatte, den Rest seines Lebens verbringen zu wollen. Allein der Schatten hat zu dieser Tageszeit seine fünfunddreißig bis vierzig Grad. Deshalb arbeitet man eben sehr früh und dann wieder am späten Nachmittag bis teilweise in den Abend hinein. Während der Deutsche zuhause um halb fünf den Hammer hat fallen lassen, er selbst längst in der Hängematte und das Supermarktgrillgut auf dem Rost vor sich hinschmurgelt. Immer wieder habe ich beobachtet, wie vor allem Deutsche nach ihren geschichtsforschenden Rundgängen in der Gluthitze verwundert waren darüber, daß die eigentlich ja so faulen Südfranzosen abends so lange arbeiten. Ach was, meint Annalena daraufhin ihrem Thorsten gegenüber, die tun nur so, um uns zu beeindrucken.

Das Fleisch möchte nicht in Vergessenheit geraten. Das würde ich als Franzose niemals in der Schweiz kaufen! Nicht nur wegen des Preises. Eine Schweizerin, das kenne ich aus der eignen Verwandtschaftsmischpoche, kauft kein Fleisch, das nicht strahlend rot glänzt, schon gar keines, das den Anschein erweckt, es würde auch als Entrecôte bald wieder laufen. Kleine Erinnerung: Reifes Fleisch. Ich nehme an, Monsieur le Comte, über Lebensmittelphilosophie muß ich jetzt hier nicht auch noch weiter referieren ...
 
Do, 04.09.2008 |  link | (2518) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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