Kunst und Handwerk

Ein Tusch für alle Trittauer auf der ganzen weiten Welt.

In einer eMail von gestern schrieb mir ein Autor, zu dem ich nach fünfzehn Jahren (endlich!) wieder Kontakt aufgenommen hatte:

«ihre mail ist ein sturz zurück in vergessene zeiten. diese geschichten waren für mich sehr wichtig. ich hab da erstmals knapp zu schreiben versucht.
wenn ich so was heute wieder mache, kriege ich die versammelten klugscheißer auf den hals. grad bescheinigte mir einer, meine alte geschichte über die edelweißpiraten sei grob und holzschnitzartig geschrieben.
der arme wicht suggeriert natürlich, holzschnitte wären das schlimmste, was es geben kann.
was da die alten holzschneider sagen würden, die ich so schätze? die expressionisten, und die mittelalterlichen und erst recht der reutlinger hap grieshaber?»


Der Zufall will es, gerade erst vor einer Woche auf diese alte Technik gestoßen zu sein. In Trittau war es, einem Städtchen im Hamburger Speckgürtel, wohin ich mich von meiner Kulturreiseführerin Frau Braggelmann auf einen dieser obligatorischen, vermeintlich dem Erntedank gewidmeten Herbstmärkte schleppen ließ. (Kann man ja mal machen, hieße es bei Frl.deVille.) Zu einem Bratwurststand ließ ich mich quasi um die Ecke bringen, ein ganz bestimmter mußte es sein, meinte die Fachfrau für den Verzehr nach und von diesen seltsamen Lukullitäten. Die Kurve kriegend tat sich mir mit einem Mal eine Fata Morgana auf. Ich konnte es nicht glauben, aus diesen ganzen Tinnef-Büdchen und -zeltchen ragte ein kleines hallenartiges, geradezu angenehm lichtes Gebäude heraus, das bald ein Stück von Herrn Nannens Emdener Kunsthalle assoziierte. Darin eine etwa 100 mal 150 Zentimeter große Holzplatte, die derart beschnitten dalag, als ob sie gleich losdrucken wollte.

Holzschneider, da sagen Sie was, darauf werde ich meinen alten Bekannten hinweisen müssen. Das Publikum, wenn es sich nicht überhaupt abwendet von diesem schrecklich modernen Ding, das sich wahrscheinlich Architektur oder so ähnlich nennt, und lieber unter dem später angeklebten klassizistischen Giebel in die gemütliche fachgewerkte Wassermühle aus dem sehr frühen 18., fast noch 17. Jahrhundert tritt, ob es denn weiß, welch alte Technik da angewandt wird? Die sich allerdings in zeitgenössischem Gewand zeigt: Vexierspiel* ließe es sich nennen, was von der Platte runter auf die großen Papierbögen gedruckt ist, das mit jeder Bewegung des Betrachters immer neue Formen annimmt, sogar, wenn die Phantasie es zuläßt, figurative, weil man ja sonst nichts erkennt. Ohne die didaktische Maßnahme des Vorzeigens der Holzplatte aus dem Baumarkt funktionierte das wohl auch nicht. Das Interesse wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch dann rasch enden, wenn demnächst die eigens gekaufte Druckpresse aufgestellt sein wird, wenn die Technik erklärt ist. Das Produkt selbst, das man ansonsten für so eine Pinselei halten würde, erregt nicht unbedingt das Interesse der Öffentlichkeit. Man wendet sich lieber dem Herbstmarkt und dessen Produkten zu: tönern glasierte oder gläserne Kugeln oder eherne rostige Verbiegungen, die das gute alte Handwerk suggerieren. Daß diese versammelten Kunsthandwerker ihre Vorgartenverletzungen in der Regel aus einer chinesischen Fabrik für den europäischen, ach was, für den globalen Dekorationsmarkt beziehen, das ist nicht von Belang. Hauptsache, es ist schön.

