Mensch und Vieh Der Mensch an sich ist wie das Vieh, das er, je nach geographischer beziehungsweise kulturell ursächlicher, also durchweg religiöser Gegebenheit am liebsten verspeist. Er steht im Weg herum und gerät in der Regel nur dann Bewegung, wenn ihn jemand oder etwas antreibt. Das kann ein Unformierter sein oder ein anderes verhärmtes Würstchen. Schwerfällig bewegt er sich, wenn ihm eine Buße, volksmundig auch Strafe genannt, in welcher Form auch immer, angedroht wird. Kregelig wird's dann, wenn's eine Belohnung gibt für etwas, das ihm gar nicht gebührt. Egal, Hauptsache kostenlos. Dann ist es ihm auch wurscht, ob ein Mitmensch da im Weg herumsteht. Der magazinal Informierte nennt das dann gerne alles fließt, Hintergründe interessieren nicht weiter, Hauptsache das dazu gereichte Bier läuft umsonst aus dem Hahn. Dem Gebildeteren fließt es als panta rhei aus dem gespitzten Mündchen, wobei auch er in der Regel vernachlässigt, was diese sprachliche Bewegung verursacht haben könnte, denn irgendwie ist auch ihm das egal, zumal er nicht den Wandel konstatierend anstrebt, sondern daß es immer so bleiben möge: billig, besser noch ohne Bezahlung, auch, wenn das Würstchen nicht mehr Würstchen heißt, sondern petite bouchée, hierzulande gemeinhin wohl besser bekannt als canapé, und es dazu ein petite gorgée, ein Schlückchen aus der guten Pulle gibt. Dann treibt die Avantgarde einen Keil in den Block der Herumstehenden; irgendein Bock ist immer bereit, die Hörner zu senken. Es spielt bei alldem keine Rolle, ob man sich auf einer landwirtschaftlichen oder anderskulturellen Veranstaltung befindet. Diese Gesetzmäßigkeiten gehen durch alle gesellschaftlichen Schichten. Zumindest rechtsrheinisch. Dennoch kann man auch überrascht werden, interessanterweise im protestantischen Norden dieser Republik. Ausgerechnet dort hört man nach einem Rippenstoß oder Fußtritt des öfteren mal das Wörtchen Tschulligung; Berlin, das sei nebenbei angemerkt, gehört nicht zum Norden, es liegt mittendrin in der deutschen Kulturlandschaft, die anderswo Civilisation geheißen wird. Messen habe ich in meinem Berufsleben viele besucht, jahrzehntelang im Schnitt fünf bis sechs pro Jahr. Zum ersten Mal war ich jedoch ohne freien Eintritt, also inclusive Kassenschlangestehen auf einer Messe — auf einer für Landwirtschaft. Das Ereignis Mitte der siebziger Jahre kann nicht hinzugezählt werden, da es sich um die Randbeschönigung des vermutlich größten alljährlichen Besäufnisses der Welt handelte und es mich nicht wirklich interessierte. An die Folgen des letzteren erinnere ich mich bis heute: von Wiesn-Bier erholt man sich nur schwer. (Vermutlich geht vom dunklen Gebräu der nicht minder trinkfreudigen Mecklenburg-Vorpommern keine solche Gefahr aus, denn die anwesenden Chinesen genossen es ausgiebig. Aber es war ja auch noch früh am Morgen.) Und ich stellte rasch fest, daß sich so ein Bauern-Event in keiner Weise von einer Kunst- oder Buchmesse unterscheidet. In der Kleidung vielleicht. Die Landbevölkerung läuft nicht ganz so arg uniformiert herum. Obwohl ... Auf jeden Fall sind die Verhaltensweisen nahezu identisch. Jeder will der erste und am nächsten dran sein. Gedrängelt und geschoben wird bereits vor dem Gelände. Nun ja, etwas mehr Rücksicht als drinnen wird durchaus noch genommen. So direkt gerempelt und gestoßen wie in den Messehallen wird vor und