Es flattert ...

Immer dasselbe. Das Jahr buntet sich ein. Sogar Kurz-vor-hinter-Sibirien kann nicht an sich halten und betüpfelt sich. Seit Jahrzehnten frage ich mich immer wieder, wo dieses Zeugs eigentlich herkommt. Ich habe es nicht gepflanzt. Denn man kann es nicht essen. Mein kleines Glück beginnt erst, wenn ich vor die Tür treten und mich ins Erdbeerbeet legen kann. Aber die anderen sind ja auch vollgestopft mit diesen unter spanischem Plastik emporgekommenen und genauso schmeckenden Früchten. Aus demselben Material ist auch die chinesische Windmühle, originalgetreu einer aus der Tulpen Land nachempfunden, die die Nachbarin auch schon wieder aus dem Schuppen gezerrt und ins Sichtfeld meiner noch tief schlafenden Kräuterwirrnis gestellt hat. Das ist ein untrügliches Zeichen, daß es wieder losgegangen ist mit dem frühjährlichen Polieren des grün gestrichenen Betons, über den in Bälde wieder alltäglich zweimal der Rennmähtrecker rasen wird. Bereits als ich vergangenes Wochenende zu meiner gesellschaftlichen Pflicht getrieben wurde, zu einem Geburtstag einen Strauß Buntes zu erstehen, riß man sie sich unter wüsten Empfehlungen gegenseitig aus den sich bedrohend fuchtelnden Fäusten, die in Asien und Lateinamerika von flinken und kostengünstigen Jungfrauenhänden geschnürten Vorboten dessen, was man hierzulande wohl das blaue Band der Sympathie nennt oder so ähnlich. Irgendwas Rudimentäres mit Ertrag assoziiert da in mir herum. Auch im Internet blüht es bunt auf, begleitet von juchzender Poesie. Schon schleicht sich wieder der linde Refrain vom Willen zum Grillen (auch unter acht Grad) an die noch bierzuölenden jungmännischen Stimmbändlein. Sogar auf den gräulich-bräunlich vor sich hindösenden und schlierigen Straßen legt sich die neue Jahreszeit bereits mächtig in die Kurven. Die Fahrkünste der Präpubertären auf ihren Reisbrennern beginnen einen schon wieder in die Gräben zu drängen, weil's mit der Bahnberechnung noch nicht so hinhaut. Und auch die anderen Schnellsten beharren wieder auf ihrem Recht, ihre vielen, für teures Geld erstandendenen Markenfarben zu dritt nebeneinander auf der Schnellverbindung von A nach B zu lenken. Den eigens für sie angelegten, gut breiten Weg zu benutzen, wäre unsportlich, der ist für die Rentnerpulks, auch wenn die erst im übernächsten Monat kommen, sie aber müssen trainieren, Frankreich ruft, man muß fit sein für die Zeit der Tour rund um la publicité à la télévision. Oder die ganz Aktiven müssen selber an. Ich erinnere mich:

Triadischer Volks-Sport
Einen Teil der Plagen wollten die Büddenwarderin und ich abladen. Die eine hatte die Nase in die Prüfungsvorbereitungskladde* zu stecken und meinte deshalb, das könne sie besser in ihrer randstädtischen Studentenbude. Der andere hatte heute morgen wieder anzutreten bei der vaterländischen Pflichterfüllung an der Förde. Aber zuvor wollte man noch gemeinsam meiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Wasser und die darauf liegenden oder fahrenden Schiffchen gucken. Auch war am Bahnhof noch eine Fahrkarte zu kaufen, da ich mal wieder in die hibbelige Bundesmetropole mußte und die bürgerbefördernde Aktiengesellschaft alle kleinstädtischen Bahnschalter geschlossen hatte beziehungsweise Verhaftung drohte, sollte man im Zug ohne Beförderungsausweis angetroffen werden. Also wurde die kleine Michelinbereifte Richtung Hafen gesteuert. Kurz davor trat mitten auf der Straße entgegen eine derart uniformierte Dame, daß man meinen konnte, man befände sich in einem alten Fernsehkrimi, in dem die Münchner Schwarzen Sheriffs eine Rolle spielten. Doch die junge Frau schnüffelte weder nach Stoffen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, noch wollte sie Staatsangehörigkeitsnachweise oder Daseinsberechtigungsdokumente sehen, sondern fragte höflich: «Kann ich Ihnen helfen?» Wie bei der Telekom, Abteilung Service. Denn eigentlich wollte sie (wie bei allen Telephongesellschaften ) nicht wirklich helfen, sondern in diesem Fall mitteilen, daß es verboten sei: durchzufahren.

