Der alte Vert und le drôle Boche

Sozusagen Damenwahl

Ich fürchte, es gestehen zu müssen: So richtig alles Lüge ist das hier nicht wirklich. Den alten Vert gibt's (den jungen muß es früh zu den Barbaren über den Rhin gezogen haben; schlimm, meinte er mir gegenüber, das mit den sich öffnenden Grenzen). Vermutlich gibt's ihn noch, dieses massife Central-Gewächs. Eine Weile war ich ja schon nicht mehr dort. Es verläuft sich alles mit der Zeit. Einige Male bin ich ihm jedenfalls noch begegnet. Nicht mehr in seinem Gefährt, das ja auch mal neu und sehr begehrt war (und dem die Büddenwarderin auch nach dem vierten Nachfolger hinterherweint). Er hat's mir vorgemacht: auf dem Bänkchen sitzen, in die Ferne sehen, alles im Blick haben. Und von der Prämie für alte Schabracken, die nun wirklich keine Ähnlichkeit mit Frau Merkel hat, sondern eine urfranzösische aus der Mitte der neunziger Jahre und unlängst wiederholte ist, von dieser Roßtäuscherei hat er sich schon damals nun gleich gar nie nicht kirre machen lassen.

Alles Winken mit den Scheinen nutzte bei ihm nichts, möglicherweise wäre es gelungen mit den guten alten Lappen, die noch Format hatten, mit denen man Wände tapezieren konnte und die deshalb in kein Portemonnaie hineinpaßten. Aber dieses neumodische Kinderspielgeld brachte ihn nicht dazu, seine gute alte Voiture in diesen plastikartigen Stahl der Neuzeit umwandeln zu lassen. Und wozu hatte man den Dorfschmied drüben in Saint-Amans? Sicher, es dauerte ein Weilchen, bis man dort angekommen war wegen der Kurverei um die Berge. Aber es war längst nicht so unkommod wie im Stau nach Mende. Vor allem aber hatte die Stadt der Préfecture nichtmal einen solchen Meister wie seinen alten Schulfreund Bourdarier, der mannhaft diesem ganzen neumodischen Paris-Kram trotzte, den sich diese ENA-Pupser auch noch bei den Boches abgeguckt und hierher eingeschleppt hatten, den die Touffe nannten oder so ähnlich — er mußte dabei immer eher an die Natur denken oder aber vielleicht auch an die Frisur von Yvette aus der Bar in Grandrieu oder der ihrer Töle und nicht an ein Automobil. Und dann auch noch diesen ganzen Unsinn wie das gelbe Blinklicht auf dem Traktor oder später den neuen Nummernschildern. Früher hat man seine Nummer zugeteilt bekommen, und die hat man dann mit Kreide draufgemalt auf die Kiste. (Hat das denn niemand photographiert?! Gibt's denn nur noch Menschen, die das nicht [mehr] kennen?! Herr Prieditis?). Das war's dann auch. Der gute alte Copain hat ihnen was gehustet. Von wegen nicht mehr verkehrssicher. Geschraubt hat er und gedreht und geschweißt und genietet und geklebt und was sonst noch alles. Na ja, der wußte eben, wie seine Säue schmecken. Bei dem Gedanken daran ist er wohl auch noch raufgefahren nach Saint-Chély-d'Apcher zum Pompier-Compagnon Baudillac, der aus dem Bergerac hierhergezogen war, weil der Wein nicht mehr so lief, da die Pariser lieber diese kraftlose, den Boche-Gaumen hinterhergebaute Bordeaux-Plempe soffen, und der sich mit seiner Werkstatt an diesen Contrôlé technique-Verein verkauft hatte. Richtig rauspoliert hatte er die alte Kiste vorher auch noch, um ein Haar hätte er sie nicht wiedererkannt. Aber längst haben beide ihre Ruhe. Das Gerät in der trockenen Scheune, auch wartend auf einen dieser Boches, die irgendwann auftauchen und dafür jeden Preis bezahlen, ihn anschließend für eine Irrsinnssumme verhübschen und mit dem glückskuhigen Klapsmühlengesicht eines Altautomobilbesitzers in Deutschland sonntags spazierenfahren würden. Und er eben auf dem Bänkchen.