auf den Parkplätzen nicht. Dem Reisegefährt könnte sonst ja Schaden entstehen. Aber vor den Boxen wird geboxt; wahrscheinlich heißen sie deshalb so. Dabei ist es unerheblich, ob's Bücher, Kunstwerke oder Rindviecher zu begutachten gibt. Und so manches Mal möchte man selber mit dem Boxen beginnen, wenn sie in der Mitte des Ganges die Nachbarn aus dem Dorf getroffen haben, die sie so lange nicht mehr gesehen haben und sich deshalb genau dort gegenseitig ausführlich berichten müssen, wie das gestern ausgegangen ist beim ziemlich feuchten Grillen (oder Golfen, je nach Erbmasse). Ganz arg wird's, wenn das Gerücht in Umlauf gerät, da würde jemand was verschenken. Die Hähne hören auf, genervt zu krähen, die gezierlichten Hybriden lassen sich hinten auf den Schinken gucken und käuen vorne in aller Ruhe wider, denn ihre Hallen sind geradezu verwaist, weil alles unerbittlich in jene strebt, in denen regionale Verkostung stattfindet. Und wenn sich dann herausstellt, daß es nur Verkostpröbchen sind, die kostenfrei angeboten werden, dann steht der eine oder andere auch schonmal breitschultrig sein Revier behauptend vor dem Käsestand und stopft sich die Stückchen handvollweise in den Mund. Ab frühem Nachmittag, weil's dann im Fernsehen beginnt, das Qualifying, wird's auf dem Messegelände ruhiger, dann wird es auf dem Nachhauseweg anderwegig geprobt: das alltägliche Training des allgemeinen Sozialverhaltens, hier dann auf den Straßen (aber das hatten wir bereits, zumindest teilweise). Deshalb und wohl auch aus Verbundenheit zu ihrer ländlichen Herkunft hat sich Frau Braggelmann ein neues Fahrzeug zugelegt.
Artistenpause
die oben abgebildete kuschelkuh freut sich lediglich darüber, nicht wie im heimatstall auf ollem stroh zu liegen, sondern weichgespültes heu zu kriegen ... lavendel, oleander, yasmiiihiiin....
Darf ich daran erinnern:
Das Tier lag in unmittelbarer Nähe zu dem bei Ihnen abgebildeten jungen Herrn Charolais, also in der Herrenabteilung. Bei der Kuschelkuh, Verehrteste, handelt es sich also um einen Bullen. Zugegeben, um einen zwar recht zarten noch, aber Mann bleibt Mann. Na ja, das will er ja erst noch werden. Und in dem Alter nimmt man es wohl auch noch nicht so genau beziehungsweise ist das Leben noch weichgespült. — «lavendel, oleander, yasmiiihiiin ...» Entzugserscheinungen? Geht der olle Schmollsenior nicht mehr mit Ihnen zu Lübecks wahrlich wohlduftenden Damen und Herrn in Ihre Lieblingsdestillerie in der Hüxstraße?Bos primigenius taurus,
wenn es ihnen lieber ist, herr stubenzweig...das da oben sieht aber nach "kuschelkuh" aus ! und «lavendel, oleander, yasmiiihiiin ...» kam aus dem werbefernsehn. danach der name des weichspülers. aber das war sicher vor ihrer zeit... >> kommentieren Der Mensch an sich ist wie das Vieh...
...deshalb sagt Heraklit auch mit Recht:Die Besten ziehn eines allem andern vor, nie versiegenden Ruhm sterblichen Dingen; aber die Masse frißt sich voll wie das Vieh. ^^ Zugestandenermaßen
stolperte mir das zunächst durch meinen oberen Blinddarm. Aber dann kam ich dann doch ein wenig ins Trudeln – vermutlich müßte «Masse» nach heutigen Kriterien erstmal definiert werden.Davon mal abgesehen, daß das Vieh nie übermäßig frißt. Das tun nur Menschen. Die völlen weiter, auch wenn sie längst abgefüllt sind. Aber wir schmunzeln ja dabei. Ob's dabei gerecht zugeht, steht auf einem anderen Blatt.
