Holzgeschnitzte Schwelgereien

Nie ohne Zusammenhänge

Nein, nicht schon wieder diese ganze Natur mit diesen ganzen Naturbeflissenen, und dann auch noch alles zu Fuß, drumherum diese ganzen Jungdynamischen mit ihren eigentlich unbesteigbaren Geräten. Auch die Glücksidylle hatten wir doch gerade erst. Meine urbanistischen (irgendeinen Ismus benötige auch ich) Wurzeln ankern tief, nach Pflastertreten war mir, wie in alten Zeiten. Und fahren wollte ich auch, mit dem Schiffchen, endlich mal wieder das tun, was Herr Kid vor einiger Zeit wiedererweckt hatte in mir. Zauberhaft war es, der Oktober leuchtete uns gülden die Köpfe aus. Und neu erlebt habe ich auch, wie schnell ein Kind seine Angst umwandelt in abenteuernde Neugier, etwa vor fremden Ungetümen wie gewaltig brummenden Fähren, die in Hamburg herangedonnert kommen wie die Busse in Paris, ein bißchen Schaulaufen der Piloten für die vielen Omis und Opis im Sonntagsanzug auf Besuch in der Stadt, die allerdings an eine derartige Gewandung gewöhnt ist, wenn auch überwiegend alltags. Nie äße ich anderswo, was hier als Nahrungsmittel angeboten wird, aber an den Landungsbrücken, in Finkenwerder und in Teufelsbrück ergebe ich mich meinem Schicksal: in der Friteuse angerührter Bratfisch und Pommes mit einer Mayonnaise, die einzig geeignet ist, sie den süßen Schratzen aus dem Gesicht, ach was, vom gesamten Körper und dessen Nachbarschaft wegzuwischen. Ein schöner Tag war es, und nicht einmal die vielen Pappnasen störten mich, wie der Husumer Freund selig diejenigen nannte, die ihm sein Städtchen verunstalteten, von denen er aber gezwungen war zu leben mit seinem selbstgeräucherten Stinkefisch, bis er ihn nicht mehr riechen konnte und mit dem Motorrad ungebremst an einen Baum fuhr.

noch mehr Holz

Da saßen wir nun, nicht mehr so ganz im Zentrum der schönen Stadt, rekapitulierten kurz den ereignisreichen Tag ohne besondere Vorkommnisse. Möge ein solcher gern bald wiederkehren, meinte ich und klopfte auf Holz. Es klang jedoch nicht so, sondern eher, als ob ich auf einen Karton geklopft hätte. Das brachte mich zur Frage, ob denn demnächst richtiges Material gewerkt würde? Schließlich sprach ich das an einen Tischler, als hoffnungsloser Idylliker, dessen Augen zu leuchten beginnen, wenn ihm fein gefertigte Tischlerarbeit unter dieselben kommt. Sowohl Langzeit- als auch Kurzzeitgedächtnis gerieten ins Schwelgen. Damals, vor dreißig Jahren, als der Freund, der in Oberammergau Herrgötter schnitzen, aber zuvor richtig Schreiner gelernt hatte und danach ein wunderbarer Künstler wurde, mir zum Geburtstag ein Regal schenkte, das ich zuvor beinahe im Urzustand sehen durfte, als wahrlich nicht rohen, sondern sehr feinen und obendrein geradezu wunderbar duftenden Holzblock, und mich dann deshalb am Jubeltag jubeln ließ, weil dessen fein verarbeitete Einzelteile millimetergenau von Hand aufgestellt und eingepaßt wurden. Und viele Jahre später dann die Arbeitsplatte für ein ganzes Computerarsenal, aus schlichter Fichte, die er selber, als Lehrling noch, für mich unzählbar oft mit Bienenwachs poliert hatte und die ich nach wie vor so gerne anschaue und anfasse wie den danebenstehenden ledernen Papierkorb, den die andere Freundin, zu einem anderen der dreißiger Geburtstage für mich angefertigt hatte, nach der Schreibtischauflage ein oder zwei Jahre zuvor.


Auslöser für meine schwelgerischen Erinnerungen waren letztendlich die anstehenden Anschaffungen der mittlerweile sechsköpfigen Familie für das im Bau befindliche Haus unweit des Sees am hamburgischen Stadtrand, das sich als arbeitsreiches Weihnachten erweisen dürfte. Es sei doch naheliegend, daß er quasi qua Berufung sich das alles selbst baue. Dasselbe habe ihn sein Chef auch schon gefragt, kündigte sich eine mich ziemlich erschütternde Entgegnung an. Aber er könne sich das nunmal nicht leisten, alleine das erforderliche Holz für einen Küchenausbau koste erheblich mehr als alleine die notwendigen Geräte wie Geschirrspüler oder Kühl- und Gefrierschrank. Also kaufe er bei einem wie dem schwedischen Chinesen, von denen es ja viele gebe, nicht nur den weltverbreiteten einen.

