Dilettantissima*

Vielen Menschen scheint es heutzutage ein Grundbedürfnis zu sein, sich abzugrenzen, vor allem von denen, die anderer Meinung sind. Das hat seine Ursache nicht unbedingt in sozialen Herkünften, die sich dann jeweils politisch mehr oder minder bunt oder anthrazit bis hin zu einer Farbe äußern, die eindeutig dem Fäkalbereich zuzuordnen ist. Eher noch ist es die Ausbildung, die der jeweilige Grenzhüter absolviert hat, oder der einzelne Seitenpfad, der dann genommen wurde oder genommen werden mußte, weil Papa meinte (und Mama dazu nickte): Erstmal was Anständiges lernen!

Später dann: Der Schauspieler geht nicht so gerne in Ausstellungen, dafür der Künstler ungern ins Theater oder der Musiker zu selbigem ins Atelier. Der Biologe oder der Chemiker oder der Ingenieur — meist sind es Männer, die gerne Gräben ausheben, um den schwerbewaffneten potentiellen Eindringling abzuhalten — hat Probleme damit, den Germanisten oder Philologen auf seiner Gedankennase herumtanzen zu lassen. Letztere verachten gerne das formelhafte Denken ersterer, die ohnehin selbst beim fröhlichen bis feuchten Umtrunk über nichts anderes reden können als über die biocheminadischen Zusammensetzungen dessen, das sie gerade einlitern. Besonders schweres Gerät fährt gerne auf, wen die Macht des Schicksals auf den kerzengeraden Weg des Sportes oder der Ökonomie, vor allem aber deren Vermittlung geschickt hat. Auf dieser übersichtlichen Autobahn tritt der sportiv-dynamische Pilot gerne das Pedal durch und düst mit seinem Rennpanzer von A nach B. Was er auf Teufel komm' raus nicht ausstehen kann, sind diese mäandernden Entdecker der Langsamkeit, diese sprachschwurbelnden Welterklärer, die denjenigen aufhalten, der besseres zu tun hat, als sich aufhalten zu lassen. Die haben auf der Medienstrecke nichts verloren. Ab in ihr Satz- und Wortgestrüpp, zumindest auf die (möglichst abgesperrten) Feldwege ihrer wirren Welt. Sollen sie doch Bücher schreiben, die ohnehin keiner liest — diese Dilettanten.

Der Dilettant tat einmal ehrenwertes, nebenbei. Er war derjenige, der seinem Brotberuf nachging, so etwas wie Verwaltungsobersekretär oder Medizinaloberrat oder Justitiar, Oberregierungs- oder Amtsgerichtsrat, und sich in seiner Freizeit nicht nur mit den Rosen im Rhöndorf beschäftigte, sondern auch schonmal mit den anderen Blüten, die das Leben so trieb und treibt: Naturwissenschaften, Arithmetik, Astronomie, ja, gerne auch die Künste, über all das mit allen sprechend, und aus allem dann oftmals einen literarischen Teppich webend, der durchaus auch mal philosophische Webmaße erreichte. Er war, wie Arnold Gehlen (ach der — darf man dessen Namen überhaupt nennen?) einmal von sich sagte, auf das «Nichtspezialisiertsein spezialisiert».

Später ist aus ihm dann bisweilen noch etwas anderes geworden. Journalist beispielsweise. Oder sowas ähnliches. Und als solcher darf er manchmal auch ins Feuilleton. Das sind die Seiten, die unser sportlicher Spezialist der ökonomischen Medienvermittlung zunächst einmal herauslöst aus der Zeitung und — umweltbewußt, wie der seinen von dreihundert Pferden vorangetriebenen, extrem strömungsgünstigen und deshalb spritsparenden Klein-LKW Pilotierende nunmal ist — in die Papiertonne, nein, nicht wirft, sondern entsorgt. Denn ein kluger Kopf steckt schließlich auf ihm selber. Der auf das Nichtspezialisiertsein Spezialisierte schmeißt die Seiten vor und hinter dem Feuilleton nicht etwa einfach so weg. Zwar trennt auch er das Feuilleton heraus, aber um es, wie zu Entstehungszeiten, zu sammeln. Doch auch Politik, Sport und Ökonomie ist alles andere als Abfall, es könnte ja etwas darin stecken, und sei es eine wirtschaftliche Ente, die zur Welterklärung beitragen soll. Oder sich als Entente mit dem großen Geld herausstellt. Aber er hat ja auch sonst nichts zu tun.

Es handelt sich hier um einen (leicht geänderten) Text, der unter anderem Titel anderswo erschienen war und deshalb hier eingerückt wird, da der andere Ort in absehbarer Zeit geschlossen werden wird. Es war die mittelbare Reaktion auf einen Kommentar von Thomas Knüwer, der in dessen Handelsblatt-Blog erschienen war: Das Opake des Feuilleton. Nur so. Weil ich ungern etwas wegschmeiße (siehe Kommentar).