Bereits seit 2006 steht dieses verhuschte Teilchen dort, das an eine Moderne erinnert, mit der die Post nicht unbedingt zu tun hat. Des öfteren war ich an diesem Platz, und sei's, um das bei mir immer übrigbleibende Weißbrot — meine Herkunft verlangt immerzu Frisches — von den Schützern der Tierwelt ungerngesehenerweise zu verfüttern. Auch bei mir bricht die Idylle sich manchmal Bahn. Nie habe ich dieses Gebäude wahrgenommen. Vermutlich deshalb, weil ich immer beglückt den Enten zugeschaut habe, wie die sich prügelten, als ob die Trittauer sie allesamt schützten, indem sie ihnen nichts zu fressen gäben, also immer die Weite des Sees im Blick. Deshalb wohl blieb mir die dortige, in Trittau angekommene Tragweite der Moderne bislang verborgen. Es brauchte also eine verrostete Bratwurst, um mir zu beweisen, daß das Jahrhundert des Lichts auch dort zaghafte Durchsetzungsversuche unternahm.

Sicherlich ist das Industriearchitektur, die dort steht (und die obendrein, auch das ist bemerkenswert, studentisch entworfen ist). Aber das ist ja kennzeichnend für die Moderne (nicht unbedingt das Studentische); sogar ein Sheed-Dach ist angedeutet (was wiederum auf eine erfreuliche Beobachtungsgabe aufs Historische schließen laßt). Und daß der glasfreie Teil des Gebäudes verklinkerter Beton ist, ließe sich in freundlichem Wort als landschaftsangepaßt bezeichnen. Jeder Häuschenbauer dieser Region macht das so — ohne Klinkerlitzchen geht hier gar nichts. Béton brut? Widerlich. Da steckt ja bereits das Brutale drinnen, die Brut des Bösen. Nun ja, Napoleon hat's in diese Ecke irgendwie nicht mehr so recht geschafft, und so richtiges höfisches Leben gab's auch nie in der Gegend. Sonst könnten sie's anders aussprechen: brü, ein wenig wie [ʒyː], aber dahinter dann ein sanftes, dennoch deutliches t. Brut wie roh, auch rein, etwa wie wirklich guter trockener blitzsauberer, also echter, nach solchem schmeckender Champagner; den man hier verständlicherweise auch nicht so mag. Art Brut wäre noch zu erwähnen, nicht die Kapelle, sondern die Kunstrichtung, nach der die sich genannt hat. Und dann eben Béton brut. Womit wir wieder bei einer Kapelle wären. Die von Ronchamp wäre beispielsweise zu erwähnen, gebaut von Le Corbusier, dem gerne nachgesagt wird, er hätte die(se) Brutalität erfunden.

Im Gebäude zeigt man ein wenig davon, wie schön dieser Baustoff sein kann, mit dem bereits die alten Römer die Gegend verschandelt haben. Deshalb wollen die meisten ihn nicht sehen, diesen häßlichen Kasten. Weshalb man auch nicht hineingeht. Wenn man ihn überhaupt bemerkt in seiner Zurückhaltung. Fast verschämt steht er im Gärtchen, nahezu verdeckt von der guten alten Zeit namens Wassermühle. Nichtmal eine Photographie dieses Gebildes kriegen sie ganz vorne auf ihre Seite gestellt, winzig abgebildet ist ein wenig Innenleben des Alten, das Neue zeigt sich auch nach gut drei Jahren seiner Eröffnung noch in Form einer Zeichnung, und nach der dann, endlich, ganz am Ende, unter den Honoratioren, zwei dürftige Bildchen, an die gelangt man allerdings auch nur über quasi monetäre Umwege. (Und ich war ja auch zu faul ... Nein, ich begründe das jetzt mal mit dieser Natur, die zur Zeit noch überall im Weg herumwächst. Aber dann, wenn sie erstmal beseitigt ist von der Natur!)

