Nachrevolutionäres

Einen Tag pro Woche holt Antoine die Tierchen nicht nur aus ihrem unterflüssigen Reich ab, sondern erlöst sie auch persönlich im oberirdisch stehenden kochenden Wasser. Wie er überhaupt Küchendienst hat. Dann kommen zwar nur die Hälfte der sonstigen Gäste, aber das ist auch gut so, denn sonst würde er, der Fischer, Weingärtner, Gänse- und Entenfütterer und Gemüsezieher auch gar nicht klarkommen in diesem Reich, das nicht das seine ist, sondern das von Florence. Aber einmal pro Woche hat die nunmal frei für faire du shoping und andere, nicht nur ausgesucht weibliche kulturelle Aktivitäten in Bergerac. Diejenigen, die's wissen, nehmen dann das auch ländliche Gegenden zunehmend verseuchende Sandwich zu mittag oder gehen ausnahmsweise anderswo hin, vielleicht unten ans Ufer der Vézère, wo's auch Passables zu futtern gibt. Am Abend, das wissen sie ohnehin, dirigiert ja Florence wieder ihr Küchenorchester, das aus ihr und der Nachbarin besteht oder manchmal auch aus ihr und ihrer alten Tante Claire, die nach dem Rosenkranz angerannt kommt, soweit ihre altersgekrümmten Gehwerkzeuge das noch zulassen.

Oder besser: Sie kommen am nächsten Tag wieder. Denn nach siebzehn Uhr ist's um einiges teurer in diesem Restaurant, das tagsüber nahezu ausnahmslos von Arbeitern und Handwerkern besucht wird. Denn die Revolution hat nicht nur nach Frankreich abkommandierte Habsburgerinnen kurz vor dem Gang aufs Blutgerüst den Unterschied zwischen Brot und Brioche gelehrt, sondern in der Folge für den einfachen Menschen die Garantie eines bezahlbaren schlichten Mahles hervorgebracht.

Es gibt dort tatsächlich noch ein paar Relikte aus diesen Zeiten, deren Gesellschaftsveränderungen heutzutage allüberall jeder für sich in Anspruch nimmt, oft genug ohne zu ahnen, was er da für sich reklamiert. Aber vielleicht merken es ja bald auch die mittlerweile nur noch oder bald nicht mehr geldadligen Höflinge, daß so eine Armenküche auch sein gutes hat. Allerdings sollten sie dann besser in einem anderen Land leben als dem rechtsrheinischen, in dem so etwas leicht euphemistisch Tafel genannt wird. Denn links des Rheins sitzt man tatsächlich nach wie vor freudvoll seine Stunde anderthalb für die in der Regel immer noch mindestens drei Gänge am blankgescheuerten Tisch, wobei der Wein nicht nur im Preis inbegriffen, sondern auch trinkbar ist.

Allerdings dürfte diese Wiederherstellungsinstitutionen nicht einmal ein Korrespondent in Frankreich kennen. Denn für all das, was abseits der TGV-Trassen liegt, hat der schließlich keine Zeit, sieht er doch ohnehin nichts bei dieser grand vitesse, die ihn in der Regel von A (Paris) nach B (Bordeaux oder vielleicht noch nach Cannes oder Nizza) führt, weshalb solches auch niemanden interessiert in dem Land, für das er berichtet. Aber wer begeistert sich schon für Nebensächlichkeiten wie eine Kermesse, anläßlich der ein ganzes Dorf zum Mittagessen beieinander hockt und bei der Vergnügungen noch darin bestehen können, daß man mit einer ausgeleierten 600er Pétanque-Kugel Flaschen zerschmeißt (nachdem man sie ausgetrunken hat)? Wo kein Tourist hinkommt, ist auch ein Korrespondent fehl am Platz.

Für diese erst- wie letztgenannte Species hat man in Bergerac auch den Langnasigen hingestellt, der zwar den Ort in seinem Namen trägt, aber dort nun wirklich so gar keine Wurzeln hat, sondern, wie anders, aus Paris stammt beziehungsweise überhaupt aus der Dichterfeder floß. Dennoch hat er in den Auslagen der kleinen Buchhandlung den Sektenführer aus Rom wieder verdrängt. Denn wer ist schon dieser Yoseph ratte-cine-guerre, wenn man einen Freizeit-Gascogner als Zierde hat, und sei es als falsche Feder am Hut?! Und in die schöne alte Stadt fahren ja das ganze Jahr über Menschen, die alleine deshalb dorthin reisen, da sie der Meinung sind, es sei die Heimat des für seine Zeit und durchaus seinem Stand gemäß leicht inzestiös angehauchten Cyrano de Pardieu.

Die Höflinge interessieren Florence eher weniger. Dazu fühlt sie sich zu sehr als Tochter der Revolution. Eine wie sie weiß um die Bedeutung der Fête Nationale, kennt die Geschichte ihres Landes. Aber wie das eben so ist mit den Revolutionären: Das Theater um den Adel hat sehr wohl seine Reize, und seien es die der späten Rache (oder auch nur der Sehnsucht). Man holt sich die höfischen Accessoires durchaus gern ins Haus, ebenso mag man diese herrlichen Rabatte, die man sich im Vorgarten anlegt. Jedem Bürger sein Klein-Versailles. Und so hat es durchaus seine Vorteile, daß dieser köstliche Schmachtfetzen, der eigentlich so gar nichts mit dem Städtchen zu tun hat, für die geneigten Gäste immer werbewirksam parat gehalten wird. Also: ins Kino, mitsamt dem ganzen Zubehör, diesem knurpsenden Knabberkram. Wie vor ein paar Jahren, dreimal hintereinander: Le Fabuleux Destin d'Amélie Poulain. Schönes Wetter ist auch morgen wieder. Und wenn nicht, dann eben übermorgen.

Um die Tierchen kümmert sich ja Antoine. Und am Abend sie sich dann wieder um ihn.
 
Do, 18.09.2008 |  link | (1945) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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