*ital. dilettare, aus lat. delectare = sich ergötzen, amüsieren

 
Fr, 03.10.2008 |  link | (3127) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


nnier   (04.10.08, 23:09)   (link)  
Dilettant ist mein Traumberuf.


jean stubenzweig   (05.10.08, 09:29)   (link)  
Traumberuf!
Nicht nur, daß Sie Begriffe nicht nur nicht verwechseln, Sie wissen auch noch, worum es dabei geht. Das machte und macht Sie mir so sympathisch.

Aber bedenken Sie bitte: Sie gehören einer aussterbenden Species an! Im günstigsten Fall lenken sie mit solchen Berufswünschen den Verdacht auf sich, innerhalb dieser Gesellschaft ein unnützes Mitglied zu sein.


jean stubenzweig   (18.06.10, 22:08)   (link)  
Das Opake des Feuilletons
Unter der Überschrift «Das Opake des Feuilleton» und ausgelöst durch die sich bei der FAZ bedankenden Frau Schnutinger schreibt Thomas Knüwer: «Über Kollegen in Feuilleton-Redaktionen lästere ich gerne einmal»? Etwa auf solche Kommentare hoffend?

«Weil E.Kästners Epigramm-Sammlung gerade auf meinem Tisch liegt:

Wer was zu sagen hat,
hat keine Eile.
Er lässt sich Zeit und sagt's
in einer Zeile.

Das dürfte sich mancher Feuilleton-Man auch mal ins Stammbuch schreiben.»

Oder solche?

«Wer mal Helmut Schmidt gehört hat, weiß, dass man auch ganz schlaue Sachen sagen, ohne unverständlich zu werden.»

Unser Fazit dieser Diskussion in Thomas Knüwers Handelsblatt-Blog Indiskretion Ehrensache

http://blog.handelsblatt.de/indiskretion/eintrag.php?id=1713

, in der es im besonderen um einen FAZ-Artikel von Helmut Mayer über einen Vortrag von Jürgen Habermas und im allgemeinen um das von einigen nicht sonderlich geliebte Feuilleton ging, in den Sätzen eines Haltungsturners:

«Naja, ich denke, dass das Feuillieton mindestens auch eine andere Funkton hat: Bildungssnobs wie mir zu vermitteln, dass sie nicht allein sind. Ich genieße solche Artikel, ganz ehrlich. Und so wenig, wie mich 80% der Wirtschaftsberichterstattung interessieren und ich ihr folge(n kann?), so wenig interessieren andere 80% des Feuillieton.

Aber irgendwann frage ich mich, wer der größere Snob ist — der, der obwohl selbst ein Spezialist, andere Spezialisten des Spezialistentums bezichtigt, oder der, der mit Freude an der verschwurbelten Sprache andere Spezialisten Spezialisten sein lässt in ihren Reservat, das keine liest (hier: Wirtschafts- oder gar Finanzteil) :-)»


Nachtrag, Kommentar zu Jörg Friedrichs Reden wie Beppe Grillo oder wie Jürgen Habermas?: Erweitern wir Ihre hiesige Moderation, werter Herr Friedrich, doch mal auf die Sprache derjenigen, die die Sprache der anderen kritisieren — siehe die von Ihnen eingangs erwähnte und verlinkte Diskussion, an der sie sich ja bereits vermittelnd beteiligt hatten. Manch ein Text im Handelsblatt oder anderen Wirtschaftorganen möchte schon von einem Wörterbuch begleitet sein. Und wenn sich dann die ganzen IT-«Spezialisten» hinzugesellen, die die Bloggerei betreiben und gerne applaudieren, wenn es heißt, «Über Kollegen in Feuilleton-Redaktionen lästere ich gerne einmal», sind viele Dörfer für unsereins nur noch böhmische.

Hier wäre nun tatsächlich eine Sprache angebracht, die wahrlich nicht erst einmal in ein (ohnehin nicht rückübersetzbares) Pidgin-Englisch gebracht werden müßte. Das eine ums andere Mal möchte unsereins Informationen einholen — und gibt letztendlich schulterzuckend auf. Dieser Insulaner-Jargon, dieses Internet-Deutsch wird gerne auch dann beibehalten, wenn es sich nicht um fachspezifische Erörterungen handelt. Aber sich, häufig genug noch in arg verwackeltem Deutsch, lustig machen wollen über etwas, das sie, zumindest viele, eigentlich gar nicht verstehen wollen, weil es sie nie interessiert hat. Oft genug kennen sie von Wittgenstein auch nur einen Satz. Und über die US-amerikanische Vereinfachung von Welt ließe sich trefflich streiten. Aber das scheint mir ein Thema für sich zu sein.

Gute Grüße
Jean Stubenzweig
















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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