Zweitampel Zu Zeiten, als Europa begann, alles niederzureißen, jedenfalls die Innengrenzen, genauer: sie in der DDR abzubauen und weiter draußen als die Liberalität neu definierenden Schutzwall gegen die in die Hochzivilisation einfallenden Ur-Menschen wieder zu errichten, als es erste Anzeichen für eine Vereinheitlichung der Tankstellen, Supermärkte und anderer, der Gesundheit dienenden Versorgungsstätten vom Skagerag bis ins endlich dauerhaft heim ins Tausendjährige Reich geholte Nordafrika, ebenso von West nach Ost, auf daß sich nun auch wirklich niemand mehr wie in der Fremde fühle, sondern wie in der Gebärmutter der europäischen Mutterkuh, da fand im kleinen gallischen Mende ein für die Einheimischen recht befremdendes Ereignis statt: Eine zweite Verkehrsampel wurde aufgestellt. Sie war notwendig geworden, da die Mittelmeer(sehn)süchtigen von Saint Etienne kommend zusehends mehr den direkten und zudem péagefreien Weg gen Süden nahmen, um irgendwie an die Badewanne zu gelangen, vielleicht aber auch, um sich das noch jungfräuliche Tal bei Millau anzuschauen, das man ungefähr zehn Jahre später beginnen wollte zu überbrücken. Wer im Städtchen auf der linken Seite der N 88 beim Händler mal eben noch ein paar Insektizide besorgen mußte, auf daß man seine Früchte selber essen könne beziehungsweise sie nicht von diesem Getier gefressen würden, also dann hinüberwollte zum Fleischer, dem konnte es passieren, daß er die benachbarte Feuerwehr zuhilfe holen mußte, um dorthin zu gelangen. Die Pompiers täuschten dann auf die Schnelle eine Übung vor und sperrten die Straße ab, auf daß der Mensch an das Getier komme, das die Gattin ihm einzukaufen befohlen hatte, wenn er schon in die Ferne schweifte vom Hof bei Châteauneuf-de-Randon aus. Ansonsten gab's ja eher von der eigenen Sau, aber bei dieser Gelegenheit wollte man dann doch auch mal ein ordentliches Entrecôte vom Rind. Pferde gab's leider recht wenige, die waren nicht so geeignet für das hiesige, doch recht unwegsame Gelände. Schwierig genug war es ohnehin, ins Städtchen zu gelangen. Erst den alten R 4 aus der Scheune zerren, ihn ankurbeln und sich dann über die Eselspfade und oft mittendurch durch die teilweise verfallenden, weil leerstehenden Höfe auf die D 985 quälen, um dort dann Ewigkeiten zu warten, bis einer von diesen Touristen einen mal reinließ auf die N 88. Ein Landsmann hielt eher selten, eigentlich nie an. Der ging grundsätzlich davon aus, daß ein Einheimischer sich auskennt und deshalb schon irgendwie zurechtkommt. Aber die ansonsten eigentlich nicht so anpassungsbereiten Boches, über die wunderte man sich immer wieder mal, in letzter Zeit öfter, da sie vermehrt auftauchten. Der Natur wegen. Sonderlinge eben. Meistens sprachen die nichtmal richtig Französisch. Nun ja, neulich hatte er beim Bal des Pompiers in Grandrieu doch tatsächlich einen getroffen, der ihn nach dem Alter seines Traktors gefragt hatte. Er hatte ihn sogar einigermaßen verstanden. Aber dieser Boche ihn dann offenbar nicht so richtig. Wenn sich einer schon hier im Margeride ansiedelt, wie ihm Yvette von der Bar erzählt hatte, dann muß er eben auch das hiesige Patois lernen. Auch wenn er weitab da oben hockt auf vierzehnhundert Metern. Na gut, er hat es trotzdem geschafft, Kartoffeln anzubauen und irgendwelche Beerensträucher zu pflanzen. Deshalb ist sogar einer vom Midi rauf zu dem und hat photographiert, das hat Yvette ihm erzählt beim Apéritif, er hat ja keine Zeit für Zeitung. Darauf haben sie dann doch einen genommen, er und der Boche, obwohl der Insektizide strikt ablehnt. Dabei braucht er das Zeugs sowieso nicht, die Viecher erfrieren doch da oben, wo man auch im Hochsommer abends heizen muß. Und klar doch, beim zweiten hat er dann schon abgewunken. Irgendwas