Ach ja, diesen pariserisch, wie der alte Vert meint, oder so ähnlich radebrechenden, schon irgendwie schrulligen, kauzigen Boche* da oben auf vierzehnhundert Metern, den gibt's selbstverständlich auch. Dessentwegen habe ich den alten Bauern ja kennengelernt. Eigentlich ja wegen seiner Hühner, genauer: wegen einem Huhn. Aus Paris kommend und über die Dörfer fahrend hatte ich dann doch zunächst ein Päuschen machen müssen. In Serverette trank ich einen Café, um mich anschließend an den Aufstieg zu machen. Der Boche hatte mich gewarnt. Das sei nicht so ohne weiteres zu bewerkstelligen, mit solch einem nicht unbedingt französisch-ländlich dimensionierten Fahrzeug hinaufzukommen zu ihm. Es sei vielleicht ein ziemlicher Umweg. Aber über Grandrieu sei er dann doch leichter zu erreichen. Da würde im Winter sogar einmal die Woche ein Schneepflug hinauffahren bis fast vor die Tür. Sicher, das geschähe nicht nur seinetwegen, schließlich gäbe es da noch den Nachbarn. Aber es sei durchaus angenehm, wenn er wieder zurückwollte, vom täglichen Skiausflug zum Kaffeetrinken ins Städtchen. Meine Souveränität untersagte mir den Umweg. Wer französische Parkhäuser bewältige, sprach sie mir gut zu, der schaffe jede noch so enge Gasse. Außerdem sei schließlich Sommer. Nun ja, ich hatte es zwar geschafft, aber dann doch nur bis zum Huhn des alten Vert beziehungsweise es. Es kam nicht so schnell weg wie seine Geschwister. Allesamt hatten sie auf der Straße gehockt. Straße ist vielleicht ein wenig übertrieben formuliert. So eine Art bruchsteinfelsige Hofdurchfahrt war es eher, besser noch, ein Weg durchs Wohnzimmer des Bauern. Aber mir war das Blut in Wallung geraten vom Anblick der hügelig anzuschauenden Berge mit ihren fast schwarz anzuschauenden Kuppen, ich war wie dieser rasende US-Radler auf Tour de Pharmacie, wenn auch auf vier statt auf zwei Rädern, weshalb ich bergauf immer schneller wurde, rallyartig mit dem Kick-Down-Pedal operierte, als ob ich mit einem Panzer eine Monte Carlo gewinnen wollte.

Na, und dann saß ich zunächst einmal bei dem alten Vert in der Stube. Seine aus dem Italienischen stammende Frau hatte das Huhn ausbluten lassen, es anschließend in den Keller gebracht und einen Krug Wein mit nach oben. Glücklicherweise verfügte man über Telephon. So rief ich beim Boche oben an, weil der nämlich seit kurzem auch eines hatte, weil seine alte Mutter sorgenzerfurcht in Bielefeld saß, weil er nämlich nur einmal jährlich dorthin kam, und sagte ihm, ein Huhn habe mich aufgehalten. Ich solle zusehen, meinte er, vor der Dunkelheit anzukommen, denn das Licht der nächsten Laterne drüben im zehn Kilometer entfernten La Panouse reiche nicht ganz bis an sein Haus. Das Feuer sei bereits geschürt, es werde ja recht frisch am Abend, ein Brennesselauflauf mit ein paar Schneckchen aus dem zeitungsgekrönten Gärtchen und dreijährigem Käse vom Nachbarn stünde auf dem Herd. Dann aber sei ohnehin baldige Bettruhe angesagt, denn morgen früh müsse er mit mir in den Genêt, der ihm getrocknet Zunderholz liefere und das ihm auszugehen drohe. Ich verstand diese offensichtlich botanische Äußerung zwar nicht, denn zu der Zeit gab's ja noch kein Bio, und schon gar nicht im tiefen Frankreich. Aber schließlich war morgen auch noch ein Tag.

Genau. Und die nächste Tage auch noch. Bis nächste Woche irgendwann. Die Büddenwarderin hat Urlaub, weshalb der Döschwoh auch so mit den Flügeln scharrt – Nordseekrabbenfischen ...