Nun, so ist es eben im Leben: Wer immer nur auf den Ameisenpfaden seinem Gewerk nachgeht, dem bleibt das Meiste verborgen. Zum Beispiel der angenehme Kontrast, der Nachweis, daß das Alte mit dem Neuen korrespondiert, wenn es behutsam eingesetzt wird (und konveniert). Sicher, so richtig getraut haben sich die Trittauer nicht, sonst hätten sie es nicht verklinkert. Aber das ist ein Kompromiß, mit dem sich leben läßt, zumal der Blick nach Ostfriesland den Gedanken trägt. Auch die kleinen Fehler sind läßlich, wenn man nicht gerade Künstler ist und dort eingemietet arbeitet. Die Sonne, die ab mittags die drei Ateliers heftig bescheint, gehört eigentlich ausgesperrt, des Artisten Licht ist das aus dem Norden, weil gleichbleibend und schattenfrei. Aber, na ja, wann scheint dort schonmal die Sonne. Doch vermutlich, werte ich jetzt mal zugunsten des Objekts überhaupt und somit positiv, war das planerisch nicht durchführbar. Im Alter wird man vermutlich kompromißbereiter ...

Und somit: Ohne jeden Zweifel ist das Licht angekommen in Trittau. Die Sonne ist aufgegangen. Ex oriente lux. Und das im Westen.


* Sie möge mir bitte verzeihen, die (dort eingemietete) Künstlerin, deren schöne Arbeiten wir gesehen und mit der wir lange gesprochen haben, deren Name mir jedoch entfallen ist und den die wassermühlige Informationsseite nicht preisgeben will. Aber die erwähnten Arbeiten sowie die schattenspielenden Malereien auf Plexiglas habe ich noch in Erinnerung ...
 
Do, 15.10.2009 |  link | (2532) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


jean stubenzweig   (15.10.09, 18:37)   (link)  
Gefunden
Die holzschneidende Künstlerin, die ich mit einem fragenden Sternchen versehen mußte, heißt Lucia Schoop. Sie hat ein Atelier-Stipendium für den Annex der Trittauer Wassermühle.

Auf die dort gesehenen aktuellen Arbeiten bin ich bei meiner etwas mühsamen Suche leider nicht gestoßen. Aber ein wenig Hinweis möchte dann doch sein: Vita sowie eine Jahresgabe für das Neue Kunsthaus Ahrenshop von 2007.

Wenn die Trittauer tatsächlich über den Tellerrand ihres Städtchens hinaus bekannt werden möchten und auch etwas für ihre Künstler tun wollen, sollten sie sich informationell etwas weiter aus dem Fenster lehnen. Drei Stunden habe ich gesucht. Die hätte ich auch mit dem Mythos von Sisypos verbringen können. Na gut, Camus ist ja schon tot.


frau braggelmann   (15.10.09, 23:51)   (link)  
lieber stubenzweig,
unter email
kriegt man sicherlich bildmaterial....

und, ich hätte noch platz für die "gischt"


jean stubenzweig   (16.10.09, 13:19)   (link)  
Ja, «Gischt»,
daran erinnere ich mich. Sanft schmerzen alle Glieder ...


jean stubenzweig   (21.10.09, 16:19)   (link)  
Als ich meinen obigen Text
veröffentlicht hatte, war die nachfolgende Information noch nicht enthalten; sonst hätte ich nicht so lange suchen müssen.

«Anlässlich des Kunsthandwerkermarktes zum Erntedank öffnet auch das Atelierhaus der Kulturstiftung Stormarn der Sparkasse Holstein auf dem Mühlengelände. Zu sehen sind aktuelle Kunstwerke u.a. Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen der drei Künstlerinnen Heinke Both, Lucia Schoop und Waltraud M. Stalbohm.»

Meine Vermutung: Nachdem ich Lucia Schoop auf meine Anmerkungen hingewiesen hatte, hat sie diese weitergeleitet, worauf die Festivitäten-PR-Abteilung eine heiße Nadel hinterherhergestrickt hat.

So ließe sich behaupten, hin und wieder nutzt es dann doch etwas, sich zu Wort zu melden. Aber ob man deshalb zukünftig grundsätzlich in sich und anschließend aus sich heraus gehen wird, daran habe ich dann doch meine Zweifel. Vielleicht begründe ich die bei Gelegenheit; denn diese Informationspolitik dürfte keine lokalspezifische sein.















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