von zuviel Pastis, nein auch keinen kleinen Roten, und auch noch tagsüber, stammelte er dann in einer Sprache, die ziemlich nach Paris klang. Das kam noch erschwerend hinzu. Seinen Trekker kaufen wollen, keine Grundnahrungsmittel vertragen und ihn, im Gegensatz zu all den anderen hier in der Gegend, auch noch nicht richtig verstehen. Dabei wollte er das gute, rund dreißig Jahre alte Stück sowieso nicht verkaufen. Nein, das ist kein Schnäppchen für Freizeitbauern, wie der sich wohl gedacht hat. Erst kürzlich hatte er für teures Geld sich einen Aufbau montieren lassen. Dieses doofe, einen wegen seiner Dreher- und Blinkerei nur konfus machende gelbe Licht befand sich allerdings noch in der Auftragsphase — nachdem die Gendarmerie ihn zum wiederholten Mal angehalten und das Fehlen desselben moniert hatte. Eigentlich wäre es ihm ja egal gewesen, hätte er es ignoriert wie nahezu alles andere an diesen Neuerungsbefehlen aus Paris. Aber in letzter Zeit hatten die Uniformierten, vor allem die jungen, aus der Stadt hierherbefohlenen, alle möglichen Gelegenheiten wahrgenommen, einen anzuhalten, aufs nicht vorhandene Blinklicht zu deuten und sofort dämlich zu fragen, immer öfter in diesem unerträglich schnöseligen Patois lyonnais, ob man «etwas getrunken habe». Fragen sind das. Natürlich muß der Mensch was trinken, wenn er von früh bis spät am Ackern ist. Aber vor ein paar Wochen hatten sie den alten Vert aus La Panouse doch tatsächlich vom Traktor runter aus dem Verkehr gezogen. Dabei hatte der dieses Blinklicht obendrauf, allerdings nicht eingeschaltet auf dem Weg von der Bar nachhause zum Mittagessen und offensichtlich auch ein bißchen zuviel geladen. Der Richter meinte, durchschnittlich fünf bis neun Flaschen am Tag, so genau war das nicht zu ermitteln, sei vielleicht dann doch ein bißchen viel für den Straßenverkehr. Auf dem Feld lassen sie ihn noch fahren, um «den Boden zu bestellen», wie der Herr Vorsitzende das etwas geschwollen ausdrückte. Aber ans Steuer seines Autos dürfe er sich vier Wochen nicht setzen. Dabei hat Vert doch gar kein Auto. Er fährt alles mit dem Traktor, auch zum Einkaufen nach Mende. Gut, das dauert ein Weilchen. Aber deshalb muß man auch was trinken unterwegs. Sonst fällt man ja wegen Austrocknung runter von dem Ding. Ewig lang gab's für Midi libre kein anderes Thema. Die Fußgänger hatten sich sozusagen zusammengerottet und dagegen protestiert. Nicht gegen Vert. Der kam ja nicht so oft nach Mende und schon gar nicht im Konvoi. Dem hätte das auf Dauer ja auch zu lange gedauert. Sondern wegen dieser Völkerwanderung durch ihre kleine Stadt. Als ob's ausgerechnet da unten, die hundert Kilometer weiter unten am Wasser, ein besseres Leben gäbe. Nun ja, dann ging es schließlich doch relativ rasch. Aber zu irgendwas muß so eine Präfektur ja gut sein, vor allem, wenn die auch noch ihren Sitz in der Stadt hat. So haben sie denn genau zwischen Insektizidenhandel und Fleischerei quasi eine Furt für Einheimische eingerichet. Jetzt stauen sich die Autos zwar manchmal fast hinauf bis nach Le Puy, daß man darüber nachdenken kann, gleich dorthin zu fahren, um einzukaufen. Aber sie werden das schon hinkriegen, daß die Ampel nicht immer sofort für die alte Richier vom Gifthandel auf Grün schaltet, wenn sie drüben im ihr ebenfalls gehörenden Blumenladen neben der Schlachterei ihres Gatten Kundschaft sichtet. Denn seit es immer mehr Touristen ins Städtchen weht, vermutlich wegen der vielen stehenden Autos, kommt das immer häufiger vor.
aubertin (21.07.09, 21:32) (link) Oh ! wie schmunzelnd
ist mir. Ziemlich bekannt kommt mir die Geschichte vor, wenigstens die Faktoren. Aber die emballage ist ebenfalls fröhlich. Es ist angenehm, daß Du wieder erzählst. Bises Anne Me voilà trancille.