Nun gut, man stellte den Kleinen an die Seite, es seien ja nur ein paar Meter, meinten die Kleinen. Doch als ich Fußlahmer die paar hundert Meter schließlich geschafft hatte, waren da nirgendwo Schiffchen zu sehen. Die hatte man wohl in Sicherheit gebracht vor diesen rennenden und radelnden und hechelnden und schnaufenden Menschenmassen und deren Zugucker am Rand des Hafenbeckens. Es war kein Durchkommen, auch nicht zum Café, wo man in Ruhe Kaffeetrinken wollte. Von rechts und von links kamen sie angerennradelt, schüttelten einen zu mit dem an ihnen haftenden Wasser, das sie vom Wettkraulen mitgebracht hatten. Irgendein grünschwarzer Jungdynamischer brüllte in ein von Lautsprechertürmen unterstütztes Mikrophon: Herzlich willkommen in Kiel beim Volks-Triathlon! (Wer nicht dafür ist oder älter als fünfunddreißig, ist dagegen und hat draußen zu bleiben. Wir sind ein Volk!)

Also sich wieder zurückkämpfen durch die vermutlich auch ohne Zusatzstoffe sportbeseelte und -beglückte Menge und vorbei an orangebejackten Volkssporthelfern im Ereifererton: «Mach, daß du von der Fahrbahn runterkommst!» Das allerdings hätte für mein krankes Fußgestell in etwa einen Umweg vom Umfang eines Drittels einer solchen Triade bedeutet. Also den weitaus gefährlicheren, aber weniger schmerzbereitenden Rückweg genommen, zurück zur Sänfte. Wenigstens zum Bahnhof fahren und nicht gehen müssen, die ebenfalls leidende Bahn AG unterstützen. Vorsichtshalber eine sogenannte großräumige Umfahrung nehmen.

Dennoch: keine Ankunft am Kieler Hauptbahnhof. Alles abgesperrt. Also auch keine streiksolidarische Fahrkarte.

Wenigstens den Junggeneral in seiner Fördenkaserne abliefern. Doch selbst dabei wußte der nächste Schwarze Sheriff keinen rechten Rat. «Jetzt fahren Sie mal erst rechts und dann wieder rechts, dann immer geradeaus, bis es nicht mehr weitergeht — und dann fragen Sie am besten nochmal.» Nach einer Stunde Fahrzeit durch die sonntäglich menschenleere Landeshauptstadt wurde schließlich die die Republik bewachende, zur Seeseite hin gelegene militärische Schlafstation gefunden. Dann rasch noch die Prüfungsgestreßte an ihrer Studentenbude abgegeben — und nichts wie weg.

Darüber wird dann gegrübelt auf der Rückfahrt: Ob es künftig nur noch denen gestattet sein wird, die Zentren der Städte zu besuchen, die Shopping und Hopping neudeutsch buchstabieren können. Einen ganz und gar unsportlich dicken Hals kann man kriegen bei dem Gedanken daran.

Und alles andere als Frühlingsgefühle.

* Mittlerweile erledigt. Diplom, unter anderem dieses hieroglyphischen Inhalts: Die PfACD- α-Ue des Wildtyps war in der Lage, die Arsenolysereaktion ohne die β-Untereinheit zu katalysieren. Sie zeigte ein Vmax von 2,5 U/mg. Der Km-Wert wurde für Acetyl-CoA mit 7,56 µM bestimmt. Und so weiter.
 
Fr, 20.03.2009 |  link | (3024) | 17 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Land.Leben


apostasia   (20.03.09, 11:13)   (link)  
Ein Optimist
scheinen Sie nicht gerade zu sein. (Soll das Bild einen Ausgleich schaffen?). Allerdings teile ich Ihr Ahnen dessen, was da kommen wird. Es lebe der Sport ...


bueddenwarderin   (20.03.09, 14:09)   (link)  
dat gift minschen
de köönt dree weken sünnschien beter verdregen as dree doog rejen.


damals   (20.03.09, 15:36)   (link)  
Ja, Sie haben Recht, Herr Stubenzweig. Gestern hat Juri, der Moderator vom "Sandmännchen", allen Ernstes behauptet, er könne den Frühling riechen, während er da volle Kanne von Studioscheinwerfern angestrahlt wurde und hinter ihm noch der letzte Kunstschnee zu Boden fiel. Und bei der Arbeit trug meine Chefin ein Dekolleté herum, das verboten gehört, was aber nur durch volles Aufdrehen der Heizkörper möglich war - alles unecht, alles Verrückte! Aber wir selbst doch nicht ausgeschlossen. Und ich bin fast sicher, dass auch Ihr "dicker Hals" doch auf einem Frühlingsgefühl basiert.


jean stubenzweig   (21.03.09, 02:18)   (link)  
Juri, der Moderator
des Sandmännchens, von dem ich gar ncht wußte, das es einen hat, aber heutzutage braucht wohl jeder sowas, ist Juri also auch ein Haselnüßler? (Hier befindet sich nämlich ein Esoterikertreffpunkt, müssen Sie wissen, und ich bin der Moderator.)

