Glauben, nicht wissen

Goethe, der Fürstendiener. Wie einige Zeit vor ihm Luther. Jeder auf seine Weise. Auch der Dichter hatte es ja ständig mit dem lieben Gott, seinem Nebenbuhler um die Gunst der braven Glaubenden gehabt. Der Kult des höchsten Wesens? Wahrscheinlich hat dieser andere wohl in seinem tiefsten Inneren heimliche Fürstenliebhaber namens Robespierre dabei an sich persönlich gedacht.
«Das französische Volk erkennt die Existenz eines Höchsten Wesens und die Unsterblichkeit der Seele an.»
Man möchte es nicht glauben, im besten Wortsinn. Da jubelt selbst Hans Maier, der Hohe Priester nicht nur des oberbayerischen Katholizismus, der Revolution zu.
«Die Mütter heben die jüngsten ihrer Kinder in ihren Armen hoch und bringen sie dem Schöpfer der Natur in Ehrfurcht dar. Die jungen Mädchen werfen Blumen zum Himmel empor [...]. Die jungen Männer ziehen ihre Säbel und schwören, sie überall siegreich zu führen. Die von der Begeisterung ihrer Söhne fortgerissenen Alten legen ihnen die Hände auf und teilen ihre väterliche Segnung aus [...]. Eine furchtbare Artilleriesalve, das Zeichen der nationalen Rache erschallt, und alle Franzosen vereinigen ihre Gefühle in einer brüderlichen Umarmung: sie haben nur mehr eine Stimme, deren vereinigter Schrei: Es lebe die Republik! die Lüfte erbeben läßt.»*
Ohne Tugend sei Terorrismus nicht möglich, meinte Robespierre. Das höchste Wesen als Tugend des Terrors. Auf dem Humus des Glaubens ließ sich der Gehorsam besser ziehen. Das kannte das Volk. Damit konnte man es fangen. Das war es! Da fühle ich mich sehr viel eher den Aristokraten näher, die den Atheismus erfunden haben.

Ach ja, die einen wenden sich, wie der Konvertit Heinrich Heine, kurz vorm Übertritt ins Jenseits wieder dem anderen da oben zu, entschuldigen sich gar bei ihm für die paar abgegebenen Lästerlichkeiten. Und ich denke an eine aus dem Ruder gelaufene Revolution, daran, daß die Religionen vermehrten Zulauf haben. Aufklärung? Moderne? Post-, ja Postpostmoderne? Wir wissen, daß man diesen Erdenball nicht in einer Woche erschaffen, aber an einem Tag vernichten kann. Aber sie glauben an die Geschichte von den sieben Tagen, nennen das auch noch Kreationismus und glauben an einen Schöpfergott. Nicht nur die Fundamentalisten.

Kann die Menschheit denn nicht in Würde und eben nicht in Unterwürfigkeit abtreten?!

*Hans Maier, Revolution und Kirche. Zur Frühgeschichte der christlichen Demokratie, Freiburg/Basel/Wien 1988, S. 275

Von © Michael von Cube stammt das Bild

Gute Hirten

 
Fr, 28.08.2009 |  link | (2402) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unglaubliches


mark793   (28.08.09, 11:13)   (link)  
Und ich denke an eine aus dem Ruder gelaufene Revolution, daran, daß die Religionen vermehrten Zulauf haben.

Ist dem tatsächlich so? Zumindest hierzulande merke ich davon wenig. Sicher, das Bedürfnis nach Spiritualität und irgendeiner Verbindung zu den größeren Zusammenhängen auch über das begrenzte irdische Dasein hinaus ist zweifellos bei vielen vorhanden. Dass die Religion im herkömmlichen Sinne davon nun überproportional profitieren würde, vermag ich nicht zu sehen. Jeder bedient sich und stellt sein persönliches Menü zusammen, glaubt an Wiedergeburt, hält Jesus aber doch für den größten Menschheitslehrer, ist aber auch dem naturnäheren Wicca- und Neuheidentum nicht gänzlich abgeneigt und findet den Dalai Lama irgendwie toll. Da ist kein Ringen mit dem persönlichen Schöpfergott oder seinem vorgeblichen Sohn, nichts, was das Leben grundsätzlich ändern würde im Sinne von "verkauf was Du hast, gib den Erlös den Armen und folge mir nach..." - sondern nur die Suche nach alltagskompatiblen Wellness-Anwendungen für die gestresste Seele.

Und ich sage nicht, dass das unbedingt was schlechtes ist. Lieber als irgendwelcher Fanatismus ist mir das allemal.


jean stubenzweig   (28.08.09, 16:38)   (link)  
Eine Polemik
ist das eine (von mir recht gerne Angewandte), das mit der aus dem Ruder gelaufenen Revolution, die assoziiert ist mit dem zitierten Robespierre, der im Text auf den einen Eintrag zuvor erwähnten Goethe folgt; Luther mußte in diese Kladderei eben zwangsläufig hinein, da ich nunmal bei den Fürstenhöflingen war. Sicher, da liegen Welten an Zeit dazwischen, in denen es kaum anderes gab als irgendeinen lieben Gott. Aber heute?