Das hier ist kein Tage-, sondern ein Lügenbuch. Die Wahrheit ist nicht an Fakten gebunden. Sonst würde die Arbeit an ihr ja keinen Spaß machen.«... wieder erzählst»? Wie soll ich das verstehen? Was tue ich denn sonst? Ich kann doch nichts anderes. >> kommentieren ein bisschen koinzident: der alte vert, der somit nun mal mein vater ist, durfte neulich tatsächlich längere zeit mit dem traktor zur arbeit trekkern, da der citroen nicht mehr wollte und der dacia noch nicht da war. allerdings hatte weder der traktor noch der fahrer die lampe an. (das verlinkte kleine grüne trekkerchen gefällt mir gut, die riesenkabine ist allerdigs etwas unförmig - in deutschland völlig unüblich. da hätte es nur einen überrollbügel gegeben und gut ist. blinklicht, also wirklich...verkehrte welt.) Dieser alte Vert
(klar: der Vater) wäre, anders als der Sohn, überdies nie und nimmer auf die Idee gekommen, seine Namensfarbe mit etwas anderem zu verbinden als mit der vor seiner Haustür oder mit der zarten Variante seines spätvormittäglichen Apéritifs; Ihre Seitenfarbe kommt ja in etwa hin, vielleicht noch zu sehr einen argen Stich ins Pernodgrüne. Na gut, der Trekker noch. Aber da achtet man nicht so darauf im Land.Ja, die Unförmigkeit – nicht nur für die immer noch eigene Revolution (eine leere Hütte stürmen, egal, Hauptsache stürmen) ist das Land bekannt, auch dafür; alles, was außerhalb des guten Geschmackes zwischen Zunge und Gaumen liegt, ist sozusagen wurscht. Damit können durchaus auch in Paris erdachte Bestimmungskuriositäten gemeint sein, die dann in Gesetze einfließen. Und auch wenn jetzt Bruxelles regiert, schließlich läßt man sich mit Strasbourg alle Türen nach Paris offen. Die nationale Eigenheit wird immer Seltsamkeiten produzieren, über die anderswo der Kopf geschüttelt wird. Andererseits – wem regnet's eher auf den Kopf oder wen friert's rascher? Dem unterm Überrollbügel oder den unterm Dach? Außerdem kann man damit sehr viel angenehmer zur Arbeit trekkern; da braucht's keinen Citroën nicht und auch keinen rumänischen Renault. >> kommentieren Jedes Mal, wenn ich hier lese, denke ich: meinen nächsten richtigen, normalen Urlaub werde ich in Frankreich verbringen. Wie machen Sie das nur? Zu Treckern fällt mir auch was ein: mein allererster Verehrer, noch zu Grundschulzeiten, wurde später - als er nicht mehr mein Verehrer war - der erste mit Führerschein auf vier Rädern in unserem Alter. Mit sechzehn, auf einem Trecker. Den durfte er da nämlich schon fahren. Die französischen
nicht mehr ganz so staatlichen Telekommunikationsbetriebe bezahlen mich dafür, Menschen ins Land zu locken, auf daß man denen dort die gü(l)tigen Tarife aufgeloadet bekommt. Vorbild dabei ist nicht, wie man meinen könnte, etwa die britische Konkurrenz mit ihrem Niederwalz-System (was naheliegend wäre, stecken da doch sowohl deutscher Stahl als auch nicht miteinander kommunizierende Röhren drinnen), sondern die Tatsache, daß einer der Vorstände während eines Besuches bei der rechtsrheinischen Namensvetterin nach einer Nacht mit ungewohnten, weil deutschtypischen Getränken gegen Mittag im Hotel aufwachte und auf die Sendung mit der Maus bzw. auf Käpt'n Blaubär stieß. Erst sehr viel später war sein Kopf wieder so klar geworden, um freizugeben: das war kein Traum, Sofort machte er sich an die Recherche. Dabei erfuhr er dann, daß da einer im Laufstall Internetz herumkrabbelt, der partout nicht erwachsen werden will und diese Lügenbold-Geschichten quasi miterfunden haben könnte, er nachgerade als Konsumenten-Synonym dafür gilt, um es nicht als Abhängigkeit zu bezeichnen. Seitdem stehe ich, wie sich das für einen guten Franzosen gehört, wenigstens halbwegs, na, sagen wir viertelwegs beim Staat in Brot und Arbeit (seit Sarkozy gibt es ja keine echte Nation mehr, weil, nach dem Vorbild der deutschen Freunde, das Tafelsilber auf dem Flohmarkt der Privatheit verscherbelt wurde); wenn auch als einer der allerletzten, da der Laden, trotz der von Menschen gemachten außerordentlichen Gewinne, bald nur noch von Bits und Bytes gesteuert sein wird. Aber ich will ausnahmsweise mal ehrlich sein: Nach Belgien, dachte ich die ganze Zeit, hätte ich Sie gelockt. Nicht nur, weil's da zugeht wie im Congo. Sondern weil's beim Adel so gemütlich zugeht. Aber so, wie's ist, gefällt mir's besser. Denn nur bei mir gibt es noch ein Frankreich, das es schon lange nicht mehr gibt – ich kenne da eben noch ein paar Nischen zum Verkriechen. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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