Eigentlich wollte ich einwenden, daß ebendiese Billigheimer, die ja längst keine mehr sind, sondern übermäßig teure Müllhändler, die gnadenlos ganze Landstriche abholzen und dennoch nichts daraus produzieren als von Pappe umhüllte verseuchte Luft und dabei zu Lasten völlig unterbezahlter ehemaliger Kleinbauern auch noch Gewinne machten, als ob sie mit bestem Mobiliar aus Rosenholz handelten, daß ebendiese Verheißer heimeligen Glücks unter anderem aus seinem Beruf eine Handlangerei der weltweit operierenden Konzerne gemacht hätten, deren Geschäftsführer nichts anderes anstrebten als Margen jenseits jeden Wertes, egal ob sie Bücher verkauften oder sogenannte Lebensmittel oder Fernsehen oder Flatrates für alle möglichen Besäufnisse. Ich ließ es sein, wußte ich doch, daß er es wußte. Wir sprachen dann ein wenig darüber, welch ein großartiger Beruf das doch sei, in dem er manchmal tätig sein durfte, wenn sein Chef einen Auftrag ergattern konnte, dessen Erfüllung auch noch dreißig oder viel mehr Jahre danach noch leuchtende Augen zu bewerkstelligen vermögen, wie beispielsweise den hundert Jahre alten Apothekerschrank da oben, den er mir vermacht hatte.

Doch dann bewölkten mich wieder die Gedanken an diese Handwerkermärkte, auf denen die Menschheit wie besessen diesen unsäglichen Tinnef kauft, von dem ihr weißgemacht wird, er sei von Schmieden oder Töpfern hergestellt, aber aus den gleichen Fabriken kommt, die unsere Kulturlandschaften plattwalzen, deren Direktoren sinnentleertes Fachwerk und Ornament produzieren lassen, weil das Volk es eben nicht weiß, weshalb es nicht schön sein kann. Etwa, weil ihm die Information vorenthalten wird, die früher mal beispielsweise im Ornament steckte, aber nur für diejenigen lesbar war, die sie auch lesen konnten ...


Aber auf diesen daraus möglicherweise entstehenden Gartenzwerg in der Boutique komme ich irgendwann nächste Woche. Vielleicht.
 
Fr, 23.10.2009 |  link | (3377) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


jean stubenzweig   (24.10.09, 05:19)   (link)  
Eigene Gedanken,
gerade noch notiert von jemand anderem – nachdem ich meinen Ermüdungserscheinungen (mal wieder der vermaledeite Blick auf die aktuellen Einschaltquoten) endgültig zu erlegen droh(t)e:

«Schreibe vor allem über das, was dich wirklich interessiert! Wer nur eine hohe Posting-Frequenz aufrecht erhalten will, wird das nicht lange durchhalten. Nutze das Bloggen als Medium, deine eigenen Fragen an das Leben und die Welt zu beantworten – und darüber (falls gewünscht) mit anderen ins Gespräch zu kommen. Artikel, die mit Herzblut und echtem Engagement geschrieben sind, machen schon beim Schreiben Freude – dass sie gelesen und kommentiert werden, ist dann nur ein nettes Sahnehäubchen, kein Muss.»

Der Rest der Bemerkungen von Claudia Klinger ist – für mich! – in weiten Teilen vernachlässigbar, da ich altdichternder Sisyphos längst aufgehört habe, den Stein auf ewiglich auf dem Olymp zu plazieren – aber offensichtlich doch nicht frei bin davon. Doch manch einem könnte er einen Schub des Selbstverständnisses erbringen, der zur Identitätsfindung notwendig ist.

Also besonderer sowie allgemeiner gehaltener Dank für Vom Eigennutz beim Bloggen

Nachtrag: Überhaupt bin ich bei Claudia Klinger offenbar aufs Unendliche gestoßen – bei diesen vielen Texten von ihr und anderen, da kommt man (komme ich) vor lauter Lesen gar nicht mehr zum Selberschreiben. Und das mir, der ich seit den Siebzigern nach der Devise lebe: Das bißchen, das ich lese, kann ich mir auch selber schreiben.


apostasia   (25.10.09, 01:47)   (link)  
Etwas mehr Glas und Stahl
hätte ich vermutet bei Ihnen. Und nun diese alles andere als hölzerne Hymne ...


jean stubenzweig   (25.10.09, 15:29)   (link)  
Das eine schließt das andere
doch nicht aus. So bevorzuge ich grundsätzlich lichte Räume, wobei mir eine großzügige Belichtung angenehm erscheint, gerne erwärmt von viel Holz. Aber auch für Beton kann ich mich begeistern, wie das hier angedeutet ist (und worauf Sie vermutlich anspielen). Auch dabei finden sich großartige architektonische Kombinationen mit Holz. Ebenso habe ich nichts gegen Stahl und Glas, im Gegenteil. Es ist allerdings alles eine Frage des (gestalterischen) Umgangs mit dem Material. Und der hält eben mangels der Lehre von Ästhetik, allem voran in der Schule, keinen Eingang in die Köpfe. Hauptsächlich deshalb irrt das Volk ja auf den riesigen Müllhalden der Weltindustrie herum – ich bin sicher, daß die meisten Menschen gar nicht wissen, daß es Architekten gibt. Und unter Design verstehen sie auch nur das, was ihnen die PR-Maschinerie vorgibt: Inhaltsleere. Wenn ich ich schon solche Begriffe wie Designermöbel oder Designerbrille lese, platzt mir die Schnur meines Hutes, der, wie alles andere auch, erst einmal gestaltet werden muß, bevor er in die Fertigung geht.

Aber auch zu dieser Thematik komme ich noch – immer wieder, seit Jahrzehnten, auch wenn es nur wenige interessiert.


prieditis   (25.10.09, 11:05)   (link)  
"die Information"
Da gebe ich Ihnen uneingeschränkt Recht!
Ich habe über Ornamente auch ein oder zwei Sätze gelesen. Seitdem fällt es mir schwer, diese Ornamente in meiner Arbeit zu verwerten.
Zumindest überlege ich oft hin und her, ob ich es nutze oder nicht.















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