Daß Glaubensversammlungen vermehrten Zulauf haben oder Menschen, auch das, «dem naturnäheren Wicca- und Neuheidentum nicht gänzlich abgeneigt» sind oder «den Dalai Lama irgendwie toll» finden, das ist die andere, wie ich meine, unerfreuliche Entwicklung. Nun gut, auch ich kann damit leben, solange ich nicht missioniert oder direkt konfrontiert werde. Geschieht das, werde ich eben ungehalten.

Was den einen Punkt meiner entschiedenen und seit Jahrzehnten währenden Gegnerschaft betrifft, habe ich unter anderem in Die Kirche und das junge Vieh dargelegt. Nun kommen neue Ereignisse hinzu. Da sagt mir allen Ernstes ein (relativ) junger Mann, er gehe nicht (mehr) wählen, weil, da kriegt er gerade noch so die gleichwohl äußerst instabile Kurve, man es ja sowieso nicht (mehr) ändern könne. Was ihn im übrigen nicht daran hindert, mächtig auf die Politiker und die durch diese verursachten Zustände zu schimpfen. Ebendieser junge Mensch aber holt sich seit einiger Zeit Rat in einer Glaubensgemeinschaft, in der man ihn quasi lehrt, der Herr werde es schon richten. Da sitze ich dann und denke ein bißchen verzweifelt zumindest an die Vorstufe der Revolution, an die Aufklärung. Und ich frage mich ebenso, was auch ich dabei falsch gemacht haben könnte. Denn Menschen meines Alters wirft man ohnehin ja ganz gerne mal vor, die heutige Gesellschaft auf dem Gewissen zu haben.

Mein Vater, der streng, um nicht zu sagen extrem religiös aufgewachsen ist, hat sich erziehungstechnisch einmal gegen meine Mutter durchgesetzt, indem er bestimmte, daß ich später einmal selber bestimmen solle. Das sowie sein gesamtes Verhalten seinen Mitmenschen gegenüber hat auch bei mir zu einer gewissen Toleranz geführt, sogar in der Konfrontation zu meiner Mutter, die, wie Heine, allerdings in höherem Alter, konvertierte, und das, obwohl ich mit ihrem Protestantismus erhebliche Probleme hatte, da mir nichts Verlogeneres begegnete als der, den sie praktizierte (oder später an ihr praktiziert wurde). Das hat zu Auseinandersetzungen geführt, deren Ausgang ich hier besser nicht schildere.

Der «junge» Mann, ein wenig jünger als Sie, bester Mark, ein Einzelfall? Keineswegs. Die ihn missioniert habende Freundin hat nicht nur ihn eingesammelt, sondern einige mehr. Darunter befinden sich auch solche, die zwei Leben leben. Tagsüber drehen sie ihren Mitmenschen wissent- und willentlich materielle Unwägbarkeiten oder gar Müll an, Hauptsache der Rubel rollt, und abends gehen sie beten. Da bekomme ich Tränen der Rührung in die Augen, wenn ich an das Mütterchen denke, das seit vierzig Jahren unentwegt beichtet, daß es mal mit einem anderen Mann als dem ihr angetrauten und so ... Was keine Verbeugung meinerseits vor den Möglichkeiten bedeutet, die der Katholizismus bietet.

Ach, eine nicht endenwollende, von nicht mehr zählbaren Erlebnissen gefüllte Geschichte, die mich schon lange Zeit beschäftigt und immer beschäftigen wird.


mark793   (28.08.09, 17:03)   (link)  
Nun,
ich trage da auch einiges mit mir rum (Mutter lange Zeit streng katholisch, Vater eher lax, aber nie offen rebelliert), und so beschäftigt mich die Thematik auch immer noch nachhaltig, auch wenn ich für mich persönlich mit den gängigen Spielarten des Christentums wirklich durch bin. Zu den heftigen Auseinandersetzungen mit meiner Mutter kann ich immerhin vermelden, dass meine Attacken nicht ganz wirkungslos blieben. Wir sind in diesen Fragen heute gar nicht mehr so weit auseinander. Und vielleicht muss ich deswegen den Kampf ("Ecrasez l' infame!") heute auch nicht mehr mit der Inbrunst führen.

Aber ich verstehe absolut, was Sie an dieser frömmelnden Doppelmoral abstößt, die zwangsläufig daraus resultiert, wenn man einerseits in der Welt von heute leben und gut dastehen will, was sich andererseits mit den Lehren des christlichen Vorturners, wenn man sie denn wirklich ernst nähme, aber beim besten Willen nicht in Einklang bringen lässt.

Ich denke nicht, dass Versäumnisse oder Fehler von Ihnen und Ihrer Generation ursächlich dafür sind, wenn jüngere Menschen angesichts der Komplexität der Welt die vermeintlich einfachen Antworten akzeptieren, die der Lattengustl-Fanclub bietet. Da muss jede Generation eben ihre eigenen Erfahrungen (und Fehler) machen.















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