Tatsächlich ist das Epigramm eine Frechheit und elitär. Darüber hat sich schon Popper aufgeregt.
Allerdings steht da auch nicht, dass das Vieh übermäßig frisst, sondern sich vollfrisst. Das übermäßig
fressende Vieh hat meine Wortwiederholungsvermeidungsmanie dem Philosophen angedichtet. Andererseits ist ohnehin in Frage zu stellen, ob er das so gesagt hat und es nicht ein anderer war, der ein paar hundert oder mehr Jahre später meinte, so könnte der gute alte Heraklit es gesagt haben. So dürfte es unwesentlich sein, ob Popper sich darüber aufgeregt hat oder nicht.Aber nicht vergessen werden sollte, daß zu dieser Zeit die Masse vermutlich nicht allzu oft Gelegenheit hatte, sich vollzufressen, sondern es darüber hinaus die Führungspolitiker Ioniens et cetera gewesen sein dürften, die gepraßt hatten. Na gut, vielleicht hat sich damals ein Intellektueller tatsächlich noch etwas Mäßigung auferlegt und sich vom Ruhm ernährt. Aber heute ist es nicht selten so, daß seine Zurückhaltung am Buffet darauf zurückzuführen ist, daß er zuvor ordentlich dem Rum zugesprochen hat. Das mag allerdings an der bitteren Erkenntnis liegen, wie wenig man ihn hierzulande und heutzutage noch zur Elite zählt.
Die griechischen Kolonisten waren durchaus nicht obrigkeitsstaatlich gesinnt, sondern ein streitbares Völkchen. Man muss davon ausgehen, dass sich ein durchschnittlicher Kolonist ordentlich sattfressen konnte - im Gegensatz zum zentralgriechischen Bauern. Wenn die örtliche auswärtige Aristokratie (sprich: die Clique Emporkömmlinge) nicht gespurt hat, wurde sie weggefegt.
Übrigens hatte Heraklit eine angediente Tyrannenherrschaft abgelehnt, was ihn doch auch sympathisch macht. Dass er dem Rum zugesprochen hat, kann ich mir nicht vorstellen, den gab es nachweislich im 6. vChr. Jh nicht.^^ Man sprach damals dem Wein zu - und den auch noch 1:3 verdünnt! Dem Rum hatte ich
nicht zugesprochen; zumal ich ihn nicht sonderlich mag, nichtmal den guten aus Martinique. Ich nehme auch lieber den Wein, und den unverdünnt. Ein Witzchen soll(te) es sein – bezogen auf diejenigen, die sich heutzutage nicht mit Ruhm besaufen können. Daß der damaligen Elite dieser scharfe Brand nicht zur Verfügung stand, weiß sogar ich, der ich Schnaps nur gegen die Cholera nehme.>> kommentieren ob landjugendfreibierparty oder vernissage, hauptsache es gibt was zu picheln. auch die guten ökos schrecken vor nix zurück. einmal im jahr plündert man in nürnberg die regale der anbieter. und wundert sich mittlerweile, wenn immer mehr dummies in der präsentation sind. (und sogar die kann man klauen. was auch immer die menschen mit leeren schampooflaschen wollen.) Dieser Klau-Affekt
hat schon was seltsames: die Verlängerung von billig bis kostenlos, möchte man meinen. Hauptsache, man hat's. Egal, ob man's braucht oder nicht. Auch die Ökos denken ihre ökologischen Gedanken offensichtlich nicht weiter. Irgendwie scheint's der Mensch an sich zu sein ...>> kommentieren apostasia (15.09.09, 14:35) (link) Auch bei der Lektüre
gibt es mittlerweile das Hybrid, zumindest in der Wiedergabe. Man wollte wahrscheinlich nicht hintenan stehen nach der Viehzucht und dem Automobil.Hintersinnig klingt das.
Und irgendwie gar nicht appetitlich. Aber wahrscheinlich muß ich darüber erstmal nachdenken. Momentan bin ich dazu allerdings zu müde.>> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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