* Deshalb wird's auch ein Weilchen dauern, bis ich die Geschichte dieses einzigen mir bekannten echten Aussteigers, der französischer war, als der alte Vert sich das auch nur annähernd vorstellen konnte, etwas genauer schildere.

 
Fr, 24.07.2009 |  link | (5528) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches


caterine bueer   (24.07.09, 20:11)   (link)  
Damenwahl?
Wie ist das denn zu verstehen?


jean stubenzweig   (24.07.09, 20:44)   (link)  
Einfach mal da oben
aufs leicht angefettete, kursive Knöpfchen klicken. Außerdem gibt es noch andere Damen meiner Wahl. Sozusagen Herrenwahl.


edition csc   (25.07.09, 14:42)   (link)  
Allez les boules ...
Une partie de pétanque


aubertin   (25.07.09, 16:23)   (link)  
Les joyeux boulomanes ... !


jean stubenzweig   (27.07.09, 12:30)   (link)  
Im Schlamm
rollen die Kugeln nicht so fröhlich. Im feuchten Sand aber auch nicht. Man wird ggf. verlagern müssen.


nnier   (27.07.09, 18:47)   (link)  
Die Kreidekennzeichen kenne ich noch, und auch lackierte aus Holz oder zur Not mal Pappe. Ich wunderte mich als Kind sehr darüber, dass man in Frankreich einfach so zum Pinsel greifen und sein KFZ kennzeichnen konnte. Aber ob's jemals abgelichtet wurde - dazu müsste ich alte Urlaubsfotos sichten.

Vor wenigen Tagen lernte ich in einem anderen Nachbarland einen freigeistigen Herrn kennen, der sich ebenfalls zu helfen weiß: Damit der unaufmerksame Beobachter nichts von seiner Kennzeichenlosigkeit mitbekommt, hat er einfach irgendein Schild ans Heck seines Motorrads geschraubt. Und wenn er dann, Sekunden später, am Horizont verschwindet, kann auch der aufmerksame nicht mehr erkennen, welche Unwahrheit das Schild eigentlich verkündet. Auf dem rechteckigen, weißen Blech steht nämlich: "9 km/h".


jean stubenzweig   (27.07.09, 21:16)   (link)  
Dokumentierte Reisen?
Sie haben sowas doch sicher. Bitte nachschauen! Es will für die Geschichtsschreibung festgehalten werden.

In welchem Nachbarland kann das wohl gewesen sein, wo sich ein Herr derartigen Freigeist erlaubt? Und dann auch noch mit Trekkerhöchstgeschwindigkeit entfleucht. Na ja, wahrscheinlich hatte der Motor ein bißchen pharmazeutische Unterstützung. Ist ja Saison. Und – haben Sie möglicherweise versehentlich ein Pufferland ausgelassen? Aber Sie, als nun wahrhaftig nicht unaufmerksamer Beobachter ...


nnier   (27.07.09, 21:24)   (link)  
... mit pathologischer Orientierungsschwäche - ich weiß, worauf Sie hier anspielen wollen. Sagen wir mal so: Vom Linksrheinischen her puffert da tatsächlich was. Aber ich musste von hier aus ganz wirklich nur über eine Grenze.


jean stubenzweig   (27.07.09, 22:00)   (link)  
Anspielung? Ich?
Das Linksrheinische meinte ich selbstverständlich nicht (manchmal kann sogar ich an was anderes denken). Da wäre ja auch kein Pufferland mehr gewesen zwischen dem, wo ich den freigeistigen Herrn und Sie vermutete. In den halt- und gesetzlosen Süden hatte ich Sie hinspekuliert. So spekuliere ich Sie eben ein Stück nach Westen. Dort hat Freigeist eine gewisse Geschichte, da man sich des vielen Ungeists zu erwehren hatte. Und nun, bitte. zeihen Sie mich nicht irgendwelcher Orientierungsschwächen. Ich müßte mein System infrage stellen. Etwa in Richtung Norden. Da gab's schließlich ebenfalls so etwas wie Widerstand im kleinen. Wenn das auch Geschichte ist.















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