Ihre Chefin im Décolleté? Sollen auf diese Weise Lernunwillige umgepolt werden? Und verboten auch noch. Ist's denn wenigstens schön verboten? Daß zumindest bei Ihnen Frühlingsgefühle aufkommen. Bei mir sind sie nämlich verboten. Ab einem gewissen Alter hat man sowas nämlich nicht mehr zu haben. Jedenfalls nicht opn Dörp. Aber wenn ich demnächst wieder in die bunte Stadt am Alten Hafen umziehe – aber dort ist ohnehin das ganze Jahr Frühling.


prieditis   (20.03.09, 16:46)   (link)  
das blaue Band
jaja... mich erinnert das weniger an novalis, als an die geschmacksneutrale streichfettmarke niederländischer provenienz. damit wurde auch mir so manch zuckerbütterken geschmiert...


jean stubenzweig   (21.03.09, 02:20)   (link)  
Meine Güte,
sind Sie unromantisch!


prieditis   (21.03.09, 02:24)   (link)  
ja, mir fehlt diese gewisse latente Selbstmordsehnsucht. Und wenn ich einmal ein romantisches Gemälde malen sollte, dann den "Dynamitfischer"... ;o)


Nachtrag: Allerdings schaue ich sehr gerne aus dem Fenster - eine in Vergessenheit geratene Freizeitbeschäftigung. Mir fehlt allerdings der Blick von hinten, um mir die Enge bewusst werden zu lassen. ;o)


jean stubenzweig   (21.03.09, 02:36)   (link)  
Demnach fahren Sie
nicht Motorrad. Womit Sie auch kein latenter Kolateralschadenverursacher sind.

Was ich nicht wußte: daß man Dynamit auch fischen kann. Liegt denn da immer noch so viel rum in den Unergründlichkeiten unserer Meere?


prieditis   (21.03.09, 02:51)   (link)  
Mitunter
schaukel ich auf einer DKW durch die Lande und passe gut auf...

Zum Dynamit: die von Ihnen angesprochenen Meere sind sicherlich voll davon. Zumindest findet man dort mehr Dynamit, als in den Gipfeln der Fichten.


jean stubenzweig   (21.03.09, 02:56)   (link)  
DKW
Ist das nicht auch ein wenig romantisch? Oder nostalgisch? Ich verwechsle das so oft. Die deutsche Rechtschreibreform bringt einen ja völlig durcheinander.


prieditis   (21.03.09, 03:08)   (link)  
motorischer Romantiker
der ich bin. Nostalgisch wäre wohl, wenn ich sagte: "Danach ist nie wieder was besseres, zuverlässigeres gebaut worden." Oder: "Heute sehen die Dinger ja alle aus wie Gurkenhobel"
Die sahen übrigens damals schon alle aus wie Gurkenhobel. Heute sieht man die von damals nur seltener und findet das "individuell".

Romantisch ist, das ich beim "aufsitzen" in eine Zeit eintauche, die ich nicht erlebt habe. Ich erfülle mir eine Sehnsucht und "Zeit" bekommt einen anderen Stellenwert. Die Blaue Blume wäre vielleicht das "heil vorankommen", ohne Motorpatzer.
Der Weg ist das Ziel.


jean stubenzweig   (21.03.09, 03:41)   (link)  
Leicht unromantisch
war das jetzt aber schon mit dieser Aufklärung. Andererseits die Romantiker ja wahrlich scharfe Denker unter sich hatten, nicht zuletzt den, der die Blaue Blume hat wehen lassen. Der hat's auch gerne zwischen die Zeilen gepackt – etwas Gegenbewegung in die Gegenbewegung bringen. Sehr schön!


prieditis   (21.03.09, 04:10)   (link)  
Ach, für die Romantik ist bei uns der Hülfsweichensteller Josef Ph. Buckenhüskes zuständig...


tropfkerze   (20.03.09, 18:37)   (link)  
Ich kann den Frühling riechen!
In Gestalt vieler kleiner Pollen, die alsbald aus meiner Nase schießen. Dies allerdings schon seit Ende Januar, insofern bin ich den gewöhnlichen Frühlingsriechern um einiges voraus.


prieditis   (20.03.09, 19:28)   (link)  
oh, sind sie auch ein haselnüssler?
wenn das neue jahr ans fenster klopft, dann kommen mir die tränen...


tropfkerze   (20.03.09, 20:17)   (link)  
Ich niese und ich schieße
manch frische, feuchte Brise.
Nur manchmal kullern Tränen
nachfolgend muss ich gähnen.


jean stubenzweig   (21.03.09, 02:25)   (link)  
Denk ich an des Frühlings
Macht, bin ich um die Wacht gebracht?

Oder so, um ein wenig in die Romantik zu kommen.















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